T 0310/19 07-02-2022
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VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINER WINDENERGIEANLAGE UND WINDENERGIEANLAGE
Vestas Wind Systems A/S
ENERCON GmbH
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischen-entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 673 502 in geändertem Umfang nach Artikel 101 (3) (a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1a neu und erfinderisch sei.
III. In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgende Entgegenhaltung berücksichtigt:
D1 WO 2011 / 015 791 A1
Die folgenden Beweismittel aus dem Beschwerdeverfahren, die mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 3 eingereicht wurden, werden in der vorliegenden Entscheidung behandelt:
B4 "Empfehlungen zur Berücksichtigung tierökologischer Belange bei Windenergieplanungen in Schleswig-Holstein", Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein,
Dezember 2008, Seiten 1-95
B7 F. Hensen: "Gedanken und Arbeitshypothesen zur Fledermausverträglichkeit von Windenergieanlagen", Markkleeberg, Vorabzug des Druckes in der Fledermaus-Fachzeitschrift Nyctalus, 2004, Seiten 1-12
IV. Die Beschwerdeführerinnen Einsprechende 1 und 3 beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im vollen Umfang.
V. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin beantragt die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents auf Grundlage des am 9. April 2019 eingereichten Hilfsantrags 2, der mit dem von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Hilfsantrag 1a identisch ist. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nahm sie ihre eigene Beschwerde sowie alle weiteren Anträge zurück.
VI. Die Einsprechende 2 hat mit Schreiben vom 20. Januar 2020 ihren Einspruch zurückgenommen und ist somit nicht mehr am Beschwerdeverfahren beteiligt.
VII. In einer Mitteilung der Beschwerdekammer vom 12. Januar 2021 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Die Ladung zu einer mündlichen Verhandlung folgte am 10. Mai 2021. Die mündliche Verhandlung fand am 7. Februar 2022 in Anwesenheit aller Parteien als Videokonferenz statt.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des einzigen Hilfsantrags 2 hat den folgenden Wortlaut:
"Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage (10), die einen Rotor (12) mit wenigstens einem Rotorblatt (14) und eine Betriebssteuervorrichtung (21) umfasst,
wobei zum Schutz von Fledermäusen Spalte zwischen Blattwurzel und Spinner, Spalte zwischen Spinner und Gondel oder Spalte zwischen Gondel und Turm an der Windenergieanlage (10) mittels Labyrinthdichtungen, Bürstendichtungen, umlaufenden Gummidichtungen und/oder Drahtgittern mit einer Maschenweite von weniger als 10 mm abgedichtet sind und in kumulativer Abhängigkeit von den Umgebungsvariablen Umgebungshelligkeit (H), kalendarisches Datum (D), Windgeschwindigkeit (V) und Umgebungstemperatur (T) die Rotordrehzahl reduziert wird, wobei die Drehzahlreduzierung durch eine Verdrehung des Rotorblatts (14) oder der Rotorblätter (14) in Richtung Fahnenstellung oder durch eine Verschiebung einer Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie oder einer Drehzahl-Leistung-Kennlinie in Richtung höheren Drehmoments oder höherer Leistung erfolgt und aktiviert wird, wenn die Umgebungshelligkeit (H) einen vorbestimmten oder vorbestimmbaren Helligkeitsgrenzwert (HEgrenz-) unterschreitet, das kalendarische Datum (D) in einem vorbestimmten oder vorbestimmbaren Datumsbereich (Dmin bis Dmax) liegt, die Windgeschwindigkeit (V) unterhalb einer vorbestimmten oder vorbestimmbaren Grenzwindgeschwindigkeit (Vgrenz) liegt und die Umgebungstemperatur (T) oberhalb einer vorbestimmten oder vorbestimmbaren Grenztemperatur (Tgrenz) liegt."
