T 2858/18 17-05-2021
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Zusammensetzung enthaltend Sorbitanmonocaprylat und ein ausgewähltes Pyridon
I. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Beschwerde der Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung (angefochtene Entscheidung), die europäische Patentanmeldung Nr. 14 157 660.3 (Anmeldung) zurückzuweisen.
Die diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegende Anmeldung ist eine Teilanmeldung der europäischen Patentanmeldung Nr. 10 722 598.9 (Stammanmeldung).
II. In Bezug auf den vor ihr anhängigen Hauptantrag sah die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung die Erfordernisse der Artikel 76, 123 (2) und 54 EPÜ als erfüllt an. Sie kam jedoch zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Ferner entschied die Prüfungsabteilung, dass der Gegenstand des dem Anspruch 7 des Hauptantrages entsprechenden Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags nicht ausreichend offenbart sei.
III. In Vorbereitung der auf Antrag der Beschwerdeführerin anberaumten mündlichen Verhandlung erließ die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020.
IV. Mit Schriftsatz vom 28. April 2021 reichte die Beschwerdeführerin Ansprüche eines neuen Hauptantrags ein. Die mündliche Verhandlung wurde daraufhin abgesagt.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Basis des Anspruchssatzes des mit Schriftsatz vom 28. April 2021 eingereichten Hauptantrags.
VI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich vom nächstliegenden Stand der Technik D1 dadurch, dass die kosmetische/dermatologische Formulierung Sorbitanmonocaprylat enthalte. In Bezug auf dieses Unterscheidungsmerkmal belege die Anmeldung eine verbesserte antimikrobielle Wirksamkeit. Diese werde weder durch D1 noch durch D2 nahegelegt. In der angefochtenen Entscheidung habe sich die Prüfungsabteilung bei der Kombination von D1 mit D2 auf das in D2 offenbarte Beispiel 7 gestützt. Dies betreffe jedoch nach eigener Angabe der D2 die Herstellung eines Sorbitolestergemisches. Bei diesem Beispiel seien keine konkreten Reaktionsbedingungen angegeben. Ferner könne nicht einfach davon ausgegangen werden, dass die in den Beispielen 1 oder 2 von D7 offenbarten Reaktionsbedingungen auch für das Beispiel 7 gewählt worden seien. Somit könne D2 nicht lehren, dass Sorbitanmonocaprylat eine antimikrobielle Wirkung habe. Der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags beruhe demnach auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Der Anspruchssatz des Hauptantrags besteht aus den folgenden vier Ansprüchen.
Anspruch 1
"Kosmetische oder dermatologische Produkte, vorzugsweise kosmetische oder dermatologische Formulierungen, enthaltend a) Sorbitanmonocaprylat und b5) Piroctone Olamine."
Anspruch 2
"Produkte nach Anspruch 1, enthaltend einen oder mehrere weitere antimikrobielle Wirkstoffe, die zu dem antimikrobiellen Wirkstoff der Komponente b5) unterschiedlich sind, als Komponente e), wobei der eine oder die mehreren antimikrobiellen Wirkstoffe der Komponente e) ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus Alkoholen, vorzugsweise ausgewählt aus Benzylalkohol, Phenoxy-ethanol, Propylene Phenoxyethanol, Phenethylalkohol, 1,2-Pentandiol, 1,2-Hexandiol, 1,6-Hexandiol, 1,2-Octandiol, 1,2-Decandiol, Methylpropandiol, Ethylhexylglycerin und Glycerin, und halogenierten Konservierungsstoffen, vorzugsweise ausgewählt aus Iodopropynyl-butylcarbamat und 2-Bromo-2-nitropropan-1,3-diol."
Anspruch 3
"Produkte nach Anspruch 1, wobei es sich bei den Produkten um wässrige, wässrig-alkoholische, wässrig-tensidische oder alkoholische Mittel oder um Mittel auf Ölbasis, inklusive Mittel auf Ölbasis in wasserfreier Form oder um Emulsionen, Suspensionen oder Dispersionen handelt und zwar in Form von Fluids, Schäumen, Sprays, Gelen, Mousse, Lotionen, Cremes, Pudern oder Feuchttüchern (Wet Wipes)."
