T 0682/19 22-03-2022
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Staubsaugerbeutel und Verfahren zur Herstellung eines Staubsaugerbeutels
Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 198 765 nach Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass keiner der erhobenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht.
In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgende Entgegenhaltung:
D2: DE 20 2008 008 989 U1
Das folgende Beweismittel aus dem Beschwerdeverfahren wird in der vorliegenden Entscheidung behandelt:
D7: Beschluss des Bundespatentgerichts vom 17. Mai 2019 in der Beschwerdesache betreffend das Patent 10 2008 061 250
Dieses Dokument wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht.
III. In einer Mitteilung der Beschwerdekammer vom 28. Mai 2021 teilte diese den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Eine Ladung zu einer mündlichen Verhandlung folgte am 2. Juni 2021. Die mündliche Verhandlung fand am 22. März 2022 in Anwesenheit aller Parteien als Videokonferenz statt.
IV. Die Beschwerdeführerin Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
V. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang eines der mit der Erwiderung auf die Beschwerde vorgelegten Hilfsanträge 1-4.
VI. Die unabhängigen Ansprüche des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags (erteilte Fassung) haben den folgenden Wortlaut:
"1. Staubsaugerbeutel (1) aus Vliesstoff, mit einem Innenraum (8), der von zwei Lagen aus Filtermaterial umgeben ist, die randseitig miteinander verschweißt sind, wobei eine Einlassöffnung in dem Filtermaterial erfindungsgemäß ausgebildet ist; wobei ferner in dem Innenraum (8) mindestens eine Vorrichtung (10) zur Begrenzung des Abstandes zweier beabstandeter Stellen des Filtermaterials vorgesehen ist, die an gegenüberliegenden Seiten mit dem Filtermaterial verbunden ist, wobei die Vorrichtung (10) kürzer als der Materialabschnitt des Filtermaterials ausgebildet ist, der zwischen den zwei Stellen der Vorrichtung (10) an dem Filtermaterial angeordnet ist."
"13. Verfahren zur Herstellung eines Staubsaugerbeutels (1) insbesondere nach einem der vorhergehenden Ansprüche, mit den folgenden Schritten:
- Zuführen einer ersten bahnförmigen Lage aus Filtermaterial;
- Anordnen einer Vorrichtung (10) zur Begrenzung des Abstandes zweier beabstandeter Punkte des Filtermaterials an der ersten Lage, die an gegenüberliegenden Seiten mit dem Filtermaterial verbunden wird;
- Zuführen einer zweiten bahnförmigen Lage aus Filtermaterial;
- randseitiges Verschweißen der ersten und der zweiten Lage, und Fertigstellen des Staubsaugerbeutels (1),
-wobei die Vorrichtung (10) zur Begrenzung des Abstandes zweier beabstandeter Stellen des Filtermaterials nach einer Festlegung an dem Filtermaterial verkürzt wird."
VII. Die Beschwerdeführerin Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Die Änderungen in den Ansprüchen 1 und 13 gingen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der D2. Außerdem werde der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 ausgehend von D2 für den Fachmann nahegelegt.
VIII. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Die Änderungen in den Ansprüchen 1 und 13 gingen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 sei neu gegenüber der D2 und beruhe ausgehend von D2 auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft einen Staubsaugerbeutel (1) aus Vliesstoff mit einem Innenraum (8), der von zwei Lagen aus Filtermaterial umgeben ist. Die beiden Lagen sind randseitig miteinander verschweißt. Im Innenraum (8) ist mindestens eine Vorrichtung (10) zur Begrenzung des Abstandes zweier beabstandeter Stellen des Filter-materials vorgesehen. Die Vorrichtung (10) ist an gegenüberliegenden Seiten mit dem Filtermaterial verbunden. Dabei ist die Vorrichtung (10) kürzer als der Materialabschnitt des Filtermaterials ausgebildet, der zwischen den zwei Stellen der Vorrichtung an dem Filtermaterial angeordnet ist. Dadurch wird gewähr-leistet, dass die Vorrichtung beabstandet zu dem Filtermaterial angeordnet und nur endseitig mit dem Filtermaterial verbunden ist, wodurch das Filter-material nicht überdeckt und die Saugleistung nicht beeinträchtigt wird, siehe den Absatz 0009 der Patentschrift. Ein Verfahren zur Herstellung eines Staubsaugerbeutels wird ebenfalls beansprucht.
