T 0932/19 21-09-2021
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Medizinisches Implantat
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent E 2 712 634 unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent auf der Grundlage von Artikel 100(a), 100(b) und 100(c) EPÜ angegriffen worden wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ), mangelnder erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ), mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) sowie wegen unzulässiger Änderungen, sowohl gegenüber der ursprünglich eingereichten Anmeldung (Artikel 123(2) EPü), als auch gegenüber der ursprünglich eingereichten Stammanmeldung (Artikel 76(1) EPÜ).
III. Im Einspruchsverfahren verteidigte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) das Patent in geänderter Form. Hinsichtlich des während der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hauptantrags kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, die von der Einsprechenden/Beschwerdeführerin vorgebrachten Einspruchsgründe unter Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ, sowie unter Artikel 100(c) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 123(2) und 76(1) EPÜ stünden der Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Hauptantrags nicht entgegen. Der Antrag erfülle auch die Erfordernisse des Artikels 84 sowie der Regel 80 EPÜ.
IV. Gegen diese Entscheidung wurde von der Einsprechenden Beschwerde eingelegt, die fristgerecht begründet wurde.
V. Von der Beschwerdegegnerin wurden in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung die Hilfsanträge 1 bis 5 eingereicht, die bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt worden waren. Gleichzeitig brachte sie Argumente zur Gewährbarkeit der vorgelegten Anträge vor.
VI. Mit Schreiben vom 28. Mai 2021 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung für den 21. September 2021 geladen.
VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK wurden die Parteien über die vorläufige Einschätzung der Kammer informiert. Die Kammer vertrat darin unter anderem die Auffassung, dass der Hauptantrag die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ sowie des Artikels 54 EPÜ erfülle. Ferner verwies die Kammer darauf, dass sowohl die Frage der Zulässigkeit der durchgeführten Änderungen, als auch die Frage des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit im Laufe der mündlichen Verhandlung zu erörtern sein werden.
VIII. Mit Schreiben vom 20. August 2021 reichte die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge 6 bis 9 ein, beantragte deren Zulassung zum Verfahren und argumentierte deren Gewährbarkeit.
IX. Als Reaktion hierauf reichte die Beschwerdeführerin einen weiteren Schriftsatz ein mit Argumenten gegen die Gewährbarkeit der bis dahin vorgelegten Anträge.
X. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags, auf dem auch die angefochtene Entscheidung beruht, lautet wie folgt:
Medizinisches Implantat zur Osteosynthese, welches ein oder mehrere körperverträgliche, thermoplastische Polymere umfasst
und welches als Pin gestaltet ist, wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten, so dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere mittels elektromagnetischer Bestrahlung erwärmbar und erweichbar sind,
dadurch gekennzeichnet, dass der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, sodass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt.
XI. Die unabhängigen Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1 bis 5 haben den folgenden Wortlaut (Hervorhebung der gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags geänderten Passagen durch die Kammer):
Hilfsantrag 1:
Medizinisches Implantat zur Osteosynthese, welches ein oder mehrere körperverträgliche, thermoplastische Polymere umfasst und welches als Pin gestaltet ist,
wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten, so dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere mittels elektromagnetischer Bestrahlung erwärmbar und erweichbar sind, während die anderen Teile des Implantats ihre Festigkeit beibehalten,
dadurch gekennzeichnet, dass der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, so dass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt.
Hilfsantrag 2:
Medizinisches Implantat zur Osteosynthese, welches ein oder mehrere körperverträgliche, thermoplastische Polymere umfasst und welches als Pin gestaltet ist,
wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten, so dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere mittels elektromagnetischer Bestrahlung erwärmbar und erweichbar sind,
[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, so dass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt,
dadurch gekennzeichnet,
dass der Pin Mittel zur Befestigung eines Lichtleiters mit mindestens einer lichtdurchlässigen Faser umfasst.
Hilfsantrag 3:
Medizinisches Implantat zur Osteosynthese, welches ein oder mehrere körperverträgliche, thermoplastische Polymere umfasst und welches als Pin gestaltet ist,
wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten, so dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere mittels elektromagnetischer Bestrahlung erwärmbar und erweichbar sind,
[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, so dass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt,
dadurch gekennzeichnet,
dass der Pin eine lichtreflektierende Beschichtung aufweist.
