T 1704/19 07-02-2023
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MEDIZINISCHE VORRICHTUNG MIT EINEM EXPANDIERBAREN GITTERGEFLECHT
Hauptantrag - Neuheit (nein)
Hilfsantrag 3 - Neuheit (ja)
Hilfsantrag 3 - erfinderische Tätigkeit (ja)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 6 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, hat die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass
1) der Gegenstand des Streitpatents wie erteilt nicht neu ist, und
2) der Gegenstand des Streitpatents gemäß dem damaligen Hilfsantrag 4 (entspricht dem Hilfsantrag 3 im Beschwerdeverfahren) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), oder die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 3, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 7. August 2019.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern hinzugefügt):
[1] Medizinische Vorrichtung
[1.1] mit einem expandierbaren Gittergeflecht (10) aus sich überkreuzenden Drähten (12, 12),
[1.1.1] die an wenigstens einem Längsende (15) des Gittergeflechts (10) Schlaufen (13, 14) bilden,
[1.1.2] wobei wenigstens eine Schlaufe (13, 14) als Verstärkungsschlaufe (13) ausgebildet ist, die durch einen Draht (11) gebildet ist, der im Bereich der Verstärkungsschlaufe (13) einen größeren Querschnittsdurchmesser als die Drähte (12) aufweist, die die anderen Schlaufen (14) bilden,
[1.1.3] wobei mehrere Verstärkungsschlaufen (13) vorgesehen sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
[1.1.4] die Verstärkungsschlaufen (13) musterartig über das Längsende (15) verteilt angeordnet sind,
[1.1.5] wobei höchstens 50% der Schlaufen (13, 14) als Verstärkungsschlaufen (13) ausgebildet sind.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass die Prozentangabe in Merkmal [1.1.5] auf "34%" geändert wurde. Das Merkmal [1.1.5-Aux3] lautet demgemäß:
[1.1.5-Aux3] wobei höchstens 34% der Schlaufen (13, 14) als Verstärkungsschlaufen (13) ausgebildet sind.
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:
D1: US 2005/137692 A1
D2: WO 2010/034453 A1
D5: US 2004/153117 A1
D9: WO 2012/082440 A1
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammen-fassen:
Hauptantrag - Neuheit
Die D2 offenbare nicht unmittelbar und eindeutig die Merkmale [1.1.1], [1.1.2], [1.1.4] und [1.1.5], und insbesondere nicht deren Kombination wie beansprucht. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei daher neu.
Hilfsantrag 3 - Neuheit
Keine der Entgegenhaltungen D1, D2, D5 und D9 offenbare sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3, sodass dessen Gegenstand neu sei.
Hilfsantrag 3 - erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von dem Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B der D5.
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Neuheit
Die Entgegenhaltung D2 offenbare sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags, sodass dessen Gegenstand nicht neu sei.
Hilfsantrag 3 - Neuheit
Jede der Entgegenhaltungen D1, D2, D5 und D9 offenbare sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3, sodass dessen Gegenstand nicht neu sei.
Hilfsantrag 3 - erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von dem Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B der D5.
1. Hauptantrag - Neuheit
1.1 Die Entgegenhaltung D2 offenbart im allgemeinen Teil der Beschreibung und in den Ansprüchen einen Stent mit einem Gittergeflecht, das aus ersten Drahtelementen 11 und zweiten Drahtelementen 12 gebildet ist. Die ersten Drahtelemente 11 weisen dabei einen kleineren Flechtwinkel auf als die zweiten Drahtelemente (D2, Seite 3, Zeile 28 bis Seite 4, Zeile 5; Ansprüche 1 und 2). Dies hat zur Folge, dass bei einer Komprimierung der medizinischen Vorrichtung, beispielsweise vor deren Einführung in einen Patienten, die ersten Drahtelemente 11 in ihrer axialen Richtung gestreckt werden, während die zweiten Drahtelemente 12 gestaucht werden (D2, Seite 5, Zeilen 6 bis 12). Daher ist in der D2 vorgesehen, dass die ersten Drahtelemente 11 dehnbarer als die zweiten Drahtelemente 12 sein sollen (D2, Seite 7, Zeilen 1 bis 4; Anspruch 3). Das kann dadurch erreicht werden, dass die ersten Drahtelemente 11 einen kleineren Querschnittsdurchmesser aufweisen als die zweiten Drahtelemente 12 (D2, Seite 9, Zeilen 21 bis 24; Seite 12, Zeilen 15 bis 17; Anspruch 9).
