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T 0564/20 11-05-2022
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VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINER VORRICHTUNG, INSBESONDERE EINES FAHRGESCHÄFTES, EINES TRANSPORTMITTELS, EINES FITNESSGERÄTES ODER DERGLEICHEN
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 3 041 591 in geändertem Umfang nach Artikel 101 (3) (a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu gegenüber E4 und dass der Gegenstand von Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1 erfinderisch sei.
III. In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D1: US 6,179,619 B1
D3: WO 2014/108693 Al
E4: US 2013/0083062 A1
IV. Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin (nachfolgend Patentinhaberin) beantragt, das Patent im erteilten Umfang aufrecht zu erhalten (Hauptantrag). Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 1, oder der mit Schreiben vom 4. Januar 2021 vorgelegten Hilfsanträge 2-15, weiter hilfsweise im Umfang des Hilfsantrages 16, eingereicht mit Schreiben vom 11. April 2022.
V. Die Beschwerdeführerin Einsprechende 2 (nachfolgend Einsprechende 2) beantragt die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VI. Die Einsprechende 1 hat mit dem Schreiben vom 9. Juni 2019 ihren Einspruch zurückgenommen und ist somit nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt.
VII. Mit einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 11. Mai 2022 in Anwesenheit aller Parteien als Videokonferenz statt.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 der für diese Entscheidung relevanten Anträge hat den folgenden Wortlaut:
Hauptantrag (erteilte Fassung)
"Verfahren zum Betreiben eines Fahrgeschäftes (1), insbesondere Achterbahn, mit wenigstens einem entlang einer Fahrstrecke sich bewegenden und wenigstens einen Fahrgast (30) aufnehmenden Fahrzeug (2), bei dem mittels eines fahrgeschäftsspezifischen Computer-programms eine einer Fahrt mit dem Fahrzeug (2) entsprechende virtuelle Realität erzeugt und auf einem dem Fahrgast (30) eines Fahrzeugs (2) zugeordneten Head-mounted Display (20) in Abhängigkeit der Position des Fahrzeugs (2) auf der Fahrstrecke sowie in Abhängigkeit der Position und/oder der Ausrichtung des Head-mounted Displays (20) dargestellt wird, dadurch gekennzeichnet, dass das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm auf einem eine Kommunikations-schnittstelle (10.1) aufweisenden mobilen Endgerät (10) des Fahrgastes (30) ausgeführt wird."
Hilfsantrag 1
Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):
"...bei dem mittels eines fahrgeschäftsspezifischen Computerprogramms eine einer Fahrt mit dem Fahrzeug (2) während der Fahrt entsprechende virtuelle Realität erzeugt und..."
Hilfsantrag 2
Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"...[deleted: dargestellt wird, dadurch gekennzeichnet, dass] wobei das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm auf einem eine Kommunikationsschnittstelle (10.1) aufweisenden mobilen Endgerät (10) des Fahrgastes (30) ausgeführt wird[deleted: .] , wobei die Position des Fahrzeugs (2) auf der Fahrstrecke von einer Positionserfassungs-vorrichtung (2.1) mit einer Fahrzeugkommunikations-schnittstelle (2.2) des Fahrzeugs (2) erfasst und dem mobilen Endgerät (10) über dessen Kommunikations-schnittstelle (10.1) übermittelt wird."
Hilfsantrag 3
Wie im Hilfsantrag 2, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):
"...über dessen Kommunikationsschnittstelle (10.1) kabellos übermittelt wird."
Hilfsantrag 4
Wie im Hilfsantrag 3, wobei das folgende Merkmal am Ende des Anspruchs eingefügt wurde:
"und wobei das mobile Endgerät (10) fest in das Head-mounted Display (20) integriert ist oder das mobile Endgerät (10) in dem Head-mounted Display (20) sitzt."
Hilfsantrag 5
(von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Fassung)
Wie im Hilfsantrag 3, wobei das folgende Merkmal am Ende des Anspruchs eingefügt wurde:
"und wobei das mobile Endgerät (10) fest in das Head-mounted Display (20) integriert ist."