Anspruch 4
"Produkte nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3, wobei die Substanzen der Komponenten a) und b5), bezogen auf die fertigen Produkte, beziehungsweise die kosmetischen oder dermatologischen Formulierungen, gemeinsam zu 0,1 bis 4,0 Gew.-%, vorzugsweise gemeinsam zu 0,2 bis 3,0 Gew.-%, besonders bevorzugt gemeinsam zu 0,3 bis 2,5 Gew.-% und insbesondere bevorzugt gemeinsam zu 0,5 bis 2,0 Gew.-% in den Produkten beziehungsweise Formulierungen enthalten sind."
2. Änderungen und Klarheit (Artikel 123 (2) und 84 EPÜ)
Als Basis für die Ansprüche des Hauptantrags können beispielhaft die folgenden Stellen in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung angegebenen werden:
- Anspruch 1: Seite 17, Zeilen 26 bis 31
- Anspruch 2: Seite 18, Zeile 1 bis Seite 19, Zeile 9
- Anspruch 3: Seite 14, Zeilen 14 bis 19
- Anspruch 4: Seite 22, Zeilen 22 bis 30.
Die Ansprüche des Hauptantrags erfüllen somit das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
Die Kammer hat sich ebenfalls davon überzeugt, dass die Ansprüche des Hauptantrags klar sind.
3. Ausreichende Offenbarung (Artikel 83 EPÜ)
Wie oben ausgeführt, erachtete die Prüfungsabteilung (in Bezug auf die vor ihr anhängigen Anträge) den Gegenstand des dem Anspruch 7 des Hauptantrages entsprechenden Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags für nicht ausreichend offenbart. Durch die Streichung des Anspruchs 7 im jetzt vorliegenden Hauptantrag ist dieser Einwand der Prüfungsabteilung gegenstandslos geworden. Gegen den Gegenstand der im jetzigen Hauptantrag verbleibenden Ansprüche hat die Prüfungsabteilung keinen Einwand mangelnder Offenbarung erhoben. Auch die Kammer ist überzeugt, dass der Gegenstand dieser Ansprüche ausreichend offenbart ist.
4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Von der Prüfungsabteilung wurden keine Neuheitseinwände erhoben und die Kammer ist überzeugt, dass der Gegenstand des Hauptantrags neu ist.
5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
5.1 Anspruch 1 des Hauptantrags ist identisch mit Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung abgehandelten Hauptantrags. Diesbezüglich war die Prüfungsabteilung der Auffassung, dass eine erfinderische Tätigkeit nicht anerkannt werden könne (Punkt II oben).
5.2 Die anmeldungsgemäße Aufgabe bestand darin, eine dermatologisch und toxikologisch unbedenkliche Substanz zu finden, die die antimikrobielle Wirkung von antimikrobiellen Wirkstoffen unterstützt. Sorbitanmono-caprylat wurde als Substanz identifiziert, die diese Aufgabe löst (Seite 2, Zeilen 21 bis 28 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung).
D1 beschäftigt sich mit "Konservierungsmittel[n] und ihrer[r] praktische[n] Anwendung in kosmetischen Produkten" (vgl. Titel). In Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung sieht auch die Kammer D1 als den nächstliegenden Stand der Technik an.
5.3 D1 (Seite 353, der beide Spalten umspannende Absatz, Nr. 2 sowie Seite 346, Punkt 2.1.2 b)) offenbart beispielsweise eine O/W-Emulsion enthaltend 0,5 Gew.% des Konservierungsmittels Piroctonolamin. Des Weiteren sind in dieser Emulsion Sorbitanfettsäureester (vgl. Seite 346, rechte Spalte, Zeilen 1 bis 4) enthalten. D1 offenbart weiterhin, dass die gewählte Menge des Konservierungsmittel nicht zu einer ausreichenden Konservierung führt.
5.4 Bei der oben genannten O/W-Emulsion handelt es sich wie in Anspruch 1 gefordert um eine kosmetische/dermatologische Formulierung. Das darin enthaltene Piroctonolamin ist die anspruchsgemäße Komponente b5). In D1 finden sich keine Informationen darüber, welche Verbindungen genau als Sorbitanfettsäureester eingesetzt wurden.