3. Änderungen
Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet den Befund der angegriffenen Entscheidung zur Zulässigkeit von Änderungen in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 13.
3.1 Anspruch 1 basiert auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 2 und enthält unter anderem das zusätzliche Merkmal "aus Vliesstoff". Gegen dieses Merkmal erhebt die Beschwerdeführerin den Einwand, dass es nicht dem allgemeinen Teil der Beschreibung, sondern dem spezifischen Ausführungsbeispiel auf Seite 8, Zeilen 12-14 der ursprünglich eingereichten Anmeldungs-unterlagen entnommen sei. Zudem sei das Merkmal auf unzulässige Weise gegenüber diesem Ausführungsbeispiel zwischenverallgemeinert, da es untrennbar mit den weiteren Merkmalen "mehrlagig ausgebildet" und "bei einer Temperatur von 140°C verfestigt" verbunden sei.
3.2 Aus Sicht der Kammer betrifft die gesamte Anmeldung Staubsaugerbeutel aus Vliesstoff. Solche Beutel werden unbestritten im allgemeinen Teil der Beschreibung als nachteiliger Stand der Technik dargestellt. Demnach müssen Staubsaugerbeutel aus weichem voluminösen Vliesstoff daran gehindert werden, sich an die Innenwände der Staubsaugerkammer anzulegen, siehe den zweiten Absatz der ursprünglich eingereichten Seite 1. Verhindert wird ein Anlegen an die Wände durch die erfindungsgemäße Vorrichtung zur Begrenzung des Abstandes, die den Staubsaugerbeutel versteift, so dass sich dieser nicht mehr ungehindert nach außen bewegen kann (Seite 2, Zeile 10; Hervorhebung durch die Kammer).
Der Begriff "mehr" stellt nach Auffassung der Kammer eine Verbindung zu den bei der Darstellung des Standes der Technik genannten Beuteln aus Vliesstoff her. Denn nur im Zusammenhang mit solchen Beuteln wurde zuvor eine ungehinderte Bewegung nach außen erwähnt, was durch die im Anschluss beschriebene Erfindung "nicht mehr" geschehen soll. Mithin betrifft die Darstellung der Erfindung auf Seite 2, Zeilen 5-10 im allgemeinen Teil der ursprünglich eingereichten Anmeldung ebenfalls Staubsaugerbeutel aus Vliesstoff, selbst wenn sie an dieser Stelle nicht explizit genannt werden. Da der Begriff "mehr" die Erfindung mit der vorangehenden Schilderung des Standes der Technik verknüpft, teilt die Kammer nicht die Sichtweise der Beschwerdeführerin, wonach das Merkmal "Vliesstoff" nur im Zusammenhang mit dem Stand der Technik offenbart sei. Stattdessen erlaubt die allgemeine Beschreibung die Aufnahme des Merkmals "Vliesstoff" in den geänderten Anspruch.
3.3 Im Gegensatz zur Sichtweise der Beschwerdeführerin wurde das Merkmal "Vliesstoff" somit nicht dem Ausführungsbeispiel auf Seite 8 - oder einem anderen Ausführungsbeispiel - entnommen. Auch das weitere Argument der Beschwerdeführerin, wonach auf Seite 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung nur Staubsaugerbeutel aus weichem voluminösen Vliesmaterial genannt seien, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die relativen Begriffe "weich" und "voluminös" betreffen nämlich jede Art von Vliesmaterial, so dass diese Begriffe mangels einschränkender Wirkung nicht in den Anspruch aufgenommen werden müssen.
