T 0775/19 (Vermeidung von Kollisionen einer Fahrzeugtür / Volkswagen) 15-09-2021
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VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR KOLLISIONSVERMEIDUNG
Neuheit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein)
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent mit Änderungen aufrechtzuerhalten.
Im Folgenden werden die Beschwerdeführerinnen als Patentinhaberin bzw. Einsprechende bezeichnet.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der zweite Hilfsantrag den Erfordernissen des EPÜ genüge und entschied daher, das Patent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten.
III. In ihrer Entscheidung berücksichtigte die Einspruchsabteilung unter anderem die folgende Dokumente:
E1|DE 10 2011 010 242|
E2|WO 2009/135538 |
E3|DE 10 2008 036009 |
E4|DE 10 2009 032444 |
Offensichtlich um Verwechslungen mit den im Prüfungsverfahren zitierten Dokumenten D1-D4 zu vermeiden wurden die von der Einsprechenden als D1-D4 zitierten Dokumente von der Einspruchsabteilung in E1-E4 umbenannt. Dies behält die Kammer bei.
IV. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Patentinhaberin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen, d.h. das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag). Hilfsweise wurde in der Beschwerdebegründung bzw. in der Antwort auf die Beschwerde der Einsprechenden beantragt, das Patent auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1, 2, 2a, oder 3 bis 7 aufrechtzuerhalten.
V. Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der Zwischenentscheidung und den Widerruf des Patents im gesamten Umfang.
VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit.
Die Kammer teilte die Auffassung der Prüfungsabteilung, dass Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag nicht vollumfänglich ausführbar sei (Artikel 83 EPÜ). Überdies sei Anspruch 5 nicht neu gegenüber jedem der Dokumente E1 oder E2.
Hinsichtlich der vorliegenden Hilfsanträge 1, 2, 2a und 3-7 sei insbesondere die Frage der Zulassung zu diskutieren.
VII. Mit ihrem Schreiben vom 4. August 2021 reichte die Patentinhaberin die Hilfsanträge 8-10 ein und trug weitere Argumente vor.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 15. September 2021 statt.
Die Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Form (Hauptantrag) oder auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge:
- Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht mit der Beschwerdebegründung;
- Hilfsantrag 2a, entsprechend der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung;
- Hilfsanträge 3 bis 7, eingereicht mit Schreiben vom 10. September 2019;
- Hilfsanträge 8 bis 10, eingereicht mit Schreiben vom 4. August 2021 (eingegangen am 16. August 2021).
Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IX. Anspruch 5 gemäß dem Hauptantrag lautet wie folgt (Benennung der Merkmale gemäß der Zwischenentscheidung):
(A) Verfahren zur Kollisionsvermeidung von beweglichen Komponenten eines Fahrzeug mit Objekten im Umfeld des Fahrzeugs umfassend die Schritte:
(B) Erfassen von Umfelddaten mithilfe erster Umfeldsensoren (11) während eines Fahrbetriebs des Fahrzeugs (1) und
(C) Erstellen einer Umfeldkarte (30) durch Messdatenfusion, anhand welcher für einzelne Bereiche in dem Umfeld (2) des Fahrzeugs (1) jeweils eine Wahrscheinlichkeitsangabe für eine Existenz eines Objekts (3, 4, 5) in diesen einzelnen Bereichen ableitbar ist,
(D) Prädizieren einer kollisionsfreien Bewegung einer Fahrzeugkomponente (61, 62) anhand der Umfeldkarte (30) des Fahrzeugs (1), wobei die Kollisionsfreiheit der prädizierten Bewegung von der Existenzwahrscheinlichkeit eines Objekts (4, 5) in dem mindestens einen ausgezeichneten Bereich (161, 162) abhängig ist, und
(E) Bereitstellen von Steuer- und/oder Warninformationen für die prädizierte kollisionsfreie Bewegung,
dadurch gekennzeichnet, dass
(F) mittels mindestens eines zweiten Umfeldsensors (51, 52) bei Stillstand des Fahrzeugs (1) gemessen wird, ob sich in einem Gebiet (110), das den mindestens einen ausgezeichneten Bereich (161, 162) umfasst, ein Objekt (4, 5) relativ zu dem Fahrzeug bewegt, und
(G) wenn dieses der Fall ist, die Umfeldkarte (30) in dem einen Gebiet (110) so verändert wird, dass zumindest die aus der Umfeldkarte für den mindestens einen ausgezeichneten Bereich (161, 162) ableitbare Wahrscheinlichkeit verändert wird.
