T 1596/19 03-02-2022
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Vorrichtung zur Erfassung und Verarbeitung von Sensormesswerten und/oder zur Steuerung von Aktuatoren
Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen. Die Einspruchsabteilung hatte die Zurückweisung insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung:
E1: DE 10 2005 059 941 A1
E3: DE 100 36 086 A1
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte mit der Beschwerdebegründung die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent im vollen Umfang zu widerrufen. Hilfsweise beantragte sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, d.h. die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie das Patent mit Ansprüchen gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 10. Dezember 2019, aufrechtzuerhalten.
V. In einem Bescheid gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, dass alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) aus Dokument E1 bekannt seien und dass keine der Entgegenhaltungen den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 offenbare oder nahelege.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 3. Februar 2022 statt.
Die Patentinhaberin reichte neue Ansprüche 1 bis 10 sowie neue Beschreibungsseiten 2 bis 4 gemäß neuem Hilfsantrag 1 ein, der an die Stelle des alten Hilfsantrags 1 trete.
Die Beteiligten stellten ihre abschließenden Anträge wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit folgender Fassung: Ansprüche Nr. 1 bis 10 und Beschreibung Seiten 2 bis 4 gemäß Hilfsantrag 1, beides eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2022, und Zeichnungen Blatt 7 der Patentschrift. Weiter hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 2 oder 3, beide eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 10. Dezember 2019.
Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Vorrichtung (2) zur Erfassung und Verarbeitung von Sensormesswerten und/oder zur Steuerung von Aktuatoren (8), mit einem Basisgehäuse (4), mit an dem Basisgehäuse (4) befestigten Sensoren (6) und/oder Aktuatoren (8), mit einem Deckel (10), welcher mit dem Basisgehäuse (4) die Sensoren (6) und/oder Aktuatoren (8) abdeckend verbindbar ist, und mit einer eine Steuerelektronik (21) aufweisende Leiterplatte (12),
dadurch gekennzeichnet,
dass die Leiterplatte (12) über Press-Fit-Verbindungsmittel (26) mit der Innenseite des Deckels (10) fest verbunden ist,
dass die Leiterplatte (12) an ihrer deckelfernen Seite elektrisch wirksame erste Kontaktflächen (30) aufweist,
dass die Sensoren (6) und/oder Aktuatoren (8) an ihrer zum Deckel (10) weisenden Seite elektrisch wirksame zweite Kontaktflächen (34) aufweisen,
und dass die zweiten Kontaktflächen (34) der Sensoren (6) und/oder Aktuatoren (8) über elektrisch leitende Kontaktfedern (28) mit den ersten Kontaktflächen (30) in Verbindung stehen."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 hat am Ende das folgende zusätzliche Merkmal:
", und
dass zumindest einige der Press-Fit-Verbindungsmittel (26) genau gegenüber den ersten Kontaktflächen (30) der Leiterplatte (12) an derselben angeordnet sind."
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag (das erteilte Patent) - Anspruch 1 - Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ - Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ)
2.1 Die Einspruchsabteilung war der Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sowohl gegenüber E1 als auch gegenüber E3 neu sei.
2.2 Die Beschwerdeführerin war der Meinung, dass Dokument E1 alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbare (vgl. Beschwerdebegründung, Abschnitt 4.1).
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer betonte die Beschwerdeführerin, dass Dokument E1 alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbare, insbesondere auch, dass die Leiterplatte über Press-Fit-Verbindungsmittel zwischen den Pins 15 und der Leiterplatte 6 mit der Innenseite des Deckels fest verbunden sei. Es sei aus Dokument E1 ersichtlich, dass die Pins nicht nur der elektrischen Leitung dienten, sondern auch der mechanischen Befestigung der Leiterplatte. Dies werde auch im Bereich der Zusatzplatine 22 deutlich, die alleine durch die dort vorhandenen elektrisch leitfähigen Pins gehalten werde. Daher werde in der Vorrichtung gemäß E1 die Leiterplatte zusammen mit weiteren Abstützmitteln durch die Press-Fit-Verbindungsmittel fest gehalten. Der Begriff fest sei relativ und eine absolute Festigkeit gebe es nicht. Der Anspruch sei insoweit klar und bedürfe keiner Auslegung.
2.3 Die Beschwerdegegnerin sah den Gegenstand des Anspruchs 1 weder durch E1 noch durch E3 neuheitsschädlich vorweggenommen (vgl. Beschwerdeerwiderung vom 10. Dezember 2019, Abschnitt 5).