IX. Die Beschwerdeführerinnen Einsprechenden 1 und 3 haben zu den entscheidungserheblichen Punkten Folgendes vorgetragen:
Die Dokumente B4 und B7 seien zum Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beruhe ausgehend von D1 in Zusammenschau mit B4 oder B7 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
X. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten Folgendes vorgetragen:
Die Dokumente B4 und B7 seien nicht zum Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beruhe gegenüber dem angezogenen Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage, die einen Rotor mit wenigstens einem Rotorblatt und eine Betriebssteuervorrichtung umfasst. Zum Schutz von Fledermäusen wird in kumulativer Abhängigkeit (also wenn alle nachfolgend genannten Umgebungsvariablen innerhalb der Parameter-bereiche liegen) von den Umgebungsvariablen Umgebungs-helligkeit, kalendarisches Datum, Windgeschwindigkeit und Umgebungstemperatur die Rotordrehzahl reduziert. Die Drehzahlreduzierung erfolgt durch eine Verdrehung des Rotorblatts oder der Rotorblätter in Richtung Fahnenstellung oder durch eine Verschiebung einer Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie oder einer Drehzahl-Leistung-Kennlinie in Richtung höheren Drehmoments oder höherer Leistung. Die Drehzahlreduzierung wird aktiviert, wenn die Umgebungshelligkeit einen vorbestimmten oder vorbestimmbaren Helligkeitsgrenzwert unterschreitet, das kalendarische Datum in einem vorbestimmten oder vorbestimmbaren Datumsbereich liegt, die Windgeschwindigkeit unterhalb einer vorbestimmten oder vorbestimmbaren Grenzwindgeschwindigkeit liegt und die Umgebungstemperatur oberhalb einer vorbestimmten oder vorbestimmbaren Grenztemperatur liegt. Zudem sind zum Schutz der Fledermäuse Spalte zwischen Blattwurzel und Spinner, Spalte zwischen Spinner und Gondel oder Spalte zwischen Gondel und Turm an der Windenergie-anlage mittels Labyrinthdichtungen, Bürstendichtungen, umlaufenden Gummidichtungen und/oder Drahtgittern mit einer Maschenweite von weniger als 10 mm abgedichtet. Dadurch wird ein Eindringen der Tiere in die Öffnungen der Windenergieanlage verhindert (Patentschrift, Absatz 0027).
Außerdem wird eine Windenergieanlage beansprucht, deren Betriebssteuervorrichtung dazu ausgebildet ist nach obigem Verfahren die Rotordrehzahl zu reduzieren.
3. Zulassung der Dokumente B4 und B7
3.1 Die Patentinhaberin bestreitet die Zulassung der von der Einsprechenden 3 mit ihrer Beschwerdebegründung vorgelegten Dokumente B1 bis B9 zum Beschwerde-verfahren und verweist dazu auf ihr schriftliches Vorbringen. In ihrer Eingabe vom 9. August 2019, Absatz 4, hatte sie argumentiert, dass eine Abdichtung von Spalten bereits im erteilten Anspruch 15 enthalten war, so dass entsprechende Dokumente bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hätten vorgelegt werden können und müssen.
3.2 Die Kammer hat bereits in ihrer Mitteilung, Abschnitte 4.3 und 4.3.1, die Auffassung vertreten, dass einige diese Dokumente zuzulassen seien. Die Kammer hat dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"4.3 Die Patentinhaberin bestreitet die Zulässigkeit der erst mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden eingereichten Dokumente B1-B9 und V8-V10. Die Zulassung dieser neuen Beweismittel unterliegt dem Ermessen der Kammer nach Art 114 (2) i.Z.m. Art 12(4) VOBK. Bei der Ausübung ihres Ermessens werden u.a. die Gründe des verspäteten Vorbringens sowie der Relevanz als Kriterien angewandt, RdBK 9.Auflage 2019, V.4.13. In diesem Fall wurde der Hilfsantrag 1a erst in der mündlichen Verhandlung eingereicht und nimmt in den unabhängigen Ansprüchen Merkmale (bezüglich der genauen Art der Dichtungen) aus der Beschreibung auf. Die neuen Dokumente können daher, wie von den beschwerdeführenden Einsprechenden angeführt, als Reaktion auf diese unvorhersehbare Entwicklung gesehen werden. Die Kammer ist somit geneigt eine angemessene Anzahl von Druckschriften, die zum Teil die hinzugefügten Merkmale als allgemeines Fachwissen belegen sollen oder sonst von besonderer Relevanz sind, zum Verfahren zuzulassen.
