T 1883/19 18-10-2022
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SICHERHEITSELEMENT MIT MAGNETISCH AUSRICHTBAREN MAGNETPIGMENTEN UND EINEM ZWEITEN MOTIV SOWIE VERFAHREN ZU DESSEN HERSTELLUNG
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag und Hilfsantrag (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 14 805 179.0 (veröffentlicht als internationale Patentanmeldung WO 2015/078572 A1) wegen mangelnder Klarheit (Artikel 84 EPÜ) zurückzuweisen.
II. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin/Anmelderin, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent gemäß Hauptantrag oder Hilfsantrag zu erteilen. Beide Anträge liegen auch der angefochtenen Entscheidung zugrunde.
III. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
Wert- und Sicherheitsdokument, das aus einem Substrat mit einer Vorderseite und einer Rückseite besteht, wobei auf mindestens eine Seite des Substrats eine Farbschicht mit magnetisch ausgerichteten Magnetpigmenten aufgebracht ist, die ein erstes Motiv in Form eines Musters, Zeichens oder einer Codierung bilden, wobei das erste Motiv beim Kippen des Wert- und Sicherheitsdokuments einen ersten dynamischen Bewegungseffekt zeigt, wobei das erste Motiv mit einem zweiten Motiv in Form eines Musters, Zeichens oder einer Codierung kombiniert ist und wobei das zweite Motiv auf mindestens eine Seite des Substrats aufgebracht ist, dadurch gekennzeichnet, dass das zweite Motiv in Form einer Prägestruktur ausgebildet ist, die erhabene Prägeelemente mit Flächen unterschiedlicher Orientierung aufweist und aus einer reflektierenden Mikrostruktur in Form eines Mosaiks aus einer Vielzahl reflektierender Mosaikelemente besteht, die durch die Parameter Größe, Umrissform, Reliefform, Reflexionsvermögen und räumliche Ausrichtung charakterisiert sind und die das zweite Motiv mit einem zweiten dynamischen Bewegungseffekt bilden, indem verschiedene Gruppen von Mosaikelementen mit unterschiedlichen charakteristischen Parametern einfallendes Licht in unterschiedliche Raumbereiche reflektieren, und bei dem die Mosaikelemente eine laterale Abmessung von weniger als 30 mym und unterhalb der Auflösungsgrenze des Auges aufweisen, wobei das Muster, das Zeichen oder die Codierung des ersten Motivs mindestens teilweise an das Muster, das Zeichen oder die Codierung des zweiten Motivs angepasst ist.
IV. Anspruch 1 des Hilfsantrags hat denselben Wortlaut wie Anspruch 1 des Hauptantrags und dazu die folgenden zusätzlichen Merkmale am Ende:
..., wobei die mindestens teilweise Anpassung eines Bildes an ein anderes Bild bzw. des Musters, des Zeichens oder der Codierung des ersten Motivs an das Muster, das Zeichen oder die Codierung des zweiten Motivs bedeutet, dass
zwischen beiden Bildern, Mustern oder Zeichen ein Sinnzusammenhang besteht, bei dem sich beispielsweise bei dem Verkippen des Wert- und Sicherheitsdokuments ein fortlaufender Text oder eine logische Abfolge von Bildern ergibt,
beide Bilder oder Muster jeweils ein Teilbild eines Gesamtbildes darstellen und sich das Gesamtbild in der Zusammenwirkung der beiden Teilbilder ergibt, beispielsweise stellt das eine Bild des [sic] Stamm eines Baumes dar und das andere Bild die Blätter des Baums oder stellt das eine Bild die Karosserie eines Autos dar und das andere Bild dessen sich drehende Räder oder
beide Bilder oder Muster das gleiche Motiv oder die gleiche Erscheinung zeigen,
wobei eine mindestens teilweise Anpassung dann nicht vorliegt, wenn verschiedene Bilder, Muster, Zeichen oder Codierungen lediglich gleichartige Kipp- oder Bewegungseffekte zeigen, zwischen diesen Bildern, Mustern, Zeichen oder Codierungen ansonsten jedoch keine weitere Beziehung besteht,
wobei mindestens teilweise bedeutet, dass mindestens Teilflächen des einen Bildes, Musters oder Motivs an Teilflächen des zweiten Bildes, Musters oder Motivs angepasst sind, wobei die restlichen Teilflächen keinen oder einen anderen dynamischen Bewegungseffekt zeigen, so dass sich für einen Betrachter ein logischer Zusammenhang zwischen den beiden Motiven ergeben muss, der über die bloße Aneinanderreihung oder Nebeneinanderstellung einzelner Motive hinausgeht.
V. Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin Auszüge aus dem Duden (4. Auflage, 2001) mit den Definitionen der Begriffe "anpassen", "Anpassung", "Gesamtbild", "Ganze", "gleich" und "Sinnzusammenhang" eingereicht.
Für diese Entscheidung ist die zweite Definition von "anpassen" (siehe Seite 142) relevant:
anpassen: ...2. etw. einer Sache angleichen; etw. auf etw. abstimmen: seine Kleidung dem festlichen Anlass a.; die Renten wurden angepasst (den Lebenshaltungskosten angeglichen).
VI. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Echtheit von Wert- und Sicherheitsdokumenten, wie etwa Banknoten, durch einen beliebigen Benutzer ohne spezielle Kenntnisse überprüfbar sein solle. Der Benutzer/Betrachter sei in der Lage zu erkennen, wenn sich ein logischer Zusammenhang zwischen den beiden Motiven ergebe, so dass er unmittelbar erkennen könne, wenn die Wert- und Sicherheitsdokumenten echt seien. Der Anspruch sei somit klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ.
1. Hauptantrag, Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
Der Hauptantrag besteht aus den Ansprüchen 1 bis 9 in der veröffentlichten Fassung.
1.1 In der angefochtenen Entscheidung kam die Prüfungsabteilung zum Ergebnis, dass das Merkmal am Ende des Anspruchs 1, wonach
"das Muster, Zeichen oder Codierung des ersten Motivs an das Muster, Zeichen oder Codierung des zweitens Motivs angepasst ist" (von der Prüfungsabteilung als Merkmal "F1" bezeichnet),
nicht klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ sei. Laut Prüfungsabteilung gebe es weder im Anspruch noch in der Anmeldung eine Handhabe, welche Kriterien der Fachmann anzuwenden habe, um zu bestimmen, ob das erste Motiv generell an das zweite "angepasst" sei. Kriterien wie "Sinnzusammenhang", "Gesamtbild durch Zusammenwirkung von Teilbildern" oder "gleiche Erscheinung" (siehe Seite 4 der Beschreibung) seien "willkürlich und subjektiv interpretierbar" (siehe Punkt 1.1 der Entscheidungsgründe).
1.2 Die Beschwerdeführerin hat sich auf Auszüge aus dem Duden bezogen und meinte, dass Begriffe wie "Anpassung", "Gesamtbild" oder "Sinnzusammenhang" allgemein bekannt seien. Die beanspruchten Wert- und Sicherheitsdokumente (z.B. Banknoten) seien zur allgemeinen Verwendung bestimmt. Ein beliebiger Nutzer solle daher in der Lage sein, zwischen den beiden Motiven einen logischen Zusammenhang unmittelbar und ohne größeres Vorwissen zu erkennen. Laut Duden seien zwei Motive aneinander angepasst, wenn sie aneinander angeglichen oder aufeinander abgestimmt sind. Sowohl der Fachmann als auch ein beliebiger Nutzer könnten zwei solche aneinander angepassten Motive ohne weiteres erkennen. Das Merkmal und der Anspruchsgegenstand seien somit klar.
1.3 Gemäß Artikel 84 EPÜ müssen die Patentansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sie müssen u. a. deutlich gefasst sein. Ein Anspruch muss also den beanspruchten Umfang deutlich definieren bzw. abgrenzen.
Die Frage der Klarheit der Ansprüche bezieht sich dabei nicht auf die Frage, ob ein beliebiger Nutzer der Wertdokumente einen Sinnzusammenhang zwischen den beiden Motiven im Sinne einer "Anpassung" erkennen könnte. Vielmehr ist erforderlich, dass der einschlägige Fachmann erkennen könnte, was unter den Umfang der Ansprüche fällt und was nicht (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Aufl. 2022, Kapitel II.A.3.1).
1.4 Dies ist für Anspruch 1 des Hauptantrags nicht der Fall.
Ein logischer Zusammenhang oder ein Sinnzusammenhang zwischen zwei Motiven sind nicht objektiv definierbar bzw. willkürlich. Die Definition gemäß Anmeldung, wann zwei Motive aneinander angepasst sind bzw. sein sollten, ist von subjektiven Faktoren wie der individuellen Vorstellung bzw. Sichtweise des Fachmanns oder von kulturellen Konventionen, denen er unterliegt, abhängig, oder von willkürlichen Kriterien, je nachdem, wie weit man den Oberbegriff für den logischen oder Sinnzusammenhang zweier Motive definiert.