Wie schon von der Prüfungsabteilung festgestellt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 somit dadurch von D1, dass die kosmetische/dermatologische Formulierung Sorbitanmonocaprylat enthält.
5.5 Wie aus Beispiel 16b) und Tabelle B in der ursprünglich eingereichten Anmeldung hervorgeht, hat der Zusatz von Sorbitanmonocaprylat ("SC" in Tabelle B) zu einer Creme-Formulierung, die 0,05 Gew.% Piroctonolamin ("Octopirox" in Tabelle B) enthält, eine deutliche Steigerung der antimikrobiellen Wirksamkeit gegen Pseudomonas aeruginosa zur Folge (und dies bei einer im Vergleich zu D1 10-fach geringeren Einsatzkonzentration von Piroctonolamin). Eine ähnliche Beobachtung wird auch bei der Shampoo-Formulierung gemacht (Beispiel 17, Tabelle C, vgl. insbesondere Seite 31, Zeilen 13 bis 17). Diese Daten belegen entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung einen mit dem Unterscheidungsmerkmal verbundenen technischen Effekt.
5.6 Die objektive technische Aufgabe kann daher darin gesehen werden, die in der D1 offenbarte Formulierung hinsichtlich ihrer mikrobiologischen Stabilität gegen Pseudomonas aeruginosa zu verbessern.
5.7 Der D1 kann keine Lehre dahingehend entnommen werden, dass Sorbitanfettsäureester im Allgemeinen oder Sorbitanmonocaprylat im Speziellen eine antimikrobielle Wirkung hätten, geschweige denn eine antimikrobielle Wirkung gegen Pseudomonas aeruginosa.
5.8 Die Prüfungsabteilung verwies in diesem Zusammenhang auf D2. Dieses Dokument betreffe die Herstellung von Esterzusammensetzungen mit antimikrobieller Aktivität. Beispiel 7 offenbare die Herstellung von Mono- und Di-C4-10-Fettsäure-Sorbitolestern. Für die Herstellung dieses Estergemisches seien die Reaktionsbedingungen der Beispiele 1 oder 2 gewählt worden. Es sei allgemeines Fachwissen, dass unter den Reaktionsbedingungen der Beispiele 1 oder 2 Sorbitol unter Wasserabspaltung zu Sorbitan cyclisiere. Mithin habe das aus Beispiel 7 erhaltene Reaktionsgemisch unweigerlich auch Mono-C8-Fettsäureester von Sorbitan, d. h. Sorbitanmonocaprylat, enthalten. Vor dem Hintergrund der Gesamtoffenbarung der D2 erschließe sich dem Fachmann daraus die antimikrobielle Wirkung auch von Sorbitanmonocaprylat. Dieses der Zusammensetzung von D1 zuzusetzen, habe keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft.
Die Kammer kann sich dem nicht anschließen. Beispiel 7 der D2 selbst bezieht sich auf die Herstellung von Sorbitolestern und nicht etwa auf die Herstellung von Sorbitanestern. Da auf die für die Umsetzung gewählten Reaktionsbedingungen nicht näher eingegangen wird, kann aus Beispiel 7 nicht geschlossen werden, dass das erhaltene Estergemisch notwendigerweise Sorbitanester (geschweige denn Sorbitanmonocaprylat) enthält. Insofern die Prüfungsabteilung auf die Reaktionsbedingungen der Beispiele 1 und 2 verweist, ist ihre Argumentation in sich widersprüchlich, denn wenn es nach dem Allgemeinwissen des Fachmanns unter den bei diesen Beispielen gewählten Reaktionsbedingungen unweigerlich zur Bildung von Sorbitanestern kommt, stellt sich die Frage, weshalb der Fachmann diese Bedingungen dann bei Beispiel 7, welches ja explizit auf die Bildung von Sorbitolestern abstellt, hätte einsetzen sollen.
Auch der D2 kann also keine Lehre dahingehend entnommen werden, dass Sorbitanfettsäureester im Allgemeinen oder Sorbitanmonocaprylat im Speziellen eine antimikrobielle Wirkung hätten.
5.9 Folglich beruht der Gegenstand von Anspruch 1 und der der von ihm abhängigen Ansprüche 2 bis 4 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen:
Ansprüche 1 bis 4 eingereicht mit Schriftsatz vom 28. April 2021