Der unabhängige Anspruch 1 bezieht sich auf eine korrespondierende Vorrichtung.
X. Anspruch 5 gemäß Hilfsantrag 1 sowie Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 und 2a sind jeweils identisch mit Anspruch 5 des Hauptantrags.
XI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 5 des Hauptantrags dahingehend, dass das Merkmal (D) wie folgt ergänzt wurde:
"Prädizieren einer kollisionsfreien Bewegung einer Fahrzeugkomponente (61, 62) anhand der Umfeldkarte (30) des Fahrzeugs (1), wobei die Kollisionsfreiheit der prädizierten Bewegung von der Existenzwahrscheinlichkeit eines Objekts (4, 5) in dem mindestens einen ausgezeichneten Bereich (161, 162) abhängig ist, der nicht im aktuellen Messbereich des einen oder der mehreren ersten Umfeldsensoren (11) bei Stillstand des Fahrzeugs (1) liegt"
XII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 dahingehend, dass das folgende Merkmal angehängt wurde:
"wobei die Umfeldkarte oder zumindest jene Bereiche der Umfeldkarte, die in dem Gebiet (110) liegen, das von dem zweiten Umfeldsensor vermessenen wird, als ungültig gekennzeichnet werden."
XIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 dahingehend, dass das folgende Merkmal angehängt wurde:
"wobei die Fahrzeugkomponente eine Fahrzeugtür (61, 62) ist und die Schwenkbewegung der Fahrzeugtür prädiziert wird und die Steuer- und/oder Warninformationen einen maximalen Türöffnungswinkel umfassen, bis zu dem die Tür kollisionsfrei aufgrund der aus der Umfeldkarte (30) abgeleiteten Wahrscheinlichkeitsinformationen geöffnet werden kann."
XIV. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 dahingehend, dass das folgende Merkmal angehängt wurde:
"wobei mittels des mindestens einen zweiten Umfeldsensors (51, 52) für eine vorgegeben Zeitspanne gemessen wird, nachdem das Fahrzeug (1) zum Stillstand gekommen ist und sich im Stillstand befindet, auch wenn die Zündung des Fahrzeugs (1) ausgeschaltet ist."
XV. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 dahingehend, dass folgende Merkmale angehängt wurden:
"wobei das Messen mittels des zweiten Umfeldsensors (51) eingestellt wird, wenn eine oder alle Fahrzeugkomponenten, deren kollisionsfreie prädizierte Bewegung von der Existenzwahrscheinlichkeit eines Objekts (4, 5) in dem mindestens einen ausgezeichneten Bereich (161) oder einem weiteren ausgezeichneten Bereich (162) abhängig ist, bereits einmal bewegt worden sind, wobei eine Kollisionsfreiheit einer Bewegung mindestens einer weiteren Komponente (62) von einer Existenzwahrscheinlichkeit eines Objekts (4, 5) in dem weiteren ausgezeichneten Bereich (162) abhängig ist."
XVI. Anspruch 4 gemäß Hilfsantrag 8 unterscheidet sich von Anspruch 5 des Hauptantrags dahingehend, dass folgende Merkmale angehängt wurden:
"wobei mittels des zweiten Umfeldsensors eine Radar-Dopplermessung ausgeführt wird und dass der mindestens eine zweite Umfeldsensor (51, 52) an der Fahrzeugkomponente (61, 62) angeordnet ist, deren Bewegung prädiziert wird, und reflektiertes Radarsignal nur in Auswertezeitfenstern ausgewertet wird, welche kürzer als Sendezeitfenster sind, während derer das Radarsignal ausgesendet wird, und anhand empfangener reflektierter Radarsignale in den Auswertezeitfenstern eine Abstandinformation zu einem Objekt abgeschätzt wird, das sich relativ zu der Fahrzeugkomponente (61, 62) bewegt.
XVII. Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 9 ist identisch mit Anspruch 4 gemäß Hilfsantrag 8.
XVIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 10 ist identisch mit Anspruch 4 gemäß Hilfsantrag 8.
1. Das Streitpatent betrifft die Vermeidung von Kollisionen beispielsweise einer Fahrzeugtür oder Fahrzeugklappe mit einem Hindernis, z.B. einem Baum, unter Verwendung der in den Stossfängern eingebauten Ultraschallsensoren sowie in der Tür oder Klappe verbauten Dopplerradar-Sensoren.
