T 0140/19 11-06-2021
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Kran mit Kransteuerung
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (ja)
Patentansprüche - Stützung durch die Beschreibung (ja)
Ausreichende Offenbarung - deutliche Offenbarung
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Änderungen - Offenbarung durch Zeichnung
Änderungen - Zwischenverallgemeinerung
Änderung des Beschwerdevorbringens - Änderung räumt aufgeworfene Fragen aus (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags I die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass die Erfindung gemäß dem erteilten Patent zwar ausführbar sei, der Gegenstand des erteilten unabhängigen Anspruchs aber über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
Der Gegenstand des Hilfsantrags I dagegen ging nach Auffassung der Einspruchsabteilung nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und stelle auch eine Begrenzung des Schutzumfangs im Vergleich zum erteilten Anspruchssatz dar. Zudem sei der Gegenstand dieses Antrags neu und erfinderisch.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen, d. h. das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags I des Einspruchsverfahrens aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf Basis eines der Hilfsanträge II (mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht) oder IIIa (mit Schreiben vom 17. Februar 2021 eingereicht) aufrechtzuerhalten.
Alle weiteren im Verlauf des Beschwerdeverfahrens eingereichten Hilfsanträge wurden zurückgenommen.
IV. Diese Entscheidung nennt die folgenden, von den Parteien im Einspruchsverfahren bereits vorgelegten Dokumente:
E2 JP H07-115837 B (mit Übersetzung)
E3 JP H04-223993 A (mit Übersetzung)
E9 DD 58 165 B1
E12 EP 1 8890 971 A1
V. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags (als "Hilfsantrag I" im Einspruchsverfahren bezeichnet) lautet wie folgt:
"Kran mit einem Ausleger (1), einer Kransteuerung und mindestens einem Seil (20) zum Heben einer Last (10), wobei in der Kransteuerung mindestens eine Sensoreinheit zur Bestimmung eines Seilwinkels relativ zur Gravitationskraftrichtung vorgesehen ist, wobei die mindestens eine Sensoreinheit an einem Seilfolgeelement (35) angeordnet ist und am Seil (20) geführt wird,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Seilfolgeelement (35) am Auslegerkopf (30) des Auslegers (1) durch kardanische Verbindungen (32) unter einer Hauptseilrolle (31) angebracht ist und am Seil geführt ist."
Im unabhängigen Anspruch des Hilfsantrags II wird zusätzlich zum Hauptantrag das folgende Merkmal verlangt:
"wobei die kardanischen Verbindungen (33) unter einer Hauptseilrolle (31) liegen."
Im unabhängigen Anspruch des Hilfsantrags IIIa wird zusätzlich zum Hauptantrag die folgenden Merkmale verlangt:
"wobei eine Überlastsicherung vorgesehen ist, welche bei einem Überschreiten eines zulässigen Wertebereichs (70) für eine sich aus dem gemessenen Seilwinkel ergebende Abweichung und/oder für die horizontale Abweichung der Last (10) automatisch in die Steuerung des Kranes eingreift, um eine Überlast des Kranes zu verhindern, wobei die Überlastsicherung die Bewegung des Kranes und/oder des Seils (20) zumindest teilweise freigibt."
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechende) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag sei nicht neu gegenüber jeweils E2, E3 und E12.
b) Der Hilfsantrag II sei unzulässig geändert worden, da das hinzugefügte Merkmal nur aus der Figur 0b entnehmbar sei, der Fachmann dort das Merkmal aber nicht losgelöst von der Vielzahl weiterer in der Figur gezeigten Merkmale als erfindungswesentlich erkennen würde.
c) Der Hilfsantrag IIIa wiederum dürfe nicht zum Verfahren zugelassen werden, da er erst nach dem Ladungsbescheid der Kammer eingereicht wurde.
Zudem aber sei die im Hilfsantrag IIIa beanspruchte Erfindung aufgrund der Widersprüche zwischen Beschreibung und Ansprüchen sowie der unzureichenden Definition, was eine kardanische Verbindung sei nicht ausführbar.
Durch die Änderungen sei zudem der Schutzbereich gegenüber der erteilten Fassung unzulässig erweitert, insbesondere verschoben worden. Die Änderungen seinen ferner nicht durch die Offenbarung der ursprünglich eingereichten Anmeldung gedeckt.
