T 1915/19 18-02-2022
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Katheterrohrelement
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
I. Die Beschwerden der beiden Beschwerdeführerinnen (Patentinhaberin und Einsprechenden) richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 941 917 in geänderter Form unter Artikel 101(3)(a) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikel 100(a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) angegriffen worden.
III. Unter anderem wurde auf die folgenden Dokumente verwiesen, die auch für die vorliegende Entscheidung relevant sind:
D1: EP 1 839 686 A1
D10: "Bioasbsorbierbare koronare Polymerstents -
Strukturmechanische und experimentelle
Untersuchungen", Dissertation Christine
Schultze, Rostock, 17. November 2010
D16: EVONIK INDUSTRIES, Erklärung Mario Resing,
Adhäsion zwischen Fluorpolymer und PEBA,
eingereicht am 29. Januar 2020
IV. Die Einspruchsabteilung erachtete den Gegenstand des ihr vorliegenden Hauptantrags, des Patents in der erteilten Fassung, als nicht neu (Artikel 54 EPÜ). Der Gegenstand der Hilfsanträge 1 bis 5 beruhe ihrer Ansicht nach nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Hilfsantrag 6 erfülle die Erfordernisse der Patentierbarkeit, der beanspruchte Gegenstand beruhe insbesondere auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 (Artikel 56 EPÜ).
V. Gegen diese Entscheidung wurden sowohl von der Patentinhaberin, als auch von der Einsprechenden Beschwerden eingelegt, die fristgerecht begründet wurden.
VI. In Erwiderung auf die jeweiligen Beschwerdebegründungen reichten die Parteien weitere Schriftsätze ein, in denen zu den gegenseitig vorgebrachten Anträgen und Argumenten Stellung genommen wurde.
VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK wurde den Parteien die vorläufige Einschätzung der Kammer mitgeteilt.
VIII. In Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer wurden von der Patentinhaberin ein weiterer Schriftsatz, sowie die Hilfsanträge 1a und 6a vorgelegt. Zu Zulässigkeit und Gewährbarkeit ihrer Anträge brachte die Patentinhaberin weitere Argumente vor.
IX. Am 18. Februar 2022 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz statt.
X. Das erteilte Patent (vorliegender Hauptantrag) hat einen unabhängigen Anspruch 1, der den folgenden Wortlaut hat:
Katheterrohrelement (10), vorzugsweise zur Anordnung eines Führungsdrahtes, dadurch gekennzeichnet, dass das Katheterrohrelement besteht aus einer die äußere Schicht bildenden ersten Schicht (11) und einer mindestens teilweise die innere Schicht bildenden zweiten Schicht (12), wobei die erste Schicht mindestens einen Kunststoff oder mehrere Kunststoffe aus der Gruppe Polyether-Block-Amid (PEBA), Polyamid und Elastomer modifiziertes Polyamid enthält und die zweite Schicht Ethylentetrafluorethylen (ETFE) enthält, dadurch gekennzeichnet, dass das Katheterrohrelement mittels Koextrusion oder mittels eines Tauchverfahrens, das vorzugsweise mehrstufig ist, hergestellt ist.
XI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hat den folgenden Wortlaut (Streichungen gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags wurden durch die Kammer hervorgehoben):
Katheterrohrelement (10), vorzugsweise zur Anordnung eines Führungsdrahtes, dadurch gekennzeichnet, dass das Katheterrohrelement besteht aus einer die äußere Schicht bildenden ersten Schicht (11) und einer mindestens teilweise die innere Schicht bildenden zweiten Schicht (12), wobei die erste Schicht mindestens einen Kunststoff oder mehrere Kunststoffe aus der Gruppe Polyether-Block-Amid (PEBA), Polyamid und Elastomer modifiziertes Polyamid enthält und die zweite Schicht Ethylentetrafluorethylen (ETFE) enthält, dadurch gekennzeichnet, dass das Katheterrohrelement mittels Koextrusion [deleted: oder mittels eines Tauchverfahrens, das vorzugsweise mehrstufig ist,] hergestellt ist.