4.3.1 Das Dokument B4 zum Beispiel betrifft den Fledermausschutz bei Windenergieanlagen. In B4 wird vorgeschlagen, das Eindringen der Fledermäuse in das Innere der Gondel einer Windenergieanlage zu verhindern, indem Öffnungen durch engmaschige Gitter oder Dichtungslippen/-bürsten verschlossen werden (Seite 68, Abschnitt 3.3, letzter Absatz). Da Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 nicht auf die Spalte zwischen Spinner und Gondel oder zwischen Gondel und Turm beschränkt ist, scheint der von D1 ausgehende Fachmann auf naheliegende Weise durch B4 zur beanspruchten Lösung zu gelangen, falls er nicht ohnehin bereits aus technischen Gründen eine Dichtung zwischen Blattwurzel und Spinner (B3, Figur 2; V9, Seite 2, erster vollständiger Absatz), zwischen Spinner und Gondel (B1, Seite 15) oder zwischen Gondel und Turm (V10, Absatz 18) vorsehen würde. Die Kammer beabsichtigt, diese Druckschriften zum Verfahren zuzulassen."
Die Patentinhaberin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Sie fügt hinzu, dass die in Punkt 4.3 der Mitteilung zum Ausdruck kommende Sichtweise auch für das Dokument B7 gilt, da es ebenfalls die Abdichtung von Spalten an Rotor und Gondel einer Windenergieanlage als übliche Maßnahme darstellt.
3.3 Somit entschied die Kammer, die Dokumente B4 und B7 in das Verfahren zuzulassen, Artikel 12(4) VOBK.
4. Hilfsantrag 2 - erfinderische Tätigkeit
4.1 Die angegriffene Entscheidung bejahte die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 (dort als Hilfsantrag 1a behandelt) ausgehend vom Dokument D1, siehe Absatz 18 der Entscheidungsgründe. Die Beschwerdeführerinnen Einsprechende 1 und 3 bestreiten diesen Befund der Entscheidung.
4.2 Auch die Kammer hält das Dokument D1 für einen erfolgversprechenden Ausgangspunkt, da es auf den Schutz von Fledermäusen beim Betrieb einer Windenergieanlage gerichtet ist, siehe den letzten Absatz auf Seite 1. Zum Schutz der Fledermäuse wird dort die Rotordrehzahl der Windenergieanlage reduziert, wenn das kalendarische Datum im Datumsbereich von April bis Oktober liegt, die Umgebungshelligkeit auf das Niveau der Abend- und Morgendämmerung gesunken ist (siehe dazu den nachfolgenden Absatz dieser Entscheidung), die Windgeschwindigkeit unterhalb von
6 m/s liegt und zudem die Umgebungstemperatur oberhalb von 10 °C liegt, siehe den Entscheidungsbaum in Figur 4 und die zugehörige Erklärung auf den Seiten 15 und 16 der D1.
Zur Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes müssen daher nun die Unterscheidungsmerkmale von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 ermittelt werden. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer verwiesen die Parteien dazu auf ihr schriftliches Vorbringen, womit sich die Kammer nun auseinandersetzen wird.
4.3 Die Patentinhaberin argumentierte in ihrer Eingabe vom 9. April 2019, dass die Drehzahlreduzierung in D1 nicht in Abhängigkeit von der Umgebungshelligkeit erfolge (Seiten 11 und 12, Punkte 9-11).
4.3.1 Die Kammer hat bereits in ihrer Mitteilung, Abschnitt 2.2, die gegenteilige Auffassung vertreten, wonach dieses Merkmal in D1 offenbart ist. Sie hat dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"2.2 Im Hinblick auf das Merkmal 1.5a ("[wobei die Drehzahlreduzierung ... aktiviert wird, wenn] die Umgebungshelligkeit einen vorbestimmten oder vorbestimmbaren Helligkeitsgrenzwert unterschreitet") kann laut Absatz 18 der Patentschrift die Umgebungshelligkeit ermittelt werden, indem zuerst aus geographischen Standortparametern der Zeitpunkt des lokalen Sonnenauf- und/oder -untergangs errechnet wird, und dann die Drehzahlreduzierung in einem Zeitraum um den Sonnenauf- bzw. -untergang herum erfolgt.