1.2 Die D2 offenbart also (unstreitig) eine
[1] medizinische Vorrichtung
[1.1] mit einem expandierbaren Gittergeflecht aus sich überkreuzenden Drähten (D2, Seite 3, Zeilen 21 bis 23; Seite 4, Zeile 18 bis Seite 6, Zeile 8; Seite 10, Zeile 27 bis Seite 11, Zeile 8; Anspruch 19).
1.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte in Bezug auf das Merkmal [1.1.1], dass die D2 keine Schlaufen an einem Längsende des Gittergeflechts offenbare.
Die D2 offenbart jedoch, ebenfalls im allgemeinen Teil der Beschreibung, dass die Drahtelemente an einem axialen Ende der Gitterstruktur miteinander verbunden sein können, sodass die Gitterstruktur im Wesentlichen aus einem zusammenhängenden Draht gebildet ist, der an den axialen Enden jeweils umgelenkt und in die Gegenrichtung geführt ist (D2, Seite 16, Zeilen 8 bis 11). Hieraus resultieren zwangsläufig Schlaufen an wenigstens einem Längsende des Gittergeflechts, wie in Merkmal [1.1.1] gefordert.
1.4 Die Beschwerdeführerin argumentierte weiter, die D2 offenbare zumindest keine Verstärkungsschlaufe im Sinne des Merkmals [1.1.2]. Die in Figur 4a gezeigte Schlaufe am Längsende der medizinischen Vorrichtung bestehe nur zur Hälfte aus einem Draht 12 mit größerem Querschnittsdurchmesser. Die andere Hälfte der Schlaufe bestehe aus einem Draht 11 mit kleinerem Querschnittsdurchmesser. Die in Figur 4a gezeigte Schlaufe sei daher nicht durch einen Draht gebildet, der im (gesamten) Bereich der Verstärkungsschlaufe einen größeren Querschnittsdurchmesser als die Drähte aufweist, die die anderen Schlaufen bilden, wie im Merkmal gefordert.
Im Zusammenhang mit den Ausführungsbeispielen der Figuren 4a und 4b offenbart die D2 auf Seite 26, Zeilen 11 bis 18 jedoch weiter (Hervorhebung hinzugefügt):
"Generell können an den axialen Enden der Gitterstruktur 10 zwei oder mehrere Drahtelemente
11, 12 miteinander verbunden sein. [...]
Es ist auch möglich, dass zwei oder mehrere erste Drahtelemente 11 oder zwei oder mehrere zweite Drahtelemente 12 jeweils miteinander verbunden sind, so dass jeweils nur diejenigen Drahtelemente 11, 12 miteinander verbunden sind, die denselben Flechtwinkel aufweisen. Die Verbindung zwischen den Drahtelementen 11, 12 kann im Allgemeinen kraftschlüssig, formschlüssig oder stoffschlüssig erfolgen."
Daraus resultieren sowohl Schlaufen aus Drahtelementen 11 mit kleinerem Querschnittsdurchmesser als auch Schlaufen aus Drahtelementen 12 mit größerem Querschnittsdurchmesser. Letztere erfüllen die von Merkmal [1.1.2] geforderten Kriterien einer "Verstärkungsschlaufe".
Die zitierte Textstelle ist dabei offensichtlich nicht auf die konkret in den Figuren 4a und 4b gezeigten Ausführungsbeispiele beschränkt, die jeweils nur ein erstes Drahtelement 11 und ein zweites Drahtelement 12 umfassen. Sie ist stattdessen als allgemeine Offenbarung zu verstehen, wie die Längsenden der medizinischen Vorrichtung der D2 ausgestaltet sein können, was sich auch aus dem einleitenden Adverb "Generell" ergibt.
