T 1351/19 23-09-2021
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VERFAHREN DES WÄLZSCHÄLENS ODER HARTSCHÄLENS EINES WERKSTÜCKES UND DAZU AUSGELEGTE WERKZEUGMASCHINE
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 2 665 574 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 9 gemäß dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 den Erfordernissen der Artikel 84, 123(2) und (3) EPÜ genügte. Weiterhin wurde die Neuheit und das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der unabhängigen Ansprüche 1 und 9 im Sinne der Artikel 52(1), 54 und 56 EPÜ unter Berücksichtigung des folgenden Standes der Technik anerkannt:
D1: KLOCKE F ET AL: "HARD GEAR FINISHING WITH A GEOMETRICALL Y DEFINED CUTTING EDGE", GEAR TECHNOLOGY, RANDALL PUBLISHING CO. ELK GROVE, ILLINOIS, US, Bd. 16, Nr. 6, 1. November 1999 (1999-11-01), Seiten 24-29, XP000873761, ISSN: 0743-6858
D4: US 3 264 940 A
III. Am 08. Dezember 2020 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung. In der am 09. Dezember 2020 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.
Die mündliche Verhandlung fand am 23. September 2021 statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in geändertem Umfang auf Basis des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags aufrechtzuerhalten.
V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
'Verfahren des Hartschälens eines um eine Werkstückachse (Z) drehend angetriebenen verzahnten Werkstückes (2), bei dem man unter Ausführung CNC-gesteuerter Maschinenachsbewegungen ein um eine in radialer Achsabstandsrichtung (X) von der Werkstückachse (Z) beabstandete Werkzeugachse (Zo) drehend angetriebenes, verzahntes und mit einer an einer Stirnkante seiner Zähne gebildeten Schneide versehenes Schälrad (0) unter einem Achskreuzwinkel (Sigma) zwischen den beiden Drehachsen (Z, Zo) in Wälzeingriff mit dem Werkstück (2) bringt, in dem die Schneide in einer eine werkstückachsenparallelen Komponente aufweisenden Schneidbewegung spanend Material vom Werkstück (2) abträgt, und man das Schälrad (0) zur Bearbeitung des Werkstückes (2) über eine gewünschte axiale Erstreckung hinweg zusätzlich eine Vorschubbewegung mit einer Werkstückachsenparallelen Komponente ausführen lässt,
dadurch gekennzeichnet, dass
man die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung einander entgegenrichtet.'
Anspruch 9 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
'Hartschälmaschine mit einer eine Werkstückachse (Z), um die ein Werkstück (2) drehend antreibbar ist, definierenden Werkzeugspindel, einer eine Werkzeugachse (Zo), die gegenüber der Werkstückachse in radialer Achsabstandsrichtung (X) mit einstellbarem Abstand beabstandet ist, sie unter einem einstellbaren Achswinkel kreuzt und um die ein Schälrad (0) drehend antreibbar ist, definierenden Werkzeugspindel, sowie einer Steuereinrichtung, die die Maschinenachsbewegungen derart CNC-steuert, dass das verzahnte und mit einer an einer Stirnseite seiner Zähne gebildeten Schneide versehene Schälrad in Wälzeingriff mit dem Werkstück gebracht wird, in dem die Schneide in einer eine werkstückachsparallelen Komponente aufweisenden Schneidbewegung Material vom Werkstück abträgt, wobei das Schälrad zusätzlich eine Vorschubbewegung mit einer werkstückachsenparallelen Komponente ausführt,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Steuereinrichtung die Maschinenachsbewegungen weiter derart CNC-steuert, dass die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung einander entgegengerichtet sind und deren Steuereinrichtung die Maschinenachsbewegungen weiter derart steuert, dass ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8 ausgeführt wird.