XII. Hilfsantrag 1a unterscheidet sich von Hilfsantrag 1 dadurch, dass in Anspruch 1 das Merkmal "Polyamid" aus der Gruppe des Kunststoffs oder der Kunststoffe, die die erste Schicht des Katheterrohrelements enthält, gestrichen wurde.
XIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 hat den folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags wurden durch die Kammer hervorgehoben):
Katheterrohrelement (10), vorzugsweise zur Anordnung eines Führungsdrahtes, dadurch gekennzeichnet, dass das Katheterrohrelement besteht aus einer die äußere Schicht bildenden ersten Schicht (11) und einer mindestens teilweise die innere Schicht bildenden zweiten Schicht (12), wobei die erste Schicht mindestens einen Kunststoff oder mehrere Kunststoffe aus der Gruppe Polyether-Block-Amid (PEBA), Polyamid und Elastomer modifiziertes Polyamid enthält [deleted: und die zweite Schicht Ethylentetrafluorethylen (ETFE) enthält,]
dadurch gekennzeichnet, dass das Katheterrohrelement mittels Koextrusion oder mittels eines Tauchverfahrens, das vorzugsweise mehrstufig ist, hergestellt ist und dass die zweite Schicht (12) vollständig aus Ethylentetrafluoroethylen besteht.
XIV. In ihrer Beschwerdebegründung sowie im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin im Wesentlichen folgendes vor:
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei aufzuheben, da bereits der Hauptantrag - das Patent in der erteilten Fassung - die Erfordernisse der Patentierbarkeit erfülle. Insbesondere sei der beanspruchte Gegenstand neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1, und zwar in Bezug auf beide im Anspruch genannten Herstellungsverfahren der beanspruchten Katheterrohrelemente (Artikel 54 EPÜ). Die Bereitstellung dieser Katheterrohrelemente beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, und zwar ebenfalls ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 als nächstliegendem Stand der Technik (Artikel 56 EPÜ). Dasselbe gelte für die vorgelegten Hilfsanträge, da der darin beanspruchte Gegenstand durch weitere Merkmale zusätzlich eingeschränkt worden sei.
XV. In ihrer Beschwerdebegründung sowie im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin-Einsprechende im Wesentlichen folgendes vor:
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei aufzuheben, da auch der im aufrechterhaltenen Hilfsantrag 6 beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, insbesondere nicht ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 (Artikel 56 EPÜ). Auch keiner der in den vorgelegten Hilfsanträgen beanspruchten Gegenstände enthalte zusätzliche Merkmale, die das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründen könnten. Im Gegensatz zur Auffassung der Einspruchsabteilung seien zudem auch durch die Variante "Koextrusion" hergestellte Katheterrohrelemente gemäß erteilten Patents sowie des Hilfsantrags 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1.
XVI. Anträge der Parteien
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1, 1a, 2, 3, 4, 5, 6, 6a, 7, 8 und 9 (Hilfsanträge 1a und 6a eingereicht mit Schreiben vom 17. Januar 2022, übrige Hilfsanträge eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 19. September 2019). Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte im Weiteren, dass die Beschwerde der Einsprechenden nicht zuzulassen sei und dass die Dokumente D13 bis D15 nicht in das Verfahren zuzulassen seien.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 941 917. Sie beantragte im Weiteren, die Hilfsanträge 1a, 6a, 7 und 8 seien nicht in das Verfahren zuzulassen. Der weitere Antrag, Dokument D10 nicht in das Verfahren zuzulassen, wurde im Laufe der mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
Zulassung und Berücksichtigung der Beschwerde der Einsprechenden
1. Die Patentinhaberin beantragte, die Beschwerde der Einsprechenden nicht ins Verfahren zuzulassen. Sie begründete dies damit, dass die Einsprechende nicht dargelegt habe, inwiefern die angefochtene Entscheidung fehlerhaft sei. Sie habe lediglich neue Argumente gegen die Patentierbarkeit des streitpatentgemäßen Gegenstands vorgebracht.