Eine solche Ermittlung scheint bereits in D1 offenbart zu sein, wo die Drehzahlreduzierung ebenfalls während eines Zeitraums der höchsten Aktivität der Fledermäuse erfolgt, worunter der Zeitraum der größten Dunkelheit angesehen wird (Seite 8, Zeile 13 i.V.m. Seite 10, Zeilen 3-7). Die Kammer sieht die D1 auch als nacharbeitbare Offenbarung an, da Figur 4 den Zeitraum der größten Dunkelheit genau zu benennen scheint (Figur 4, Spalte C3: von 2h30min nach Sonnenuntergang bis 1h30min vor Sonnenaufgang). Da es zum allgemeinen Fachwissen gehört, dass sich die genauen Zeitpunkte des Sonnenunter- bzw. -aufgangs im Jahresverlauf verändern, scheint der in D1 genannte Zeitraum eine Berechnung der Zeitpunkte des lokalen Sonnenauf- bzw. -untergangs aus geographischen Standortparametern zu implizieren."
4.3.2 Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin hat dazu nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen, wonach dieses Merkmal kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1 darstellt.
4.4 Das Dokument D1 enthält keine Angaben zur Abdichtung von Öffnungen oder Spalten an der Windenergieranlage. Selbst wenn Maßnahmen zum Fledermausschutz gesetzlich vorgeschrieben wären, findet sich in der D1 kein Verweis auf irgendwelche baulichen Vorschriften. Außerdem enthält D1 nur allgemeine Angaben zur Drehzahlreduzierung ohne eine der beiden beanspruchten Maßnahmen zu nennen, siehe Seite 8, vorletzter Absatz des Dokuments.
Folglich unterscheidet sich das Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 von der Offenbarung der D1 darin, dass
- zum Schutz von Fledermäusen Spalte zwischen Blattwurzel und Spinner, Spalte zwischen Spinner und Gondel oder Spalte zwischen Gondel und Turm an der Windenergieanlage mittels Labyrinthdichtungen, Bürstendichtungen, umlaufenden Gummidichtungen und/oder Drahtgittern mit einer Maschenweite von weniger als 10 mm abgedichtet sind, und dass
- die Drehzahlreduzierung durch eine Verdrehung des Rotorblatts oder der Rotorblätter in Richtung Fahnenstellung oder durch eine Verschiebung einer Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie oder einer Drehzahl-Leistung-Kennlinie in Richtung höheren Drehmoments oder höherer Leistung erfolgt.
Damit stellt sich die Frage, ob - wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen - eine Kombinations-erfindung oder - wie von den Beschwerdeführerinnen vorgetragen - eine bloße Aggregation von Merkmalen, die Teilaufgaben lösen, vorliegt.
4.5 Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin vertrat im Hinblick auf das Vorliegen einer Kombinationserfindung in ihrer Eingabe vom 9. August 2019 die Auffassung, dass zwischen zwei unabhängigen Maßnahmen zum Schutz von Fledermäusen (nämlich der Abdichtung von Spalten und der Drehzahlreduzierung des Rotorblatts oder der -Blätter bei Erfüllung der vier Kriterien) eine funktionelle Wechselwirkung vorliege (Seiten 7 und 8 des Schriftsatzes, Punkt IV.a; Seite 12, zweiter Absatz).
4.5.1 Zur Begründung verwies sie auf die Argumentation der Einspruchsabteilung auf den Seiten 16 und 17 der angegriffenen Entscheidung, wonach "es ... eine funktionelle Wechselwirkung zwischen den genannten Merkmalen und somit einen kombinatorischen technischen Effekt [gibt]. Anspruch 1 listet zwei Maßnahmen auf, die beide in Kombination zum Schutz der Fledermaus vor Flügelschlag geeignet sind.".
4.5.2 Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass eine Kombinationserfindung vorliegt. Der Umstand, dass zwei Maßnahmen in Kombination zum Schutz der Fledermäuse beitragen, reicht nämlich nicht aus, um das Vorliegen einer Kombinationserfindung zu belegen. Vielmehr müssen nach ständiger Rechtsprechung die Merkmale dafür in einer funktionellen Wechselwirkung zueinander stehen in dem Sinne, dass sie einen über die Summe ihrer Einzelwirkungen hinausgehenden kombinatorischen Effekt aufweisen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, I.D.9.2.2).