2. Hauptantrag
2.1 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ)
Anspruch 5 des Hauptantrags ist identisch mit Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 der angefochtenen Entscheidung. In dieser stellte die Einspruchsabteilung fest, dass Dokument E1 die Merkmale (A) - (F) offenbare. Zu Merkmal (C) stellte die Einspruchsabteilung dabei fest, dass die beanspruchte "Existenzwahrscheinlichkeit eines Objekts" dadurch vorweggenommen werde, dass gemäß Dokument E1 "der Prozessor 120 Hindernisse wie z. B. das Objekt 250 in der Zielzone 200 identifiziert" (siehe [0032]). Zu Merkmal (G) stellte die Einspruchsabteilung fest, dass keine Veränderung der vorhandenen Umfeldkarte offenbart werde, sondern nur eine ständige Erzeugung neuer Umfeldkarten. Daher stelle das Merkmal (G) den Unterschied gegenüber dem aus Dokument E1 Bekannten dar.
Die Einsprechende argumentierte, dass Merkmal (G) ebenfalls aus Dokument E1 bekannt sei. In Absatz [0026] sei offenbart, dass "die Sensoren 270-280 zusammen[wirken], um einen Zielbereich 200 zu definieren, der das Fahrzeug 100 umgibt, so dass die Sensoren 270-280 Objekte oder Hindernisse (z. B. Objekte 250, 260) innerhalb des Zielbereichs 200 detektieren und überwachen". Eine Aktualisierung durch einen Sensor würde dementsprechend nur den jeweiligen Sensorbereich betreffen, was effektiv zu einer Aktualisierung der Umfeldkarte führe.
Demgegenüber argumentierte die Patentinhaberin, dass Dokument E1 keine saubere Trennung zwischen den ersten und den zweiten Umfeldsensoren offenbare. Auch sei in Dokument E1 keine Umfeldkarte offenbart, die anhand von Abstandsdaten durch das Fusionieren von Messdaten erstellt werde und eine Wahrscheinlichkeitsangabe für eine Position enthalte. Demgegenüber offenbare Dokument E1 eine Bahn, mithin eine dynamische Spur. Eine dynamische Spur sei jedoch ein "zukünftiger Zustand", während eine Karte den "ist-Zustand" abbilde. Ferner offenbare Dokument E1 nicht, dass infolge der Erkennung einer Bewegung die Karte auch aktualisiert werde. Aktualisiert würden gemäß Dokument E1 lediglich die von den Sensoren erfassten Werte. Folglich offenbare Dokument E1 nicht die Kombination der Merkmale (B),(C), (D), (F) und (G) des Anspruchs 5.
Die Einsprechende entgegnete, dass der Wortlaut des Anspruchs 5, Merkmale (B) und (F), die ersten Sensoren nicht weiter von den zweiten Sensoren abgrenze, so dass diese auch eine Untermenge selbiger sein könnten. Zu Merkmal (C) führte die Einsprechende aus, dass dies den Absätzen [0022] bzw. [0026] des Dokuments E1 entnommen werden könne. Das in Merkmal (D) beanspruchte "prädizieren" sei in Absatz [0036] des Dokuments E1 offenbart.
Die Kammer stellt zunächst fest, dass verschiedene erste und zweite Sensoren in Abb. 2 des Dokuments E1 gezeigt sind. Auch schließt es der Wortlaut des Anspruchs 5 nicht aus, dass sowohl die ersten als auch die zweiten Umfeldsensoren gleichzeitig aktiv sind. Daher verfangen die Argumente der Patentinhaberin bezüglich der Merkmale (B) und (F) nicht. Ferner ist die Umfeldkarte in Merkmal (C) des Anspruchs 5 sehr breit definiert, so dass die in Dokument E1 erfasste "Bahn des Radfahrers" (Absätze [0035] und [0036]) unter diese Definition fällt. Auch Merkmal (D) ist breiter auslegbar als von der Patentinhaberin vorgetragen, so dass der in Absatz [0036] des Dokuments E1 offenbarte Vergleich dieses Merkmal vorwegnimmt. Zudem offenbart Absatz [0039], dass die Drehung der Tür eingeschränkt werden kann, d.h. es wird eine kollisionsfreie Bewegung der Tür sichergestellt. Bezüglich Merkmal (F) stellt die Kammer fest, dass dort nicht verlangt wird, dass eine Bewegung gemessen wird, sondern nur, dass gemessen wird, ob sich ein Objekt im Bezug auf das Fahrzeug bewegt.