Hilfsantrag 4:
Medizinisches Implantat zur Osteosynthese, welches ein oder mehrere körperverträgliche, thermoplastische Polymere umfasst und welches als Pin gestaltet ist,
wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten, so dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere mittels elektromagnetischer Bestrahlung erwärmbar und erweichbar sind,
[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, so dass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt,
dadurch gekennzeichnet,
dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere ferner Frequenzverdoppler- oder Frequenzverfielfacherkristalle umfassen.
Hilfsantrag 5:
Medizinisches Implantat zur Osteosynthese, welches ein oder mehrere körperverträgliche, thermoplastische Polymere umfasst und welches als Pin gestaltet ist,
wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten, so dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere mittels elektromagnetischer Bestrahlung erwärmbar und erweichbar sind,
[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, so dass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt,
dadurch gekennzeichnet,
dass das eine oder die mehreren körperverträglichen, thermoplastischen Polymere eine poröse Oberfläche aufweisen, die durch eine Calciumphosphatbeschichtung definiert ist.
XII. Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 6 bis 9 entsprechen den Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 2 bis 5, enthalten jedoch wie Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 das zusätzliche Merkmal:
"... während die anderen Teile des Implantats ihre Festigkeit beibehalten,"
XIII. In ihrer Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen folgendes vor:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei unzulässig geändert worden, und zwar sowohl gegenüber der Anmeldung (Artikel 123(2) EPÜ), als auch gegenüber der ihr zugrundeliegenden Stammanmeldung (Artikel 76(1) EPÜ), jeweils in deren ursprünglich eingereichter Form. Dies betreffe auch Anspruch 1 der Hilfsanträge. Zudem verletze Anspruch 1 des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ und der Regel 80 EPÜ. Schließlich sei der beanspruchte Gegenstand auch nicht neu (Artikel 54 EPÜ), und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
XIV. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen folgendes vor:
Die durchgeführten Änderungen basierten auf der Offenbarung sowohl der ursprünglich eingereichten Anmeldung, als auch deren Stammanmeldung. Eine Basis sei neben der wörtlichen Offenbarung der in den Anspruchswortlaut aufgenommenen Merkmale insbesondere in der Offenbarung der allgemeinen erfinderischen Idee zu finden. Durch die Änderungen sei auch des vorgebrachten Einwands mangelnder Neuheit Rechnung getragen worden, daher seien die Anforderungen der Regel 80 EPÜ erfüllt. In Bezug auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit stützte die Beschwerdegegnerin ihre Argumentation insbesondere auf die gegenüber der erteilten Fassung zusätzlich in die Ansprüche aufgenommenen Merkmale.
XV. Anträge der Parteien
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 712 634.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte:
- die Zurückweisung der Beschwerde, somit die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung (Hauptantrag);
- hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5;
- weiter hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 20. August 2021 eingereichten Hilfsanträge 6 bis 9.
XVI. Am 21. September 2021 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz statt. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
2.1 Der Wortlaut des Anspruchs 1 der ursprünglich eingereichten Fassung des Streitpatents lautet wie folgt (nachfolgend wird in Bezug auf die ursprünglich eingereichte Fassung auf die entsprechenden Passagen der veröffentlichten Anmeldung EP 2 712 634 A1 verwiesen):
"Medizinisches Implantat, welches ein oder mehrere körperverträgliche Polymere umfasst, welche einen Farbstoff enthalten oder eine Eigenfärbung aufweisen, so dass das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere mittels elektromagnetischer Bestrahlung erwärmbar und erweichbar sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Implantat mit einer Eigenspannung oder einer inneren Vorspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung relaxieren kann.
2.2 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet daher sich von Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Fassung durch Merkmale, die sich auf folgendes beziehen:
a) beansprucht wird ein medizinisches Implantat zur Osteosynthese
b) das oder die körperverträgliche(n) Polymere sind thermoplastisch
c) das medizinische Implantat ist als Pin gestaltet
d) das medizinische Implantat ist in seinem Verlauf mit einer Zone versehen, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten
e) der Pin ist mit einer Eigenspannung versehen
f) die Alternative der inneren Vorspannung des Implantats wurde gestrichen
g) die Eigenspannung kann bei Erwärmung des gesamten Pins relaxieren, sodass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt.