2. Diesem Antrag folgt die Kammer aus folgenden Gründen nicht:
2.1 Die Einspruchsabteilung hat entschieden, das angegriffene Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags 6 aufrechtzuerhalten. Sie hat ihre diesbezügliche Entscheidung unter anderem damit begründet, dass der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, und zwar ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 unter Berücksichtigung der technischen Lehre des Dokuments D4 (Artikel 56 EPÜ).
2.2 Die Beschwerdeführerin-Einsprechende argumentierte im Abschnitt 5.2 ihrer Beschwerdebegründung, warum der Gegenstand des Hilfsantrags 6 ausgehend von Dokument D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie führte dazu insbesondere aus, warum der Fachmann - entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung - das Dokument D4 zur Lösung des gestellten technischen Problems heranziehen würde, obwohl das Dokument auf einem anderen technischen Gebiet liege. Sie argumentierte des weiteren, dass der Fachmann unter Berücksichtigung der technischen Lehre des Dokuments D4 - ebenfalls entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung - zu dem Schluss käme, die gestellte technische Aufgabe anspruchsgemäß zu lösen. Die Beschwerdeführerin-Einsprechende setzte sich somit mit denjenigen in der Einspruchsentscheidung angeführten Gründen auseinander, die zur Entscheidung der Einspruchsabteilung geführt haben. Die vorgebrachte Argumentation der Einsprechenden stellt auch einen Kausalzusammenhang her zwischen den in der Beschwerdebegründung angegebenen Gründen und der von der Einsprechenden beanstandeten Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung.
2.3 Somit ist die Beschwerde gemäß Artikel 108 Satz 3 EPÜ begründet. Auch das Vorbringen zusätzlicher Argumente der Beschwerdeführerin-Einsprechenden gegen die ihrerseits behauptete mangelnde Patentierbarkeit des genannten Hilfsantrags 6 ändert hieran nichts. Dem Antrag der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin ist daher nicht stattzugeben.
Hauptantrag (Patent wie erteilt)
3. Neuheit (Artikel 100(a) und 54 EPÜ)
3.1 In der angefochtenen Entscheidung vertritt die Einspruchsabteilung die Auffassung, das Katheterrohrelement gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1, und zwar in der mittels eines Tauchverfahrens hergestellten Variante. Von der Einsprechenden wurde zudem argumentiert, Neuheit gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 sei auch dann nicht gegeben, wenn das beanspruchte Katheterrohrelement mittels der Variante Koextrusion hergestellt werde. Zudem wurde vorgebracht, von der Beschwerdegegnerin seien keine Nachweise erbracht worden, die zeigen könnten, dass sich das gemäß den anspruchsgemäß angegebenen Verfahren hergestellte Produkt tatsächlich von einem in D1 offenbarten Produkt unterscheide.
3.2 Dieser Beurteilung widersprach die Patentinhaberin. Ihrer Ansicht nach verleihe der abschließende Teils des Anspruchs 1, dass das beanspruchte "Katheterrohrelement mittels Koextrusion oder mittels eines Tauchverfahrens, das vorzugsweise mehrstufig ist, hergestellt ist" (Hervorhebung durch die Kammer), dem beanspruchten Produkt Neuheit gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1. Keines dieser Verfahren werde im Dokument D1 offenbart. Sowohl Koextrusions- als auch Tauchverfahren führten jedoch insbesondere aufgrund der während der Herstellung auftretenden Wärme zu Interaktionen zwischen den Polymerschichten und damit zumindest vereinzelt zu kovalenten Verbindungen zwischen den Schichten, und verliehen den dadurch hergestellten Produkten somit auch inhärente Produkteigenschaften. Bei einem Koextrusionsverfahren lägen zudem beide Schichten zunächst in flüssiger Form vor. Auch dies führe zwangläufig zu anderen Produkten als bei der Herstellung gemäß Dokument D1. Darin würden die Katheterrohrelemente nämlich im Gegensatz zum vorliegenden Anspruch entweder durch ein mehrstufiges Extrusionsverfahren hergestellt, oder durch ein Verfahren, bei dem ein Schrumpfschlauch über ein zuvor hergestelltes System aus mehreren Schichten aufgebracht werde. Keines dieser Verfahren führe zu Verbindungen zwischen den Schichten. Mit den beiden im Anspruch genannten Verfahren würden daher Produkte erhalten, die sich von den in D1 offenbarten Produkten strukturell unterschieden.