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Ansprüche heranzuziehen seien. Es sei aus dem Anspruch nicht eindeutig zu entnehmen, was eine Press-Fit-Verbindung sei, und was unter dem Begriff "fest verbunden" zu verstehen sei. Aus der Beschreibung des Patents, insbesondere Absätze 0008, 0011, 0012, 0015, 0024 und 0025, werde deutlich, dass die Press-Fit-Verbindungen alleine den Zweck verfolgten, die Leiterplatte fest am Deckel zu fixieren, damit sie zusammen mit dem Deckel ein Bauteil bilde. Sowohl in Dokument E1 als auch in Dokument E3 dienten die Press-Fit-Verbindungen lediglich der elektrischen Kontaktierung, jedoch nicht der mechanischen Befestigung. Dies werde in Dokument E1 durch das Federelement in den Pins im Bereich der Leiterplatte deutlich, das an der Öse in den Pins erkennbar sei. Derartige Verbindungen ließen sich leicht verschieben, um Belastungen und Verbiegungen der elektrisch leitenden Pins bei Durchbiegung der Leiterplatte zu vermeiden, und könnten keine feste mechanische Verbindung darstellen. Auch die Stufe der Pins im Bereich des Steckers deute darauf hin, dass die Pins nicht mit der Leiterplatte fest verbunden seien. Die Verbindung der Zusatzplatine 22 mit der Leiterplatte 6 stelle eine andere Situation dar. Diese Leiterplatten bildeten eine Einheit und die Platine 22 sei zudem nach oben abgestützt. Das Dokument E1 liefere keinen Beleg dafür, dass die Pins die Leiterplatte festhielten.
2.4 Die Kammer ist der Meinung, dass das Dokument E1 die folgenden Merkmale offenbart:
Vorrichtung zur Erfassung und Verarbeitung von
Sensormesswerten und zur Steuerung von Aktuatoren (vgl. Titel, Zusammenfassung), mit einem Basisgehäuse 2 (die Form des Basisgehäuses wird in Anspruch 1 nicht definiert), mit an dem Basisgehäuse befestigten Sensoren (vgl. Absatz 0031) und Aktuatoren 4, mit einem Deckel (vgl. Absatz 0027, Figuren 1 und 2; die Form des Deckels ist im Anspruch nicht festgelegt), welcher mit dem Basisgehäuse 2 die Aktuatoren 4 abdeckend verbindbar ist (vgl. Figuren 1 und 2), und mit einer eine Steuerelektronik aufweisenden Leiterplatte 6, wobei die Leiterplatte über Press-Fit-Verbindungsmittel mit der Innenseite des Deckels fest verbunden ist (vgl. Absatz 0038, Figur 5a; die Leiterplatte ist über Pins 15 und Einpresskontakte in der Leiterplatte mit dem Anschlussstecker 9 auf der Deckeloberseite fest verbunden, der wiederum über Befestigungsmittel, die in Figur 5a auf der Innenseite des Deckels angedeutet und in Figur 7 als Befestigungsnasen 27' bezeichnet sind, mit der Innenseite des Deckels fest verbunden ist; somit ist die Leiterplatte über Press-Fit-Verbindungsmittel und weitere Verbindungsmittel mit der Innenseite des Deckels fest verbunden), wobei die Leiterplatte 6 an ihrer deckelfernen Seite elektrisch wirksame erste Kontaktflächen aufweist (vgl. Absatz 0031, SMD-Kontakte), wobei die Sensoren und/oder Aktuatoren an ihrer zum Deckel weisenden Seite elektrisch wirksame zweite Kontaktflächen aufweisen (vgl. Absatz 0031, Spulenkontakte),
und wobei die zweiten Kontaktflächen der Sensoren und/oder Aktuatoren über elektrisch leitende Kontaktfedern mit den ersten Kontaktflächen in Verbindung stehen (vgl. Absatz 0031, Blattfederelemente, Spiralfederkontakte).
