T 1808/19 01-04-2022
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DOSIERSYSTEM FÜR EINE GESCHIRRSPÜLMASCHINE
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hauptantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer die vorläufige Auffassung geäußert, dass dies für den Hauptantrag nicht zuträfe, wohl aber für den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1.
III. Am 1. April 2022 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz unter Beteiligung beider Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt zunächst die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang eines der Hilfsanträge 1- 3, eingereicht mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2019. Am Ende der mündlichen Verhandlung zieht sie ihren Hauptantrag zurück.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hat folgenden Wortlaut:
"Dosiersystem (1,2), zur Positionierung im Inneren einer Geschirrspülmaschine durch einen Benutzer, umfassend
· wenigstens eine Kartusche (1) für fließfähige Wasch- oder Reinigungsmittel mit einerMehrzahl von Kammern (3a,3b,3c) zur räumlich separierten Aufnahme jeweils voneinander verschiedener Zubereitungen eines Wasch- oder Reinigungsmittels, sowie
· ein mit der Kartusche (1) kuppelbares Dosiergerät (2) umfassend
o wenigstens eine Energiequelle (15), die als Batterie oder Akkumulator ausgebildet ist
o eine Steuereinheit (16),
o eine Sensoreinheit (17),
o wenigstens eine erste Schnittstelle welche mit einer in oder an einer Geschirrspülmaschine ausgebildeten, korrespondierenden Schnittstelle derart zusammenwirkt, dass eine Übertragung von Signalen und/oder elektrischer Energie von der Geschirrspülmaschine zum Dosiergerät verwirklicht ist, wobei wenigstens jeweils eine Schnittstelle am Dosiergerät und Geschirrspülmaschine zur Übertragung von Licht, welche Betriebzustands-, Mess- und/oder Steuerinformationen des Dosiergeräts und/oder der Geschirrspülmaschine repräsentieren, ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass das Dosiergerät weiterhin folgendes umfasst:
o wenigstens einen Aktuator (18), der in derart mit der Energiequelle (15) und der Steuereinheit (16) verbunden ist, dass ein Steuersignal der Steuereinheit (16) eine Bewegung des Aktuators (18) bewirkt,
o ein Verschlusselement (19), dass mit dem Aktuator (18) in derart gekoppelt ist, dass eine Bewegung des Aktuators (18) das Verschlusselement (19) in eine Verschluss- oder eine Abgabestellung versetzt,
o wenigstens eine Dosierkammer (20), die im zusammengesetzten Zustand von Kartusche (1) und Dosiergerät (2) mit mindestens einer der Kartuschenkammern (3a,3b,3c) kommunizierend verbunden ist
* wobei die Dosierkammer (20) einen Einlass (21) für das Einströmen von Wasch- oder Reinigungsmittel aus einer Kartuschenkammer (3a,3b,3c)und einen Auslass (22) für das Ausströmen von Wasch- oder Reinigungsmittel aus der Dosierkammer (20) in die Umgebung umfasst
* wobei zumindest der Auslass (22) der Dosierkammer (20) durch das Verschlusselement (19) verschließ- oder freigebbar ist und
wobei,
o die Schnittstellen zum Aussenden und/oder Empfang von optischen Signalen, im Bereich einer Wellenlänge zwischen 600-800 nm, konfiguriert sind,
o dass ein optisches Signal als eine Folge von Signalimpulsen mit einer Impulsdauer zwischen 1 ms und 100 ms ausgebildet ist."
VI. Nachfolgend wird auf folgendes Dokument Bezug genommen: D1: WO02/29150 A1.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das beanspruchte Dosiersystem unterscheide sich von dem aus D1 bekannten lediglich durch die Auswahl bestimmter Parameter für die optischen Signale, die aber teils naheliegend für den Fachmann, teils willkürlich sei.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die beanspruchte Definition des optischen Signals ermögliche die Übertragung komplexer Steuersignale und könne nur in rückschauender Betrachtung naheliegend erscheinen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Das Patent befasst sich mit einem automatischen Reinigungsmittel-Dosiersystem für einen Geschirrspüler, das eine Kartusche mit Reinigungsmittel und ein daran gekoppeltes Dosiergerät aufweist. Solche Dosiersysteme sind für gewöhnlich autark. Sie werden von einem Benutzer befüllt und im Inneren der Geschirrspülmaschine platziert, wo sie mithilfe von Sensoren die nötige Menge an Reinigungsmittel ermitteln und dann abgeben. In Gang gesetzt werden sie entweder ebenfalls vom Benutzer oder durch ein Signal der Geschirrspülmaschine.
