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T 2924/18 14-04-2022
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VERFAHREN ZUM HERSTELLEN EINES BREMSSATTELS, BEARBEITUNGSWERKZEUG ZUM AUSFÜHREN DES VERFAHRENS, MIT DEM VERFAHREN HERGESTELLTER BREMSSATTEL SOWIE SCHEIBENBREMSE MIT EINEM SOLCHEN SATTEL
BPW Bergische Achsen KG
Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
I. Mit der am 2. November 2018 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, in der Fassung nach damaligen Hilfsantrag 2 den Erfordernisse des EPÜ genügten.
II. Gegen diese Entscheidung legten die Patentinhaberin und die Einsprechende 2 Beschwerde ein.
III. Die Beschwerdeführerin 1 (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des am 15. Dezember 2021 eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage eines der am 15. Dezember 2021 eingereichten Hilfsanträge 0 bis 4.
IV. Die Beschwerdeführerin 2 (Einsprechende 2) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
V. Die Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 1) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
VI. Ansprüche 1 und 2 nach Hauptantrag lauten:
"1. a) Verfahren zum Herstellen eines Sattels einer Sattelscheibenbremse, insbesondere für Nutzfahrzeuge, wobei der Sattel folgendes aufweist:
b) einen zuspannseitigen Sattelabschnitt (10)
c) mit mindestens einer Abstützfläche (22.1, 22.2) zum Aufnehmen von Klemmkräften beim Bremsen,
d) einen einstückig mit dem zuspannseitigen Sattelabschnitt ausgeführten felgenseitigen Sattelabschnitt (12) und
e) eine zwischen den beiden Sattelabschnitten liegende erste Ausnehmung (14), in die in eingebautem Zustand mindestens eine Bremsscheibe zumindest abschnittweise hineinragt,
dadurch gekennzeichnet, daß
f) zum Ausbilden der Abstützfläche ein Bearbeitungswerkzeug (40) durch die erste Ausnehmung in denjenigen Bereich verbracht wird, in dem die Abstützfläche ausgebildet werden soll.
2. A) Verfahren zum Herstellen eines Sattels einer Sattelscheibenbremse, insbesondere für Nutzfahrzeuge, wobei der Sattel folgendes aufweist:
B) einen zuspannseitigen Sattelabschnitt (10)
C) mit mindestens einer Abstützfläche (22.1, 22.2) zum Aufnehmen von Klemmkräften beim Bremsen,
D) einen einstückig mit dem zuspannseitigen Sattelabschnitt ausgeführten felgenseitigen Sattelabschnitt (12) und
E) eine zwischen den beiden Sattelabschnitten liegende zweite Ausnehmung (16) zum Montieren/ Demontieren mindestens eines Bremsbelages,
dadurch gekennzeichnet, daß
F) zum Ausbilden der Abstützfläche ein Bearbeitungswerkzeug (40) durch die zweite Ausnehmung in denjenigen Bereich verbracht wird, in dem die Abstützfläche ausgebildet werden soll."
(Merkmalsgliederung in fett eingefügt.)
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 0 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch das Hinzufügen des Merkmals wonach:
"das Bearbeitungswerkzeug (40) eine L-förmige Halterung (42) aufweist und zum Verfahren in eine Arbeitsstellung translatorisch sowie rotatorisch um eine Achse (48) in Richtung der Längserstreckung eines der Schenkel des "L" um eine senkrecht auf beiden Schenkeln (44,46) des "L" stehende Achse bezüglich des Sattels verstellbar ist."
Anspruch 2 ist unverändert.
VII. Folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
E2: WO 2007/077206 A1
E10: DE 10 2005 006 264 A1
E12: DE 195 15 063 C2
E25: JP 2004 353 850 A
VIII. Die Beschwerdeführerin 1 trug im Wesentlichen Folgendes vor:
a) Hauptantrag
Der Anspruch 1 definiere eine erste Ausnehmung, in die eine Bremsscheibe zumindest abschnittsweise hineinrage. Damit sei das Loch in der Sattelwand gemeint, durch das die Bremsscheibe beim Einbau hindurchgeführt wird und nicht der gesamte Innenraum des Sattels. E2 sei damit nicht neuheitsschädlich.
b) Hilfsantrag 0
i) Hilfsantrag 0 entspreche dem Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde von Beschwerdeführerin 2 ohne den Vorrichtungsanspruch. Dieser Antrag sei nie zurückgenommen worden. Der Antrag sei daher in das Verfahren zuzulassen.
ii) Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 beruhten auf einer erfinderischen Tätigkeit.