Die Kammer kann sich der Meinung der Beschwerdegegnerin nicht anschließen, dass Basis und Deckel im Hinblick auf die Figur 1 eine ganz bestimmte Form hätten (vgl. Beschwerdeerwiderung, Abschnitte 3.1 und 3.2). Anspruch 1 definiert lediglich, dass an dem Basisgehäuse Sensoren und/oder Aktuatoren befestigt sind. Weitere Einschränkungen oder Merkmale sind für das Basisgehäuse nicht definiert. Für den Deckel ist lediglich definiert, dass er mit dem Basisgehäuse verbindbar sein soll. Weitere Merkmale sind nicht definiert. Es ist auch nicht immer so, dass ein Basisgehäuse Seitenwände aufweisen und ein Deckel flach sein muss. Die Beschwerdegegnerin hat das Beispiel eines Kochtopfs mit Deckel angeführt. Jedoch könnte man genauso gut eine Käseplatte mit käseglockenartigem Deckel anführen, bei der der Deckel nicht flach ist, wie dies die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 31. Juli 2020, Seite 3 getan hat.
Anspruch 1 schließt nicht aus, dass neben den Press-Fit-Verbindungsmittel noch weitere Verbindungsmittel vorhanden sind, die die Leiterplatte fixieren. Anspruch 1 definiert auch nicht, dass durch die Press-Fit-Verbindungsmittel besondere Kräfte übertragen werden oder die Leiterplatte in besonderer Weise fixiert wird. Anspruch 1 definiert lediglich, dass die Leiterplatte (12) über Press-Fit-Verbindungsmittel (26) mit der Innenseite des Deckels (10) fest verbunden ist und die zweiten Kontaktflächen (34) der Sensoren (6) und/oder Aktuatoren (8) über elektrisch leitende Kontaktfedern (28) mit den ersten Kontaktflächen (30) in Verbindung stehen. Die Kammer ist der Meinung, dass eine Press-Passung generell eine feste Verbindung durch Kraftschluss darstellt, im Gegensatz zu z.B. einer Spielpassung, bei der die Verbindungsteile beweglich in Verbindung stehen. Somit ist auch in Dokument E1 die Leiterplatte über die Press-Fit-Verbindungsmittel in Form geeigneter Bohrungen und Pins 15 und weiter über den Stecker 9 mit seinen Befestigungsnasen 27' fest mit der Innenseite des Deckels verbunden. Die Kammer kann nicht erkennen, warum die Stufe in den Pins im Bereich des Steckers als Indiz dafür dienen könnte, dass die Leiterplatte über die Press-Fit Verbindung mit den Pins nicht mit dem Deckel fest verbunden ist. Anspruch 1 ist sehr breit gefasst und sagt nichts darüber aus, inwieweit die Leiterplatte durch die Press-Fit-Verbindungsmittel relativ zum Deckel in einer bestimmten Lage gehalten und inwiefern sie durch weitere Elemente, wie z.B. die Stützvorsprünge in Kombination mit den Kontaktfedern, fixiert ist. Sind die Patentansprüche, wie im vorliegenden Fall, so deutlich und eindeutig abgefasst, dass der Fachmann sie problemlos verstehen kann, so besteht keine Veranlassung, die Beschreibung zur Interpretation der Patentansprüche heranzuziehen. Bei einer Diskrepanz zwischen den Patentansprüchen und der Beschreibung ist der eindeutige Anspruchswortlaut so auszulegen, wie ihn der Fachmann ohne Zuhilfenahme der Beschreibung verstehen würde. Somit sind bei einer Diskrepanz zwischen deutlich definierten Patentansprüchen und der Beschreibung solche Teile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag haben, grundsätzlich in der Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Neunte Auflage, Juli 2019, II.A.6.3.1). Im Verfahren vor dem EPA, in dem die Patentinhaberin die Möglichkeit hat, ihre Ansprüche so zu beschränken, dass sie mit den in der Beschreibung genannten engeren Grenzen übereinstimmen, sollte der Umfang eines Anspruchs nicht dadurch beschränkt werden, dass Merkmale impliziert werden, die nur in der Beschreibung vorkommen, da Ansprüche damit ihrer gewollten Funktion beraubt würden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Neunte Auflage, Juli 2019, II.A.6.3.4). Somit sind die Ansprüche nicht enger auszulegen, als dies durch den Wortlaut der Ansprüche, wie der Fachmann ihn versteht, definiert ist. Eine bestimmtes Maß, wie die Leiterplatte mit der Innenseite des Deckels fest verbunden ist, gibt der Anspruch ganz klar nicht an und es ist nicht gerechtfertigt, ein derartiges Maß in den Anspruch hineinzulesen.
2.5 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu ist.