Wie von der Einsprechenden vorgebracht offenbart Dokument E1, dass veränderte Messdaten gespeichert werden. Die von der Einsprechenden aus Absatz [0026] des Dokuments E1 zitierte Textstelle impliziert somit, dass die unveränderten Teile der Umfeldkarte nicht überschrieben werden. Und selbst wenn stets die ganze Umfeldkarte erneut geschrieben würde, so wäre diese letztendlich nur eine geänderte Fassung der vorangehenden Umfeldkarte. Diese geänderte Fassung fiele ebenfalls unter den Anspruchswortlaut, da der Anspruch die breite Formulierung des Merkmals (G), dass "die ... Wahrscheinlichkeit verändert wird", nicht weiter spezifiziert.
Das Argument der Patentinhaberin, dass in Dokument E1 die Karte verändert wird, auch wenn keine Bewegung gemessen wird, ist nicht überzeugend. Es wäre technisch widersinnig, wenn eine unveränderte Position des Radfahrers neu geschrieben würde.
Die Kammer stellt daher fest, dass Dokument E1 die Merkmale des Anspruchs 5 des Hauptantrags wie folgt offenbart (die Verweise in Klammern beziehen sich auf dieses Dokument):
(A) Verfahren zur Kollisionsvermeidung von beweglichen Komponenten eines Fahrzeug mit Objekten im Umfeld des Fahrzeugs
(siehe Zusammenfassung und Abb. 2)
umfassend die Schritte:
(B) Erfassen von Umfelddaten mithilfe erster Umfeldsensoren während eines Fahrbetriebs des Fahrzeugs
("Insbesondere überwachen die Sensoren 270-280 des Sicherheitssystems 150 während der Fahrt den Zielbereich 200", siehe [0030])
und
(C) Erstellen einer Umfeldkarte
("Daten ... die das Gelände und andere Objekte innerhalb ... [des] 'Zielbereich[es]' beschreiben", siehe [0022] und [0026])
durch Messdatenfusion
(impliziert durch: "mehrere Sensoren", siehe [0022]),
anhand welcher für einzelne Bereiche in dem Umfeld des Fahrzeugs jeweils eine Wahrscheinlichkeitsangabe für eine Existenz eines Objekts in diesen einzelnen Bereichen ableitbar ist,
("Insbesondere kann die Sensorgruppe 130 einen oder mehrere Sensoren umfassen, die zusammenarbeiten, um Daten zu erzeugen, die das Gelände und andere Objekte innerhalb ... [des] 'Zielbereich[es]' beschreiben", siehe [0022])
(D) Prädizieren einer kollisionsfreien Bewegung einer Fahrzeugkomponente anhand der Umfeldkarte des Fahrzeugs, wobei die Kollisionsfreiheit der prädizierten Bewegung von der Existenzwahrscheinlichkeit eines Objekts in dem mindestens einen ausgezeichneten Bereich abhängig ist,
("Die Position und Bahn des Radfahrers 260 werden mit dem Schwenkbereich 230 der Tür 108 verglichen, um festzustellen, ob eine Kollision bevorsteht", siehe [0036])
und
(E) Bereitstellen von Steuer- und/oder Warninformationen für die prädizierte kollisionsfreie Bewegung ("Warnung", siehe [0037]),
dadurch gekennzeichnet, dass
(F) mittels mindestens eines zweiten Umfeldsensors
(276, 277, siehe Abb. 2)
bei Stillstand des Fahrzeugs gemessen wird, ob sich in einem Gebiet, das den mindestens einen ausgezeichneten Bereich umfasst, ein Objekt relativ zu dem Fahrzeug bewegt ("zweiter Modus", siehe [0028] und [0035]), und
(G) wenn dieses der Fall ist, die Umfeldkarte in dem einen Gebiet so verändert wird, dass zumindest die aus der Umfeldkarte für den mindestens einen ausgezeichneten Bereich ableitbare Wahrscheinlichkeit verändert wird ("im zweiten Modus ... eine Kollisionsgefahr ... zu bestimmen", siehe [0005]).