IX. Die Beschwerdeführerin 2 sowie die Verfahrensbeteiligte trugen im Wesentlichen Folgendes vor:
a) Hauptantrag
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu im Hinblick auf E2.
b) Hilfsantrag 0
i) Zulassung
Dieser Antrag basiere auf der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten Fassung. Jedoch sei dieser Antrag im Laufe des Beschwerdeverfahrens zurückgenommen worden. Damit sei dieser Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen.
ii) Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf E12, E10 und die Kenntnisse des Fachmanns.
1. Hauptantrag - Neuheit
E2 offenbart unstreitig ein Verfahren zur Herstellung des Sattels einer Sattelscheibenbremse insbesondere für Nutzfahrzeuge nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1, wobei der Sattel folgendes aufweist:
b) einen zuspannseitigen Sattelabschnitt (rechts in den Figuren 2 und 3)
c) mit mindestens einer Abstützfläche (kreisförmige Innenfläche in des Zylinders - siehe unten) zum Aufnehmen von Klemmkräften beim Bremsen,
d) einen einstückig (siehe Seite 3, Zeilen 15 - 16) mit dem zuspannseitigen Sattelabschnitt ausgeführten felgenseitigen Sattelabschnitt,
e) eine zwischen den beiden Sattelabschnitten liegende erste Ausnehmung (14), in die in eingebautem Zustand mindestens eine Bremsscheibe zumindest abschnittweise hineinragt.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin 1 ist die erste Ausnehmung, in die in eingebautem Zustand mindestens eine Bremsscheibe zumindest abschnittweise hineinragt, lediglich die Ausnehmung im Boden des Sattels, wie sie in der nachstehenden Abbildung dargestellt ist. Diese erstreckt sich nicht in das Inneren des Sattels. Daher sei das Merkmal f), wonach "ein Bearbeitungswerkzeug (40) durch die erste Ausnehmung in denjenigen Bereich verbracht wird ...", in E2 nicht erfüllt.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Die Kammer kann diese Ansicht nicht teilen. Der Anspruch definiert die erste Ausnehmung lediglich in der Weise, dass die Bremsscheibe in eingebautem Zustand zumindest abschnittsweise in diese hineinragt. Diese Definition ist in beiden oben gezeigten Alternativen erfüllt.
Das Argument, nachdem die breitere Auslegung der Beschwerdebeteiligten der Beschreibung widerspreche, überzeugt nicht. Die Ansprüche definieren den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird (Artikel 84 EPÜ). Damit ist der Wortlaut des Anspruchs maßgeblich für die Prüfung der Neuheit. Außerdem ist der Wortlaut des Anspruchs in sich klar und bedarf keiner weiteren Auslegung anhand der Beschreibung. Folglich erfüllt auch die gestrichelt dargestellte Ausnehmung die Definition des Merkmals e).
Die Reaktionskräfte des Bremsvorgangs werden dort abgefangen, wo sich das Ende des Zylinders befindet, das damit als Abstützfläche im Sinne des Merkmals f) zu bezeichnen ist.
Gemäß dem in Figur 2 dargestellten Verfahren, wird das Werkzeug 24 zunächst durch das Loch 25 geführt. Anschließend wird es durch den Zylinder 22 und den Schlitz 13, durch den die Bremsscheibe in eingebautem Zustand hineinragt (Seite 3, Zeile 7) geführt. Also wird das Werkzeug gemäß der oben angegebenen Definition der ,,ersten Ausnehmung" bis zum Ende des Zylinders 23 (also bis zur Abstützfläche) geführt.
Damit ist das kennzeichnende Merkmal, wonach zur Ausbildung der Abstützfläche ein Bearbeitungswerkzeug durch die erste Ausnehmung in denjenigen Bereich verbracht wird, in dem die Abstützfläche ausgebildet werden soll, auch aus E2 bekannt.
2. Hilfsantrag 0
2.1 Zulassung des Hilfsantrags 0
Die Beschwerdeführerin 2 hat die Zulassung von Hilfsantrag 0, den die Beschwerdeführerin 1 mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2019 vorgelegt hat, gerügt. Sie argumentiert, Hilfsantrag 0 entspreche im wesentlichen dem nach ihrer Auffassung mit Schreiben vom 1. August 2019 zurückgenommen Antrag auf Aufrechterhaltung des Patent in der von der Einspruchsabteilung bestätigten Fassung. Lediglich der Vorrichtungsanspruch sei in Hilfsantrag 0 nicht mehr enthalten. Einen solchen Antrag könne die Beschwerdeführerin 1 nun nicht erneut stellen
Dem vermag sich die Kammer nicht anzuschließen.
2.2 Mit ihrem Schriftsatz vom 11. März 2019 hat die Beschwerdeführerin 1 "angesichts der Beschwerde der Einsprechenden 2" beantragt, diese zurückzuweisen und weiter hilfsweise das Patent in geänderter Fassung aufrecht zu halten. Damit war der Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchabteilung bestätigen Fassung von Anfang an Gegenstand des von der Beschwerdeführerin 1 angestrengten Beschwerdeverfahrens.