3. Hilfsantrag 1 - Anspruch 1 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 54 (1) und 56 EPÜ)
3.1 Der neue Hilfsantrag 1 wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer in Reaktion auf deren erstmals während der mündlichen Verhandlung geäußerten Klarheitsbedenken eingereicht. Hierbei wurde in Anspruch 1 im Vergleich zum ursprünglichen Hilfsantrag 1 lediglich das hinzugefügte Merkmal an eine andere Position, nämlich an das Ende des Anspruchs, verschoben; diese Änderung räumt die Klarheitsbedenken der Kammer offensichtlich aus und gibt keinen Anlass zu neuen Einwänden. Die Kammer lässt den neuen Hilfsantrag daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 in das Verfahren zu.
3.2 Anspruch 1 hat das zusätzliche Merkmal, dass zumindest einige der Press-Fit-Verbindungsmittel (26) genau gegenüber den ersten Kontaktflächen (30) der Leiterplatte (12) an derselben angeordnet sind.
3.3 Zum (ursprünglichen) Hilfsantrag 1 hat die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 31. Juli 2020 (Seite 8, Ziffer 4, erster Absatz) lediglich ausgeführt, dass auch in Dokument E1 die Press-Fit-Pins gegenüber den Aktuatoren angeordnet seien und es ausgehend von Dokument E1 naheliegend sei, die Kontaktfläche des Aktuators mit der Leiterplatte so auszugestalten, dass sich diese bis in den Bereich des Press-Fit-Kontakts erstrecke. Daher sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 2, der das nun in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 enthaltene zusätzliche Merkmal aufweist, naheliegend.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ergänzte die Beschwerdeführerin, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 gegenüber dem Ausführungsbeispiel der Figur 5b) des Dokuments E3 nicht neu sei. Die Figur 5b) zeige eine mögliche Ausgestaltung des Steckers mit seinen Steckkontaktstiften. Die Steckkontaktstifte könnten entweder von unten in die Leiterplatte eingepresst werden werden, wie dies in Figur 1 gezeigt sei (vgl. Spalte 4, Zeilen 17 bis 21), oder von oben, wie dies in Figur 5 gezeigt sei (vgl. Spalte 4, Zeilen 28 und 29). Die Variante der Figur 5b) zeige, dass die Steckkontaktstifte über einen weiten Bereich durch den Deckel in die Leiterplatte gesteckt würden, so dass die Press-Fit-Verbindungen zwischen Leiterplatte und Steckkontaktstiften zwangsläufig auch gegenüber den ersten Kontaktflächen angeordnet seien.
Zur erfinderischen Tätigkeit ergänzte die Beschwerdeführerin, dass ausgehend von Dokument E1 der Fachmann bestrebt sei die Länge der Wege auf der Leiterplatte zu reduzieren und die Leiterplatte mechanisch zu unterstützen. Deshalb sei es naheliegend, die Press-Fit-Verbindungsmittel mit den Pins genau gegenüber den Kontaktflächen anzuordnen. Auch wenn der Fachmann eine Durchbiegung der Leiterplatte vermeiden wolle, hätte er nur zwei Möglichkeiten. Er könnte die Auflagepunkte 21 gegenüber den Kontaktflächen anordnen oder die Press-Fit-Verbindungsmittel, mit denen die Leiterplatte fest verbunden sei, dort anordnen. Ausgehend von Dokument E1 sei es für einen Fachmann deshalb naheliegend die Kontaktpins gegenüber den Kontaktflächen in die Leiterplatte einzuführen und mit der Leiterplatte fest zu verbinden.
3.4 Bezüglich des zusätzlichen Merkmals des Anspruchs 1 führte die Beschwerdegegnerin aus, dass keine der Entgegenhaltungen es zeige oder nahelege, dass zumindest einige der Press-Fit-Verbindungselemente genau gegenüber den ersten Kontaktflächen der Leiterplatte angeordnet seien. Hierdurch würden die von den Kontaktfedern auf die Leiterplatte ausgeübten Druckkräfte durch diese hindurch in die Press-Fit-Verbindungsmittel und von dort in den Deckel geleitet, so dass die Leiterplatte keine Durchbiegung erfahre und daher ideal plan bleibe (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 15, zweiter Absatz).