Schließlich sei der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination von E2 mit E9.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag sei neu, da die Dokumente E2 und E3 kein Kardangelenk zeigen würden. E12 wiederum beträfe einen anderen Sensortyp.
b) Das dem Hilfsantrag II hinzugefügte Merkmal sei klar in Figur 0b zu erkennen.
c) Hilfsantrag IIIa sei zum Verfahren zuzulassen, da er eine unmittelbare Reaktion auf die erstmals im Ladungsbescheid der Kammer thematisierten Klarheitsmängel darstelle.
Die im Hilfsantrag IIIa definierte Erfindung sei zudem ausführbar für den einschlägigen Fachmann, der Anspruchssatz ausreichend klar und auch der Schutzbereich sei gegenüber dem erteilten Patent nicht erweitert worden.
Des weiteren sei der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs auch neu und erfinderisch gegenüber dem sich im Verfahren befindlichen Stand der Technik.
Hauptantrag
1. Der Hauptantrag entspricht der Fassung des Streitpatents, die im Einspruchsverfahren als "Hilfsantrag I" bezeichnet wurde und gemäß der angegriffenen Entscheidung der Einspruchsabteilung den Erfordernissen des EPÜ genügte.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
2. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag ist nicht neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.
2.1 Das Dokument E2 zeigt, was unstrittig zwischen den Parteien war, in den Figuren 1 - 4 einen Kran mit den Merkmalen des Oberbegriffes des unabhängigen Anspruchs. Unstrittig war ferner, dass auch in E2 das Seilfolgeelement (25) am Auslegerkopf des Auslegers unter der Hauptseilrolle angebracht ist und am Seil geführt ist.
2.2 Strittig zwischen den Parteien war jedoch, ob das Seilfolgeelement (25) durch kardanische Verbindungen am Auslegerkopf angebracht ist.
2.2.1 Die Beschwerdegegnerin argumentierte hierzu, dass die Begriffe "kardanische Verbindung" und "Kardangelenk" im Streitpatent als Synonyme verwendet würden. Die in E2 gezeigte Verbindungen zwischen dem Auslegerkopf und dem stabförmigen Element (24), sowie zwischen dem stabförmigen Element (24) und dem Seilfolgeelement (25) seien jedoch keine Kardangelenke. Aus Sicht der Beschwerdegegnerin verlange ein Kardangelenk zwingend ein starres Kreuzstück mit je Bewegungsrichtung einem fest damit verbundenen Achsbolzen, die in einer Gabellagerung am angrenzenden Bauteil gehalten werden, so dass eine Bewegung um zwei senkrecht zueinander stehende Achsen (den Mittelachsen der Achsbolzen) ermöglicht werde, während keine Bewegung um die dritte Raumrichtung zugelassen würde.
2.2.2 Die Einspruchsabteilung hatte in ihrer Entscheidung dieses Verständnis des Begriffs "kardanische Verbindung" geteilt (siehe Entscheidungsgründe 2.5.3 und 2.2.3).
2.2.3 Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass der im Anspruch verwendete Begriff "kardanische Verbindung" breit auszulegen ist und nicht nur auf ein klassisches Kardangelenk mit starrem Kreuzstück beschränkt verstanden werden darf. Maßgeblich ist für eine kardanische Verbindung letztlich lediglich die Kinematik der Verbindung, die eine Bewegung um zwei senkrecht zueinander stehende, sich schneidende Achsen erlauben muss, während eine Bewegung um die dritte Raumrichtung (die typischerweise mit der Längsachse der angeschlossenen Bauteile übereinstimmt) aber verhindert wird. Eine konkrete strukturelle Ausgestaltung der Lagerung wird nicht verlangt, insbesondere aber keine Gabellagerung wie bei einem klassischen Kardangelenk.
Im Streitpatent wird zwar an diversen Stellen die Ausführung der kardanischen Verbindung als Kardangelenk beschrieben (beispielsweise in Absatz [0091]), der Begriff "kardanische Verbindung" stellt aber dabei kein Synonym zu "Kardangelenk" dar. Ein Kardangelenk ist ein Sonderfall der kardanischen Verbindung, die kardanische Verbindung kann aber auch andersartig ausgebildet werden solange die oben beschriebene Kinematik erhalten bleibt.