1.5 Hinsichtlich des Merkmals [1.1.3] offenbart die D2 unter anderem, dass die Anzahl der zweiten Drahtelemente in der medizinischen Vorrichtung 8, 12, 24, 32, 36, 40, 44, 80, 84, 88 oder 94 sein kann (D2, Seite 23, Zeilen 3 bis 4). Zwar handelt es sich bei diesen Zahlenangaben um konkrete Ausführungsbeispiele. Allgemein lässt sich diesen Angaben aber entnehmen, dass in der medizinischen Vorrichtung der D2 die zweiten Drahtelemente 12 in einer Mehrzahl vorliegen. Legt man diese allgemeine Information den oben diskutierten Offenbarungsstellen zugrunde, resultieren daraus unbestritten "mehrere Verstärkungsschlaufen" wie in Merkmal [1.1.3] gefordert.
1.6 Die Beschwerdeführerin machte jedoch geltend, diese mehreren Verstärkungsschlaufen seien in D2 nicht musterartig verteilt angeordnet, wie in Merkmal [1.1.4] gefordert, denn der Ausdruck "musterartig" impliziere eine Wiederholung. Die Beschwerdeführerin verwies diesbezüglich auch auf die angefochtene Entscheidung, Punkt 1.1.2 und die darin verwendete Definition des Begriffs "Muster" im Duden (https://www.duden.de/rechtschreibung/Muster):
"3. aus der Kombination von einzelnen Motiven bestehende [regelmäßige], sich wiederholende, flächige Verzierung, Zeichnung auf Papier, Stoff o. Ä."
Wie bereits festgestellt, offenbart die D2 die medizinische Vorrichtung allgemein als ein Gittergeflecht aus sich überkreuzenden ersten und zweiten Drahtelementen 11 und 12 (siehe oben Punkt 1.1). Die Drahtelemente 11 und 12 liegen in der medizinischen Vorrichtung also in einer sich (regelmäßig oder unregelmäßig) wiederholenden Abfolge vor. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass auch die Schlaufen, die am Längsende der medizinischen Vorrichtung wie oben erläutert gebildet sind, in einer solchen sich wiederholenden Abfolge angeordnet sind. Selbst wenn man also der Auslegung der Beschwerdeführerin für das Merkmal "musterartig" folgt und eine (regelmäßige oder unregelmäßige) Wiederholung fordert, offenbart die D2 das besagte Merkmal.
1.7 Hinsichtlich des Merkmals [1.1.5] offenbart die D2 wiederum im allgemeinen Teil der Beschreibung sowie in Anspruch 22, dass das Verhältnis der Anzahl der ersten Drahtelemente 11 und der Anzahl der zweiten Drahtelemente 12 "1:1" betragen kann (D2, Seite 12, Zeilen 27 bis 30).
Auch hierbei handelt es sich um eine allgemeine Offenbarung zur Ausgestaltung der medizinischen Vorrichtung der D2, die daher unmittelbar und eindeutig auf die oben diskutierten weiteren allgemeinen Angaben zu lesen ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass bevorzugte Ausführungsformen der D2 im Einzelfall ein anderes Verhältnis aufweisen, wie beispielsweise 1:2 bei dem in Figur 2a abgebildeten Ausführungsbeispiel.
Das zitierte Verhältnis von 1:1 entspricht einem Prozentsatz von 50% zweiten Drahtelementen 12. Bei der in D2 offenbarten medizinischen Vorrichtung sind also 50% der Schlaufen als Verstärkungsschlaufen ausgebildet, wie von Merkmal [1.1.5] gefordert.
1.8 Die Beschwerdeführerin argumentierte noch, der Neuheitseinwand basiere auf einer gezielten Auswahl aus verschiedenen Textstellen der D2, die nicht miteinander in Verbindung stünden.
Wie oben im Einzelnen dargelegt, offenbart die D2 aber die jeweiligen Merkmale als allgemeingültige Information, sodass diese auch in Kombination unmittelbar und eindeutig offenbart sind.