Erfinderische Tätigkeit: Artikel 52(1) und 56 EPÜ
1. Der Anspruchsatz gemäß dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag entspricht demjenigen des Patents in aufrechterhaltenem Umfang, in welchem lediglich und im Einvernehmen aller Parteien der Rückbezug des abhängigen Anspruchs 7 korrigiert wurde. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 gemäß Hauptantrag entsprechen somit den unabhängigen Ansprüchen 1 und 9 des Streitpatents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung.
1.1 Mit ihrer Beschwerde bestritt die Beschwerdeführerin (Einsprechende) die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 9 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruhe.
Auslegung des Begriffes 'Hartschälen' vs. 'Wälzschälen'
1.2 Ein wichtiger Punkt der Debatte, der für die Einschätzung des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der unabhängigen Ansprüche 1 und 9 des Hauptantrags entscheidend ist, besteht in der Interpretation des Begriffes 'Hartschälen' insbesondere hinsichtlich der Frage, ob dieser Begriff - wie von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung angenommen - zur klaren Abgrenzung vom Begriff 'Wälzschälen' dient. Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Feststellung, wonach diese technischen Begriffe für den Fachmann vom Konzept her zwei technisch unterschiedliche Herstellungsverfahren definieren, wurde von der Beschwerdeführerin (Einsprechende) mit den folgenden Argumenten kritisiert:
1.3 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) trug im schriftlichen Verfahren vor, dass angesichts der Tatsache, dass das Streitpatent keine näheren Erläuterungen zum Begriff 'Hartschälen' enthält, eine breitere Auslegung dieses Begriffes auch im Sinne eines Wälzschälverfahrens für den Fachmann gerechtfertigt sei. Eine solche Auslegung habe nach Auffassung der Beschwerdeführerin (Einsprechende) zur Folge, dass das in Dokument D4 beschriebene weiche 'Wälzschälen' ein 'Hartschälen' im Sinne des Streitpatents nicht ausschließe.
1.4 Da während der mündlichen Verhandlung keine weiteren Ausführungen zu diesem Punkt von den Parteien vorgetragen worden sind, sieht die Kammer keinen Anlass, von ihrer in der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 9. Dezember 2020 präsentierten vorläufigen Einschätzung abzuweichen, die hiermit bestätigt wird und wie folgt lautet:
Die Kammer schließt sich der Feststellung der Einspruchsabteilung an, wonach 'Hartschälen' einen fachspezifischen Begriff im technischen Gebiet der spanenden Herstellung von Zahnrädern darstellt, der sich klar vom Begriff 'Wälzschälen' unterscheidet. Wie zutreffend von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) unter Verweis auf die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Seiten der Fachliteratur 'Verzahntechnik - Prof. Klaus Felten' dargelegt wurde, versteht man unter 'Hartschälen' im technischen Kontext des Streitpatents eine spanende Hartfeinbearbeitung einer bereits hergestellten und direkt danach wärmbehandelten/gehärteten Verzahnung. Unter dem Begriff 'Wälzschälen' verstehe ein Fachmann auf dem Gebiet der Zahnradherstellung hingegen eine Weichvorbearbeitung, wodurch unverzahnte oder grobverzahnte Zwischenprodukte aus einem nicht vorgehärteten Rohling hergestellt werden. Ferner ist die Auffassung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zuzustimmen, dass im Laufe eines Hartschälens - anders als bei einem Wälzschälen - lediglich Härteverzüge auf der bereits gehärteten Zahnfläche der fertigen Verzahnung abgetragen werden, weil ansonsten, d.h. im Fall einer tieferen Materialabtragung, die bereits gehärtete äußere Schicht des Zahnes ganz oder teilweise entfernt werden würde, was selbstverständlich nicht erwünscht ist. Der Fachmann auf dem Gebiet der Herstellung von Zahnrädern und Verzahnungen unterscheidet somit ohne weiteres zwischen einem Verfahren des Hartschälens und einem solchen des Wälzschälens.