2.2.4 Die in den Figuren 1 - 4 der E2 gezeigte Vorrichtung lässt eine Bewegung des stabförmigen Elements (24) um die in der folgenden Figur der E2 ergänzten Achsen zu, so dass es sich sowohl am oberen Ende des stabförmigen Elements 24, als auch an dessen unterem Ende um eine kardanische Verbindung handelt.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2.2.5 Die Beschwerdegegnerin argumentierte zwar in diesem Zusammenhang, dass am unteren Ende zusätzlich zu einer Bewegung um die Achse des Bolzens 27 und um die Achse des Bolzens 28 auch eine Rotation um die Achse des Bolzens 26 möglich sei.
Das mag richtig sein, doch schließt der Wortlaut des Anspruchs nicht aus, dass neben den kardanischen Verbindungen weitere Bauteile zur Anbringung des Seilfolgeelements am Auslegerende involviert sind und damit auch weitere Bewegungsmöglichkeiten bestehen. Die zusätzliche Bewegungsachse um den Bolzen 26 erfolgt zudem parallel zur Achse des Bolzens 29, so dass die Unterbindung einer Bewegung des Seilfolgeelements um eine vertikale Achse durch die kardanischen Verbindungen nicht aufgehoben wird.
2.2.6 Das Dokument E2 offenbart somit auch, dass das Seilfolgeelement über kardanische Verbindungen am Auslegerkopf des Auslegers angebracht ist.
2.3 Ferner argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass in E2 die obere kardanische Verbindung nicht unter der Hauptseilrolle angeordnet sei (sondern auf gleicher Höhe), dies vom unabhängigen Anspruch des Hauptantrags aber verlangt würde.
Der unabhängige Anspruch verlangt jedoch nicht, dass die kardanischen Verbindungen unter der Hauptseilrolle angeordnet sein müssen, sondern dass das Seilfolgeelement unterhalb der Hauptseilrolle angeordnet sein muss, was auch bei E2 der Fall ist. Die Formulierung "unter der Hauptseilrolle angebracht ist und am Seil geführt ist" kann sich nicht auf die kardanische Verbindung beziehen, sondern muss auf das am Seil geführte Seilfolgeelement gelesen werden.
2.4 Der in E2 gezeigte Kran ist daher neuheitsschädlich für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs des Hauptantrags.
2.5 Die von der Beschwerdeführerin ebenfalls geltend gemachten Dokumente E3 und E12 sind dagegen nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs des Hauptantrags.
2.5.1 E3 zeigt keine kardanische Verbindung am unteren Ende des stabförmigen Elements (7 bzw. 11), das das Seilfolgeelement (13, 14, 17) mit dem Ausleger (3) verbindet.
2.5.2 E12 wiederum offenbart keine Sensoreinheit, die den Seilwinkel bezüglich der Schwerkraftrichtung misst.
Hilfsantrag II
3. Im Hilfsantrag II wurde dem unabhängigen Anspruch das Merkmal hinzugefügt, wonach die kardanischen Verbindungen unter einer Hauptseilrolle liegen.
Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
4. Die zum Hilfsantrag II führende Änderung verstößt gegen Artikel 123(2) EPÜ.
4.1 Dieses im Vergleich zum Hauptantrag hinzugefügte Merkmal ist nur der Figur 0b zu entnehmen. In dieser Figur wird jedoch eine konkrete Anbringung des Seilfolgeelements am Auslegerkopf gezeigt, bei der unter anderem zwischen den kardanischen Verbindungen (33) ein länglicher Stab (32) angeordnet ist, dessen oberes Ende in Auslegerrichtung betrachtet hinter dem vertikal verlaufenden Seil angeordnet ist, dessen unteres Ende aber vor dem Seil angeordnet ist. Zudem werden Details der kardanischen Verbindungen sowie der Lagerung der Hauptseilrolle gezeigt.
4.2 Aus dieser Vielzahl an in Figur 0b dargestellten Merkmalen kann das fragliche Merkmal "kardanische Verbindungen liegen unter der Hauptseilrolle" aber nicht isoliert entnommen werden, insbesondere nicht ohne konkreten Anhaltspunkt, dass die Anordnung der beiden kardanischen Verbindungen unter der Hauptseilrolle eine technische Wirkung hat, die auch ohne die weiteren in Figur 0b gezeigten Merkmale erzielbar wäre.
Das fragliche Merkmal kann daher nicht losgelöst von den weiteren gezeigten Details der Figur entnommen werden.
4.3 Die zum unabhängigen Anspruch des Hilfsantrags II führende Änderung stellt daher eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung der in der Figur 0b gezeigten Anbringung des Seilfolgeelements am Auslegerende dar.