Somit stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 5 des Hauptantrags nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E1 ist (Artikel 54(1) EPÜ).
2.2 Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.
3. Hilfsanträge 1, 2 und 2a
Da Anspruch 5 gemäß Hilfsantrag 1 sowie Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 und 2a jeweils identisch mit Anspruch 5 des Hauptantrags sind, sind die Hilfsanträge 1, 2 und 2a ebenfalls nicht gewährbar.
4. Hilfsantrag 3
4.1 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ)
Die Einsprechende brachte vor, dass das in Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal bereits aus Dokument E1 bekannt sei und daher der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber Dokument E1 sei. Darin zeige Abb. 2 einen ausgezeichneten Bereich 150, der nicht von den ersten Umfeldsensoren 272-275, 278, 279 erfasst werde, sondern nur vom zweiten Umfeldsensor 277.
Die Patentinhaberin argumentierte, dass Anspruch 1 nun festlege, welcher Bereich von welchen Sensoren erfasst werde. Demgegenüber würden gemäß Dokument E1 die zweiten Sensoren bei der Erstellung der Umfeldkarte mitwirken. Insbesondere offenbare Dokument E1 nicht, dass die von den ersten Sensoren während der Fahrt (im ersten Modus) erfassten Daten weiter verwendet würden.
Die Einsprechende erwiderte, dass der weitere Unterschied zwischen ersten und zweiten Sensoren nicht im Anspruch 1 festgelegt sei.
Die Kammer stellt fest, dass der im Merkmal (D) des Anspruchs 1 genannte "ausgezeichnete Bereich" durch den im Dokument E1 in Abb. 2 gezeigten Messbereich des "zweiten" Umfeldsensors 277 vorweggenommen wird. Die Kammer merkt an, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 keine weitere Abgrenzung der ersten bzw. zweiten Umfeldsensoren enthält. Insbesondere ist Anspruch 1 nicht dahingehend beschränkt, dass die zweiten Sensoren bei der Erstellung der Umfeldkarte nicht mitwirken dürften. Daher verfängt das entsprechende Argument der Patentinhaberin nicht.
Somit stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E1 ist (Artikel 54(1) EPÜ).
4.2 Hilfsantrag 3 ist daher nicht gewährbar.
5. Hilfsantrag 4
5.1 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ)
Die Kammer stellt fest, dass das hinzugefügte Merkmal nicht im Dokument E1 offenbart ist, was auch von der Einsprechenden nicht angezweifelt wurde. Die übrigen Merkmale des Anspruchs 1 entsprechen denen des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3. Da diese aus Dokument E1 bekannt sind, stellt das hinzugefügte Merkmal das Unterschiedsmerkmal dar.
Somit stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E1 ist (Artikel 54(1) EPÜ).
5.2 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Die Einsprechende argumentierte, dass das hinzugefügte Merkmal (Unterschiedsmerkmal) naheliegend sei, da der Fachmann im Falle fehlerhafter Sensoren die entsprechenden Bereiche als ungültig markieren würde. Die Einsprechende merkte an, dass der Wortlaut des hinzugefügten Merkmals sogar die Interpretation zulasse, dass die betreffenden Bereiche stets als ungültig gekennzeichnet würden.
Die Patentinhaberin argumentierte, dass dies nicht durch Dokument E1 nahegelegt sei, da darin kein Hinweis bezüglich des Ausfalls von Sensoren offenbart sei.
Die Kammer stellt fest, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 keine Verknüpfung des Unterschiedsmerkmals mit den übrigen Merkmalen spezifiziert. Wie in der mündlichen Verhandlung besprochen, legt Anspruch 1 nicht fest, unter welchen Umständen die Bereiche als ungültig gekennzeichnet werden. Daher lässt sich aus dem Unterschiedsmerkmal kein technischer Effekt ableiten. Somit kann dieses auch nicht dazu dienen eine erfinderische Tätigkeit zu begründen.
Folglich ist der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch gegenüber der Offenbarung des Dokuments E1.
5.3 Hilfsantrag 4 ist daher nicht gewährbar.
6. Hilfsantrag 5
6.1 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ)
Die Einsprechende bringt vor, dass das hinzugefügte Merkmal in den Absätzen [0038] und [0039] des Dokuments E1 offenbart sei.