Anspruch 1
Feststellung des nächstliegenden Standes der Technik
2. Angesichts der oben vorgelegten Auslegung des Begriffes 'Hartschälen' und der für den zuständigen Fachmann inhärenten Unterschiede zum Begriff 'Wälzschälen', stellt die Kammer fest, dass die Druckschrift Dl als nächstliegender Stand der Technik gegenüber dem Gegenstand des Anspruchs 1 anzusehen ist, weil sie die einzige Entgegenhaltung im Verfahren ist, die ausdrücklich ein Hartschälverfahren betrifft (vgl. Dl, Seite 27, 'Hard Skiving').
2.1 Im schriftlichen Verfahren vertritt die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hingegen die Auffassung, dass D4 ebenfalls ein Hartschälverfahren im Sinne der Ansprüche 1 und 9 offenbare, und zwar weil die Verwendung als Ausgangprodukt von Rohlingen aus Stählen, die von Hause aus bereits gehärtet und angelassen worden sind, in D4 nicht ausgeschlossen sei. Das in Spalte 3, Zeilen 4 bis 9 erwähnte 'finishing' einer bereits durch ein weiches Wälzschälen ('roughing cut') hergestellten Verzahnung würde somit - zumindest bei Verwendung eines derartigen von Hause aus gehärteten Rohlings - einem 'Hartschälen' im Sinne des Streitpatents entsprechen.
2.2 Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht:
Wie oben unter Punkt 1.4 ausgeführt wurde, bezieht sich der Fachbegriff 'Hartschälen' im technischen Kontext der Herstellung von Verzahnungen nicht auf die bloße Feinbearbeitung harter oder gehärteter Rohlinge, sondern - wie von der oben zitierten Literatur dargelegt wurde - auf die endgültige Feinbearbeitung von bereits verzahnten und gehärteten Rohlingen, wodurch die nach der Härtung verbleibenden oder dadurch verursachten Ungenauigkeiten an der Oberfläche der Zähne entfernt bzw. abgetragen werden. Wie sowohl von der Einspruchsabteilung als auch von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zutreffend festgestellt wurde, enthält D4 keine Zitatstelle, an welcher von einem 'Hartschälen' (auf englisch 'Hard-Skiving') die Rede ist. D4 betrifft vielmehr eine Weichbearbeitung eines zylindrischen Rohlings zur Herstellung von verzahnten Werkstücken durch eine weiche Grobbearbeitung zur Ausbildung der Verzahnung ('roughing cut') und eine nachfolgende Feinbearbeitung ('finishing'). Da ein 'roughing cut' der Verzahnung aus einem bereits gehärteten Rohling technisch nicht nachvollziehbar ist und keinerlei Wärmebehandlung unmittelbar vor dem 'finishing' erwähnt wird, erfolgt das 'finishing' des Verfahrens gemäß D4 ersichtlich auf einer nicht gehärteten Zahnoberfläche. Bei dem 'finishing' dieses bekannten Verfahrens handelt es sich somit gerade nicht um ein 'Hartschälen', bei welchem - per Definition - eine spanende Feinbearbeitung einer bereits hergestellten und gehärteten Verzahnung ausgeführt wird, sondern vielmehr um das weiche 'Wälzschälen' einer ungehärteten Verzahnung (vgl. Punkt 1.4). Dokument D4 ist somit, zumindest im Hinblick auf den Gegenstand des Anspruchs 1, gattungsfremd, so dass die Argumentationslinie der Beschwerdeführerin (Einsprechende) basierend auf D4 als nächstliegendem Stand der Technik nicht überzeugen kann.
Unterscheidende Merkmale ausgehend von D1
2.3 Die Parteien stimmen darin überein, dass der Gegenstand des Anspruchs 1, sich vom Inhalt der Druckschrift D1 dadurch unterscheidet, dass
'man die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung einander entgegenrichtet' (vgl. Kennzeichen des Anspruchs 1).