Die Patentinhaberin verwies zur Stützung ihrer Argumentation zur Verfahrensvariante "Tauchverfahren" insbesondere auf Dokument D10. Ihrer Ansicht nach zeige das Dokument ab Seite 34, dass Tauchverfahren (gemäß Anspruch 1 des Streitpatents) und Extrusionsverfahren (gemäß D1) allgemein zu unterschiedlichen Produkten führten, was sich in unterschiedlichen Molekulargewichten bei den entsprechend hergestellten Halbzeugen zeige. Daher verleihe nicht nur das Koextrusionsverfahren gemäß Anspruch 1 - wie bereits von der Einspruchsabteilung anerkannt - sondern auch das alternative Tauchverfahren dem beanspruchten Katheterrohrelement Neuheit gegenüber den aus Dokument D1 bekannten Produkten.
3.3 Das Vorbringen der Patentinhaberin überzeugt aus folgenden Gründen nicht:
3.3.1 Im Dokument D1 wird in den Absätzen [0057] bis [0061] die Herstellung von zweischichtig aufgebauten Katheterrohrelementen offenbart, welche die strukturellen Merkmale gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags offenbaren.
So zeichnen diese sich aus durch eine innere Schicht aus ETFE und PTFE (entsprechend der zweiten Schicht gemäß vorliegendem Anspruch 1, die ETFE enthält), sowie in einer Variante durch eine äußere Harzschicht (siehe D1: Absatz [0061]). Diese kann beispielsweise aus Polyamid oder aus Elastomer modifiziertem Polyamid bestehen (siehe D1: Absatz [0040]: polyamide resin, nylon 12 elastomer). Diese äußere Schicht entspricht der ersten Schicht gemäß Anspruch 1 des Streitpatents, die beispielsweise Polyamid oder Elastomer modifiziertes Polyamid enthält.
Die Herstellung zweischichtiger Katheterrohrelemte erfolgt gemäß Dokument D1 entweder durch zweifache Schmelzextrusion (Absatz [0061]), oder durch ein Schrumpfschlauchverfahren (Absatz [0062]), während die anspruchsgemäßen Verfahren im Dokument D1 nicht zur Herstellung der Katheterrohrelemente offenbart werden.
Dies war unstrittig zwischen den Parteien.
3.3.2 Strittig zwischen den Parteien war jedoch, ob der kennzeichnende abschließende Teil des Anspruchs, nämlich dass das Katheterrohrelement mittels "Koextrusion" oder mittels eines "Tauchverfahrens" hergestellt ist, zu Neuheit führt.
3.3.3 Dies ist aus folgenden Gründen nicht der Fall:
Zunächst enthält das Streitpatent selbst keine Angaben darüber, ob dem beanspruchten Katheterrohrelement durch die Herstellung mittels eines der genannten Verfahren Eigenschaften verliehen werden, die es unterscheidbar machen gegenüber einem aus Dokument D1 bekannten Produkt. Der einzige Verweis auf die im Anspruch angeführten Verfahren findet sich in den Absätzen [0018] und [0019] der Beschreibung. Dort wird jedoch lediglich erläutert, dass die beanspruchten Elemente durch diese Verfahren hergestellt werden können, und dass, im Falle einer Herstellung durch Koextrusion, dieses Verfahren kostengünstig sei und die Herstellung in großtechnischem Maßstab erlaube. Ein Hinweis auf spezielle, durch diese Verfahren vermittelte Produkteigenschaften findet sich an dieser Stelle nicht.