4.4 Die Beschwerdegegnerin argumentierte zwar ferner, dass eine Anbringung unter der Hauptseilrolle auch in Absatz [0127] der veröffentlichten Anmeldung offenbart sei.
Hier wird jedoch nur beschrieben, dass das erste Seilfolgeelement (und nicht die kardanischen Verbindungen) unter der ersten Seilrolle bzw. der Hauptseilrolle angebracht ist. Zur Art der Anbringung, insbesondere zur Frage, welche Bauteile hier noch beteiligt sind, ist dieser Passage nichts zu entnehmen.
Hilfsantrag IIIa
5. Der Hilfsantrag IIIa wurde mit Schreiben vom 17. Februar 2021 eingereicht, also erst nach Erlass des Bescheids zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung unter Artikel 15(1) VOBK 2020 am 20. April 2020.
Im Vergleich zum bereits mit der Antwort auf die Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag III wurde im Hilfsantrag IIIa im unabhängigen Anspruch spezifiziert, dass die Sicherungseinrichtung eine Überlastsicherung ist. Zudem wurde der abhängige Anspruch 10 gestrichen und die verbleibenden abhängigen Ansprüche neu nummeriert.
Zulassung des Antrags zum Verfahren (Artikel 13 VOBK 2020)
6. Die Beschwerdeführerin beantragte, den Hilfsantrag IIIa als verspätetes Vorbringen im Sinne von Artikel 13(1) VOBK nicht mehr zum Verfahren zuzulassen.
6.1 Die Kammer hatte im Ladungsbescheid unter Punkt 15 aus eigenem Antrieb mehrere Klarheitsmängel des Hilfsantrags III aufgeworfen, die durch die zum Hilfsantrag III führenden Änderungen entstanden sind: Zum einen wurde im unabhängigen Anspruch Bezug genommen auf "die Überlastsicherung" ohne diese jedoch vorstehend einzuführen. Zum anderen stand das im Anspruch 10 definierte Stoppen der Bewegung des Krans im Widerspruch zum im unabhängigen Anspruch verlangten Freigeben der Bewegung.
6.2 Die zum Hilfsantrag IIIa führenden Änderungen dienten unstrittig zwischen den Parteien dabei dazu, diese Klarheitseinwände zu beheben.
6.3 Der Hilfsantrag IIIa hätte nicht früher vorlegen werden können, da die Vorlage des Antrags in unmittelbarer Reaktion auf die im Ladungsbescheid der Kammer erstmalig aufgeworfenen Klarheitsmängel erfolgte. Die Kammer hat ihr Ermessen unter Artikel 13(1) VOBK daher dahingehend ausgeübt, dass sie den Hilfsantrag IIIa zum Verfahren zuließ.
Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
7. Die zum Hilfsantrag IIIa führenden Änderungen erfüllen die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
7.1 Die im Vergleich zum Hauptantrag hinzugefügten Merkmale der Kransteuerung lassen sich den ursprünglich eingereichten abhängigen Ansprüchen 10 und 12 entnehmen. Zudem offenbart der ursprünglich eingereichte Anspruch 36 die Verwendung der Kransteuerung für einen Kran mit Seil, der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 definiert die Sensoreinheit und in Absatz [0088] der veröffentlichten Anmeldung wird die Anbringung der Sensoreinheit an einem Seilfolgeelement beschrieben, welches mittels kardanischer Verbindungen am Auslegerkopf des Auslegers angebracht ist.
7.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die kardanischen Verbindungen im Absatz [0088] der veröffentlichten Anmeldung nur in Kombination mit weiteren Merkmalen offenbart sei, insbesondere dass das Seilfolgeelement Rollen aufweise, durch welche das Seil geführt werde, sowie neben der Sensoreinheit auch eine Gyroskopeinheit am Seilfolgeelement angeordnet sei (aus dem unmittelbar anschließenden Absatz [0089]).
Diese Merkmale sind jedoch nicht funktional untrennbar mit den kardanischen Verbindungen verbunden. Die kardanischen Verbindungen dienen dazu, das Seilfolgeelement immer im definierten Winkel zur Achse des Auslegers zu halten und so Seilwinkelabweichungen in tangentialer Richtung von Seilwinkelabweichungen in radialer Richtung unterscheiden zu können. Hierfür ist es aber unerheblich, wie das Seil durch das Seilfolgeelement geführt wird und/oder ob am Seilfolgeelement weitere Sensoren zur Messung anderer Größen angeordnet sind.