2.4 Durch dieses Merkmal wird die Gefahr des Verklemmens des Spans in der bearbeiteten Zahnlücke reduziert, wodurch sich eine verbesserte Qualität der herzustellenden Verzahnung ergibt.
2.5 Ausgehend von D1 und anhand des oben genannten Unterscheidungsmerkmals besteht die zu lösende technische Aufgabe somit darin, eine bessere Qualität der hergestellten Verzahnung zu gewährleisten. Auch diesbezüglich besteht Einigkeit zwischen den Parteien.
Frage des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit
2.6 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Kombination der Druckschrift D1 mit D4 nahegelegt sei. Sie trug vor, dass D1 ausdrücklich die Lehre offenbare (vgl. Seite 24, rechte Spalte, dritter Absatz), dass sich das Wälzschälen und das Hartschälen kinematisch überhaupt nicht und ansonsten nur durch die Art/Geometrie der Schneidzähne des anzuwendenden Schneidwerkzeugs unterscheiden. Ansonsten mache die D1 keinerlei Einschränkungen hinsichtlich des in Frage kommenden Bearbeitungsverfahrens. Konkret lehre die D1, dass ein Wälzschälen und ein Hartschälen prinzipiell auf derselben Maschine durchgeführt werden können, solange man die Geometrie der Schneidzähne des Schneidwerkzeugs entsprechend auslegt und eventuell noch wenige verfahrensspezifische Bearbeitungsparameter, z.B. Anpassen der Spanhöhe an die Werkstoffeigenschaften, entsprechend ändert. Aus diesen Gründen zog die Beschwerdeführerin (Einsprechende) den Schluss, dass der Fachmann, der das aus der Druckschrift D1 bekannte Hartschälverfahren hinsichtlich der Qualität der hergestellten Zahnfläche verbessern möchte, auf jeden Fall die Lehre von D4, das genauso wie das Streitpatent eine verbesserte Qualität der fertigen Zahnfläche anstrebe (vgl. Spalte 1, Zeile 27 und 28), berücksichtigen würde, und dass obwohl D4 sich mit einer 'weichen' Bearbeitung von nicht gehärteten Rohlingen beschäftige. Der Passage in D4, Spalte 3, Zeile 4-9, sei ausdrücklich ein 'finishing' der vorher grob hergestellten Zahnoberfläche zu entnehmen, das unter Verwendung von einander entgegenweisenden Richtungen für die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung, d.h. im Sinne des Kennzeichens des Anspruchs 1, erfolge. Der Fachmann wisse auch, dass bei einem ziehenden Schlichtschritt gemäß Spalte 3, Zeilen 7-9 von D4 keine Späne vor den Schneidkanten hergeschoben werden, was sich vorteilig auf die Qualität der hergestellten Zahnoberfläche auswirkt. Er würde somit ohne weiteres diese Lehre zum Zweck der Verbesserung der Qualität der hergestellten Zahnfläche auch bei der Hartfeinbearbeitung der Druckschrift D1 anwenden und somit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 kommen. Die geringfügigen, erforderlichen Anpassungen einiger Bearbeitungsparameter eines Wälzschälverfahren an ein Hartschälverfahren und die Auswahl eines geeigneten Schneidwerkzeugs stellen für den Fachmann eine gängige Vorgehensweise dar und sprechen somit weder gegen eine Kombination von der Druckschrift D1 mit D4 noch für eine erfinderische Tätigkeit.