Die Erfindung gemäß des im Einspruchsverfahren aufrecherhaltenen Anspruchs 1 besteht in der Spezifikation des Signals als einer Folge von Lichtsignalen im Bereich von 600 - 800 nm Wellenlänge (rot) und mit Impulsdauern von 1 ms bis 10 s. Im im Beschwerdeverfahren lediglich weiterverfolgten Hilfsantrag 1 ist die beanspruchte Impulsdauer auf 1 ms bis 100 ms beschränkt.
3. Dokument D1
3.1 D1 offenbart ein im Inneren einer Geschirrspülmaschine zu positionierendes Dosiersystem 1 mit einer Kartusche 12, die mehrere Kammern zur Aufnahme jeweils voneinander verschiedener Zubereitungen eines Wasch- oder Reinigungsmittels aufweist, sowie mit einem mit der Kartusche gekoppelten Dosiergerät, siehe Seite 4, letzter Absatz - Seite 7, erster Absatz, Seite 18, dritter Absatz, Fig. 2. Das Dosiergerät umfasst eine Batterie 25 (Seite 17, erster Absatz), eine Steuereinheit 18, eine Sensoreinheit 16 und eine Schnittstelle, die mit einer in der Geschirrspülmaschine ausgebildeten, korrespondierenden Schnittstelle 27 zusammenwirkt. Dabei wird zwischen den Schnittstellen Licht übertragen, das eine Betriebzustandsinformationen der Geschirrspülmaschine repräsentiert, nämlich die Öffnung der Dosierklappe, siehe Seite 11, letzter Absatz, Fig. 3.
Weiterhin umfasst das Dosiergerät einen mit der Energiequelle 25 und der Steuereinheit 18 verbundenen Aktuator ("wheel motor"), dessen Bewegung ein Verschlusselement 19 in eine Verschluss- oder eine Abgabestellung versetzt, sowie eine Dosierkammer 21, die mit einer der Kartuschenkammern kommunizierend verbunden ist. Dazu hat die Dosierkammer 21 einen Einlass für das Einströmen von Wasch- oder Reinigungsmittel aus der Kartuschenkammer und einen Auslass für das Ausströmen von Wasch- oder Reinigungsmittel aus der Dosierkammer in die Umgebung, der durch das Verschlusselement 19 verschließ- oder freigebbar ist.
3.2 Das Dosiersystem der D1 ist autark und muss lediglich einmal zu Beginn eines Reinigungsyzklus aktiviert oder "eingeschaltet" werden, Seite 10, vorletzter Absatz und Brückenabsatz zu Seite 11. Ein an der Dosierklappe des Geschirrspülers nachträglich angebrachtes Relais 27 wandelt ein erfasstes elektrisches Aktivierungssignal eines Elektromagneten zum Öffnen der Dosierklappe in ein entsprechendes optisches Aktivierungssignal für das Dosiersystem um, das von dessen Schnittstelle empfangen wird. Aufgrund dieser "Emulation" oder reinen "Signalübersetzung" geht die Kammer davon aus, dass es sich bei dem optischen Aktivierungssignal ebenfalls um einen einmaligen Signalimpuls handelt. Denn eine herkömmliche Dosierklappe springt nach einmaliger Freigabe oder Entriegelung durch den Elektromagneten federbeaufschlagt auf und verbleibt dann ohne dessen weitere Einwirkung in der Offenstellung.
Deshalb stimmt die Kammer weder der Beschwerdeführerin darin zu, dass ein erstes optisches Aktivierungssignal zu Beginn eines Reinigungszyklus immer auch ein zweites Deaktivierungssignal am Ende des Reinigungszyklus nach sich ziehe, mithin bereits eine Folge von zwei optischen Signalen in D1 impliziert sei. Noch hält sie die Hypothese der Beschwerdegegnerin für plausibel, wonach das Relais 27 während der gesamten Dauer des Reinigungszyklus ununterbrochen ein Aktivierungssignal aussende, also ein optischer Signalimpuls nach D1 länger als 10 s sein sollte.
3.3 In D1 finden sich vielmehr keinerlei explizite Angaben zu den Parametern des optischen Aktivierungssignals, weder zu dessen Wellenlänge, noch zu dessen Impulsdauer.
4. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit
4.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit dadurch von dem aus D1 bekannten Dosiersystem,
- dass die Schnittstellen zum Aussenden und/oder Empfang von optischen Signalen im Bereich einer Wellenlänge zwischen 600-800 nm konfiguriert sind, und - dass das optische Signal als eine Folge von Signalimpulsen
- mit einer Impulsdauer zwischen 1 ms und 100 ms ausgebildet ist.