2.3 Strittig zwischen den Parteien war insbesondere die Frage, ob die Kombination der Merkmale, "wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten", und "dass der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, sodass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt", in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbart wird. Strittig zwischen den Parteien war auch, wie der Begriff "Zone" auszulegen ist.
2.4 Von der Beschwerdeführerin wurde hierzu vorgebracht, dass ursprünglich kein mit einer Eigenspannung versehener Pin offenbart werde, der einerseits lediglich in seinem Verlauf mit einer einen Farbstoff enthaltenden Zone versehen ist, und der daher nur teilweise, also nur in dieser Region, erwärmbar und erweichbar sei, und der andererseits jedoch bei Erwärmung des gesamten Pins kürzer werde und im Durchmesser zunehme. Ein derartiges Konstrukt sei nicht einfach oder nicht ohne weiteres ausführbar, und könne schon deshalb nicht ursprünglich offenbart sein. Es werde auch nirgends in der Anmeldung erwähnt, insbesondere nicht in den Beispielen. Zudem seien in den ursprünglich eingereichten Unterlagen auch andere Ausführungsformen offenbart, bei denen eine derartige Kombination nicht vorliege. Daher werde diese Kombination ursprünglich nicht zwingend für alle Ausführungsformen offenbart. Die Beschwerdeführerin verwies hierzu insbesondere auf die im Anschluss an Absatz [0030] der Beschreibung als Aufgaben bezeichnete Offenbarung sowie auf Absatz [0112] und die Figuren 3a und 3b. Auch gehe aus der Argumentation der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin während des Erteilungs- und Einspruchsverfahrens hervor, dass ursprünglich auch Ausführungsformen offenbart seien, bei denen die einen Farbstoff enthaltenden Bereiche nicht auf bestimmte Zonen beschränkt seien. Daher werde die Kombination der genannten Merkmale ursprünglich nicht zwingend, und daher nicht eindeutig, offenbart. Die Beschwerdeführerin brachte auch vor, dass der Begriff "Zone" derart interpretiert werden müsse, dass sich diese auf den gesamten Pins erstrecken könne, da dieser nicht notwendigerweise eine andere "Zone" als diejenige aufweise, in der das Polymer einen Farbstoff enthalte.
2.5 Die Beschwerdegegnerin verwies darauf, dass das Merkmal des nur in einer Zone des Implantats vorhandenen Farbstoffs ein für die gesamte Offenbarung grundlegendes Merkmal sei. Dies gehe insbesondere aus den Absätzen [0003], [0005] und [0009] der Beschreibung hervor. Deshalb müsse das besagte Merkmal auch auf die beispielsweise unter Aufgabe C im Absatz [0033] beschriebene Ausführungsform gelesen werden. Von der Beschwerdegegnerin wurde zudem vorgebracht, dass das Merkmal der Eigenspannung lediglich eine zusätzliche Definition einer bevorzugten Ausführungsform darstelle, und dass somit auch ein mit einer Eigenspannung versehener Pin zwangsläufig das allgemeine Merkmal einer einen Farbstoff enthaltenden Zone aufweise. Durch Verwendung des Begriffs "Zone" werde klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei dem den Farbstoff enthaltenden Polymer um einen räumlich abgetrennten Teil des Pins handle, der sich nicht über den gesamten Pin erstrecken könne.
2.6 Die Kammer gelangte zu folgender Auffassung:
2.6.1 Der Fachmann entnimmt der Passage "wobei das medizinische Implantat in seinem Verlauf mit einer Zone versehen ist, in der das eine oder die mehreren körperverträglichen Polymere einen Farbstoff enthalten, ..." im geänderten Anspruch 1, dass das Implantat eine Zone aufweist, die einen Farbstoff enthält. Der Fachmann wird dies so verstehen, dass diese "Zone" von anderen Bereichen des Implantats unterscheidbar ist. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin zwar dahingehend überein, dass der Anspruch keine Information darüber enthält, wie groß die einen Farbstoff enthaltende Zone in Bezug auf das ganze Implantat ist. Jedoch kann sich diese Zone nicht über das gesamte Implantat erstrecken, da sie sonst nicht als "Zone" erkennbar wäre. Dieser Begriff beschreibt nach Ansicht der Kammer einen durch den Fachmann wahrnehmbaren, räumlich abgrenzbaren und daher von anderen Bereichen unterscheidbaren Bereich. Im vorliegenden Fall ist eine Unterscheidung dieser Zone von anderen Bereichen des Implantats möglich, weil das Polymer in dieser Zone einen Farbstoff enthält. Eine Zone im Sinne des Anspruchs, in der das Polymer einen Farbstoff enthält, kann sich demnach nicht über das gesamte medizinische Implantat erstrecken. Die Kammer folgt damit in diesem Aspekt dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin sowie der Beurteilung durch die Einspruchsabteilung.