3.4 Die Beschwerdeführerin erhebt in der Beschwerde-begründung auch gegen den unabhängigen Verfahrens-anspruch 13 den Einwand einer unzulässigen Änderung. Dieser Anspruch umfasst wegen seines fakultativen Rückbezugs unter anderem auf Anspruch 1 ("insbesondere nach einem der vorhergehenden Ansprüche") die Herstellung eines Staubsaugerbeutels aus Vliesstoff. Anspruch 13 beruht jedoch auf dem ursprünglich eingereichten Verfahrensanspruch 14, der von einem der ursprünglich eingereichten Produktansprüche 1-13 abhängig war. Da die Kammer bereits zum Ergebnis gelangt ist, dass das Merkmal "aus Vliesstoff" auf zulässige Weise in den Produktanspruch aufgenommen wurde, gilt dieser Befund wegen des Rückbezugs auch für den unabhängigen Verfahrensanspruch.
3.5 Aus diesen Gründen stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 des Hauptantrags nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, Artikel 123 (2) EPÜ.
4. Neuheit
Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet den Befund der angegriffenen Entscheidung, wonach der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D2 sei.
4.1 D2 offenbart einen Staubsaugerbeutel aus Vliesstoff in Form eines Flachbeutels, siehe das Ausführungsbeispiel in den Figuren 1-3. Bei diesem Staubsaugerbeutel sind zwei Lagen Filtermaterial in Form der Wandstücke 2 und 3 im Bereich eines umlaufenden Saums 4 randseitig miteinander verschweißt, siehe Absatz 0056. Im Innenraum des Staubsaugerbeutels ist ein Material-streifen 9 angeordnet, der sich laut Figur 1 zwischen dem linken und dem rechten Saum 4 erstreckt. Bei Betrieb des Staubsaugers bewegt sich der Material-streifen 9 im Luftstrom, um den Staub im Beutelinneren zu verteilen, siehe Absatz 0030.
Neben dieser in D2 beschriebenen Funktion bewirkt der Materialstreifen 9 implizit eine Begrenzung des Abstandes zweier beabstandeter Stellen des Filter-materials, da er einen festen Abstand zwischen seinen beiden Verbindungsstellen am Filtermaterial schafft, also diesen Abstand begrenzt.
4.2 Somit hängt die Entscheidung zur Neuheit davon ab, ob der Materialstreifen 9 der D2 kürzer als der Materialabschnitt des Filtermaterials ausgebildet ist, der zwischen den zwei Stellen der Vorrichtung am Filtermaterial angeordnet ist.
Die Formulierung Stellen der Vorrichtung ist auslegungsbedürftig, da diese Stellen nicht in Anspruch 1 definiert werden. Aus Sicht der Kammer bezieht sich das Merkmal auf die in Figur 3B der Patentschrift dargestellte Ausgestaltung des Staubsaugerbeutels, wo der Streifen 10 im Bereich jeder der beiden inneren Faltungen 6 mit dem Staubsaugerbeutel verbunden ist. Daher legt die Kammer in Übereinstimmung mit den Parteien die zwei Stellen der Vorrichtung als die beiden Verbindungsstellen mit dem Filtermaterial aus.
Die Kammer muss darum nun untersuchen, ob der in D2 gezeigte Materialstreifen 9 zwischen seinen beiden Verbindungsstellen mit dem Staubsaugerbeutel kürzer ist als der Materialabschnitt des Staubsaugerbeutels zwischen diesen Verbindungsstellen.
4.3 Die Beschwerdeführerin bejaht das unter Verweis auf die Absätze 0075 und 0076. Demnach habe der Material-streifen laut der zweiten Alternative in Absatz 0075, letzter Satz, eine kürzere Länge als das Wandstück des Staubsaugerbeutels. Die in Absatz 0076 genannte Befestigung über den Saum gelte für beide Alternativen des Materialstreifens. Ein kurzer Materialstreifen gemäß der zweiten Alternative sei bei Befestigung seiner beiden Enden im Saum des Staubsaugerbeutels kürzer als der Materialabschnitt des Staubsaugerbeutels zwischen den Verbindungsstellen.