2.7 Die Argumentation der Beschwerdeführerin (Einsprechende) ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:
Es ist unbestritten, dass D4 ausschließlich ein Wälzschälverfahren betrifft und an keiner Stelle offenbart, dass die in Spalte 3, Zeilen 7-9 beschriebene Feinbearbeitung ('finishing') mit ziehendem Schlichtschritt auch im Rahmen des Hartschälens verwendet werden könnte. Wie von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zutreffend vorgetragen wurde, stammt D4 aus dem Jahr 1966, so dass zumindest fraglich ist, ob ein Hartschälverfahren gemäß D1, dessen Durchführung auf einer CNC-gesteuerten Maschine erfolgt, überhaupt bekannt war. Aus diesem Grund ist auch höchst fraglich, ob der Fachmann die Lehre eines so veralteten Dokuments zur Weiterentwicklung des auf einer CNC-gesteuerten Maschine durchgeführten Hartschälens (D1) überhaupt in Betracht ziehen würde. Darüber hinaus stimmt die Kammer den Ausführungen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zu, dass sich die Einstellungen eines Hartschälverfahrens im Wesentlichen von denjenigen eines Wälzschälverfahrens unterscheiden. Es geht nicht nur - wie von der Beschwerdeführerin (Einsprechende) behauptet - um die bloße Auswahl eines geeigneten Schneidwerkzeugs und um geringfügige bzw. offensichtliche Parameteranpassungen, sondern vielmehr um die Berücksichtigung von zahlreichen, verfahrensspezifischen Parametern wie z.B. die auftretenden Schneidkräfte, die Auswahl und Einstellung der notwendigen Maschinenachsen, sowie um die Bestimmung und Synchronisierung der Zustellbewegungen des Schneidwerkzeuges, die diesen unterschiedlichen Verfahren nicht gemeinsam sind. Aus diesen Gründen teilt die Kammer die Einschätzung der Einspruchsabteilung, dass der Fachmann, der das Hartschälen gemäß der Druckschrift D1 hinsichtlich der erzielbaren Qualität der Zahnoberfläche verbessern möchte, die Lehre des nicht CNC-gesteuerten Wälzschälverfahrens von D4, insbesondere die Lehre in der Spalte 3, Zeile 4 bis 9, nicht ohne weiteres bei der Weiterentwicklung des Verfahrens gemäß der Druckschrift D1 in Betracht ziehen würde. Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird somit von der Kombination der Druckschrift D1 mit D4 nicht nahegelegt.
Anspruch 9
3. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 9 durch die Kombination von D1 mit D4 oder umgekehrt nahegelegt sei.
Ausgehend von D1
3.1 Es ist unbestritten, dass die Druckschrift D1 zumindest eine Hartschälmaschine gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 offenbart. Obwohl eine CNC-Steuerung der Maschinenbewegungen in D1 nicht explizit angegeben ist, steht eine implizite Offenbarung dieses Merkmals in diesem Stand der Technik aus dem Jahr 1999 nicht in Frage und wurde von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) nicht in Abrede gestellt.
3.2 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) führte aus, dass das Kennzeichen des Anspruchs 9 lediglich verlange, dass die CNC-Steuerung der Hartschälmaschine derart programmierbar sei, dass ein Verfahren gemäß Anspruch 1 ausgeführt werden könne, insbesondere derart dass die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung - wie von Anspruch 1 verlangt - einander entgegengerichtet sind. Eine solche Programmierbarkeit sei im Prinzip bei jeder CNC- gesteuerten Maschine möglich, so dass im Grunde genommen keine eindeutigen strukturellen Unterschiede gegenüber der aus der Druckschrift D1 bekannten Maschine ersichtlich seien. In diesem Zusammenhang wurde von der Beschwerdeführerin (Einsprechende) vorgetragen, dass die Spezifizierung der Maschine des Anspruchs 9 als 'Hartschälmaschine' lediglich eine Information betreffend die Art des zu bearbeitenden Rohlings weitergebe, nämlich dass der Rohling, der auf der Maschine bearbeitet werden soll, bereits gehärtet wurde. Da der zu bearbeitende Rohling kein Teil der beanspruchten Maschine ist, könne er auch keine Einschränkung des Patentanspruchs im Sinne von strukturellen Vorrichtungsmerkmalen zur Folge haben.