Hilfsantrag 6
Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben)
"... bei dem mittels eines fahrgeschäftsspezifischen Computerprogramms, aufweisend Streckendaten, eine einer Fahrt mit dem Fahrzeug (2) ... , [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei ...",
und das folgende Merkmal am Ende des Anspruchs eingefügt wurde:
"wobei eine Positionserfassungsvorrichtung (2.1) mit einer Fahrzeugkommunikationsschnittstelle (2.2) des Fahrzeugs (2) Sensoren zur optischen, induktiven oder mechanischen Erkennung einer aktuellen Position des Fahrzeuges auf der Fahrstrecke umfasst und diese Sensordaten dem mobilen Endgerät (10) über dessen Kommunikationsschnittstelle (10.1) kabellos übermittelt, wobei aus diesen Sensordaten durch das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm anhand von Streckendaten der Fahrstrecke des Fahrgeschäftes (1) die Position des Fahrzeugs (2) bestimmt wird, und wobei das mobile Endgerät (10) fest in das Head-mounted Display (20) integriert ist."
Hilfsantrag 7
Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben)
"... [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei ...",
und das folgende Merkmal am Ende des Anspruchs eingefügt wurde:
"wobei eine Positionserfassungsvorrichtung (2.1) mit einer Fahrzeugkommunikationsschnittstelle (2.2) des Fahrzeugs (2) Sensoren zur optischen, induktiven oder mechanischen Erkennung einer aktuellen Position des Fahrzeuges auf der Fahrstrecke umfasst und diese Sensordaten dem mobilen Endgerät (10) über dessen Kommunikationsschnittstelle (10.1) drahtlos übermittelt, wobei aus diesen Sensordaten sowie von dem fahrgeschäftsspezifischen Computerprogramm zur Verfügung gestellten Informationen hinsichtlich Beschaffenheit der Fahrstrecke des Fahrgeschäftes (1) die Position des Fahrzeugs (2) bestimmt wird und wobei das mobile Endgerät (10) fest in das Head-mounted Display (20) integriert ist."
Hilfsantrag 8
Wie im Hilfsantrag 2, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"Verfahren zum Betreiben einer[deleted: s Fahrgeschäftes (1) insbesondere] Achterbahn (1), mit wenigstens ... ,[deleted: wobei ]die Position des Fahrzeugs (2) auf der Fahrstrecke während der Fahrt von einer Positionserfassungs-vorrichtung (2.1) mit einer Fahrzeugkommunikations-schnittstelle (2.2) des Fahrzeugs (2) erfasst und dem mobilen Endgerät (10) über dessen Kommunikations-schnittstelle (10.1) kabellos übermittelt wird[deleted: .] und wobei das mobile Endgerät (10) fest in das Head-mounted Display (20) integriert ist."
Hilfsantrag 9
Wie im Hilfsantrag 5, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"...wobei das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm auf einer Datenverarbeitungsvorrichtung (1.1) des Fahrgeschäfts (1) oder einem App-Store-Server im Internet bereit gestellt wird, wobei das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm auf ein eine Kommunikationsschnittstelle (10.1) aufweisenden mobilen Endgerät (10) des Fahrgastes (30) über die Kommunikationsschnittstelle (10.1) heruntergeladen oder übertragen wird und auf dem mobilen Endgerät (10) installiert oder aktualisiert wird, und
wobei das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm
auf[deleted: einem] dem die [deleted: eine] Kommunikationsschnittstelle (10.1) aufweisenden mobilen Endgerät (10) des Fahrgastes (30) ausgeführt wird,..."
Hilfsantrag 10
Wie im Hilfsantrag 9, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):
"... des Head-mounted Displays (20) dargestellt wird, wobei das Bild der optischen Realität im aktuellen Sehfeld des Fahrgastes (30) mittels des Head-mounted Displays (20) durch eine stereoskopische Darstellung der virtuelle Realität ersetzt wird, wobei das fahrgeschäftspezifische Computerprogramm..."
Hilfsantrag 11
Wie im Hilfsantrag 10, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):
"...entsprechende virtuelle Realität erzeugt, die als vollständig künstliche Umgebung ausgebildet ist und auf einem dem Fahrgast (30) eines Fahrzeugs (2) zugeordneten Head-mounted Display (20)..."