Auch die auf Dokument D10 basierende Argumentation der Patentinhaberin ist nicht überzeugend. Zwar wird im Dokument, wie von der Patentinhaberin vorgebracht, darauf verwiesen, dass für die darin verwendeten Polymere ein Unterschied besteht im Molekulargewicht der mittels Tauchverfahren bzw. Extrusion erhaltenen Halbzeuge. Auch wenn dies auf unterschiedliche chemische Strukturen schließen ließe, können diese Ergebnisse nicht zwingend auf beliebige andere Polymere und andere Herstellungsbedingungen übertragen werden. Im Gegensatz zum beanspruchten Katheterrohrelement sind die Halbzeuge gemäß Dokument D10 aus Poly(L-lactid) (PLLA) und Poly(4-hydroxybuttersäure) (P(4HB)) aufgebaut. Daher lassen die technischen Informationen des Dokuments D10 keine allgemeinen Schlussfolgerungen bezüglich struktureller Unterschiede in anderen schichtweise aufgebauten Rohrelementen zu, also auch nicht für solche, die die anspruchsgemäß enthaltenen Polymere enthalten.
Des weiteren ist auch das Argument der Einsprechenden überzeugend, wonach es auch beim Verfahren gemäß D1 zu einer Wärmeentwicklung bei der Herstellung kommt, bei der Bindungen zwischen den Schichten gebildet werden könnten. Es handelt sich hierbei augenscheinlich um ein Schmelzextrusionsverfahren, bei dem die Komponenten in einer Schmelze bei Temperaturen zwischen 230 und 280 °C vorliegen, also über der Schmelztemperatur von ETFE von 220 °C, (siehe Absatz [0061], der Verweis auf "the above-mentioned process" scheint sich auf das im Absatz [0058] beschriebene Verfahren zu beziehen). Somit kann auch das Argument der Patentinhaberin nicht überzeugen, wonach die anspruchsgemäß angegebenen Verfahren zu Produkten führten, die über Verbindungen zwischen den Schichten verfügen, dies jedoch bei den im Dokument D1 offenbarten Verfahren generell nicht der Fall sei.
Schließlich wurden von der Patentinhaberin auch keine Nachweise dafür erbracht, dass eine Koextrusion oder ein Tauchverfahren unter Verwendung anspruchsgemäßer Polymere zwingend zu einem Produkt führt, welches von Produkten unterschieden werden kann, die nach den in Dokument D1 offenbarten Verfahren hergestellt wurden.
3.4 Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass das Vorbringen der Patentinhaberin nicht den Schluss zulässt, dass durch eines der im Anspruch genannten Verfahren dem damit erzeugten Katheterrohrelement Eigenschaften verliehen werden, die es unterscheidbar machen gegenüber den im Dokument D1 offenbarten Produkten. Daher kann Neuheit für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht anerkannt werden. Der Hauptantrag erfüllt somit nicht die Anforderungen des Artikels 54 EPÜ und ist deshalb bereits aus diesem Grund nicht gewährbar.
Hilfsantrag 1
4. Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Hauptantrag lediglich dadurch, dass im Anspruch 1 die Verfahrensvariante "Tauchverfahren" gestrichen wurde. Da, wie vorstehend begründet, keines der im Anspruch 1 des Hauptantrags genannten Verfahren Neuheit des beanspruchten Katheterrohrelements begründen kann, kann auch die Streichung eines der beiden genannten Verfahren diesen Mangel nicht beheben. Die unter Punkt 3. dieser Entscheidung angeführte Begründung greift daher auch für Hilfsantrag 1, der somit ebenfalls nicht gewährbar ist (Artikel 54 EPÜ).
Hilfsantrag 1a
5. Die Einsprechende hat beantragt, den Hilfsantrag 1a nicht zum Verfahren zuzulassen. Da jedoch, wie nachstehend ausgeführt, der Antrag nicht gewährbar ist, erübrigt sich eine Entscheidung über dessen Zulässigkeit.
