T 1323/19 02-06-2022
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VORRICHTUNG ZUR VERARBEITUNG VON LEBENSMITTELPRODUKTEN
Rechtliches Gehör - Einwand zu nachrangigem Antrag konkret erhoben
Rechtliches Gehör - (nein)
Rechtliches Gehör - Begründungsmangel
Rechtliches Gehör - (nein)
Rechtliches Gehör - Verfahrensfehler
Rechtliches Gehör - (nein)
Neuheit - Hilfsantrag 1 (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1 (ja)
Spät vorgebrachter Einwand - (ja) - zugelassen (nein)
I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende legten jeweils frist- und formgereicht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 2 923 955 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und b) EPÜ (mangelnde Neuheit, erfinderische Tätigkeit und Ausführbarkeit).
III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 18. Oktober 2021 teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen wäre, während die Beschwerde der Patentinhaberin teilweise erfolgreich sein dürfte.
IV. Die Einsprechende nahm mit Schriftsatz vom 17. Januar 2022 zur Mitteilung der Kammer inhaltlich Stellung, während die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 28. April 2022 auf die Kammermitteilung und auf den diesbezüglichen Schriftsatz der Einsprechenden inhaltlich erwiderte. Mit Schriftsatz vom 30. Mai 2022 reichte die Patentinhaberin einen Hilfsantrag 0 ein.
V. Am 2. Juni 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
VI. Die Patentinhaberin beantragte zunächst
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag Haupt' sowie Hilfsanträgen 0, 1, 1a, 1b_neu, 2, 2a, 3, 3a und 1', 1a', 1b_neu', 2', 2a', 3', 3a' sowie 2*, 2*', 2a*, 2a*', 3*, 3*', 3a*, 3a*',
wobei
die Anspruchssätze gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren und
der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 3 dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anspruchssatz gemäß damaligen Hilfsantrag 2 und der im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Fassung des Patents entsprach, d.h. auf die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden gerichtet war.
Verfahrensabschließend erklärte die Patentinhaberin Hilfsantrag 1 zum Hauptantrag; die Bezeichnung als Hilfsantrag 1 bleibt hiervon im Folgenden unberührt.
VII. Die Einsprechende beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents,
oder alternativ,
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung sowie
die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
VIII. Diese Entscheidung erwähnt folgende Dokumente:
D1: DE 102 38 482 A1
D3: EP 2 522 474 A1
D8: US 2012/0159900 A1
D10: GEA ShingleLoader (Produktbroschüre)
D12: EP 1 854 596 A1.
IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
"Vorrichtung zur Verarbeitung von Lebensmittelprodukten, die umfasst:
einen Produktförderer (31, 51) mit einem Rahmen (35, 55) und einer Fördereinheit (37) zum Fördern von Produkten entlang einer Förderrichtung, wobei die Fördereinheit (37) bezüglich der Förderrichtung seitlich auskragend an dem Rahmen (35, 55) angeordnet ist, und eine die Verarbeitung der geförderten Produkte betreffende Arbeitseinheit (13), die zumindest teilweise unter der auskragenden Fördereinheit (37) des Produktförderers (31, 51) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Rahmen (35, 55) des Produktförderers (31, 51) über eine mechanische Verbindung an der Arbeitseinheit (13) abgestützt oder gehalten, und insbesondere fixiert, ist, die Arbeitseinheit (13) eine Einrichtung oder Teile einer Einrichtung zum automatischen Verpacken der geförderten Produkte umfasst, und der Produktförderer (31, 51) zum Einlegen der geförderten Produkte in jeweilige, durch die Einrichtung zum automatischen Verpacken bereitgestellte Verpackungseinheiten ausgebildet ist."
X. Im Hinblick auf die Entscheidung der Kammer ist eine Wiedergabe des Wortlauts von Ansprüchen der gegenüber dem als Hauptantrag weiterfolgten Hilfsantrag 1 nachrangigen Anträge nicht erforderlich.
XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Rechtliches Gehör und Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung - Verfahrensfehler
1.1 Die Einsprechende brachte vor, Einwände nach Artikel 100 b) EPÜ bezüglich Ansprüchen 9 und 10 im Einspruchsverfahren erhoben zu haben (siehe Einspruchsschrift, Punkt L.1). Diese Einwände seien während der mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zwar diskutiert (siehe Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkt 2), aber der Einwand mangelnder Ausführbarkeit von Anspruch 9 sei in der angefochtenen Entscheidung nicht erwähnt worden. Somit liege ein Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, die als Verfahrensfehler eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigten.
1.2 Die Kammer teilt diese Ansicht der Einsprechenden nicht. Denn die Einsprechende erhob den Einwand mangelnder Ausführbarkeit hinsichtlich Anspruch 9 zwar im Einspruchsschriftsatz vom 17. Juli 2017, Punkt L.1, zur erteilten Fassung des Patents nach Artikel 100 b) EPÜ.
Allerdings reichte die Patentinhaberin mit der Einspruchserwiderung vom 27. Dezember 2017 einen geänderten Anspruchssatz gemäß im Einspruchsverfahren anhängigen Hauptantrag (im Folgenden: Hauptantrag-OPPO) ein, in dem Anspruch 1 gegenüber dem erteilten Anspruch 1 ein Merkmal aus dem erteilten Anspruch 9 hinzugefügt war. Bezüglich des Gegenstands von Anspruch 9 gemäß Hauptantrag-OPPO hat die Einsprechende im Einspruchsverfahren ausweislich der Verfahrensakte keinen Einwand mangelnder Ausführbarkeit nach Artikel 83 EPÜ geltend gemacht. Weder mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2018 in Erwiderung auf den Ladungsbescheid der Einspruchsabteilung zur mündlichen Verhandlung vom 3. April 2018, in dem die Einspruchsabteilung ihre vorläufige positive Auffassung zur Ausführbarkeit der Gegenstände von Anspruch 9 und Anspruch 10 gemäß Hauptantrag-OPPO unter Punkt 6 darlegte, noch ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Punkt 2.
In Reaktion auf den Ladungsbescheid, dem der geänderte Anspruchssatz gemäß Hauptantrag-OPPO zugrunde lag (siehe Ladungsbescheid der Einspruchsabteilung, Punkt 2), beanstandete die Einsprechende hingegen mit ihrem Schriftsatz vom 10. Oktober 2018 (siehe Punkt B) nur eine mangelnde Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 10 gemäß Hauptantrag-OPPO, während ein Einwand mangelnder Ausführbarkeit bezüglich Anspruch 9 gemäß Hauptantrag-OPPO nicht geltend gemacht wurde.
Dass sich der Einwand mangelnder Ausführbarkeit zum Hauptantrag-OPPO ausschließlich auf Anspruch 10 bezog, vermerkte im Übrigen auch die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 22. November 2018, Punkt 6.1, ausdrücklich. Hierzu nahm die Einsprechende nicht Stellung, so dass ein Einwand mangelnder Ausführbarkeit bezüglich Anspruch 9 gemäß Hauptantrag-OPPO von der Einspruchsabteilung als nicht erhoben zu betrachten war.
1.3 Die Einsprechende argumentierte, dass ein erneutes Vorbringen bzw. Wiederholen aller Einwände gegen jeden neuen Antrag zu unverhältnismäßig längeren Eingaben im Einspruchsverfahren führte. Auch sei der Gegenstand von Anspruch 9 im Hinblick auf den materiellrechtlichen Aspekt des Einwands mangelnder Ausführbarkeit nicht geändert worden. Daher ergebe sich aus dem Einwand mangelnder Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 9 in der Einspruchsschrift sinngemäß, dass dieser Einwand auch für den Gegenstand von Anspruch 9 gemäß Hauptantrag-OPPO gelte.
1.4 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt. Denn der Einwand mangelnder Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 9 gemäß Hauptantrag-OPPO wurde nicht tatsächlich erhoben. Daher ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Einspruchsabteilung hätte annehmen können, dass der lediglich mit der Einspruchsschrift erhobene Einwand zum Patent in erteilter Fassung ebenso für den Gegenstand von Anspruch 9 gemäß Hauptantrag-OPPO gölte.