4.4 Die in Absatz 0075 zuerst genannte Alternative mit einem langen Materialstreifen 9 wird an mehreren Stellen der D2 beschrieben und insbesondere in den Figuren 1-3 dargestellt. In diesem Ausführungsbeispiel besitzt der Materialstreifen 9 dieselbe Länge wie das zweite Wandstück 3 des Staubsaugerbeutels, siehe Absatz 0063 und die Figur 3. Aufgrund seiner Länge erstreckt sich der Materialstreifen 9 bis in den Saum 4 und ist dort beispielsweise durch eine Schweißnaht mit den beiden Wandstücken verbunden, siehe Absatz 0065. Dagegen wird die zweite Alternative, ein kurzer Materialstreifen, in Absatz 0075 der D2 nur eher beiläufig und ohne Nennung von weiteren Details erwähnt. Das wird auch durch den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beschluss des Bundespatentgerichts bestätigt, siehe den letzten Absatz auf Seite 10 der D7 (D2 dort als D3 bezeichnet).
Für die Frage der Neuheit ist daher entscheidend, ob, und falls ja, welche weiteren Informationen im breiteren Zusammenhang mit dieser eher beiläufig in D2 erwähnten Alternative eines kurzen Materialstreifens offenbart werden.
4.5 Die in Absatz 0076 genannte Verbindung des Material-streifens 9 über den umlaufenden Saum mit dem zweiten Wandstück des Staubsaugerbeutels bezieht sich nach Auffassung der Kammer nur auf die erste Alternative eines langen Materialstreifens. Zum einen wird in den Absätzen 0075 und 0076 dasselbe Bezugszeichen 9 für den Materialstreifen verwendet, so dass sich diese beiden Absätze widerspruchsfrei auf den in Figur 3 dargestellten langen Materialstreifen 9 lesen lassen. Außerdem deckt sich die in Absatz 0075 beschriebene Verbindung des langen Materialstreifens 9 mit dem zweiten Wandstück 3 mit den Angaben zur Befestigung eines langen Materialstreifens in den Absätzen 0063 und 0065.
4.6 In Absatz 0075 wird im Zusammenhang mit der zweiten Alternative des kurzen Materialstreifens kein Bezugszeichen verwendet ("Alternativ kann der Material-streifen jedoch auch eine kürzere Länge als die Länge des zweiten Materialstücks aufweisen."). Wegen des fehlenden Bezugszeichens in Absatz 0075 betrifft die in Absatz 0076 genannte Befestigung des Materialstreifens 9 nicht unmittelbar und eindeutig denselben (kurzen) Materialstreifen. Dieser Unterschied wird noch durch die unterschiedlichen Verbformen in den Absätzen 0075 und 0076 verstärkt. Der auf die Befestigung des Materialstreifens am Staubsaugerbeutel bezogene erste Satz in Absatz 0076 ist im Indikativ formuliert ("ist verbunden"). Der Indikativ, also die Wirklichkeitsform, beschreibt das, was ist, so dass sich dieser Satz nur auf etwas beziehen kann, das vorher ebenfalls im Indikativ beschrieben wurde. Er betrifft daher nach Auffassung der Kammer nur die erste Alternative des langen Materialstreifens 9, die in der Figur 3 gezeigt ist und in Absatz 0075 ebenfalls im Indikativ beschrieben wird ("ist ein Materialstreifen 9 verbunden", "der Materialstreifen 9 erstreckt sich", "er weist jedoch eine geringere Breite auf"). Dagegen wird in Absatz 0075 für die zweite Alternative des kurzen Materialstreifens das Modalverb "können" gebraucht ("kann ... aufweisen"). Dieses Verb betrifft eine mögliche Abwandlung, also etwas, das sein kann. Mangels weiterer, ebenfalls eine Modalität ausdrückender Formulierungen bleibt offen, wo bzw. wie ein solcher kurzer Materialstreifen mit dem Filtermaterial verbunden wird.
4.7 Aus diesen Gründen ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass sich die in Absatz 0076 beschriebene Verbindung des Materialstreifens mit dem Saum des Staubsaugerbeutels auch auf die zweite Alternative eines kurzen Materialstreifens bezieht.