Hilfsantrag 12
Wie im Hilfsantrag 11, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):
"... des Head-mounted Displays (20) dargestellt wird, wobei das Bild der optischen Realität im aktuellen Sehfeld des Fahrgastes (30) mittels des Head-mounted Displays (20) durch eine stereoskopische Darstellung der virtuelle Realität ersetzt wird, wobei das fahrgeschäftspezifische Computerprogramm..."
Hilfsantrag 13
Wie im Hilfsantrag 12, wobei das folgende Merkmal am Ende des Anspruchs eingefügt wurde:
"wobei das Fahrzeug (2) mit Force-Feedback-Vorrichtungen (2.4) zur Vibration oder zur mechanischen Bewegung ausgebildet wird, deren Aktivierung durch das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm auf dem mobilen Endgerät (10) mittels dessen Kommunikations-schnittstelle (10.1) ausgelöst und gesteuert wird."
Hilfsantrag 14
Wie im Hilfsantrag 2, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"Verfahren zum Betreiben einer[deleted: s Fahrgeschäftes (1) insbesondere] Achterbahn (1), mit wenigstens ... über dessen Kommunikationsschnittstelle (10.1) übermittelt wird[deleted: .] und lediglich die Position des Fahrzeugs (2) im dreidimensionalen Raum durch die Achterbahn (1) an die individuelle Hardware des Fahrgastes (30) und die Betätigung einer Eingabevorrichtung (2.3) des Fahrzeugs (2), die zur Bedienung durch den Fahrgast (30) ausgebildet ist, über die Kommunikationsschnittstelle (10.1) an das mobile Endgerät (10) übertragen wird, oder lediglich die Position des Fahrzeugs (2) im dreidimensionalen Raum durch die Achterbahn (1) an die individuelle Hardware des Fahrgastes 30 über die Kommunikationsschnittstelle (10.1) an das mobile Endgerät (10) übertragen wird, wobei das mobile Endgerät (10) fest in das Head-mounted Display (20) integriert ist."
Hilfsantrag 15
Wie im Hilfsantrag 4, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"...kabellos übermittelt wird[deleted: .], und lediglich die Position des Fahrzeugs (2) im dreidimensionalen Raum durch die Achterbahn (1) an die individuelle Hardware des Fahrgastes (30) übertragen werden, wobei das mobile Endgerät ..."
Hilfsantrag 16
Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Durchstreichung hervorgehoben):
"...sowie in Abhängigkeit der Position und[deleted: /oder] der Ausrichtung des Head-mounted Displays (20) dargestellt wird, dadurch gekennzeichnet, dass..."
IX. Die Einsprechende 2 hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber E4. Die Hilfsanträge 1-4 und 6-16 seien nicht zum Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1-5 sei nicht neu gegenüber E4 bzw. werde ausgehend von E4 durch D1 und D3 nahegelegt.
X. Die Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 aller Anträge sei neu und beruhe im Lichte des genannten Standes der Technik auf erfinderischer Tätigkeit. Die Hilfsanträge 1-16 seien zum Verfahren zuzulassen.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Betreiben eines Fahrgeschäftes, z.B. eine Achterbahn, mit wenigstens einem entlang einer Fahrstrecke sich bewegenden und wenigstens einen Fahrgast aufnehmenden Fahrzeug. Mittels eines fahrgeschäftsspezifischen Computerprogramms wird eine virtuelle Realität erzeugt, die der Fahrt mit dem Fahrzeug entspricht. Die virtuelle Realität wird auf einem dem Fahrgast zugeordneten Head-mounted Display dargestellt, und zwar in Abhängigkeit der Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke sowie in Abhängigkeit der Position und/oder der Ausrichtung des Head-mounted Displays. Dabei wird das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm auf einem mobilen Endgerät des Fahrgastes ausgeführt, so dass ein hygienischer und wartungsarmer Betrieb des Fahrgeschäfts möglich wird, siehe die Absätze 0006 und 0008 der Patentschrift. Ein zur Durchführung des Verfahrens geeignetes Fahrgeschäft wird ebenfalls beansprucht.