1.9 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist folglich nicht neu (Artikel 54 EPÜ). Damit steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegen.
2. Hilfsantrag 3 - Neuheit
2.1 Neuheit gegenüber D2
2.1.1 In Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ist in Merkmal
[1.1.5-Aux3] der Prozentsatz der Schlaufen, die als Verstärkungsschlaufen ausgebildet sind, auf höchsten 34% beschränkt.
2.1.2 Die in Bezug auf das Merkmal [1.1.5] des Hauptantrags zitierte Textstelle der D2 offenbart neben dem bereits genannten Verhältnis der Anzahl der ersten Drahtelemente 11 zur Anzahl der zweiten Drahtelemente 12 von 1:1 noch die Verhältnisse von 1:2, 1:4, 1:6, 1:8, 1:12 und 1:24 (D2, Seite 12, Zeilen 27 bis 32). Keines dieser Verhältnisse nimmt den nunmehr beanspruchten Prozentsatz von höchstens 34% vorweg, der in etwa einem Verhältnis von >=2:1 entspricht.
2.1.3 Die Beschwerdegegnerin verwies in diesem Zusammenhang auf folgenden Satz auf Seite 19, Zeilen 1 bis 3 der D2 (Hervorhebung hinzugefügt):
"Im Rahmen der Erfindung wird eine höhere Dehnbarkeit des ersten Drahtelements 11 mit dem kleineren Flechtwinkel alpha' bevorzugt, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass das zweite Drahtelement 12 elastischer ist als das erste Drahtelement 11."
Die Beschwerdegegnerin folgerte aus diesem Satz, dass die oben unter Punkt 2.1.2 genannten Verhältnisse der Anzahl der ersten Drahtelemente 11 zur Anzahl der zweiten Drahtelemente 12 auch umgekehrt zu lesen seien. Der besagte Satz stehe dabei nicht im Widerspruch zur übrigen Offenbarung der D2, da die dickeren Drahtelemente bei entsprechender Materialwahl elastischer ausgebildet sein könnten als die dünneren.
2.1.4 Wie bereits ausgeführt, liegt der Offenbarung der D2 im Kern zugrunde, dass die ersten Drahtelemente 11 einen kleineren Flechtwinkel aufweisen als die zweiten Drahtelemente 12, sodass bei einer Kompression der medizinischen Vorrichtung erstere in ihrer axialen Richtung gestreckt werden, während letztere gestaucht werden. Aus diesem Grund ist in D2 vorgesehen, dass die ersten Drahtelemente 11 dehnbarer als die zweiten Drahtelemente 12 sein sollen (siehe oben Punkt 1.1). Der nunmehr von der Beschwerdegegnerin zitierte Satz auf Seite 19, Zeilen 1 bis 3 der D2 behauptet das genaue Gegenteil und steht damit im Widerspruch zur allgemeinen Lehre der D2, ohne zu erläutern, wie dieser Widerspruch aufgelöst werden könnte. Besagter Satz ist daher nicht unmittelbar und eindeutig auf die übrige Offenbarung der D2 zu lesen, wonach unter anderem die ersten Drahtelemente 11, zur Erzielung der höheren Dehnbarkeit, einen kleineren Querschnittsdurchmesser aufweisen als die zweiten Drahtelemente 12 (D2, Seite 9, Zeilen 21 bis 24; Seite 12, Zeilen 15 bis 17; Anspruch 9).
2.1.5 Zwar mag sich der Widerspruch womöglich dadurch auflösen lassen, dass der Fachmann sein allgemeines Fachwissen hinzuzieht und beispielsweise die Materialien der Drahtelemente so wählt, dass im Ergebnis die dickeren Drahtelemente elastischer sind als die dünneren, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen. Dies geht jedoch über die unmittelbare und eindeutige Offenbarung der D2 hinaus. Im Übrigen ist nicht erkennbar, warum der Fachmann derartige Überlegungen überhaupt anstellen sollte, da doch gemäß der allgemeinen Lehre der D2 die ersten Drahtelemente 11 gerade deshalb einen kleineren Querschnittsdurchmesser als die zweiten Drahtelemente 12 aufweisen sollen, damit sie elastischer als die zweiten Drahtelemente 12 sind.