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer war die Beschwerdegegnerin der Ansicht, dass in Dokument E3 nicht gezeigt sei, dass Press-Fit-Verbindungsmittel, mit denen die Leiterplatte fest verbunden werden könne, genau gegenüber den Kontaktflächen angeordnet seien. Die Verbindungen dienten lediglich der elektrischen Übertragung und könnten keine Kraft übertragen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 werde auch nicht ausgehend von Dokument E1 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nahegelegt. Ausgehend von Dokument E1 löse der Gegenstand des Anspruchs 1 die Aufgabe, die Leiterplatte zusätzlich abzustützen, um Durchbiegungen zu vermeiden. Das Problem der Durchbiegung werde in Dokument E1 gar nicht angesprochen und so erhalte der Fachmann keine Anregung die Leiterplatte zusätzlich abzustützen. Zudem sei es in der Anordnung gemäß E1 konstruktiv nicht möglich die Press-Fit-Kontakte genau gegenüber den Kontaktflächen anzuordnen. Die Kontaktfedern würden die Pins aus den Löchern drücken. Eine Minimierung der Leitungswege sei auch ausgehend von E1 keine sinnvolle Aufgabe. Die Leiterplatte in E1 erfülle verschiedene Funktionen und es sei nicht sinnvoll die Ventilspulen und Aktuatoren direkt mit den Kontaktpins zu verbinden. Die Signale von den Kontaktpins müssten auf der Leiterplatte verarbeitet und an alle Aktuatoren und Ventilblöcke weitergeleitet werden. Dafür sei ein Anschluss an geeigneter Stelle der Leiterplatte ausreichend. Ausgehend von Dokument E1 könne der Fachmann somit nicht zum beanspruchten Gegenstand kommen.
3.5 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, dass durch das Ausführungsbeispiel der Figur 5b) in Dokument E3 der Gegenstand des Anspruchs 1 offenbart werde. Die Figur 5b) zeigt zwar, dass die Steckkontaktstifte über einen weiten Bereich des Deckels in die Leiterplatte geführt werden. Es ist aber nirgends offenbart, dass zumindest einige der Press-Fit-Verbindungen damit auch genau gegenüber den Kontaktzonen 22 (vgl. Figur 3) angeordnet sind.
Ausgehend von E1 kommt der Fachmann auch nicht unter Zuhilfenahme des allgemeinen Fachwissens zum beanspruchten Gegenstand. Mit der Aufgabe, die Leiterplatte zusätzlich abzustützen, würde der Fachmann die Pins des Steckers 9 nicht genau gegenüber den Kontaktflächen der Leiterplatte anordnen. Die Pins werden in Löcher der Leiterplatte eingepresst und durchdringen diese (vgl. Figuren 1, 2, 5 und 6). Der Fachmann würde daher die Pins und somit die Press-Fit-Verbindungsmittel nicht genau gegenüber den Kontaktflächen anordnen, weil die Pins durch die Kontaktfedern wieder aus der Leiterplatte gedrückt würden oder die Kontaktfedern mit den Kontaktflächen der Leiterplatte gar nicht in Berührung kämen, weil sie nur die Spitzen der Pins berühren würden. Eine sichere Signalübertragung von der Leiterplatte auf die Aktuatoren und Ventilblöcke wäre somit nicht gewährleistet.
3.6 Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument E3 neu ist und dass er ausgehend von Dokument E1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
4. Zulassung neuen Vorbringens (Artikel 13 (2) VOBK 2020)
4.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmals, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ausgehend von Dokument E3 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der Beschwerdeführerin sei es erst vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer aufgefallen, dass diese Kombination den beanspruchten Gegenstand nahelege.
4.2 Die Beschwerdegegnerin hielt dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin für verspätet und beantragte, dass es nicht zugelassen werden solle. Bereits in ihrem Schreiben vom 16. März 2021, Seite 15, Punkt 4. habe die Beschwerdegegnerin darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin den Hilfsantrag 1 nicht angreife. Spätestens daraufhin hätte die Beschwerdeführerin den in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebrachten Angriff vorbringen müssen. Dieses Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sei zu spät und müsse abgelehnt werden.
4.3 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Die Beschwerdeführerin hat jedoch keine stichhaltige Gründe dafür vorgebracht, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit eines derartigen Angriffs nicht früher erkannt hat, kann nicht als derartige außergewöhnliche Umstände angesehen werden.
4.4 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass das erstmalige Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von Dokument E3 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht zu berücksichtigen ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
Nr. 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2022
Beschreibung:
Seiten 2 bis 4 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2022
Zeichnungen:
Blatt 7 der Patentschrift