Die Verallgemeinerung des in der ursprünglich eingereichten Beschreibung in Absatz [0088] und [0089] beschriebenen Krans ist daher zulässig.
7.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte des Weiteren, dass eine Freigabe der Bewegung des Kranes und/oder des Seils nur nach einem Stoppen der Bewegung des Kranes in den Ansprüchen 10 - 12 offenbart worden sei, so dass auch das Merkmal "Überlastsicherung stoppt die Bewegung des Kranes" aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 11 in den unabhängigen Anspruch des Hilfsantrags IIIa aufzunehmen gewesen wäre.
Das Stoppen der Bewegung des Kranes wurde jedoch im ursprünglich eingereichten Anspruchssatz eigenständig im abhängigen Anspruch 11 definiert, wobei der Anspruch 12 (in dem die Freigabe der Bewegung definiert wird) sich nicht auf Anspruch 11 rückbezieht, so dass das Stoppen nicht zwingend mit der Freigabe der Bewegung des Kranes kombiniert werden muss.
7.4 Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner, dass im ursprünglich eingereichten Anspruch 10 zudem verlangt werde, dass der Eingriff der Steuerung erfolge "für eine sich aus dem gemessenen Seilwinkel ergebende Abweichung, insbesondere für den Seilwinkel relativ zur Gravitationskraftrichtung und/oder für die horizontale Abweichung der Last". Nachdem der unabhängige Anspruch des Hilfsantrags IIIa aber nur verlangt, dass der Eingriff erfolgt "für eine sich aus dem gemessenen Seilwinkel ergebende Abweichung und/oder für die horizontale Abweichung der Last", würde hier nun der Bezug auf die Gravitationskraftrichtung fehlen, so dass nunmehr auch ein Winkel zu anderen Referenzrichtungen gemessen werden könne.
Nachdem der unabhängige Anspruch des Hilfsantrags IIIa jedoch im Oberbegriff spezifiziert, dass der Seilwinkel "relativ zur Gravitationskraftrichtung" bestimmt wird, ist es nicht notwendig, im Kennzeichen diese Referenzrichtung erneut zu wiederholen.
Schutzbereichserweiterung (Artikel 123(3) EPÜ)
8. Der Schutzbereich des unabhängigen Anspruchs wurde durch die Änderungen am Hilfsantrag IIIa nicht derart geändert, dass er über den Schutzbereich des unabhängigen Anspruchs in erteilter Fassung hinausgeht, so dass er den Erfordernissen des Artikels 123(3) EPÜ entspricht.
8.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass im erteilten unabhängigen Anspruch definiert werde, dass die Sensoreinheit über wenigstens eine kardanische Verbindung direkt mit dem Ausleger des Krans verbunden sei, während der unabhängige Anspruch des Hilfsantrags IIIa verlange, dass das Seilfolgeelement über kardanische Verbindungen am Ausleger angebracht sei.
8.2 Die Einspruchsabteilung hatte den erteilten Anspruch (siehe Entscheidungsgründe 2.3.3) dahingehend verstanden, dass durch die Verwendung des Ausdrucks ,,mit diesem" zwei Möglichkeit umfasst wären: Einerseits könne das Seilfolgeelement zusammen mit der daran befestigten Sensoreinheit über die kardanischen Verbindungen am Ausleger angebracht sein (mittelbare Verbindung der Sensoreinheit mit dem Ausleger). Andererseits wäre es auch möglich, die Sensoreinheit über die kardanischen Verbindungen direkt am Ausleger anzubringen (unmittelbare Verbindung der Sensoreinheit mit dem Ausleger). Das Streichen der zweiten Alternative könne daher keine Erweiterung des Schutzbereichs zur Folge haben.
8.3 Die Kammer ist der Auffassung, dass der im erteilten unabhängigen Anspruch verwendete Ausdruck ,,mit diesem" sich auf das Seilfolgeelement bezieht und daher dahingehend zu verstehen ist, dass die Sensoreinheit mit dem Seilfolgeelement über die kardanischen Verbindungen am Ausleger angebracht ist. Entsprechend wurde die mittelbare Verbindung der Sensoreinheit mit dem Ausleger über das Seilfolgeelement bereits vom Schutzumfang des erteilten unabhängigen Anspruchs erfasst, so dass keine Erweiterung des Schutzbereichs vorliegt.
Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
9. Die Erfindung des Hilfsantrags IIIa ist ausführbar im Sinne des Artikels 83 EPÜ.
9.1 Die Beschwerdeführerin verwies darauf, dass der Fachmann nicht zweifelsfrei bestimmen könne, welche Verbindungsformen unter den Begriff "kardanische Verbindung" fallen würden und daher nicht in der Lage sei, das Seilfolgeelement wie vom unabhängigen Anspruch verlangt durch mehrere solcher Verbindungen am Auslegerkopf anzubringen. Dieses Problem würde dadurch verstärkt, dass im Absatz [0088] der Beschreibung ausgeführt werde, dass die kardanische Verbindung eine Bewegung um eine horizontale, sowie um eine vertikale Achse erlaube, aber Drehbewegungen unterbinde.
9.2 Die Kammer teilt hierzu jedoch die unter Punkt 2.2.3 der Entscheidung abgegebene Auffassung der Einspruchsabteilung, dass im Ausführungsbeispiel der Figur 0b ein Kardangelenk als kardanische Verbindung gewählt wurde, dessen Ausgestaltung dem Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens geläufig ist. Aufgrund der Darstellung in der Figur 0b ist dem Fachmann auch unmittelbar klar, dass die mit Bezugszeichen (33) benannten Kardangelenke dabei dem Seilfolgeelement nicht erlauben können, "sich frei um eine horizontale und eine vertikale Achse zu bewegen, jedoch Drehbewegungen zu unterbinden", d. h. dass die Angaben in Absatz [0088] einen offensichtlichen Fehler darstellen. Dem Fachmann ist aber aufgrund seines Fachwissens und der in Absatz [0087] beschriebenen Funktionsweise des Seilfolgeelements mit Sensorelement sofort klar, was in Absatz [0088] hätte korrekt beschrieben werden sollen: die kardanischen Verbindungen erlauben Bewegungen um zwei horizontale, senkrecht aufeinander stehende Achsen (in "tangentialer und radialer Richtung" bezogen auf den Kran), unterbinden aber eine Bewegung um die vertikale Achse.
9.3 Auch der weitere von der Beschwerdeführerin erhobene Punkt, es gäbe keine - wie in Anspruch 8 definiert - akustische Anzeige, kann nicht geteilt werden. Dem Fachmann ist zweifelsfrei klar, dass hier das Erreichen einer lotrechten Seilstellung dem Kranführer durch einen Signalton signalisiert wird.
Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
10. Der unabhängige Anspruch des Hilfsantrags IIIa erfüllt die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
10.1 Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs für sich genommen ist ausreichend klar.
10.1.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte zwar, dass der Anspruch keine strukturellen Merkmale der kardanischen Verbindungen nenne, so dass die konkrete Ausgestaltung der kardanischen Verbindungen nicht bestimmt werden könne.
10.1.2 Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass der Fachmann aus dem Begriff "kardanische Verbindung" zweifelsfrei auf die gewünschte Kinematik der Verbindung schließen kann und davon ausgehend eine passende Ausgestaltung der Verbindung wählt. Ihm hier zusätzlich konkrete strukturelle Merkmale vorzugeben, ist nicht notwendig.
10.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte zudem, dass die Angabe der Kinematik in Absatz [0088] im Widerspruch zur Funktionalität der kardanischen Verbindung stehe und daher dieser Widerspruch es nicht mehr zulasse, den Begriff "kardanische Verbindung" eindeutig zu bestimmen.
10.2.1 Wie bereits zur Ausführbarkeit ausgeführt erkennt der Fachmann aber sofort, dass die in Absatz [0088] beschriebene Kinematik falsch beschrieben wird und kann diesen Fehler auch sofort durch die korrekte Beschreibung der Kinematik der Verbindung ersetzen.
10.2.2 Sollte hier tatsächlich eine Unklarheit des Anspruchssatzes entstanden sein, so wäre diese zudem der Entscheidung G 3/14 der Großen Beschwerdekammer folgend nicht zu beanstanden, da der Absatz [0088] in der erteilten Fassung des Streitpatent bereits wörtlich enthalten war. Entsprechend kann der hieraus resultierende vermeintliche Klarheitsmangel dem Hilfsantrag IIIa nicht entgegengehalten werden.