Dass sich der Einwand sinngemäß auf Anspruch 9 gemäß Hauptantrag-OPPO erstreckte, wie von der Einsprechenden argumentiert, war ohne weitere Angabe der Qualifikation des Einwands für die Einspruchsabteilung in keiner Weise deutlich erkennbar.
1.5 Soweit ein Einwand, der ursprünglich für einen höherrangigen Antrag erhoben wurde, auch für einen nachrangigen Antrag gelten soll, muss der Einwand derart sowohl für den Spruchkörper als auch für die Gegenpartei erkennbar konkretisiert sein, dass der identische Einwand in gleicher Weise wie für den höherrangigen auch für den nachrangigen Antrag gelten soll und tatsächlich auch ohne weitere Qualifikation und Substantiierung auf diesen lesbar ist.
1.6 Die Kammer erkennt keinen Verfahrensfehler der Einspruchsabteilung, weil der streitige Einwand nicht konkret im Einspruchsverfahren gegen den Hauptantrag-OPPO erhoben wurde, und die Einspruchsabteilung nur solche Einwände in der Entscheidung zu berücksichtigen hat, die auch geltend gemacht wurden.
1.7 Der Einwand eines Begründungsmangels der angefochtenen Entscheidung (Regel 111 (2) EPÜ) sowie einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Artikel 113 (1) EPÜ) ist somit unbegründet, so dass weder dem Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung noch auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr stattzugeben ist.
Hilfsantrag 1 - Beschwerde der Patentinhaberin
2. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
2.1 Die Einsprechende wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt 13.3 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 neu gegenüber der jeweiligen Offenbarung von D8 oder D10 sei.
2.2 Dabei argumentierte die Einsprechende, dass nach der beanspruchten Vorrichtung sowohl der Produktförderer als auch die Arbeitseinheit mehrere Teile umfassten, die räumlich getrennt voneinander innerhalb der Vorrichtung angeordnet sein könnten.
So umfasse der Gegenstand von Anspruch 1 auch eine Ausführungsform, bei der der Produktförderer aus mehreren Förderbändern bestehe, wobei eines dieser Förderbänder der Fördereinheit entspreche, während ein anderes Förderband des Produktförderers zum Einlegen der geförderten Produkte in jeweilige, durch die Einrichtung zum automatischen Verpacken bereitgestellte Verpackungseinheiten ausgebildet sei.
Die Vorrichtung nach D8 umfasse zwei Produktförderer, nämlich das Förderband 51 und Rollen 311, 312, die jeweils zum Einlegen der geförderten Produkte in jeweilige, durch die Einrichtung zum automatischen Verpacken bereitgestellte Verpackungseinheiten ausgebildet seien. Nach D8 könne der Produktförderer auch der Kombination der ersten Haupttransporteinheit ("first main conveyor belt 20") und der ersten Nebentransporteinheit ("first secondary transport unit 50") entsprechen. Dokument D10 zeige auch ein Förderband zum Einlegen der geförderten Produkte in jeweilige, durch die Einrichtung zum automatischen Verpacken bereitgestellte Verpackungseinheiten.
Auch könne die Arbeitseinheit, da diese Teile einer Einrichtung zum automatischen Verpacken der geförderten Produkte umfasse, mehrere und räumlich innerhalb der Vorrichtung verteilt angeordnete Teile umfassen. Nach D8 könne die Arbeitseinheit der Kombination aus Einleger ("laying unit 310") und Stützstruktur ("support structure 30") entsprechen. Hinsichtlich D10 definiere der Gegenstand von Anspruch 1 auch eine Ausführungsform, bei der die Arbeitseinheit ein System sei, das die Einrichtung zum automatischen Verpacken der geförderten Produkte und einen separaten Förderer umfasse.
Bei einer entsprechenden An- und Zuordnung der einem Produktförderer und einer Arbeitseinheit jeweils entsprechenden Teile von D8 bzw. D10, nehme die jeweilige Offenbarung von D8 und D10 den Gegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich vorweg.