Aus Sicht der Kammer verhindert das auf die Abdichtung von Spalten gerichtete Unterscheidungsmerkmal ein Einfliegen von Fledermäusen in Bauteile der Windenergieanlage, während die Drehzahlreduzierung - ob sie nun durch Verdrehung der Rotorblätter in Richtung Fahnenstellung bzw. Verschiebung einer Drehzahl-Drehmoment-Kennlinie oder einer Drehzahl-Leistung-Kennlinie oder auf andere Weise durchgeführt wird - die Fledermäuse vor Rotorschlag schützt. Diese stark unterschiedlichen Maßnahmen hängen offensichtlich nicht strukturell zusammen, und wirken nur insoweit zusammen, dass sie das gleiche - schon aus D1 bekannte - Ziel, den Schutz von Fledermäusen, verfolgen. Sonst wirken diese Maßnahmen unabhängig voneinander und beeinflussen sich auch nicht gegenseitig. Dass, wie die Entscheidung auf den Seiten 16 und 17 argumentierte, durch die Abdichtung von Spalten Rotorschlag von ausfliegenden Fledermäusen beim Anfahren der Anlage vermieden wird, sieht die Kammer nicht als synergetisches Zusammenwirken mit der bedingten Drehzahlreduzierung an. Die primäre Wirkung der Abdichtung liegt darin, wie oben angedeutet, zu verhindern, dass Fledermäuse in das Rotor- oder Nabeninnere eindringen und dort verenden oder Schaden anrichten. Dadurch wird zwingend als Folge jegliches Ausfliegen, nicht nur beim Anfahren, unterbunden.
4.5.3 Da kein synergetisches Zusammenwirken mit der bedingten Drehzahlreduzierung besteht, ist die Abdichtung lediglich als unabhängige, zusätzliche Maßnahme zum Schutz von Fledermäusen zu betrachten. Folglich ist in diesem Fall gemäß der zitierten Rechtsprechung zu untersuchen, ob sich die beiden Unterscheidungsmerkmale jeweils für sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik herleiten lassen.
4.6 Im Hinblick auf das erste Unterscheidungsmerkmal - wonach zum Schutz von Fledermäusen Spalte zwischen Blattwurzel und Spinner, Spalte zwischen Spinner und Gondel oder Spalte zwischen Gondel und Turm an der Windenergieanlage mittels Labyrinthdichtungen, Bürstendichtungen, umlaufenden Gummidichtungen und/oder Drahtgittern mit einer Maschenweite von weniger als 10 mm abgedichtet sind - ist zuerst die objektive technische Aufgabe zu formulieren.
Nach ständiger Rechtsprechung muss diese sich aus physikalischen, chemischen oder sonstigen Wirkungen ergeben, die unmittelbar und kausal mit den technischen Merkmalen der beanspruchten Erfindung zusammenhängen, RdBK, I.D.4.1. Die Patentschrift nennt als Wirkung dieses Unterscheidungsmerkmals, dass ein Eindringen der Tiere in die Öffnungen der Windenergieanlage verhindert wird, siehe Absatz 0024 der Patentschrift. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zwar darin zu, dass die Aufgabe so zu formulieren ist, dass sie keine Lösungsansätze enthält, RdBK, I.D.4.3.1. Daraus folgt im vorliegenden Fall jedoch nicht, dass die Aufgabe nicht anhand obiger Wirkung formuliert werden darf. Die Wirkung, ein Eindringen der Tiere zu verhindern, kann nämlich auch auf anderem Wege erreicht werden, beispielsweise, indem die Fledermäuse von den Öffnungen ferngehalten werden, indem sie durch technische Mittel vergrämt werden.
Daher sieht die Kammer die objektive technische Aufgabe darin, ein Eindringen der Tiere in die Öffnungen der Windenergieanlage zu verhindern.
4.7 Der Fachmann könnte zur Lösung dieser objektiven technischen Aufgabe die Dokumente B4 und B7 heranziehen, da sie Schutzmaßnahmen für Fledermäuse im Zusammenhang mit Windenergieanlagen betreffen. B4 nennt flexible Dichtungslippen/-bürsten zum Verschließen von Öffnungen (Seite 68, linke Spalte, letzte zwei Absätze: "damit auch bei Stillstand der Anlagen keine Tiere ins Innere gelangen"). Nach Auffassung der Kammer gehört es zum allgemeinen Fachwissen, dass die dort genannten Dichtungsbürsten zwischen relativ zueinander bewegten Teilen eingesetzt werden, so dass ein Fachmann darunter die Abdichtung von Spalten zwischen Rotor und dem an der Nabe angebrachten Spinner, zwischen Spinner und Gondel und zwischen Gondel und Turm an der Windenergieanlage versteht. B7 wiederum beschreibt Lippendichtungen zum Verschließen von Spalten an Rotor und Gondel (Seite 6: "Vermeidung jeglicher geometrischer Quartiereigenschaften an Gondel und Rotoren von WEA durch schattenfrei und spaltfrei eingebaute, mit den angrenzenden Bauteilen farbidentische Lippendichtungen in sämtlichen äußerlich erkennbaren Spalten").