Im Anspruch 1 des Hilfsatrags 1a wurde gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 zusätzlich das Merkmal "Polyamid" aus der Gruppe der Kunststoffe gestrichen, die die erste Schicht des Katheterrohrelements mindestens enthält. Diese erste Schicht enthält nun "mindestens einen Kunststoff oder mehrere Kunststoffe aus der Gruppe Polyether-Block-Amid (PEBA)[deleted: , Polyamid] und Elastomer modifiziertes Polyamid".
Auch diese Änderung kann nicht zu Neuheit führen. So wird im Dokument D1 neben der in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a gestrichenen Möglichkeit "Polyamid" bereits auch die Verwendung eines Elastomer modifizierten Polyamids offenbart (siehe D1: Absatz [0040]: nylon 12 elastomer; vgl. unter Punkt 3.3.1 dieser Entscheidung). Daher greift die vorstehende Begründung zu mangelnder Neuheit gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 auch für den Gegenstand des Hilfsantrags 1a. Dieser ist somit ebenfalls nicht gewährbar (Artikel 54 EPÜ).
Hilfsantrag 2
6. Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Hauptantrag ebenfalls lediglich durch einen geänderten Anspruch 1. Dieser Anspruch leitet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags ab, wobei das beanspruchte Katheterrohrelement nun dadurch definiert wird, "dass die zweite Schicht (12) vollständig aus Ethylentetrafluorethylen besteht", wohingegen im Anspruch 1 des Hauptantrags "die zweite Schicht Ethylentetrafluorethylen (ETFE) enthält".
7. Das geänderte Merkmal führt zu Neuheit des beanspruchten Katheterrohrelement gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 (Artikel 54 EPÜ). Dieser Punkt war unstrittig zwischen den Parteien.
8. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
8.1 Die Einsprechende argumentierte, das zusätzliche Merkmal könne das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen. Insbesondere seien bereits im Dokument D1 Beispiele für Katheterrohre mit aus reinem ETFE bestehenden Polymerschichten offenbart. Sie verwies auf die Beispiele in den Tabellen 1 bis 5 des Dokuments. Daher sei dem Fachmann dieses Merkmal bereits aus dem nächstliegenden Stand der Technik bekannt. Zudem werde im Dokument D1 auch auf die durch das Material hervorgerufene technische Wirkung der Gleitfähigkeit verwiesen (Absätze [0031] und [0032]). Somit könne dieses Merkmal keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leisten. Auch habe sich durch experimentelle Untersuchungen gezeigt, dass aus PEBA und ETFE bestehende, koextrudierte Produkte (Bänder) lediglich dann zu einer stabilen Verbindung zwischen den beiden Schichten führten, wenn zumindest das verwendete ETFE mit funktionellen Gruppen modifiziert worden sei. Hierzu wurde insbesondere auf Dokument D16 verwiesen. Daher könne durch die anspruchsgemäß mögliche Kombination von Polymeren in den beiden Schichten kein stabiles Katheterrohr hergestellt werden, selbst die Aufgabe der Bereitstellung von alternativen Katheterrohrelementen sei deshalb nicht gelöst worden.
8.2 Nach Ansicht der Patentinhaberin gehe aus D1 hervor, dass die Gleitfähigkeit insbesondere der Anwesenheit von PTFE geschuldet sei. Der Fachmann würde dieses Material deshalb nicht einfach weglassen. Des weiteren sei aus Dokument D1 ersichtlich, dass gerade die Anwesenheit von sowohl ETFE als auch PTFE für wesentliche Eigenschaften wie Strahlungsbeständigkeit, Oberflächenbeschaffenheit sowie eine für Spritzgussverfahren optimale Fließfähigkeit verantwortlich sei. Die Patentinhaberin verwies hierzu auf die Absätze [0031] bis [0034]. Daher würde der Fachmann ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments D1 auf PTFE nicht verzichten, sondern dieses stets zusammen mit ETFE verwenden. Zudem machte die Patentinhaberin Chemikalienbeständigkeit, thermoplastische Umformbarkeit und Schweißbarkeit als zusätzliche technische Wirkungen geltend, die durch die Verwendung von ETFE als zweiter Schicht hervorgerufen würden (Absatz [0013] des Streitpatents).