2.3 Die Kammer ist von der Argumentation einer Fragmentierung der Arbeitseinheit und des Produktförderers nicht überzeugt, sondern teilt die Feststellungen unter Punkt 13.3.1 und 13.3.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Nach ständiger Rechtsprechung muss sich der beanspruchte Gegenstand unmittelbar und eindeutig aus dem Stand der Technik ergeben, damit auf mangelnde Neuheit geschlossen werden kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 9. Auflage 2019, I.C.4.1).
Die von der Einsprechenden argumentierte fragmentierte Anordnung der Arbeitseinheit und des Produktförderers ist weder vom Wortlaut des Anspruchs 1 umfasst noch in D8 oder in D10 klar offenbart, so dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 nicht unmittelbar und eindeutig aus der Offenbarung von D8 oder D10 ergibt.
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist daher neu gegenüber der jeweiligen Offenbarung von D8 und D10 ist.
3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
3.1 D1 oder D10 in Kombination mit der Lehre von D3
3.1.1 Die Patentinhaberin rügte die Feststellung unter Punkt 13.4 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von Dokument D1 oder D10 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von Dokument D3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
3.1.2 Die Einspruchsabteilung begründete die Feststellung damit, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 von der jeweiligen aus D1 und D10 bekannten Vorrichtung dadurch unterscheide, dass der Rahmen des Produktförderers über eine mechanische Verbindung an der Arbeitseinheit abgestützt oder gehalten, und insbesondere fixiert, ist.
Das durch dieses Unterscheidungsmerkmal gelöste technische Problem sei darin zu sehen, eine möglichst feste Ausrichtung zwischen Produktförderer und Verpackungsmaschine zu ermöglichen.
Eine derartige Fixierung sei aus D3 bekannt (Figur 1), da die Strebe 17 das Transportband 31 zur Verpackungsmaschine 10 ausrichte (D3, Absätze [0011] und [0019]) und könne ohne erfinderische Tätigkeit zum gleichen Zweck auf die Vorrichtung nach D1 oder D10 angewendet werden.
3.1.3 Diese Feststellung hält jedoch einer gerichtlichen Überprüfung nach Artikel 106 (1) EPÜ und Artikel 12 (2) VOBK 2020 nicht stand, da die nach der angefochtenen Entscheidung angegebene Aufgabe nicht ordnungsgemäß formuliert ist.
Vielmehr folgt die Kammer der Auffassung der Patentinhaberin, dass bei der Ermittlung der streitpatentgemäß gelösten Aufgabe von der im Streitpatent formulierten Aufgabe auszugehen ist (vgl. RdB, a.a.O., I.D.4.3.2).
Gemäß Absatz [0008] der Streitpatentschrift ist die technische Wirkung des Unterscheidungsmerkmals darin zu sehen, dass in mechanischer Hinsicht der Produktförderer in die Arbeitseinheit integriert wird. Somit können die Masse und die Steifigkeit bzw. Stabilität der Arbeitseinheit dazu genutzt werden, dem Rahmen des Produktförderers zusätzliche Standfestigkeit zu verleihen. Im Ergebnis ermöglicht dies eine leichtere und kompaktere Bauweise für den Produktförderer. Demgegenüber war man auf dem Fachgebiet bislang dem Gedanken verhaftet, beispielsweise für Tiefzieher und Einleger völlig separate Konstruktionen vorzusehen (siehe Streitpatent Absatz [0008]).
Die objektive technische Aufgabe ist somit entsprechend Absatz [0006] der Streitpatentschrift zu formulieren, den Produktförderer selbst kompakter und leichter zu bauen.
Insgesamt liegt der Erfindung also der allgemeine Gedanke zugrunde, eine unter einem Produktförderer mit seitlich auskragender Fördereinheit anzuordnende Arbeitseinheit dazu zu nutzen, den Produktförderer selbst kompakter und leichter zu bauen. Erfindungsgemäß kann die Masse, Steifigkeit oder Stabilität der Arbeitseinheit dazu genutzt werden, die Abstützung des Produktförderers zu verbessern (siehe Streitpatent Absatz [0009]).
Nach der Lehre von D3 ist eine Schneidemaschine mit einer Verpackungsvorrichtung mechanisch fest verbunden, wobei mittels einer längenverstellbaren Strebe 17 der Abstand der Schneidemaschine 1 zur Verpackungsmaschine 10 eingestellt werden kann (D3, Absatz [0011], [0019]; Anspruch 10; Figur 1).