Mithin hängt die Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit davon ab, ob technische Gründe den Fachmann von einer Kombination aus D1 und B4 oder B7 abhalten würden.
4.8 Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin verneint die Kombination unter Verweis auf die Figur 1 der B7 mit dem Argument, dass der Ertrag einer Windenergieanlage im August am geringsten sei. Daher seien die auf Seite 6 der B7 als Grund für die Abdichtung von Spalten angeführten warmen Augustnächte mit häufigem Anlagenstillstand bei dem in D1 offenbarten Verfahren unproblematisch. Aus dem in Figur 4 der D1 gezeigten Betriebsverhaltens gehe nämlich hervor, dass die Windenergieanlage in warmen und windstillen Augustnächten wegen der Kriterien C4 und C5 ohnehin stillstehe. Der von D1 ausgehende Fachmann würde daher keine weiteren Maßnahmen zum Schutz von Fledermäusen ergreifen.
Die Kammer sieht das anders, da auch in vermeintlich windstillen Augustnächten der Wind jederzeit wieder auffrischen und die Grenzwindgeschwindigkeit der D1 von 6 m/s überschreiten kann. In diesem Fall würde das Kriterium C3 der Fallunterscheidung dazu führen, dass die Betriebssteuervorrichtung eine geringe Aktivität der Fledermäuse gemäß dem Fall 301 annimmt und die Windenergieanlage in den Betriebszustand E1 schaltet, siehe den Brückenabsatz zwischen den Seiten 15 und 16 der D1. Dabei handelt es sich laut dem ersten Absatz auf Seite 8 um den normalen Betrieb ohne Drehzahlreduzierung, was beim Anlaufen der Windenergie-anlage aus der Gondel ausfliegenden Fledermäusen einer hohen Gefahr aussetzen würde. Daher wird der Fachmann aus Sicht der Kammer auch bei dem aus D1 bekannten Verfahren bestrebt sein, Spalte an Rotor und Gondel der Windenergieanlage abzudichten. Dessen ungeachtet ist die Kammer davon überzeugt, dass der Fachmann die Spalte in D1 ohnehin deswegen abdichten würde, um eine Verschmutzung des Gondelinneren durch den Kot von darin eindringenden Fledermäusen zu verhindern.
4.9 Im Hinblick auf das zweite Unterscheidungsmerkmal - die Art und Weise der Drehzahlreduzierung - hat die Kammer bereits in ihrer Mitteilung, Abschnitt 2.4, die Auffassung vertreten, dass eine Verdrehung der Rotorblätter nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die Kammer hat dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"2.4 Die dem Teilmerkmal 1.4a zugrunde liegende objektive technische Aufgabe scheint darin zu bestehen, eine Möglichkeit zur Drehzahlreduzierung anzugeben. Eine Verdrehung der Rotorblätter (Pitchverstellung) scheint durch das allgemeine Fachwissen nahegelegt zu werden. Siehe auch die von der Einsprechenden 3 eingereichte Tabelle B12 aus Wikipedia, oder den Auszug B10 aus "Hau, Windkraftanlagen. Grundlagen, Technik, Einsatz, Wirtschaftlichkeit"."
Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin hat dazu nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit wird dieses Merkmal durch das allgemeine Fachwissen nahegelegt.
4.10 Aus diesen Gründen gelangt der Fachmann durch eine Kombination von D1 und B4 oder B7 zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, ohne erfinderisch tätig zu werden.
5. Der Hilfsantrag 2 ist nicht gewährbar, da Anspruch 1 dieses Antrags nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, Artikel 100(a) und 56 EPÜ. Im Gegensatz zum Befund der angegriffenen Entscheidung stellt die Kammer somit fest, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen dieses Übereinkommens nicht genügen. Daher ist das Patent zu widerrufen, Artikel 101 (3) b) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.