4.2 Die beanspruchte Wellenlänge entspricht langwelligem rotem Licht, das auch in Dunkelheit und Nebel bzw. Wasserdampf noch relativ gut sichtbar ist.
Eine Folge von optischen Signalen mit Impulsdauern im ms-Bereich ermöglicht die effiziente Übertragung auch komplexerer Steuer- und Betriebsinformationen von der Geschirrspülmaschine zum Dosiergerät.
Im Hinblick auf diese technischen Wirkungen kann die zu lösende Aufgabe darin gesehen werden, bei dem Dosiersystem der D1 eine zuverlässige und effiziente Signalübertragung sicherzustellen.
4.3 Um das Aktivierungssignal an das Dosiergerät der D1 zuverlässig und effizient zu übertragen, mag sich eine Wellenlänge im roten Farbspektrum anbieten. Auf jeden Fall würde aber eine größere Impulsdauer die Übertragungssicherheit erhöhen. Ein Lichtimpuls von 2s Dauer oder zwei Impulse von jeweils 1s Dauer könnten z.B. sicherstellen, dass das Aktivierungssignal auch dann vom Dosiersystem der D1 empfangen wird, wenn dessen Schnittstelle vorübergehend durch Spülwasser oder durch in diesem enthaltene, abgelöste Verschmutzungen verdeckt ist.
4.4 Die Beschwerdeführerin wendet in diesem Sinne ein, die Untergrenze des beanspruchten Impulsdauer-Bereichs von 1 ms erlaube keine zuverlässige Signalübertragung, trage also nichts zur Lösung der Aufgabe bei und sei deshalb willkürlich festgelegt. Auch die Obergrenze von 100 ms habe keine bestimmte technische Wirkung und sei somit ebenso willkürlich gewählt.
Die Zuverlässigkeit der Übertragung kann nach Ansicht der Kammer jedoch schon durch die Auswahl der beanspruchten Wellenlänge sichergestellt werden. Der beanspruchte Bereich von kurzen Impulsdauern ermöglicht zudem die effiziente Übertragung komplexerer Steuersignale, um z.B. den gesamten Dosiervorgang, also Dosierzeitpunkte und -mengen, von der Geschirrspülmaschine aus durch Übertragung entsprechender Steuersignale an das Dosiersystem zu steuern. Diese Möglichkeit fasst das Patent in Absatz [0437] ausdrücklich ins Auge.
Auf eine solche Möglichkeit findet sich in D1 jedoch kein Hinweis und somit auch keine Anregung, eine Folge von Signalimpulsen im beanspruchten Bereich zur Lösung der objektiven Aufgabe bereitzustellen. Da dessen Dosiersystem völlig eigenständig arbeitet, werden abgesehen vom Aktivierungssignal keine Steuerungsinformationen von der Geschirrspülmaschine übertragen, geschweige denn komplexe Steuersignale (Seite 10, vorletzter Absatz). Das nur mit einer Kupferspule an der Dosierklappe gekoppelte, einfache Relais 27, das als Schnittstelle der Geschirrspülmaschine dient, wäre dazu auch gar nicht in der Lage (Seite 11, letzter Absatz, Fig. 3).
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass eine Signaldauer von 1 ms nicht völlig unrealistisch ist, sondern für bestimmte Steuerungsbefehle durchaus geeignet sein kann - nur eben nicht unbedingt für das einmalige Aktivierungssignal nach D1.
4.5 Aus den voranstehenden Gründen ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht in naheliegender Weise unter Berücksichtigung von Fachwissen aus dem in D1 offenbarten Dosiersystem. Er beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
5. Ergebnis
Das Patent genügt unter Berücksichtigung der von der Beschwerdegegnerin in Hilfsantrag 1 vorgenommen Änderungen der Ansprüche und der Beschreibung den Erfordernissen des EPÜ, Artikels 56 und Regel 42(1)c). Folglich kann es, wie von der Beschwerdegegnerin beantragt, in der geänderten Fassung nach Hilfsantrag 1 aufrechterhalten werden, Artikel 101(3)a) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche
1 - 5 von Hilfsantrag 1 wie mit Schriftsatz vom
17. Dezember 2019 eingereicht;
Beschreibung
Absätze 1 - 130, 138 - 338 und 347 - 481 der Patentschrift
Absätze 131 - 135, 137 wie vor der
Einspruchsabteilung am 17. 10. 2018 eingereicht,
Absätze 339-346 wie in der mündlichen Verhandlung vor der
Kammer eingereicht,
Zeichnungen
1 - 29 der veröffentlichten Patentschrift.