Die Patentinhaberin argumentiert, dass das hinzugefügte Merkmal nicht in Dokument E1 offenbart sei. Insbesondere sei darin nicht gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeitsinformationen auf der Umfeldkarte basierten, die von ersten Sensoren erzeugt wurde und in der Bereiche für ungültig erklärt worden wären.
Die Argumente der Patentinhaberin vermögen nicht zu überzeugen. Wie im Bezug zum Hauptantrag ausgeführt, fällt die "Bahn der Radfahrers" unter die breite Definition im Merkmal (C). Zudem ist nicht ersichtlich, wie als ungültig gekennzeichnete Bereiche bei der Bereitstellung des maximalen Türöffnungswinkel eine Rolle spielen könnten. Die Kammer stellt daher fest, dass das in Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal tatsächlich in den Absätzen [0038] und [0039] des Dokuments E1 offenbart ist, wie von der Einsprechenden vorgetragen. Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 von der Offenbarung des Dokuments E1 hinsichtlich derselben Merkmale, die bereits für Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 als Unterschiedsmerkmale festgestellt wurden.
Somit stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E1 ist (Artikel 54(1) EPÜ).
6.2 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Da das Unterschiedsmerkmal des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 gegenüber Dokument E1 gleich dem Unterschiedsmerkmal des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 ist, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 aus den in Abschnitt 5.2 genannten Gründen ebenfalls nicht erfinderisch.
6.3 Hilfsantrag 5 ist daher nicht gewährbar.
7. Hilfsantrag 6
7.1 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ)
Die Kammer stellt fest, dass das hinzugefügte Merkmal nicht im Dokument E1 offenbart ist, was auch von der Einsprechenden nicht angezweifelt wurde. Die übrigen Merkmale des Anspruchs 1 entsprechen denen des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5. Für letzteren wurde als Unterschiedsmerkmal das mit Hilfsantrag 4 hinzugefügte Merkmal festgestellt. Somit weist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 6 folgende zwei Unterschiedsmerkmale auf:
"Bereich ungültig", vgl. Hilfsantrag 4
"Zeitspanne/Zündung aus"
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 ist daher neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E1 (Artikel 54(1) EPÜ).
7.2 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Da das erste Unterschiedsmerkmal keinen technischen Effekt bewirkt, können beide Unterschiedsmerkmale zusammen auch keinen synergetischen Effekt bewirken. Somit liegt eine bloße Aneinanderreihung von Merkmalen vor. Es ist daher ausreichend zu zeigen, dass das mit Hilfsantrag 6 hinzugefügte Merkmal keine erfinderische Tätigkeit begründen kann, um zu dem Schluss zu gelangen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch ist.
Die Einsprechende brachte vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 6 naheliegend sei. Der Fachmann hätte die hinzugefügten Merkmale vorgesehen, um dem Fahrer ein kollisionsfreies Aussteigen aus dem Fahrzeug zu ermöglichen, da dann üblicherweise die Zündung abgeschaltet sei. Im Übrigen wäre das System auch wertlos, wenn es mit dem Abschalten der Zündung ebenfalls abgeschaltet würde.
Die Patentinhaberin argumentierte, dass die durch das hinzugefügte Merkmal bewirkte technische Aufgabe darin bestünde, dass das System für eine Zeit nach dem Abstellen des Fahrzeugs verfügbar sei, aber bei längerem Stand die Batterie geschont werde. Das sei nicht naheliegend, da Dokument E1 keinen Hinweis darauf enthalte, das System über das Abschalten hinweg in Betrieb zu halten.
Die Kammer stellt fest, dass die hinzugefügten Merkmale auf einer allgemein bekannten Situation (der Fahrer schaltet die Zündung vor dem Aussteigen ab) beruhen. Da das System in dieser allgemein bekannten Situation seinen größten Nutzen entfaltet und Schonen der Batterie ein ebenso allgemein bekanntes Ziel darstellt, würde der Fachmann auf das von der Patentinhaberin genannte Problem stoßen und in naheliegender Weise zu den hinzugefügten Merkmalen gelangen. Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
7.3 Hilfsantrag 6 ist daher nicht gewährbar.
8. Hilfsantrag 7
8.1 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ)
Die Kammer stellt fest, dass die hinzugefügten Merkmale nicht im Dokument E1 offenbart sind, was auch von der Einsprechenden nicht angezweifelt wurde. Die übrigen Merkmale des Anspruchs 1 entsprechen denen des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6. Für letzteren wurden als Unterschiedsmerkmale die mit Hilfsantrag 4 bzw. 6 hinzugefügten Merkmale festgestellt. Somit weist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 7 folgende Unterschiedsmerkmale auf:
"Bereich ungültig", vgl. Hilfsantrag 4
"Zeitspanne/Zündung aus", vgl. Hilfsantrag 6
"bereits einmal bewegt"
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 7 ist daher neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E1 (Artikel 54(1) EPÜ).