4.8 Die Beschwerdeführerin führt auch die Entscheidung D7 als weiteren Beleg dafür an, dass das Merkmal 6 (in D7 mit 1.4 bezeichnet) neuheitsschädlich aus der D2 (in D7 als D3 bezeichnet) bekannt gewesen sei, vgl. Seite 7, Abschnitt 3 a). Dieser Entscheidung lag aber ein anderer Anspruch 1 zugrunde, der durch weitere Merkmale 1.5.1 bis 1.5.3 eingeschränkt worden war, die dann als erfinderisch angesehen wurden. Das Merkmal 6 (1.4) spielte dort aber wohl eine eher untergeordnete Rolle, insbesondere auch weil es aus einem weiteren deutschen nachveröffentlichten Stand der Technik (dort D2), neuheitsschädlich bekannt war, vgl. Seite 8 der D7, der im Verfahren vor dem EPA keine Rolle spielte. In ihrer Würdigung der D2 (dort D3) geht die D7 nur kurz unter Bezugnahme auf Absatz 0075 ein. Wie bereits oben angedeutet, wird später in der D7 festgestellt, dass diese Variante nur einmalig dort und nicht ausführlich diskutiert wird.
4.9 Das Dokument D2 offenbart somit nicht unmittelbar und eindeutig, dass der Materialstreifen 9 - also die Vorrichtung zur Begrenzung des Abstandes zweier beabstandeter Stellen des Filtermaterials - kürzer als der Materialabschnitt des Filtermaterials ausgebildet ist, der zwischen den beiden Stellen der Vorrichtung an dem Filtermaterial angeordnet ist. Mithin ist der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D2, Artikel 54 EPÜ.
5. Erfinderische Tätigkeit
Die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 wurde ausgehend von der zweiten Alternative in Absatz 0075 des Dokuments D2 in Kombination mit den übrigen Angaben in D2 bestritten.
5.1 Im Hinblick auf das im vorangehenden Abschnitt dieser Entscheidung ermittelte Unterscheidungsmerkmal "die Vorrichtung zur Begrenzung des Abstandes zweier beabstandeter Stellen des Filtermaterials kürzer als der Materialabschnitt des Filtermaterials ausgebildet ist, der zwischen den beiden Stellen der Vorrichtung an dem Filtermaterial angeordnet ist" stellt sich die Frage, ob ein Fachmann auf naheliegende Weise in D2 jedes der beiden Enden eines kurzen Materialstreifens am linken bzw. rechten Saum des Staubsaugerbeutels befestigen würde, so dass der Materialstreifen dann kürzer als das obere bzw. untere Wandstück 2, 3 wäre.
5.2 Selbst wenn man die objektive technische Aufgabe in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin darin sieht, den kurzen Materialstreifen am Staubsaugerbeutel zu befestigen, wird die Lösung für den Fachmann aus den folgenden Gründen nicht nahegelegt:
5.2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand eine naheliegende Lösung für eine objektive technische Aufgabe darstellt, danach zu fragen, ob der Fachmann in der Erwartung, die Aufgabe zu lösen, die Lehre der nächstliegenden Entgegenhaltung angesichts anderer Lehren des Stands der Technik so abgewandelt hätte, dass er zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.5 "Could-would approach").
Im vorliegenden Fall könnte der Fachmann durchaus beide Enden eines kurzen Materialstreifens aneinander gegenüberliegenden Seiten des Saums 4 befestigen, so dass der Materialstreifen zwischen diesen beiden Verbindungsstellen kürzer als der Materialabschnitt des Staubsaugerbeutels wäre, also kürzer als jedes der beiden Wandstücke 2, 3. Die Kammer ist aber nicht davon überzeugt, dass der Fachmann auch wirklich so in D2 verfahren würde.
5.2.2 Erstens legt die D2 bereits an anderer Stelle nahe, wie der Fachmann vorzugehen hat, um einen Materialstreifen, der kürzer als eines der Wandstücke ist, im Beutelinneren zu realisieren. In Absatz 0005 heißt es nämlich: "Alternativ [zu der in der Figur 1 gezeigten Verbindung über die Säume] kann der Materialstreifen auch an einer oder beiden Seiten nicht über den Saum mit der Beutelwandung sondern direkt mit dem ersten Wandstück 2 an vom Saum beabstandeten Stellen verbunden ... sein. In diesem Fall erstreckt sich der Materialstreifen vorteilhafterweise nicht über die gesamte Länge des ersten oder zweiten Wandstücks". Dem Fachmann wird somit durch kontextuelle Lesung der D2 eine andere als die beanspruchte Lösung geboten.