3. Hauptantrag - Neuheit
Die angegriffene Entscheidung verneinte die Neuheit von Anspruch 1 des erteilten Patents gegenüber der Offenbarung des Dokuments E4, siehe den Punkt 37 der Entscheidungsgründe. Die Patentinhaberin bestreitet diesen von der Einsprechenden 2 unterstützten Befund der Entscheidung.
3.1 Das Dokument E4 offenbart ein mobiles Endgerät in Form eines Mobilgeräts 5, das mit dem als Datenbrille 19 ausgestalteten Head-mounted Display (nachfolgend als HMD bezeichnet) verbunden ist. Mittels der Datenbrille kann ein Benutzer eine erweiterte Realität erleben (Absatz 0042: "augmented reality environment"), indem die sichtbare Welt durch eingeblendete virtuelle Objekte ergänzt wird, siehe auch die Absätze 0045 und 0181 sowie die Figur 2A des Dokuments. Das HMD kann dazu verwendet werden, Personen in der Warteschlange vor einem Fahrgeschäft Informationen bereitzustellen, siehe die Absätze 0103 bis 0122 der E4. Außerdem können einem Fahrgast während der Fahrt mit dem Fahrgeschäft über das HMD Bilder gezeigt werden, siehe Absatz 0133 des Dokuments.
Zur Erfassung seiner Position, Ausrichtung und Bewegung besitzt das HMD Beschleunigungssensoren, Gyroskope, Magnetometer und einen GPS-Empfänger, siehe Absatz 0046. Die GPS-Informationen werden laut Absatz 0044 vom Mobilgerät an einen Cloudserver 15 übertragen, um in Abhängigkeit von der Position des HMD die passenden virtuellen Objekte vom Server zu erhalten. Sowohl der GPS-Empfänger als auch die drahtlose Verbindungen des Mobilgeräts zum HMD und zum Cloudserver, siehe die Absätze 0044 und 0045, implizieren eine Kommunikations-schnittstelle am mobilen Endgerät.
3.2 Für die Neuheit von Anspruch 1 des Hauptantrags ist das Ausführungsbeispiel einer Fahrt durch ein verwunschenes Haus nach Absatz 0133 der E4 relevant ("haunted house ride"). Darin wird wegen des Begriffs "ride" - was ein Fahrzeug impliziert - unbestritten ein Verfahren zum Betreiben eines Fahrgeschäftes mit wenigstens einem entlang einer Fahrstrecke sich bewegenden und wenigstens einen Fahrgast aufnehmenden Fahrzeug offenbart. Jeder Fahrgast nutzt ein mobiles Endgerät ("personal A/V apparatus") mit einem HMD ("see-through display"), das mit einem fahrgeschäftsspezifischen Computerprogramm Bilder von Gespenstern erzeugt und dem Fahrgast in unterschiedlichen Zimmern des Hauses auf dem HMD darstellt. Die Darstellung dieser Bilder erfolgt unbestritten in Abhängigkeit der Position und der Ausrichtung (Absatz 0133: "based on the personal
A/V apparatus' location and orientation"; Erwiderung der Patentinhaberin vom 4. Januar 2021, Seite 22, zweiter Absatz).
Die Kammer muss darum nun die von der Patentinhaberin bestrittenen Aspekte prüfen, wonach die in E4 genutzte Augmented Reality (AR) keine einer Fahrt mit dem Fahrzeug entsprechende virtuelle Realität sei, das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm nicht auf dem mobilen Endgerät des Fahrgastes ausgeführt werde, und wonach die virtuelle Realität nicht in Abhängigkeit der Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke dargestellt werde.
3.3 Im Hinblick auf die Darstellung im HMD stimmen die Parteien darin überein, dass in E4 keine komplett virtuelle Umgebung erzeugt und dargestellt wird. Stattdessen wird die natürliche Ansicht eines jeweiligen Zimmers des verwunschenen Hauses im HMD im Sinne einer erweiterten Realität durch digital erzeugte und dann eingeblendete virtuelle Objekte wie Gespenster ergänzt, siehe Absatz 0133 des Dokuments.