Hierbei ist D3 kein Hinweis zu entnehmen, dass durch die längenverstellbare Strebe 17 ein Abstützen oder Halten des Rahmens des Einlegers an der Verpackungsmaschine vorgesehen ist, um den Produktförderer kompakter und leichter zu bauen. Da das zugrunde liegende Problem in D3 nicht angesprochen ist, zöge der Fachmann die Lehre von D3 nicht zur Lösung der gestellten Aufgabe in Betracht.
Selbst wenn der Fachmann die Strebe nach D3 in die Vorrichtung nach D1 oder D10 einsetzte, gelangte er nur zu einer Gesamtvorrichtung, bei der Einleger und Verpackungsmaschine weiterhin jeweils separate, eigenständige standfeste und nebeneinander aufgestellte Maschinen sind, was dem Erfindungsgedanken aber gerade entgegensteht.
3.1.4 Die Einsprechende argumentierte, dass die streitpatentgemäß formulierte Aufgabe durch die Ausführungsform nach Figuren 9 und 10 des Streitpatents nicht gelöst werde. Daher löse die Kombination der Merkmale von Anspruch 1 diese Aufgabe nicht über den gesamten beanspruchten Bereich, so dass die Aufgabe neu formuliert werden müsse.
Die Offenbarung des Streitpatents erlaube die Neuformulierung der technischen Aufgabe gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik dahingehend, eine richtige Positionierung und insbesondere einen geeigneten Abstand der Einlegevorrichtung zur Verpackungsmaschine sicherzustellen.
Dokument D3, das das gleiche technische Gebiet betreffe, offenbare ebenfalls eine Kombination von zwei Einzelmaschinen ("Scheibenschneidemaschine 1" und "Verpackungsmaschine 10") sowie das Unterscheidungsmerkmal einer mechanischen Verbindung ("Strebe 17") zwischen den beiden zusammenwirkenden Einzelmaschinen. Dabei lehre D3 in den Absätzen [0011] und [0019] auch den durch die Strebe erzielten technischen Effekt, den Abstand zwischen den Einzelmaschinen durch eine mechanisch feste Verbindung zwischen den beiden Maschinen einzustellen.
3.1.5 Die Kammer schließt sich der Argumentation der Einsprechenden nicht an. Dass die Ausführungsform nach Figuren 9 und 10 des Streitpatents die oben unter Punkt 3.1.3 angegebene objektive technische Aufgabe nicht löse, ist eine bloße unbewiesene Behauptung der Einsprechenden. Die Beweislast für diese Behauptung liegt jedoch bei der Einsprechenden.
Hingegen widerlegt die Figurenbeschreibung zu den Figuren 9 und 10 in den Absätzen [0035] und [0036] des Streitpatent sogar die Behauptung der Einsprechenden. Denn aus dieser Figurenbeschreibung geht hervor, dass die Aufgabe einer leichteren und kompakteren Bauweise durch die Ausführungsform nach Figuren 9 und 10 eindeutig gelöst wird.
Die Argumentation der Einsprechenden zur Notwendigkeit einer Neuformulierung der Aufgabe beruht vielmehr auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise in Kenntnis der Erfindung.
3.1.6 Die Patentinhaberin hat somit in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der Feststellungen und der diese tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 dargelegt.
3.2 D12 in Kombination mit der Lehre von D3
Die Einsprechende erhob mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 (unter Punkt 13.4) einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit hinsichtlich des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ausgehend von D12 in Kombination mit D3 ohne eine rechtfertigende Begründung für dieses verspätete Vorbringen.
Die Einsprechende war der Ansicht, dass dieser Einwand bereits mit der Beschwerdeerwiderung vom 20. November 2019 (dort unter Punkt 3.7) vorgetragen worden wäre, jedenfalls verwies sie im Schriftsatz vom 4. Mai 2020 darauf. Allerdings bezog sich dieser Einwand im Schriftsatz vom 20. November 2019 allein auf den zum damaligen noch anhängigen Hauptantrag-OPPO. Außerdem wurde ein solcher Angriff gegen den Gegenstand von Hilfsantrag 1 nicht im Einspruchsverfahren geltend gemacht (siehe Punkte 13 und 15 der Niederschrift über die mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung).