Gleiches gilt für den Einwand der Beschwerdeführerin, dass im Absatz [0088] die kardanischen Verbindungen mit den Bezugszeichen 32 und 33 versehen worden seien, in der Figur aber das Bezugszeichen 32 dem stabförmigen Element zwischen den beiden Kardangelenken 33 zugeordnet sei, so dass dem Fachmann unklar wäre, wie ein stabförmiges Element ein Kardangelenk bilden könne.
Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 54 und 56 EPÜ)
11. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag IIIa ist neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.
11.1 Es war unstrittig zwischen den Parteien, dass keines der sich im Verfahren befindlichen Dokumente alle Merkmale des unabhängigen Anspruchs zeigt. Das für den Gegenstand des Hauptantrags hochrelevante Dokument E2 zeigt zwar - wie zum Hauptantrag ausgeführt - dass das Seilfolgeelement am Auslegerkopf durch kardanische Verbindungen unter der Hauptseilrolle angebracht ist und am Seil geführt ist.
11.2 E2 offenbart jedoch nicht, dass eine Überlastsicherung vorgesehen ist, welche bei einem Überschreiten eines zulässigen Wertebereichs für eine sich aus dem gemessenen Seilwinkel ergebende Abweichung automatisch in die Steuerung des Kranes eingreift, um eine Überlast des Kranes zu verhindern, wobei die Überlastsicherung die Bewegung des Kranes und/oder des Seils zumindest teilweise freigibt.
In E2 (siehe Seite 3 unter Punkt "E. Action" der Übersetzung von E2, erster Absatz, letzter Satz) wird die Abweichung des Seils von einem exakt in Schwerkraftrichtung verlaufenden Verlaufs dem Benutzer lediglich angezeigt, so dass dieser die Position des Krans händisch (aber nicht automatisiert) korrigieren kann.
12. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag IIIa ist auch erfinderisch im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
12.1 Ausgehend von E2 argumentierte die Beschwerdeführerin, dass das Dokument E9 es dem Fachmann nahelegen würde, dass bei einer Überschreitung des zulässigen Wertebereichs automatisch zur Vermeidung einer Überlast des Krans in die Steuerung des Kranes eingegriffen wird und hierzu die Bewegung des Kranes und/oder des Seils zumindest teilweise freigegeben wird.
12.2 Die Kammer kann diesem Argument jedoch nicht folgen. Das Dokument E9 offenbart in Spalte 4 in Zeile 14 beginnend die Wirkungsweise der Überlastsicherung und beschreibt, dass bei einem Überschreiten des zulässigen Wertebereichs für den Seilwinkel nach einer kurzen Wartezeit automatisch in die Steuerung des Kranes zur Vermeidung einer Überlast des Kranes derart eingegriffen wird, dass die elektrische Anlage des Krans außer Betrieb gesetzt wird, d. h. Seil und Kran angehalten werden. Ein Freigeben der Bewegung des Kranes und/oder des Seils wird hier jedoch nicht angeregt, so dass eine Anwendung der Lehre des Dokuments E9 auf den Kran der E2 nicht zum Gegenstand des unabhängigen Anspruchs des Hilfsantrags IIIa führen kann.
12.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte zwar, dass irgendwann auch in E9 der Kran wieder in Betrieb gesetzt werden muss und dann auch die Bewegung des Krans und des Seils wieder freigegeben werden muss.
Nach einer Überlastsituation wird dies jedoch nicht automatisch erfolgen, sondern vom Kranführer vorgenommen werden. Zudem wird dies auch nicht erfolgen, wenn der Seilwinkel immer noch den zulässigen Wertebereich überschritten hat, wie es der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag IIIa jedoch verlangt.
12.4 Eine Freigabe der Bewegung des Krans und/oder des Seils wird auch in keinem anderen der sich im Verfahren befindlichen Dokumente angeregt, so dass der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag IIIa auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Anpassung der Beschreibung (Regel 42 EPÜ)
13. Beide Parteien beantragten, die Angelegenheit zur Anpassung der Beschreibung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, insbesondere da eine Vielzahl an Anpassungen notwendig zu sein scheint.
Aufgrund der Komplexität der notwendigen Anpassungen wurde dem Antrag auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung seitens der Kammer stattgegeben und die Angelegenheit daher unter Artikel 111(1) EPÜ an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung mit den Ansprüchen 1 bis 24 des Hilfsantrags IIIa, eingereicht mit Schreiben vom 17. Februar 2021, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.