Die Patentschrift nennt zwar im Zusammenhang mit dem Stand der Technik in Absatz 0002 ein Ersetzen der optischen Realität durch eine virtuelle Realität und in Absatz 0033 zwei Beispiele für eine als virtuelle Realität "erzeugte Umgebung", was wohl jeweils den Austausch der natürlichen Ansicht im HMD durch eine vollständig virtuelle Umgebung betrifft. Jedoch legt die Patentinhaberin das auf die Erzeugung der virtuellen Realität gerichtete Merkmal in Anspruch 1 nicht in dem Sinne aus, dass eine vollständig virtuelle Umgebung erzeugt werden müsse (Erwiderung vom 11. April 2022, Seite 4, letzter Absatz: "Im Hinblick auf Merkmal 1.3 erkennt die Beschwerdekammer richtiger Weise, dass der Anspruchswortlaut nicht eine vollständige virtuelle Realität beansprucht"). Diese Sichtweise hat sie während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer dadurch bekräftigt, dass sie ein auf dem Bildschirm des HMD dargestelltes Video einer Achterbahnfahrt mit eingespiegelten Informationen als anspruchsgemäße virtuelle Realität ansah. Mithin fällt unter die Anspruchsauslegung der Patentinhaberin auch die in E4 offenbarte erweiterte Realität, also eine Ergänzung der natürlichen Ansicht durch eingeblendete virtuelle Objekte.
Das weitere Argument der Patentinhaberin, wonach der Fahrgast die Fahrt entlang der Fahrtstrecke in der virtuellen Realität als kontinuierliches Erlebnis nachvollziehen müsse, führt zu keiner anderen Sichtweise. Anspruch 1 ist nämlich nicht auf ein kontinuierliches Erlebnis oder eine kontinuierliche Fahrt beschränkt. Stattdessen verlangt der Anspruch nur, dass die virtuelle Realität einer Fahrt mit dem Fahrzeug entsprechen muss. Diese Bedingung ist auch bei einer diskontinuierlichen, also schrittweise erfolgenden Fahrt des Fahrzeugs erfüllt, wenn die erzeugte virtuelle Realität auf diese Fahrweise abgestimmt ist. Das ist in E4 der Fall, wo der Fahrgast mehrere Räume des verwunschenen Hauses durchquert und mittels der erweiterten Realität in jedem Zimmer - also abgestimmt auf diese Fahrt - unterschiedliche Gespenster sieht (Absatz 0133: "In different rooms of the haunted house, different images of ghosts ... will be provided to the user.").
3.4 Im Hinblick auf das fahrgeschäftsspezifische Computer-programm zur Erzeugung der virtuellen Realität offenbart E4 unbestritten einen Zugriff des mobilen Endgeräts auf einen externen Computer, um nach Übermittlung von Positions- und Ausrichtungsdaten des HMD bzw. des mobilen Endgeräts an den "Supplemental Information Provider" von diesem Daten für die virtuellen Objekte auf das Endgerät herunterzuladen, siehe die Absätze 0035, 0044 und 0133. Dieser Datenaustausch bedeutet aber nicht, dass die virtuelle Realität auf dem "Supplemental Information Provider" erzeugt würde und dann - vergleichbar mit einem Fernsehbild - an das - rein als Empfänger arbeitende - HMD übertragen würde; dass also das HMD nicht an der Erzeugung der virtuellen Realität beteiligt wäre.