2.1.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist folglich neu gegenüber der Offenbarung der D2 (Artikel 54 EPÜ).
2.2 Neuheit gegenüber D1
2.2.1 Die Entgegenhaltung D1 betrifft eine Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen einer Herzklappe eines Patienten und offenbart in Figur 10c unstreitig eine
[1] medizinische Vorrichtung
[1.1] mit einem expandierbaren Gittergeflecht aus sich überkreuzenden Drähten.
2.2.2 Bezüglich des Merkmals [1.1.5-Aux3] verwies die Beschwerdegegnerin auf den oberen Bereich der Figur 10c, der ein Längsende der medizinischen Vorrichtung darstellt. Dort seien Schlaufen aus unterschiedlich dicken Drähten zu erkennen, und zwar drei Verstärkungsschlaufen aus dickem Draht und sechs oder sieben Schlaufen aus dünnerem Draht. Hieraus ergebe sich ein Anteil von weniger als 34% Verstärkungsschlaufen, wie im Merkmal beansprucht.
2.2.3 Die Figur 10c zeigt jedoch unstreitig nur einen Ausschnitt der Mantelfläche der medizinischen Vorrichtung. Diesem Ausschnitt ist weder zu entnehmen, wie viele Schlaufen sich insgesamt am oberen Längsende der medizinischen Vorrichtung befinden, noch wie viele dieser Schlaufen als Verstärkungsschlaufen ausgebildet sind. Im Übrigen macht es die unregelmäßige Verteilung der dicken und dünnen Drähte im dargestellten Bereich unmöglich, eine Aussage über das Verhältnis der jeweiligen Drähte in den nicht dargestellten Bereichen zu treffen. Die Figur 10c enthält daher keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung des Merkmals [1.1.5-Aux3], wonach höchstens 34% der Schlaufen als Verstärkungsschlaufen ausgebildet sein sollen.
2.2.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist folglich auch neu gegenüber der Offenbarung der D1 (Artikel 54 EPÜ).
2.3 Neuheit gegenüber D9
2.3.1 Die Entgegenhaltung D9 betrifft einen Stent und offenbart in den Absätzen [0075], [0077], [0080] und [0083] und den Figuren 12 und 13 unstreitig eine
[1] medizinische Vorrichtung (200)
[1.1] mit einem expandierbaren Gittergeflecht aus sich überkreuzenden Drähten.
2.3.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, die medizinische Vorrichtung der D9 weise neben den Verstärkungsschlaufen 104 auch normale Schlaufen auf. Letztere seien in Figur 13 am linken Längsende der Strömungsumleitungsschicht 202 zu erkennen.
2.3.3 Bei Figur 13 handelt es sich um eine Schemazeichnung, welche die Strömungsumleitungsschicht 202 in Übereinstimmung mit der Offenbarung in Absatz [0077]
schematisch als Gewebe oder Geflecht von sich überkreuzenden Drähten 204 darstellt. Der Schemazeichnung kann jedoch nicht konkret entnommen werden, wie die Längsenden des Gewebes oder Geflechts ausgebildet sind. Dies gilt insbesondere angesichts der gerasterten und damit unscharfen Abbildung der Drähte 204, welche die Strömungsumleitungsschicht 202 ausbilden. Darüber hinaus ist weder der Figur 13 noch der Beschreibung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, ob bei der gezeigten Ausführungsform die Drähte 204 in den Kreuzungspunkten miteinander verbunden sind. Die Offenbarung in Absatz [0077], wonach es sich um ein Gewebe oder Geflecht handelt, impliziert, wenn überhaupt, dass die Drähte 204 in den Kreuzungspunkten nur aneinanderliegen. Die Figur 13 lässt daher offen, ob die Längsenden der Strömungsumleitungsschicht 202 freiliegende Drahtenden oder stattdessen Schlaufen aufweisen.
