T 0151/20 24-01-2023
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Getriebemotor
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
I. Die Beschwerde der Patentanmelderin betrifft die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 13 753 155.4 unter Artikel 97 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.
II. Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand des unabhängigen Vorrichtungsanspruchs 1 des einzigen vor ihr anhängigen Antrags aus einer Zusammenschau der Dokumente D1 mit D2 nahegelegt ist, sowie dass der Gegenstand des unabhängigen Verfahrensanspruchs 7 aus einer Zusammenschau der Dokumente D1 mit D3 nahegelegt ist.
III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage ihres Hauptantrags zu erteilen, welcher dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Antrag entspricht (s. Punkt VI der Entscheidung). Hilfsweise beantragte sie, ein Patent auf der Grundlage ihres mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 1 zu erteilen, in dessen einzigen unabhängigen Anspruch die Merkmale des vormaligen Anspruchs 4 aufgenommen wurden, dessen Patentierbarkeit die Prüfungsabteilung in ihrer Mitteilung vom 1. Oktober 2018 festgestellt hatte. Als Hilfsantrag 2 beantragte die Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung für den Fall, dass ihrem Hauptantrag nicht im schriftlichen Verfahren stattgegeben werden kann.
IV. Die angefochtene Entscheidung beruht auf den folgenden Dokumenten:
D1 : DE 10 2005 057358 B3
D2 : EP 0 237 617 A1
D3 : DE 10 2007 038522 A1
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
"Getriebemotor mit
- einem Elektromotor (10) mit einer Abtriebswelle (14) und
- einem Getriebe (40),
wobei
- der Elektromotor (10) und das Getriebe (40) aneinander derart angepasst sind, dass ein Lagerschild (12) des Elektromotors (10) unmittelbar an einer Eingangswellenseite (42) eines Gehäuses des Getriebes (40) befestigbar ist, und
- zur Befestigung des Lagerschildes (12) an der Eingangswellenseite (42) ein die Abtriebswelle (14) umgebendes Kopplungsgewinde (20, 50) zur Herstellung einer Gewindeverbindung vorgesehen ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
ein Sicherungsabschnitt (70) vorgesehen ist, der im befestigten Zustand eine Relativdrehung des Gehäuses des Getriebes (40) gegenüber dem Lagerschild (12) in einer Löse-Richtung verhindert, wobei dieser Sicherungsabschnitt (70) am Lagerschild (12) oder am Getriebegehäuse (40) durch eine in Tangentialrichtung des Kopplungsgewindes (20, 50) ausgerichtet in den Lagerschild (12) oder das Getriebegehäuse (40) eingeschraubte Befestigungsschraube (72) befestigt ist."
Die Ansprüche 2 bis 6 sind von Anspruch 1 abhängig.
VI. Der unabhängige Anspruch 7 des Hauptantrags lautet:
"Verfahren zum Befestigen eines Motors (10) und eines Getriebes (40) aneinander, wobei der Motor (10) und das Getriebe (40) über ein eine Abtriebswelle (14) des Motors umgebendes Kopplungsgewinde (20, 50) aneinander anschraubbar sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Festschrauben des Getriebes (40) am Motor (10) zumindest in einer letzten Phase des Festschraubens dadurch erfolgt, dass ein Sicherungsabschnitt (70) mittels einer in Tangentialrichtung des Kopplungsgewindes (20, 50) einschraubbaren Befestigungsschraube (72) an das Getriebe (40) angeschraubt wird und hierdurch ein Drehmoment in Anzieh-Richtung des Kopplungsgewindes (20, 50) auf den Motor (10) bewirkt wird, oder dass der Sicherungsabschnitt (70) mittels der in Tangentialrichtung des Kopplungsgewindes (20, 50) einschraubbaren Befestigungsschraube (72) an den Motor (10) angeschraubt wird und hierdurch ein Drehmoment in Anzieh-Richtung des Kopplungsgewindes (20, 50) auf das Getriebe (40) bewirkt wird."