5.2.3 Zudem würde ein kürzerer Streifen bei Befestigung an den Säumen nicht seine Wirkung entfalten können. Wie auch in der Entscheidung D7, Seite 11, erster vollständiger Absatz, festgehalten, dient der Materialstreifen 9 der D2 dazu, mittels seiner Bewegung im Luftstrom die Verteilung des Staubs im Beutelinneren zu beeinflussen, siehe weiterhin die Absätze 0011, 0030 und 0069 der D2. Um diese Wirkung des Materialstreifens zu erzielen, soll er von der Beutelwand abgehoben und beabstandet werden, siehe die Absätze 0020, 0023, 0024 und 0081. Nach Auffassung der Kammer ist ein Abheben und Beabstanden nur möglich, wenn der Materialstreifen zwischen seinen beiden Verbindungsstellen mit der Beutelwand gleichlang oder länger ist als der Materialabschnitt des Staubsaugerbeutels, siehe die Darstellung des gleichlangen Materialstreifens in Figur 3 und Absatz 0063. Dagegen würde ein im Vergleich zum Materialabschnitt des Staubsaugerbeutels kürzerer Materialstreifen - wie es die beanspruchte Erfindung verlangt - unabhängig von der Lage seiner Befestigungs-punkte nicht entlang seiner gesamten Länge auf dem Material des Staubsaugerbeutels aufliegen. Stattdessen müsste er bereits im Ruhezustand des Staubsaugers zumindest in Teilbereichen von der Beutelwand abgehoben sein. Ein solcher Materialstreifen könnte daher nicht erst bei Betrieb des Staubsaugers durch den Luftstrom von der Beutelwand abgehoben werden. Aus Sicht der Kammer ist es daher unerheblich, ob dem Fachmann angesichts der D2 nur drei Alternativen bleiben, einen kürzen Streifen zu befestigen, nämlich (i) beide Enden im Saum, (ii) ein oder (iii) beide Enden an der Wand, siehe das Argument der Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 19. Oktober 2021, Seite 3, vorletzter Absatz. Da der Fachmann aus den vorangehend genannten Gründen durch die Wahl der Befestigungspunkte ein Abheben des Materialstreifens bei Betrieb des Staubsaugers gewährleisten muss, wird er nicht beide Enden eines im Verhältnis zu einem der Wandstücke 2 oder 3 kürzeren Streifens im Saum befestigen.
5.3 Die Beschwerdeführerin erhebt in ihrer Beschwerdebegründung auch gegen den unabhängigen Verfahrensanspruch 13 des Hauptantrags den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit. Aus den voranstehend genannten Gründen wird der von D2 ausgehende Fachmann nicht auf naheliegende Weise den Materialstreifen 9 (also die Vorrichtung zur Begrenzung des Abstands zweier beabstandeter Stellen des Filtermaterials) kürzer als den Materialabschnitt des Filtermaterials zwischen den Verbindungsstellen ausbilden. Dieser Befund betriff jegliche Art und Weise, wie der Materialstreifen im Vergleich zum Filtermaterial kürzer ausgebildet wird. Die in Anspruch 13 genannte spezifische Art und Weise, also eine Verkürzung im Anschluss an die Festlegung am Filtermaterial, wird daher ebenfalls nicht nahegelegt.
5.4 Folglich beruht der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 13 auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Dokument D2, Artikel 56 EPÜ.
6. Die Kammer bestätigt aus den obengenannten Gründen die Befunde der angegriffenen Entscheidung zur Zulässigkeit der Änderungen, zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit für das Patent in der erteilten Fassung. Sonst wurden die Befunde der Entscheidung nicht in Frage gestellt. Die Beschwerde bleibt somit ohne Erfolg.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.