Stattdessen werden die in einem bestimmten Datenformat an das mobile Endgerät übertragenen virtuellen Objekte, siehe Absatz 0044, nach der Übertragung noch weiterverarbeitet und dann erst angezeigt. So werden die virtuellen Objekte noch durch das HMD an einen physiologischen Zustand des Betrachters wie z.B. Angst oder Langweile angepasst (Absatz 0035: "HMD may adapt the ... virtual objects based on physiological feedback from the end user"), und eine Verarbeitung und Darstellung erfolgt im mobilen Endgerät (Absatz 0045: "Mobile device 5 may be used by mobile device 19 in order to offload computer intensive tasks (e.g. the rendering of virtual objects)"; Absatz 0077: "The rendering of images associated with virtual objects, such as virtual monster 17a, may be performed ... by the HMD"; Absatz 0133: "the personal A/V apparatus will render the enhancement", wobei sich "enhancement" auf das virtuelle Objekt in Gestalt eines Gespenstes bezieht). Da die virtuellen Objekte - also die Gespenster in den Räumen des verwunschenen Hauses - erst nach dieser Weiterverarbeitung im mobilen Endgerät für den Fahrgast in seinem HMD dargestellt werden, erfolgen die wesentlichen Schritte zur Erzeugung der virtuellen Realität im mobilen Endgerät. Mithin wird die virtuelle Realität in E4 von einem Computerprogramm auf dem mobilen Endgerät erzeugt. Aus Sicht der Kammer schließt die offene Formulierung "das fahrgeschäftsspezifische Computerprogramm auf einem ... mobilen Endgerät des Fahrgastes ausgeführt wird" dabei nicht aus, dass die Daten der virtuellen Objekte zuvor von einem weiteren Computer - wie etwa dem "Supplemental Information Provider" der E4 - heruntergeladen werden.
3.5 Im Hinblick auf die Darstellung der virtuellen Realität in Abhängigkeit der Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke stimmt die Kammer der Patentinhaberin darin zu, dass E4 keine Positionserfassung mittels eines Sensors im Fahrzeug offenbart. Auf einen solchen Sensor ist unbestritten das Merkmal "Positionserfassungs-vorrichtung ... des Fahrzeugs" in Anspruch 2 des Hauptantrags gerichtet. Jedoch ist Anspruch 1 mangels entsprechender Merkmale nicht darauf beschränkt und umfasst folglich auch eine indirekte Erfassung der Fahrzeugposition anhand anderer Positionsdaten. Das wird durch Absatz 0041 der Patentschrift bestätigt, wo die Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke aus Sensorendaten des mobilen Endgeräts des Fahrgastes in Verbindung mit Informationen über die Beschaffenheit der Fahrstrecke - und damit indirekt - ermittelt wird. Indirekt wird die Fahrzeugposition bereits in E4 ermittelt, wo laut Absatz 0133 anhand der Position des Mobilgeräts die virtuellen Objekte vom "Supplemental Information Provider" an das mobile Endgerät übermittelt und von diesem auf dem HMD dargestellt werden. Zudem ist Anspruch 1 nicht auf eine kontinuierliche Erfassung der Position beschränkt, so dass eine punktuell erfolgende Erfassung der Fahrzeugposition umfasst ist. Eine solche erfolgt zumindest in jedem Zimmer des verwunschenen Hauses der E4, denn sonst könnten nicht gemäß Absatz 0133 des Dokuments unterschiedliche Gespenster vom "Supplemental Information Provider" geladen und dann in den jeweiligen Zimmern auf dem HMD dargestellt werden. Mithin umfasst das Verfahren nach Anspruch 1 des Haupt-antrags auch die bereits in E4 offenbarte Erfassung der Fahrzeugposition anhand einer indirekten punktuellen Lokalisierung des mobilen Endgeräts mittels dessen Beschleunigungssensoren, Gyroskopen, Magnetometern und GPS-Empfänger.