8.3 Nach Ansicht der Kammer beruht der in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beanspruchte Gegenstand aus folgenden Gründen auf einer erfinderischen Tätigkeit:
Nächstliegender Stand der Technik
8.3.1 In Übereinstimmung mit der Auffassung beider Parteien erachtet auch die Kammer die Offenbarung des Dokuments D1, insbesondere ein gemäß der Offenbarung der Absätze [0058] bis [0061] bzw. [0062] unter Berücksichtigung der im Absatz [0040] genannten Materialien hergestelltes zweischichtiges Rohr, als geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung von erfinderischer Tätigkeit.
Unterscheidungsmerkmal
8.3.2 Unstrittig zwischen den Parteien war, dass sich das beanspruchte Katheterrohrelement vom vorstehend genannten Rohr gemäß D1 dadurch unterscheidet, dass "die zweite Schicht (12) vollständig aus Ethylentetrafluorethylen besteht". Dahingegen werden im Dokument D1 mehrschichtige Katheter offenbart, deren innere Schicht aus einer ETFE und PTFE enthaltenden Zusammensetzung besteht, wobei deren Masseverhältnis maximal 99:1 beträgt (siehe die Absätze [0030], [0034] und [0058] bis [0062] sowie die Ansprüche 1, 7 und 8 im Dokument D1). Somit besteht diese Schicht nicht vollständig aus Ethylentetrafluorethylen.
Technische Aufgabe und vorgeschlagene Lösung
8.3.3 Von den Parteien wurden verschiedene Aspekte bezüglich der durch PTFE und/oder ETFE hervorgerufenen technischen Wirkungen erörtert. Es wurden jedoch keine Wirkungen geltend gemacht, die durch eine Erhöhung des Anteils von 99 auf 100 Gewichtsanteile an ETFE hervorgerufen werden.
Somit kann die technische Aufgabe lediglich in der Bereitstellung von Alternativen zu den im Dokument D1 offenbarten Katheterrohrelementen gesehen werden.
8.3.4 Von der Einsprechenden wurde vorgebracht, dass durch die im Dokument D16 beschriebenen Versuche nachgewiesen werde, dass eine ausreichende Haftung zwischen koextrudierten Schichten nur dann erreicht werden könne, wenn das verwendete ETFE mit funktionellen Gruppen modifiziert worden sei. Andernfalls käme es zu Delamination der koextrudierten Formkörper. Daher werde durch diese Versuche gezeigt, dass die Aufgabe der Bereitstellung einer Alternative zu den im Dokument D1 offenbarten Katheterrohrelementen nicht gelöst wurde, da es sich bei den anspruchsgemäßen Polymeren nicht um entsprechend modifiziertes ETFE handle. Unter Verwendung der anspruchsgemäß genannten Herstellungsmethode "Koextrusion" und der Verwendung nicht-modifizierter Polymere ließen sich nämlich keine stabilen Katheterrohrelemente herstellen.
8.3.5 Diese Argumentation überzeugt nicht. Die im Dokument D16 beschriebenen Herstellungsversuche sind lediglich auf wenige spezifische Polymere, nämlich VESTAMID ZA 7470 und VESTAMID E55 als Vertreter von Polyether-Block-amiden (PEBA) sowie Neoflon RP-5000 AS und Neoflon EP 610 AS als Vertreter von Ethylentetrafluorethylen, und ein einziges Herstellungsverfahren beschränkt. Zudem wurden Bändchen, nicht aber rohrförmige Elemente, hergestellt. Aus den mit den vorgelegten Versuchen erhaltenen Ergebnissen kann daher nach Auffassung der Kammer nicht verallgemeinernd geschlossen werden, dass die beanspruchten Katheterrohrelemente grundsätzlich nicht unter Verwendung der im Anspruch genannten Polymere hergestellt werden können. Daher kann die zu lösende objektive technische Aufgabe wie unter Punkt 8.3.3 dieser Entscheidung angegeben als die Bereitstellung alternativer Katheterrohrelemente definiert werden.