2.6.2 Von der Beschwerdeführerin wurde als Stütze der durchgeführten Änderungen zunächst auf die Absätze [0033] und [0112] der Beschreibung, sowie auf die Abbildungen 3a und 3b, der ursprünglichen Anmeldeunterlagen verwiesen.
2.6.3 Auch nach Ansicht der Kammer findet sich zunächst sowohl im Absatz [0033], als auch im Absatz [0112] eine nahezu wörtliche Basis für das Merkmal, "dass der Pin mit einer Eigenspannung versehen ist, welche bei einer Erwärmung des gesamten Pins relaxieren kann, sodass der Pin kürzer wird und im Durchmesser zunimmt, was zu einer Fixation im oder am umgebenden Gewebe führt". Im erstgenannten Absatz wird ein derartig ausgestalteter Pin im Zusammenhang mit einer als "Aufgabe C: Erreichen einer lokalen Fixation eines polymeren Implantates im Körper" bezeichneten Ausführungsform beschrieben. Auf zusätzliche Stellen der ursprünglichen Anmeldeunterlagen, die das Merkmal eines mit einer Eigenspannung versehenen Pins offenbaren, wurde von der Beschwerdegegnerin nicht verwiesen. Auch für die Kammer sind zusätzliche diesbezügliche Offenbarungen nicht vorhanden.
2.6.4 Die genannten Absätzen [0033] und [0112] enthalten jedoch keine explizite Offenbarung des Merkmals einer Zone, in der das Polymer einen Farbstoff enthält. Auch ist in den Abbildungen 3a und 3b, auf die im Absatz [0112] verwiesen wird, keine derartige Zone erkennbar. Dieser Sachverhalt wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.
2.6.5 Eine Offenbarung dieses Merkmals findet sich jedoch im Zusammenhang mit dem in Absatz [0032] beschriebenen Pin. Dort wird ein Pin für eine als "Aufgabe B: Selektive oder globale Erwärmung eines einen Thermoplasten umfassenden Implantates um eine Verformung während der Implantation desselben zu erreichen" beschriebene Ausführungsform offenbart, der eine farblich abgegrenzte Zone aufweist. Jedoch wird in diesem Zusammenhang nicht das unter Punkt 2.6.3 dieser Entscheidung genannte Merkmal offenbart.
2.6.6 Von der Beschwerdegegnerin wurde nun vorgebracht, dass die Offenbarungen der Absätze [0033] und [0032], insbesondere mit Blick auf Absatz [0030], in Kombination zu lesen seien. In beiden Fällen handle es sich nämlich gemäß Absatz [0030] lediglich um spezielle Ausführungsformen der allgemeinen erfinderischen Idee, wonach das medizinische Implantat durch Anregung mittels elektromagnetischer Strahlung nur teilweise an definierten Stellen erwärmt und erweicht werden könne (Absätze [0005] und [0009] der ursprünglichen Beschreibung). Die sich an den Absatz [0030] anschließenden Beschreibungen verschiedener Aufgaben bezögen sich daher auf Gegenstände, die im Sinne abhängiger Ansprüche miteinander kombinierbar seien. Somit umfasse der im Absatz [0033] im Zusammenhang mit Aufgabe "C" beschriebene, mit einer Eigenspannung versehene Pin auch das im Absatz [0032] im Zusammenhang mit Aufgabe "B" beschriebene Merkmal einer farbigen Zone. Zudem sei nicht ersichtlich, warum die im Absatz [0033] beschriebene Ausführungsform die allgemeine Aufgabenstellung nicht mehr betreffen solle, die ja gerade eine gefärbte Zone erfordere, welche selektiv erwärmbar und erweichbar sei.