Daher sieht die Kammer keinen Grund, diese verspätet vorgebrachte Argumentationslinie nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 ins Verfahren zuzulassen.
4. Zulassung des Einwands mangelnder Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 10 ins Verfahren
4.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, d.h. nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2021 und der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom selben Tag, erhob die Einsprechende unter Verweis auf ihren schriftsätzlichen Vortrag unter Punkt 6 der Beschwerdebegründung und unter Punkt 5 des Schriftsatzes vom 4. Mai 2020 den Einwand, dass der Gegenstand von Anspruch 10 gemäß Hilfsantrag 1 nicht ausführbar sei.
4.2 Mit ihrer Beschwerdebegründung unter Punkt 6 erhob die Einsprechende einen Einwand mangelnder Ausführbarkeit lediglich gegenüber dem Gegenstand von Anspruch 10 gemäß der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents. Auf diesen Einwand zu der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patent erwiderte die Patentinhaberin mit ihrer Beschwerdeerwiderung vom 7. Januar 2020 unter Punkt 2. Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 antwortete die Einsprechende auf die Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin (siehe Schriftsatz vom 4. Mai 2020, Seite 1, erster Absatz). Somit bezog sich der Einwand der Einsprechenden unter Punkt 5 des Schriftsatz vom 4. Mai 2020 auf die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents. Dabei verwies die Einsprechende unter Punkt 5.2 des Schriftsatz vom 4. Mai 2020 zur mangelnden Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 10 zwar auf ihre Beschwerdebegründung und Beschwerdeerwiderung. Allerdings wurde weder in der Beschwerdebegründung noch in der Beschwerdeerwiderung ein Einwand mangelnder Ausführbarkeit gegenüber dem Gegenstand von Anspruch 10 gemäß Hilfsantrag 1 explizit geltend gemacht. Dass der Einwand unter Punkt 5 des Schriftsatzes vom 4. Mai 2020 sich auf die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents bezog, ergibt sich ferner daraus, dass sich Punkt 13 des Schriftsatzes vom 4. Mai 2020 explizit auf Hilfsantrag 1 bezieht, ohne jedoch einen Einwand mangelnder Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 10 gemäß Hilfsantrag 1 zu erwähnen.
4.3 Entsprechend den unter obigem Punkt 1.5 zum seitens der Einsprechenden geltend gemachten Verfahrensfehler angegebenen Gründen, ist der Einwand mangelnder Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 10 gemäß Hilfsantrag 1 als erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich und konkret erhoben anzusehen.
4.4 Somit stellt der während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebrachte Einwand mangelnder Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 10 gemäß Hilfsantrag 1 eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Einsprechenden dar, deren Berücksichtigung im Verfahren den Erfordernissen nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 unterliegt.
4.5 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
4.6 Die Einsprechende machte keine außergewöhnlichen Umstände geltend, so dass der Einwand mangelnder Ausführbarkeit des Gegenstands von Anspruch 10 gemäß Hilfsantrag 1 nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt bleibt.
5. Anpassung der Beschreibung
Die von der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2022 eingereichten Änderungen der Beschreibung wurden seitens der Einsprechenden nicht beanstandet und genügen zur Überzeugung der Kammer den Erfordernissen zur Anpassung an die geänderten Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1.
Weitere Hilfsanträge und Beschwerde der Einsprechenden
6. Aufgrund der obigen Feststellungen zum Hilfsantrag 1, ist über die weiteren Hilfsanträge nicht mehr zu entscheiden, so dass die Beschwerde der Einsprechenden erfolglos bleibt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.
2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
3. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche, Nrn:
1 bis 12 eingereicht als Hilfsantrag 1 mit
Schriftsatz vom 21. August 2019
Beschreibung, Absätze:
1, 4 und 21 eingereicht während der mündlichen
Verhandlung vom 2. Juni 2022,
2, 3, 5 bis 20
und 22 bis 36 der Patentschrift
Figuren:
1 bis 10 der Patentschrift.