3.3 Ungeachtet der Frage der Zulassung dieses Neuheitsangriffs, der zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde, ist die Argumentation der Beschwerdeführerin (Einsprechende) nicht überzeugend:
Im Kennzeichen des Anspruchs 9 wird beansprucht (Hervorhebung von der Kammer hinzugefügt), dass
'die Steuereinrichtung die Maschinenachsbewegungen weiter derart CNC-steuert, dass die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung einander entgegengerichtet sind und deren Steuereinrichtung die Maschinenachsbewegungen weiter derart steuert, dass ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8 ausgeführt wird.
3.4 Der Anspruchswortlaut 'derart CNC-gesteuert' bzw. 'derart gesteuert' ist so auszulegen, dass die Steuerung gemäß Streitpatent nicht lediglich programmierbar sein muss, sondern dass sie bereits mit allen logischen Steuerbefehlen programmiert ist, die bei der Verwendung der Maschine zur Ausführung des Hartschälverfahrens des Anspruchs 1 bewirken, dass die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung einander entgegengerichtet sind. Das ist nicht der Fall bei der Steuerung der Maschine gemäß D1, weil hier keinerlei Hinweis auf die Ausführung von entgegengerichteten Vorschub- und Schneidbewegungen offenbart ist. Eine CNC-Steuerung gemäß dem Kennzeichen des Anspruchs 9, die derart programmiert (und nicht nur gegebenenfalls programmierbar) ist, dass ein Verfahren gemäß Anspruch 1 ausgeführt werden kann, ist daher der D1 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen und stellt somit ein klares unterscheidendes Vorrichtungsmerkmal gegenüber diesem Stand der Technik dar.
3.5 Wie beim Verfahrensanspruch 1 ist die durch dieses unterscheidende Merkmal zu lösende Aufgabe darin zu sehen, die aus der Druckschrift D1 bekannte Maschine derart weiterzuentwickeln, dass eine verbesserte Qualität der Zahnoberfläche nach der Hartfeinbearbeitung gewährleistet werden kann.
3.6 Zur Frage des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit argumentierte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) zutreffend, dass der zuständige Fachmann der Passage auf Seite 24, rechte Spalte, der Druckschrift D1 entnehme, dass eine Hartschälmaschine und eine Wälzschälmaschine kinematisch identisch sind. Die aus D4 bekannte Maschine sei daher auch als eine Hartschälmaschine anzusehen, die der Fachmann bei der Weiterentwicklung der aus der Druckschrift D1 bekannten Maschine ohne weiteres berücksichtigen würde. Darüber hinaus wurde von der Beschwerdeführerin (Einsprechende) ausgeführt, dass in Anspruch 1 weder die Art des zu verwendenden Schneidwerkzeugs noch irgendwelche hartschälspezifischen Bearbeitungsparameter angegeben sind, und dass sich der Auswahlbereich dieser Bearbeitungsparameter jedenfalls mit dem Auswahlbereich der Bearbeitungsparameter eines Wälzschälens weitgehend überschneide. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) zog daher den Schluss, dass der Fachmann zur Lösung der gestellten Aufgabe ohne weiteres einen Steuerbefehlsatz, der dem in Spalte 3 von D4, Zeilen 4-9, beschriebenen Verfahrensablauf entspricht, in die CNC-Steuerung der Maschine gemäß der Druckschrift D1 einführen würde. Er würde somit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 9 gelangen.