VII. Der Wortlaut der Ansprüche des Hilfsantrags 1 ist hier nicht wiedergegeben, da die Kammer zu der Auffassung gelangt ist, dass bereits der Hauptantrag gewährbar ist.
VIII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von D1 durch seinen kennzeichnenden Teil, nach dem unter anderem der Sicherungsabschnitt am Lagerschild oder am Getriebegehäuse durch eine in Tangentialrichtung des Kopplungsgewindes ausgerichtet in den Lagerschild oder das Getriebegehäuse eingeschraubte Befestigungsschraube befestigt ist. Dies sei auch D2 nicht zu entnehmen, denn die beiden in D2 offenbarten Halbschalen wiesen keine Befestigungsschraube auf, welche in Tangentialrichtung des Kopplungsgewindes in den Lagerschild oder das Getriebegehäuse eingeschraubt sei. Für den Gegenstand des Anspruchs 7 gelte entsprechendes.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht eingereicht und ausreichend substantiiert. Folglich ist die Beschwerde im Sinne des Artikels 108 EPÜ und der Regel 99 EPÜ zulässig.
2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Die Beschwerdeführerin hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nur für den Fall beantragt, dass ihrem Hauptantrag nicht stattgegeben werden kann. Diese Bedingung ist nicht eingetreten, da die Kammer zu der Auffassung gelangt ist, dass der Hauptantrag gewährbar ist.
Somit war der Erlass der Entscheidung im schriftlichen Verfahren zulässig, Artikel 116 (1) EPÜ und Artikel 12 (8) VOBK 2020.
3. Hauptantrag
3.1 Die Kammer ist von der Begründung der angefochtenen Entscheidung, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruhe angesichts einer Kombination der Dokumente D1 und D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, nicht überzeugt.
Zwar mag es sein, dass es aus D2 bekannt ist "dass mit einem tangential verschraubten Sicherungsabschnitt (46) eine Relativdrehung zweier koaxial angeordneter Bauteile (22, 24) verhindert werden kann" (s. Punkt 2 der Entscheidungsgründe). Dies entspricht jedoch nicht den Unterscheidungsmerkmalen des Anspruchs 1 gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1.
Die Schelle 46 nach D2 mag zwar durch tangentiale Verschraubung an die Welle 22 geklemmt sein, sie bildet jedoch keinen Teil der Welle oder des an der Welle festzulegenden Lagers 24 nach D2. Zudem betrifft D2 auch nicht eine durch ein Kopplungsgewinde hergestellte Verbindung zwischen einem Lagerschild und einem Getriebegehäuse eines Getriebemotors.
Die Auffassung der Prüfungsabteilung, es sei eine von zwei naheliegenden Alternativen, "[o]b die Befestigungsschraube nun in einen vom Bauteil (22) getrennten Gegensicherungsabschnitt (48) eingeschraubt wird oder der Gegensicherungsabschnitt mit dem Bauteil (22) fest verbunden ist", überzeugt die Kammer nicht. D2 lehrt lediglich eine formschlüssige Klemmung eines Lagers 24 an der Welle 22 in radialer Richtung, wohingegen der Sicherungsabschnitt nach Anspruch 1 durch eine in Tangentialrichtung des Kopplungsgewindes ausgerichtet in das Getriebegehäuse oder in das Lagerschild eingeschraubte Befestigungsschraube befestigt ist.
Erfindungsgemäß geht es auch nicht, wie in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, ganz allgemein darum eine Relativdrehung zweier koaxial angeordneter Bauteile zu verhindern, sondern es geht darum, eine Relativdrehung zwischen Getriebegehäuse und Lagerschild eines Getriebemotors in der Löserichtung des Kopplungsgewindes eben dieser beiden Elemente des Getriebemotors zu verhindern. Gerade hierzu kann D2 jedoch nichts beitragen, da in D2 kein Kopplungsgewinde offenbart ist und folglich aus D2 keine Rückschlüsse darauf möglich sind, wie eine Relativdrehung eines Kopplungsgewindes in Löserichtung verhindert werden kann.
Entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung führt zudem das Ersetzen der in D1 offenbarten Verdrehsicherung durch die in D2 offenbarte Verdrehsicherung nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1, denn die Verdrehsicherung nach D2 beruht auf radialer Klemmung und nicht auf Festschrauben in tangentialer Richtung. Die Schrauben werden laut D2 zwar tangential eingeschraubt, sie bewirken jedoch nicht unmittelbar die Klemmwirkung. Diese ergibt sich durch die in radialer Richtung wirkende Kraft der beiden Hälften der Schelle 26 oder 28 auf die Welle 22.
Laut Anspruch 1 dient die anspruchsgemäße Sicherung des Kopplungsgewindes augenscheinlich dazu, dem zwischen Elektromotor und Getriebe zu übertragenden Drehmoment entgegenzuwirken. In D2 geht es jedoch darum, eine zweiteilige Lagerhülse für ein daran gleitgelagertes zweiteiliges Kunststoffzahnrad auf einer Achse auf einfachste Weise anklemmen zu können. D2 sieht hierzu kein Kopplungsgewinde vor. D2 betrifft weder ein Getriebegehäuse, noch ein Lagerschild, noch ein Kopplungsgewinde. Die Kammer hält es daher für fraglich, ob der Fachmann ausgehend von Dokument D1 das Dokument D2 überhaupt in Betracht ziehen würde.
Hinsichtlich einer Verdrehsicherung mit tangentialer Verschraubung enthält D2 keinerlei Anregung. Sogar wenn der Fachmann die Lehre von D2 auf jene von D1 anwenden würde, müsste er versuchen, das anspruchsgemäße Innen- und Außengewinde mittels einer von außen angebrachten Schelle in radialer Richtung durch Klemmen gegen Verdrehen zu sichern. Dies entspricht zum einen nicht dem Gegenstand des Anspruchs 1 und ist darüber hinaus bei dem anspruchsgemäßen Kopplungsgewinde technisch nicht zerstörungsfrei möglich.
3.2 Die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des unabhängigen Anspruchs 7 hält die Kammer ebenfalls nicht für überzeugend. Die Prüfungsabteilung stellt zwar ausgehend von Dokument D1 mehrere Unterscheidungsmerkmale des Anspruchs 7 fest. Aus dem zitierten Absatz [0019] des Dokuments D3 gehen diese jedoch nicht hervor. Eine Begründung wo genau in D3 die Unterscheidungsmerkmale offenbart sein sollen, enthält die angefochtene Entscheidung nicht. D3 offenbart darüber hinaus keinerlei Befestigungswirkung in tangentialer Richtung. Die in Absatz [0019] erwähnten und in der in Bezug genommenen Figur 3 gezeigten Schrauben 14 verlaufen in axialer Richtung im Maschinengehäuse 2.
3.3 Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht aus einer Zusammenschau der Dokumente D1 und D2 nahegelegt. Der Gegenstand des Anspruchs 7 ist nicht aus einer Zusammenschau der Dokumente D1 und D3 nahegelegt.
Weitere Einwände hatte die Prüfungsabteilung gegen den Hauptantrag nicht erhoben und der Kammer sind keine Gründe ersichtlich, warum der Hauptantrag die Erfordernisse des EPÜ nicht erfüllen sollte.
Die Kammer hält den Hauptantrag daher gegenüber dem von der Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigten Stand der Technik für gewährbar.
4. Hilfsantrag 1
Nachdem die Kammer bereits den Hauptantrag für gewährbar hält, erübrigt sich eine Erörterung des Hilfsantrags 1.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird mit der Anordnung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen, ein Patent in folgender Fassung zu erteilen:
Ansprüche 1 bis 7, eingereicht mit Schreiben vom 5. April 2019.
Beschreibung: Seiten 1 und 1a, eingereicht mit Schreiben vom 5. April 2019; Seiten 2 bis 10, wie veröffentlicht.
Zeichnungen: Blätter 1/5 bis 5/5, wie veröffentlicht.