Das weitere Argument der Patentinhaberin, wonach die Position des mobilen Endgeräts oder des HMD eines einzelnen Fahrgastes bei der Einfahrt des Fahrzeugs in eine Kurve der Achterbahn oder beim Warten im Einstiegsbereich neben dem Zug nicht mit der Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke übereinstimme, führt zu keiner anderen Sichtweise. Anspruch 1 enthält erstens keine Angaben zur Genauigkeit der Positionserfassung: auch in einer Kurve wird die erfasste Position (des HMD-tragenden Passagiers) wenn nicht genau, doch in etwa mit der Position des Fahrzeugs übereinstimmen. Zudem ist Anspruch 1 auch nicht auf eine Achterbahn mit einer implizit kurvigen Fahrstrecke oder auf mehrere Fahrgäste an unterschiedlichen Stellen des Fahrzeugs beschränkt. Stattdessen verlangt der Anspruch nur, dass mindestens ein Fahrgast sich auf einer beliebig geformten - also auch kurvenlosen - Fahrstrecke befindet. In diesem Fall entspricht die Position seines mobilen Endgeräts für eine realistische Darstellung der virtuellen Realität der Position des Fahrzeugs. Dies mag im Übrigen auch dann der Fall sein, wenn es sich um ein Fahrgeschäft handelt, dessen Antrieb stets eine präzise Positionsbestimmung erlaubt, z. B. ein zahnradgetriebenes Karussell. Auch in E4 der Fall, wo der Zweck der Einblendung von Geistern ja gerade darin liegt, dem Fahrgast in jedem Raum des verwunschenen Hauses einen realistischen Schrecken einzujagen, erfolgt eine mehr oder weniger präzise Positionsbestimmung. Das weitere Gegenbeispiel eines im Einstiegsbereich neben dem Zug stehenden Fahrgastes ist aus Sicht der Kammer nicht relevant, da zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug noch stillsteht, die beanspruchte "Fahrt mit dem Fahrzeug" also noch gar nicht begonnen hat.
3.6 Die Kammer schließt aus alledem, dass die in Absatz 0133 der E4 beschriebene Fahrt alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags aufweist, so dass dessen Gegenstand nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E4 ist, Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ.
4. Hilfsanträge 1-3, 5
4.1 Hilfsantrag 1
Das zusätzliche Merkmal von Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 gegenüber dem Hauptantrag ist auf die Erzeugung der virtuellen Realität während der Fahrt des Fahrzeugs gerichtet. Die Kammer ist im Zusammenhang mit dem Hauptantrag zu dem Ergebnis gelangt, dass dessen Anspruch 1 nicht auf ein kontinuierliches Erlebnis oder eine kontinuierliche Fahrt beschränkt ist, siehe Absatz 3.3 dieser Entscheidung. Dasselbe gilt für Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, da der darin verwendete allgemeine Begriff "während der Fahrt" jede Art von Fahrt, und damit auch eine schrittweise erfolgende Fahrt, umfasst. Daher umfasst dieser Anspruch auch die Fahrt durch die Zimmer des verwunschenen Hauses gemäß E4. Laut Absatz 0133 dieses Dokuments werden in jedem Zimmer - also zwischen Beginn und Ende der Fahrt - unterschiedliche Gespenster erzeugt, was folglich bereits während der Fahrt geschieht. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält daher kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber E4, das die erfinderische Tätigkeit begründen könnte.
4.2 Hilfsanträge 2, 3, 5
4.2.1 Im Hinblick auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 ist die Kammer nicht vom Argument der Patentinhaberin überzeugt, wonach das Dokument E4 nicht als "nächstliegender Stand der Technik" angesehen werden könne. Nach geltender Rechtsprechung erfordert es die Ratio des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, falls dem Fachmann mehrere gangbare Wege offenstehen, d. h. von mehreren unterschiedlichen Dokumenten ausgehende Wege, die zu der Erfindung führen könnten, die Erfindung in Bezug auf alle diese Wege zu prüfen, bevor ihr die erfinderische Tätigkeit zugesprochen wird. Ist die Erfindung für den Fachmann im Hinblick auf mindestens einen dieser Wege naheliegend, so ist sie nicht erfinderisch. Zudem muss, wenn die erfinderische Tätigkeit verneint wird, die Wahl des Ausgangspunkts nicht konkret begründet werden (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.3.1). Dessen ungeachtet bildet das Dokument E4 einen erfolgversprechenden Ausgangspunkt, da es ebenfalls ein Verfahren zum Betreiben eines Fahrgeschäfts mit virtueller Realität betrifft und zudem neuheitsschädlich für den Hauptantrag gewesen ist.
4.2.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 unterscheidet sich von der Offenbarung der E4 darin, dass die Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke von einer Positionserfassungsvorrichtung mit einer Fahrzeugkommunikationsschnittstelle des Fahrzeugs erfasst wird, dass die erfasste Position des Fahrzeugs dem mobilen Endgerät über dessen Kommunikations-schnittstelle kabellos übermittelt wird, und dass das mobile Endgerät fest in das Head-mounted Display integriert ist.