3.7 Diese Argumentation ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:
Auf der Maschine gemäß D4 wird im Laufe eines weichen Wälzschälens zuerst eine grobe Verzahnung in einen ursprünglich vollzylindrischen Rohling eingebracht ('roughing cut'), die unmittelbar danach weich feinbearbeitet wird ('finishing'). Wie von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) überzeugend vorgetragen wurde, ist dieser Verfahrensablauf unvereinbar mit der Durchführung eines Hartschälens und zwar, weil in diesem Fall der Ausgangsrohling bereits verzahnt ist. Im Fall einer Durchführung des in D4 vorgesehen 'roughing cut' würde das Schneidwerkzeug in die bereits hergestellte Zahnlücke eingreifen und kein Material abschneiden bzw. abtragen. Die Durchführung des 'roughing cut' gemäß D4 im Rahmen eines Hartschälens würde daher keinen Sinn machen. Darüber hinaus wäre es auch erforderlich, die Zustellbewegungen des Schneidwerkzeugs der Maschine von D4 an ein Hartschälen anzupassen, um das Schneidwerkzeug vor der endgültigen Hartfeinbearbeitung passend an der bereits vorhandenen Zahnoberfläche (und nicht entweder in einem Zwischenraum zwischen zwei Zähnen oder an der Stirnfläche eines Zahnes) zu positionieren. Aus diesen Gründen ist die Kammer überzeugt, dass der Fachmann eine Übertragung des gesamten Verfahrensablaufs der D4 in die CNC-Steuerung der aus der Druckschrift D1 bekannten Maschine nicht ohne weiteres in Betracht ziehen würde. Eine solche Vorgehensweise würde zahlreiche und komplexe Änderungen und Anpassungen voraussetzen. Auch eine Isolierung der bloßen Feinbearbeitung mit ziehendem Schlichtschritt ('finishing') aus der Lehre der D4 zur Einführung in die Programmierung der aus der Druckschrift D1 bekannten Maschine ist nicht naheliegend und zwar aus denselben Gründen, die im Hinblick auf Anspruch 1 dargelegt wurden.
Ausgehend von D4
3.8 Hinsichtlich dieser Angrifflinie verwies die Beschwerdeführerin (Einsprechende) während der mündlichen Verhandlung auf ihren schriftlichen Vortrag. Die Kammer sieht daher keinen Grund von ihrer vorläufigen Einschätzung abzuweichen, die hiermit bestätigt wird und wie folgt lautet:
3.9 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) ging von der Werkzeugmaschine des Dokuments D4 als nächstliegender Stand der Technik aus und zwar mit der Begründung, dass die zum Wälzschälen eingesetzte Kinematik bekanntlich identisch mit der Kinematik einer Hartschälmaschine sei. Die aus D4 bekannte Maschine sei daher als eine Hartschälmaschine im Sinne des Anspruchs 9 zu betrachten, zumindest wenn sie für die Bearbeitung eines bereits gehärteten Rohlings verwendet werde.
3.10 Hinsichtlich der beanspruchten baulichen sowie funktionellen Merkmale unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 9 von der aus dem Dokument D4 bekannten Werkzeugmaschine im Wesentlichen nur dadurch, dass:
'eine CNC-Steuereinrichtung zur Steuerung der Maschinenbewegungen vorhanden ist, wobei die Steuereinrichtung die Maschinenachsbewegungen derart steuert, dass ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8 ausgeführt wird.'
3.11 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) führte zutreffend aus, dass bei dem Betrieb der aus D4 bekannten Werkzeugmaschine die werkstückachsenparallelen Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung, wenn auch nicht CNC-gesteuert, so doch ebenfalls einander entgegengerichtet seien, was von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) nicht bestritten wurde. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) zog somit den Schluss, dass ein bloßes Upgrade der vorhandenen elektro-mechanischen Steuerung der bekannten Werkzeugmaschine auf eine aktuelle CNC-Steuerung unmittelbar zu einer Maschine gemäß Anspruch 9 führen würde. Da eine solche Aktualisierung nicht über die normale technologische Weiterentwicklung einer Werkzeugmaschine hinausgehe, sei das von der Einspruchsabteilung festgestellte Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht gerechtfertigt.