Während etwa ein Apfel und eine Birne zwei Beispiele für Kernobst sind und insofern zwei "angepasste" Motive darstellen könnten, gälte dies nicht mehr für einen Apfel und eine Ananas, weil letztere zwar Obst, aber kein Kernobst ist. Für einen Apfel und einen Laib Brot würde es weiter unklarer, weil nicht beide ein Beispiel für Obst sind, aber doch beide essbar. Die Beispielsreihe ließe sich weiterbilden und entsprechend darüber streiten, ob ein Apfel und ein Fisch schon bzw. noch "angepasst" sind, weil sie zwar nichts unmittelbar miteinander zu tun haben, aber doch beide der Kategorie "essbar" angehören. Entsprechende Beispiele ließen sich etwa auch für die (Unter-)Kategorien "Sonderzeichen", "Buchstaben", "Ziffern", "Schriftzeichen" und "Schrift" bilden: Ein Frage- und ein Ausrufezeichen sind beides Satz- und damit Sonderzeichen, A und B sind beides Buchstaben, 1 und 2 sind beides Ziffern, und alle diese Schriftzeichen können Teil einer bestimmten Schrift sein. Sind also ein Doppelpunkt und ein A, ein Komma und eine 1, eine 1 und ein A zueinander "angepasst" im Sinne des Anspruchs 1? Gilt dies auch für ein lateinisches und ein japanisches Kanji-Schriftzeichen, beides Beispiele für Schriftzeichen aus unterschiedlichen Schriften?
1.5 Die Kammer kommt daher zum Ergebnis, dass das in Frage stehende Merkmal den beanspruchten Umfang nicht präzise bzw. objektiv und eindeutig bestimmen lässt, da jeder Fachmann unterschiedliche Vorstellungen davon haben kann, was zwei aneinander angepasste Motive sind, gegebenenfalls abhängig von der Breite des gewählten Oberbegriffs.
1.6 Auch die ausgeführten Beispiele zum Begriff "anpassen" im von der Beschwerdeführerin herangezogenen Duden stützen ihre Interpretation nicht.
Manche würden z.B. einen teuren Maßanzug bzw. ein teures Kostüm als eine an ein Hochzeitsfest angepasste Kleidung ansehen, während für andere die traditionelle Tracht die richtige Kleidung darstellen würde. Zur Frage, ob die Rente den Lebenshaltungskosten angepasst ist, könnten z.B. Regierungen und Verbraucherorganisationen oder etwa Vertreter unterschiedlicher Parteien verschiedener Meinung sein. Eine deutliche, objektive und allgemeingültige Definition, wann eine Kleidung dem Festrahmen oder wann die Rente den Lebenshaltungskosten angepasst ist bzw. sein soll, gibt es daher nicht. Im Übrigen ist das Lebenshaltungskosten-Beispiel im vorliegenden Kontext irrelevant, da es sich für die Frage der Anpassung von Motiven auf Wert- und Sicherheitsdokumenten nicht eignet.
1.7 Die Kammer stimmt daher der Prüfungsabteilung zu und kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Anspruch 1 des Hauptantrags nicht klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ ist.
2. Hilfsantrag, Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
Der Anspruchsatz gemäß Hilfsantrag besteht aus dem geänderten Anspruch 1, eingereicht mit Schreiben vom 30. Oktober 2017, und den Ansprüchen 2 bis 9 in der veröffentlichten Fassung.
2.1 Auch die in Anspruch 1 des Hilfsantrags aufgenommenen Merkmale scheinen den Einwand der mangelnden Klarheit nicht ausräumen zu können.
2.2 Die Konkretisierungen hinter den drei Aufzählungszeichen in Anspruch 1 sind als drei alternative Interpretationen von aneinander angepassten Motiven anzusehen (vgl. die Aufzählung mit "oder").
Gemäß der ersten Konkretisierung sind die beide Motive aneinander angepasst, wenn ein Sinnzusammenhang zwischen beiden Bildern, Mustern oder Zeichen (d. h. Motiven) besteht.
2.3 Die Einwände gegenüber dem Hauptantrag gelten daher auch in diesem Fall.
Die erste alternative Interpretation des Anspruchs ist somit als nicht klar anzusehen. Bereits aus diesem Grund ist der gesamte Anspruch 1 ebenfalls als nicht klar anzusehen.
3. Da keiner der vorliegenden Anträge die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.