8.2 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Die Unterschiedsmerkmale stellen eine bloße Aneinanderreihung von Merkmalen dar. Das erste Unterschiedsmerkmal bewirkt keinen technischen Effekt, während hingegen die beiden weiteren Unterschiedsmerkmale verschiedene, voneinander unabhängige Maßnahmen zum Energiesparen darstellen. Da letztere nicht miteinander interagieren, bewirken sie auch keinen synergetischen Effekt. Es ist daher ausreichend zu zeigen, dass das mit Hilfsantrag 7 hinzugefügte Merkmal ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit begründen kann, um zu dem Schluss zu gelangen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch ist.
Die Einsprechende brachte vor, dass das hinzugefügte Merkmal naheliegend sei. Da bei geöffneter Tür keine Notwendigkeit für eine Kollisionsüberwachung bestünde, würde der Fachmann das System abstellen um Energie zu sparen. Da dem Fachmann allgemein bekannt sei, dass die Batterie eines Fahrzeugs nur eine begrenzte Kapazität habe, würde der Fachmann diese Maßnahme ohne erfinderisches Zutun implementieren.
Die Patentinhaberin entgegnete, dass ein Beenden der Überwachung nicht die einzige und noch dazu naheliegende Lösung dieses Problem darstelle. Insbesondere sei es nicht zwingend, dass im offenen Zustand keine Kollisionsgefahr mehr bestünde.
Die Kammer stellt fest, dass die hinzugefügten Merkmale auf einer allgemein bekannten Situation (die Tür ist bereits geöffnet) beruhen. Der Fachmann würde das System in dieser Situation abstellen, um Energie zu sparen und so in naheliegender Weise zum hinzugefügten Merkmal gelangen. Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 7 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
8.3 Hilfsantrag 7 ist daher nicht gewährbar.
9. Hilfsantrag 8
Die Einsprechende brachte vor, dass die Hilfsanträge 8 bis 10 verspätet eingereicht worden wären. Da die Patentinhaberin keine außergewöhnlichen Umstände angegeben habe, seien diese nicht in das Verfahren zuzulassen.
Die Patentinhaberin argumentierte, dass der außergewöhnliche Umstand die in der vorläufigen Meinung der Kammer geäußerte neue Lesart des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 7 sei. Das hinzugefügte Merkmal ("Radar-Dopplermessung") im Patentanspruch 4 sei eine Reaktion darauf. Im Übrigen stellten die Ansprüche des Hilfsantrags 8 lediglich eine Kombination erteilter Ansprüche dar.
Die Kammer stellt fest, dass das in Anspruch 4 hinzugefügte Merkmal in keinem Zusammenhang mit der neuen Lesart des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 7 ("Umfeldsensor könnte auch nach dem Schließen der Tür wieder aktiviert werden") steht. Aus diesem Grund kann der neu eingereichte Hilfsantrag 8 nicht als durch diese Auslegung veranlasste Reaktion angesehen werden. Somit liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die diese Änderung rechtfertigen könnten. Im Übrigen stellt auch die nun eingereichte Kombination erteilter Ansprüche eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Patentinhaberin dar.
Daher wird Hilfsantrag 8 nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13(2) VOBK 2020).
10. Hilfsantrag 9
Da Anspruch 3 gemäß Hilfsantrag 9 identisch mit Anspruch 4 gemäß Hilfsantrag 8 ist, treffen die für Hilfsantrag 8 getroffenen Erwägungen ebenfalls für Hilfsantrag 9 zu.
Daher wird Hilfsantrag 9 nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13(2) VOBK 2020).
11. Hilfsantrag 10
Da Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 10 identisch mit Anspruch 4 gemäß Hilfsantrag 8 ist, treffen die für Hilfsantrag 8 getroffenen Erwägungen ebenfalls für Hilfsantrag 10 zu.
Daher wird Hilfsantrag 10 nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13(2) VOBK 2020).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.