3.12 Diese Argumentation überzeugt nicht:
Es ist zunächst fraglich, ob der Fachmann von einem Dokument wie D4 ausgehen würde, das eine nicht CNC-gesteuerte Werkzeugmaschine aus dem Jahr 1966 offenbart, die außerdem nicht im Zusammenhang mit einem Hartschälverfahren, sondern mit einem Wälzschälverfahren beschrieben ist. Wie bereits unter Punkt 3.7 oben bezüglich der Argumentationslinie der Beschwerdeführerin (Einsprechende) basierend auf D1 als nächstliegender Stand der Technik ausgeführt wurde, unterscheiden sich die erforderlichen Steuerungsanweisungen zur Durchführung eines Hartschälverfahrens, aufgrund der anzuwendenden, verfahrensspezifischen Bearbeitungsparameter, der einzusetzenden Schneidwerkzeuge und der erforderlichen Zustellbewegungen deutlich von denjenigen, die zur Durchführung eines weichen Wälzschälverfahrens anzuwenden sind. Auch im Fall des Vorrichtungsanspruchs stellt D1 daher den einzigen nachvollziehbaren nächstliegenden Stand der Technik gegenüber dem Gegenstand des Anspruchs 9 dar.
3.13 Auch wenn man unterstellen würde, dass die aus dem Dokument D4 bekannte Werkzeugmaschine aufgrund der identischen Kinematik als eine gattungsbildende Hartschälmaschine zu betrachten sei, bleibt die Argumentation der Beschwerdegegnerin (Einsprechende) aus folgenden Gründen nicht überzeugend:
Es ist unbestritten, dass die bloße Ersetzung einer mechanischen Steuerung durch eine heutzutage fachübliche CNC-Steuerung nicht über die normale technologische Weiterentwicklung einer Werkzeugmaschine hinausgeht. Bei der von der Beschwerdeführerin (Einsprechende) angeregten Modifizierung geht es aber wohl nicht um das bloße Upgrade auf irgendeine CNC-Steuerung, sondern vielmehr um die Einführung einer CNC-Steuerung, die zur Durchführung eines Hartschälverfahrens, nämlich des Hartschälverfahrens des Anspruchs 1, geeignet sein muss. Die Kammer teilt hierzu die Feststellung der Einspruchsabteilung und die Ausführungen der Beschwerdegegnerin (Pateninhaberin), dass ein bloßes Upgrade der Steuerung der bekannten Werkzeugmaschine lediglich dazu führen würde, dass sie für die CNC-gesteuerte Durchführung des im D4 offenbarten Wälzschälverfahrens geeignet ist, aber noch nicht für ein Hartschälverfahren im Sinne des Anspruchs 1. Darüber hinaus, da D4 die Verwendung von werkstückachsparallelen und einander entgegengerichteten Komponenten von Vorschubbewegung und Schneidbewegung ausschließlich nur im Rahmen des dort beschriebenen Wälzschälverfahrens vorschlägt, wäre für den Fachmann nicht naheliegend, entsprechende Steuerungsanweisungen in der CNC-Steuerung einer Maschine einzuführen, die ein Hartschälen durchführen soll, und zwar aus denselben Gründen, die hinsichtlich des Anspruchs 1 angegeben wurden. Die Kammer schließt sich somit der Argumentation der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) an, wonach die von der Beschwerdeführerin behauptete naheliegende Modifizierung der aus D4 bekannten Werkzeugmaschine im Sinne des Anspruchs 9 nur das Ergebnis einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung des Dokuments D4 in Kenntnis des Streitpatents darstellt, die als solche das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht in Frage stellen kann.
4. Aus den oben angegebenen Gründen bestätigt die Kammer die Einschätzung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 gemäß Hauptantrag, die identisch mit den unabhängigen Ansprüchen 1 und 9 in der aufrechterhaltenen Fassung sind, die Erfordernisse der Artikel 52(1) und 56 EPÜ hinsichtlich des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit erfüllen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anweisung, das Patent in geändertem Umfang auf Basis der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 9 gemäß Hauptantrag wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht,
- Beschreibung wie der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegend,
- Figuren wie erteilt.