2.6.7 Die Kammer stimmt dieser Sichtweise nicht zu.
Entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin werden in den Absätzen [0032] und [0033] zwei verschiedene, konkrete Ausführungsformen offenbart, deren Merkmale nicht beliebig miteinander kombiniert werden können. Sie betreffen entweder einen mit einer Eigenspannung versehenen Pin, dessen Thermoplast nach Erwärmen des gesamten Pins relaxiert, oder einen Pin, der in seinem Verlauf eine einen Farbstoff enthaltende Zone aufweist, und der sich deshalb nur in einem Teilbereich verformt. Eine Kombination dieser Merkmale ist in den genannten Absätzen nicht beschrieben.
2.6.8 Die Argumentation der Beschwerdegegnerin führt auch zu Inkonsistenzen. Zweifellos lassen sich nämlich nicht alle der unter den in den Absätzen [0030] bis [0038] als Aufgaben "A" bis "H" beschriebenen Ausführungsformen miteinander kombinieren. So beschreibt Absatz [0034] unter Aufgabe "D" ein Granulat, und keinen Pin. Bereits die Kombination dieser Ausführungsform mit beispielsweise einem der vorstehend erörterten Pins (Absätze [0032] oder [0033]) wäre technisch nicht ausführbar, da ein Pin nicht in der Form eines Granulats vorliegt. Ebenso wird im Absatz [0031] ein Pin beschrieben, dessen Kern sich nicht oder nur teilweise erwärmt, und dieser Kern daher hart bleibt. Eine Verkürzung und Verdickung des Pins tritt hier nicht auf. Im Gegensatz hierzu wird jedoch der gesamte im Absatz [0033] beschriebene Pin erwärmt, sodass der Pin kürzer und dicker wird. Des weiteren wird im Absatz [0035] ein Magenband beschrieben, dass ebenfalls nicht in Form eines Pins vorliegt. Auch deshalb kann die Argumentation der Beschwerdegegnerin, wonach die in den einzelnen als Aufgaben bezeichneten Ausführungsformen, insbesondere die in den Absätzen [0033] und [0032] beschriebenen, beliebig untereinander kombinierbar seien, nicht überzeugen.
2.6.9 Ebenso kann die Kammer der Argumentation nicht folgen, wonach aus der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen eindeutig hervorgehe, dass alle ursprünglich offenbarten Ausführungsformen zwangsläufig eine gefärbte Zone aufwiesen, und dies daher auch für die Ausführungsform gemäß Absatz [0033] zutreffen müsse. Zwar ist unzweifelhaft, dass die ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen Ausführungsformen offenbaren, die dieses Merkmal aufweisen, jedoch gilt dies nicht zwangsläufig für alle Ausführungsformen (vgl. den vorstehenden Absatz 2.6.8). Somit kann auch diese Argumentationslinie nicht dahingehend überzeugen, dass der im Absatz [0033] beschriebene Pin zwangsläufig eine einen Farbstoff enthaltende Zone aufweist.
2.7 Zusammenfassend kam die Kammer daher zu der Auffassung, dass die Kombination der im Punkt 2.3 dieser Entscheidung angegebenen Merkmale in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen nicht offenbart wird. Somit enthält die ursprüngliche Anmeldung auch keine Offenbarung eines medizinischen Implantats, welches als Pin gestaltet ist und durch die Kombination der Merkmale des geänderten Anspruchs 1 gekennzeichnet ist. Zumindest diese durchgeführte Änderung erfüllt somit nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar. Weitere von der Beschwerdeführerin in Bezug auf den Hauptantrag erhobene Einwände können daher unberücksichtigt bleiben.
3. Hilfsanträge - Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
Die vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 9 unterscheiden sich vom Hauptantrag insbesondere dadurch, dass das im Anspruch 1 beanspruchte medizinische Implantat durch die Aufnahme weitere Merkmale präzisiert wird. Die in Zusammenhang mit dem Hauptantrag erörterten Merkmale sind jedoch in allen Hilfsanträgen unverändert enthalten. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten. Daher ändert sich jedoch auch die Beurteilung hinsichtlich unzulässiger Änderungen nicht. Die vorliegenden Hilfsanträge erfüllen somit ebenfalls nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ, sie sind ebenso nicht gewährbar. Eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Hilfsanträge 6 bis 9 erübrigt sich daher.
4. Da keiner der vorliegenden Anträge das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt, ist auch keiner der Anträge gewährbar. Das Patent ist daher zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.