Daran hat sich durch Vorlage der neuen Hilfsanträge 1 bis 3 mit Schriftsatz vom 1. August 2019 nichts geändert. Der erste dieser Hilfsanträge hat vielmehr den ursprünglichen Hilfsantrag vom 11. März 2019 ersetzt. Dies folgt aus der Erläuterung zu diesem Hilfsantrag auf Seite 4 oben des Schriftsatzes vom 1. August 2019, wonach in diesem Antrag gegenüber der Vorversion jeweils in den Ansprüchen 6 und 8 der Verweis auf die erste Ausnehmung 14 gestrichen wurde. Mit Hilfsanträgen 2 und 3 reagierte die Beschwerdeführerin 1 auf Klarheitseinwände der Beschwerdeführerin 2, siehe ebenfalls Seite 4 des Schriftsatzes vom 1. August 2019. Dafür, dass die Beschwerdeführerin 1 darüber hinaus ihren Antrag auf Zurückweisung der Beschwerdeführerin 2 zurücknehmen wollte, gibt es keinen Anhalt.
Folglich wird Hilfsantrag 0, der auf dem von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten und nicht zurückgenommenen Antrag basiert, im Verfahren zugelassen.
2.3 Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit
E12 offenbart unstreitig ein Verfahren zur Herstellung einer Scheibenbremse mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Die nach diesem Verfahren hergestellte Scheibenbremse weist eine Öffnung mit Verschluss 65 auf. Durch diese Öffnung kann eine Bearbeitung des Abstützlagers stattfinden (Sp. 4, Z. 33 - 36).
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, das Herstellungsverfahren nach E12 derart weiterzubilden, dass der Arbeitsaufwand verringt ist.
Der Fachmann wird durch das Dokument E10 zwar angeregt, ein Bearbeitungswerkzeug durch eine vorhandene Öffnung im Bremssattelboden einzuführen.
Das erfindungsgemäße Verfahren erfordert jedoch nicht allgemein die Einführung des Werkzeugs durch eine Öffnung im Bremssattelboden, sondern spezifisch, dass das Bearbeitungswerkzeug eine L-förmige Halterung aufweist und zum Verfahren in eine Arbeitsstellung, translatorisch sowie rotatorisch um eine Achse in Richtung der Längserstreckung eines der Schenkel des "L" und um eine senkrecht auf beiden Schenkeln des "L" stehende Achse bezüglich des Sattels verstellbar ist.
Diese Merkmale sind unstreitig nicht aus dem vorliegenden Stand der Technik bekannt. Der Fachmann hatte daher keinen Hinweis, wie er zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen konnte. Dabei weiß er zwar, dass ein "L"-förmige Halterung vorteilhaft sein kann, um durch die Bodenöffnung zur Abstützfläche zu gelangen, da eine gerade Halterung aufgrund ihrer Abmessungen nicht durch die Bodenöffnung zur Abstützfläche kommen würde. Jedoch würde der Fachmann nicht ohne weiteres ein Werkzeug auswählen, das zum Verfahren in eine Arbeitsstellung translatorisch sowie rotatorisch um eine Achse in Richtung der Längserstreckung eines der Schenkel des "L" um eine senkrecht auf beiden Schenkeln des "L" stehende Achse bezüglich des Sattels verstellbar ist. Ein solches Werkzeug ist nicht aus dem zitierten Stand der Technik abzuleiten und auch für den Fachmann nicht offensichtlich, da bei dem Verfahren zur Herstellung einer Bremsscheibe nach E12 keine translatorische sowie rotatorische Bewegung notwendig ist.
Damit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.4 Anspruch 2 - erfinderische Tätigkeit
E12 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar und offenbart ein Verfahren nach dem Oberbegriff des Anspruchs 2.
Es ist unstreitig, dass kein Dokument ein Verfahren offenbart, bei dem das Werkzeug durch eine Ausnehmung zum Montieren/Demontieren eines Bremsbelages verbracht wird. Diese Ausnehmung ist kleiner als die erste Ausnehmung, weil die Bremsbeläge kleiner als die Bremsscheibe sind. Damit gibt es für den Fachmann keinen Anlass, das Werkzeug durch diese Öffnung zu verbringen. Auch würde der Fachmann dies nicht ohne Weiteres tun, weil die zweite Ausnehmung weniger Platz zum Einführen des Werkszeugs bietet. Damit beruht auch der Gegenstand des Anspruchs 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit
der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent zu erteilen auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 9 des mit Schrieben vom 15. Dezember 2021 eingereichten Hilfsantrags 0 und einer daran anzupassenden Beschreibung.