8.3.6 Zur Lösung werden anspruchsgemäß zweischichtige Katheterrohrelemente vorgeschlagen, deren die innere Schicht bildende zweite Schicht vollständig aus Ethylentetrafluorethylen (ETFE) besteht. Die Kammer erachtet die gestellte technische Aufgabe als durch die vorgeschlagene Maßnahme gelöst.
Nicht-naheliegen der vorgeschlagenen Lösung
8.3.7 Die anspruchsgemäß vorgeschlagene Lösung des technischen Problems wird dem Fachmann durch den vorgelegten Stand der Technik nicht nahegelegt.
Von der Einsprechenden wurde hierzu insbesondere auf die Offenbarung des Dokuments D1 selbst verwiesen. Zwar werden darin, wie von der Einsprechenden vorgebracht, Katheterrohre offenbart, die vollständig aus ETFE bestehen. Auch werden derartige Elemente hinsichtlich verschiedener Eigenschaften untersucht (siehe insbesondere die Tabellen 1 bis 6 des Dokuments D1). Jedoch bestehen die genannten Katheter lediglich aus einer einzigen Schicht (siehe Absatz [0069]). Bezüglich der Verwendung von Polymerschichten, die vollständig aus ETFE aufgebaut sind, für den Aufbau mehrschichtiger Katheterrohrelemente lässt sich hieraus keine Lehre ableiten. Dahingegen verweist das Dokument an mehreren Stellen explizit darauf, bei mehrschichtigen Kathetern die inneren Katheterschicht zwingend mit zumindest einem Anteil von wenigstens 1 Gewichtsteil an PTFE auszustatten (siehe die Absätze [0008], [0012], [0016], [0024], [0030], [0057], [0058] bis [0062] sowie die Ansprüche 1, 7 und 8). Auch wird im Dokument D1 auf technische Wirkungen verwiesen, die durch die Verwendung der beiden Komponenten ETFE und PTFE hervorgerufen werden (siehe die Absätze [0031] bis [0034]).
Daher sind im von der Einsprechenden herangezogenen Dokument D1 selbst keine Hinweise enthalten, die den Fachmann dazu anregen würden, auf der Suche einer Lösung des genannten technischen Problems auch bei mehrschichtigen Katheterrohrelementen statt einer inneren Polymerschicht aus der beschriebenen Mischung aus ETFE und PTFE solche Schichten zu verwenden, die ausschließlich aus ETFE bestehen.
Das Vorbringen der Einsprechenden wird deshalb nicht als überzeugend angesehen, um einen Mangel an erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ zu belegen.
9. Da der Gegenstand des vorliegenden Hilfsantrag 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und der Antrag daher die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt, und von der Einsprechenden keine weiteren Einwände gegen die Gewährbarkeit des Patents auf der Basis des Hilfsantrags 2 vorgebracht wurden, ist dieser Antrag der Patentinhaberin zu gewähren. Die Hilfsanträge 3, 4, 5, 6, 6a, 7, 8 und 9 können somit unberücksichtigt bleiben. Da die Einsprechende in ihrer Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit des Hilfsantrags 2 nicht auf die Dokumente D13 bis D15 Bezug genommen hat, erübrigt sich auch eine Entscheidung über die Zulässigkeit dieser Dokumente.
10. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der vorliegende Hilfsantrag 2 den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere des Artikels 56 EPÜ, genügt. Daher ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent aufrecht zu erhalten auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung vom 19. September 2019 eingereichten Hilfsantrags 2 (Ansprüche 1 bis 8) und einer daran anzupassenden Beschreibung.