2.3.4 Die Figur 13 enthält deshalb keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung von Schlaufen, die keine Verstärkungsschlaufen sind, sodass die D9 zumindest das Merkmal [1.1.5-Aux3] nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt, wonach höchstens 34% der Schlaufen als Verstärkungsschlaufen ausgebildet sind.
2.3.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist folglich auch neu gegenüber der Offenbarung der D9 (Artikel 54 EPÜ).
2.4 Neuheit gegenüber D5
2.4.1 Die Entgegenhaltung D5 betrifft einen Filter zum filtern von Embolien aus einem Blutstrom. Sie offenbart in den Absätzen [0001] und [0034] bis [0036] unstreitig eine
[1] medizinische Vorrichtung
[1.1] mit einem expandierbaren Gittergeflecht aus sich überkreuzenden Drähten.
2.4.2 Die Beschwerdegegnerin bezog sich bei ihrer Argumentation bezüglich fehlender Neuheit auf das Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B, das in den Absätzen [0089] bis [0097] beschrieben ist. Das Gittergeflecht dieses Ausführungsbeispiels ist aus drei verschiedenen Arten von Drähten gebildet, nämlich Nitinol, Edelstahl und Gold (D5, Absatz [0091]). Der Nitinol-Draht weist dabei einen größeren Querschnittsdurchmesser auf als die beiden anderen (D5, Absatz [0094]), sodass es sich hierbei um einen "Verstärkungsdraht" analog zu Merkmal [1.1.2] handelt. Da die verschiedenen Drähte alternierend und zu gleichen Teilen im Geflecht vorliegen (D5, Absatz [0091]), sind die Verstärkungsdrähte analog zu den Merkmalen [1.1.3] und [1.1.4] musterartig verteilt angeordnet, und das Geflecht besteht zu 33% aus Verstärkungsdrähten analog zu Merkmal [1.1.5-Aux3].
Die Drähte dieses Ausführungsbeispiels bilden aber unstreitig keine Schlaufen an wenigstens einem Längsende des Gittergeflechts im Sinne des Merkmals [1.1.1].
2.4.3 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, der Fachmann lese das Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B gemeinsam mit dem Ausführungsbeispiel der Figuren 15A bis 15F, das in den Absätzen [0098] bis [0104] beschrieben ist. Bei letzterem werde das Geflecht auf einem Flechtdorn mit sternförmig angeordneten Stiften derart hergestellt, dass um die Stifte herum Schlaufen gebildet werden (vgl. Figuren 15B und 15C). Da es sich bei diesem Flechtverfahren um ein konventionelles Verfahren zur Herstellung von Filtern handle, lese der Fachmann dieses Verfahren auch auf das zuvor diskutierte Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B.
2.4.4 Die beiden Ausführungsformen haben gemeinsam, dass der Filter jeweils eine Windsack-Form aufweist, d. h. er verjüngt sich zu seinem distalen Ende hin. Aufgrund dieser Windsack-Form wären die Poren eines aus einem gleichmäßigen Gittergeflecht hergestellten Filters im distalen Bereich kleiner als im proximalen Bereich (D5, Absatz [0090]). Da es aber laut der D5 erwünscht ist, dass die Porengröße über den gesamten Bereich des Filters möglichst gleich ist (D5, Absatz [0048]), offenbart die D5 verschiedene Ansätze, dies zu bewerkstelligen.
Einer dieser Ansätze ist es, im distalen Bereich des Filters einzelne Drähte nachträglich zu entfernen, um dort die Poren zu vergrößern. Dieser Ansatz wird anhand des Ausführungsbeispiels der Figuren 13A und 13B beschrieben (D5, Absätze [0089] bis [0097]: "Filters Made by Wire Removal").
Ein anderer Ansatz ist es, im proximalen Bereich des Filters zusätzliche Drähte einzuflechten, um dort die Poren zu verkleinern. Dieser Ansatz wird anhand des Ausführungsbeispiels der Figuren 15A bis 15F beschrieben (D5, Absätze [0098] bis [0104]: "Filters Made by Adding Wires During Braiding").
Die beiden Ansätze sind also grundlegend verschieden. Der Fachmann liest daher das Flechtverfahren auf dem speziellen Flechtdorn gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figuren 15A bis 15F nicht unmittelbar und eindeutig auf das Herstellungsverfahren des Filters gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B.
2.4.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist folglich neu gegenüber der Offenbarung der D5 (Artikel 54 EPÜ).
3. Hilfsantrag 3 - erfinderische Tätigkeit
3.1 Die Beschwerdegegnerin argumentierte weiter, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 beruhe jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von dem Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B der D5. Dieses unterscheide sich vom Anspruchsgegenstand nur dadurch, dass die Drähte des Gittergeflechts keine Schlaufen an wenigstens einem Längsende des Gittergeflechts bilden.
Die objektive technische Aufgabe bestehe folglich darin, freie Drahtenden und die damit einhergehende Verletzungsgefahr für den Patienten zu vermeiden. Die Aufgabe werde in der D5 in Absatz [0103] adressiert und dadurch gelöst, dass ein Flechtdorn mit sternförmig angeordneten Stiften gemäß den Figuren 15A bis 15F zum Einsatz komme, wobei zu Beginn des Flechtens die Drähte jeweils in Form einer Schlaufe über die Stifte gelegt werden. Der Fachmann habe daher Veranlassung gehabt, das Flechtverfahren des Ausführungsbeispiels der Figuren 15A bis 15F auf die Ausführungsform gemäß den Figuren 13A und 13B anzuwenden und wäre daher in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangt.
3.2 In der Tat können bei dem Herstellungsverfahren gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figuren 13A und 13B lose Drahtenden entlang des Filters entstehen. Das Verfahren beruht darauf, dass sich die verschiedenen Materialien Nitinol, Edelstahl und Gold getrennt voneinander mit verschiedenen Chemikalien auflösen und somit nachträglich aus dem Geflecht entfernen lassen. Demgemäß wird der Filter zuerst - vom distalen Ende des Filters her - zu zwei Dritteln in eine Iod-Iodid-Lösung getaucht, um die Gold-Drähte aufzulösen. Anschließend wird das distale Drittel des Filters in eine Chlorid-Lösung getaucht, um dort auch noch die Edelstahl-Drähte aufzulösen. Durch dieses stufenweise Entfernen der Gold- und Edelstahl-Drähte werden die Poren im distalen Bereich nachträglich vergrößert, wobei im jeweiligen Übergangsbereich - von aufgelöst zu nicht aufgelöst - im Filter lose Drahtenden verbleiben können.
3.3 Es ist auch zutreffend, dass die D5 das Problem erkennt, dass freiliegende Drahtenden die Gefäße reizen, schneiden oder durchstechen und damit zu Schäden führen können (D5, Absatz [0103]). Der Fachmann hatte also durchaus Veranlassung, von dem stufenweisen Auflösen der Drähte abzusehen und stattdessen das Flechtverfahren gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figuren 15A bis 15F anzuwenden. Wenn aber die Auflösbarkeit einzelner Drähte keine Rolle mehr spielt, so gibt es auch keinen Grund mehr, unterschiedliche Drahtmaterialien zu verwenden. Der Fachmann hätte daher die objektive technische Aufgabe dadurch gelöst, dass er sich vollständig von dem Konzept des Ausführungsbeispiels der Figuren 13A und 13B abwendet. Er hätte demgemäß auch nicht mehr an der Lehre festgehalten, das Geflecht aus einer Abfolge von Drähten aus Nitinol, Edelstahl und insbesondere dem teuren Gold herzustellen. Er wäre somit nicht in naheliegender Weise zu einer medizinischen Vorrichtung gelangt, bei der höchstens 34% der Schlaufen als Verstärkungsschlaufen ausgebildet sind.
3.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruht folglich auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags 3, eingereicht mit Schreiben vom 7. August 2019 und einer daran anzupassenden Beschreibung aufrecht zu erhalten.