4.2.3 Damit stellt sich die Frage, ob - wie von der Patentinhaberin vorgetragen - eine Kombinations-erfindung oder - wie von den Einsprechenden 2 vorgetragen - eine bloße Aggregation von Merkmalen, die Teilaufgaben lösen, vorliegt.
4.2.4 Die Patentinhaberin vertrat im Hinblick auf das Vorliegen einer Kombinationserfindung die Auffassung, dass zwischen den oben genannten drei Unterscheidungs-merkmalen eine funktionelle Wechselwirkung vorliege, da all diese Merkmale einen kostengünstigen und wartungs-armen Betrieb des Fahrgeschäfts ermöglichen.
Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass eine Kombinationserfindung vorliegt. Der Umstand, dass mehrere Maßnahmen in Kombination zum kostengünstigen und wartungsarmen Betrieb des Fahrgeschäfts beitragen, reicht nämlich nicht aus, um das Vorliegen einer Kombinationserfindung zu belegen. Vielmehr müssen nach ständiger Rechtsprechung die Merkmale dafür in einer funktionellen Wechselwirkung zueinander stehen in dem Sinne, dass sie einen über die Summe ihrer Einzelwirkungen hinausgehenden kombinatorischen Effekt aufweisen (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.9.2.2).
4.2.5 Aus Sicht der Kammer verbessert die Erfassung der Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke von einer Positionserfassungsvorrichtung mit einer Fahrzeug-kommunikationsschnittstelle die Synchronisierung der virtuellen Realität mit der Bewegung des Fahrzeugs, und damit deren Qualität, siehe Absatz 0039 der Patentschrift. Dagegen betrifft die kabellose Übertragung der erfassten Position - mangels einer in der Patentschrift genannter Wirkung, siehe deren Absätze 0017 und 0040 - die Wahl eines alternativen Übertragungsweges. Das auf eine feste Integration des mobilen Endgeräts in das Head-mounted Display gerichtete Unterscheidungsmerkmal wiederum verhindert wohl - mangels einer in der Patentschrift genannten Wirkung, siehe deren Absätze 0013 und 0028 - ein unbeabsichtigtes Herabfallen des mobilen Endgeräts während einer Fahrt mit dem Fahrgeschäft.
Diese stark unterschiedlichen Maßnahmen hängen offensichtlich nicht strukturell zusammen, und wirken nur insoweit zusammen, dass sie das gleiche - schon aus E4 bekannte - Ziel, die Verbesserung eines Fahrgeschäfts mit virtueller Realität, verfolgen. Sonst wirken diese Maßnahmen unabhängig voneinander und beeinflussen sich auch nicht gegenseitig. Da kein synergetisches Zusammenwirken vorliegt, ist jede der drei Maßnahmen als unabhängige Maßnahme zur Verbesserung des Fahrgeschäfts zu betrachten. Folglich ist in diesem Fall gemäß der zitierten Rechtsprechung zu untersuchen, ob sich die Unterscheidungsmerkmale jeweils für sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik herleiten lassen.
4.2.6 Im Hinblick auf das erste Unterscheidungsmerkmal - die Erfassung der Position des Fahrzeugs auf der Fahrstrecke von einer Positionserfassungsvorrichtung mit einer Fahrzeugkommunikationsschnittstelle - und dessen objektive technische Aufgabe - eine Verbesserung der Synchronisierung der virtuellen Realität mit der Bewegung des Fahrzeugs - würde der Fachmann die bereits in Absatz 0005 der Patentschrift genannte D1 heranziehen. Dieses Dokument betrifft ein Verfahren zum Betrieb eines Fahrgeschäfts mit virtueller Realität, deren Synchronisierung/Qualität verbessert werden soll, siehe Spalte 1, Zeilen 3-5 und 63-65. Dazu werden die Position und Ausrichtung des HMD 17 auf dem Fahrzeug 3 mit einem ersten Sensor 9 sowie die Position des Fahrzeugs 3 auf der Fahrstrecke 1 mit einem zweiten Sensor 8 erfasst und für die Erzeugung der virtuellen Realität innerhalb der Kontrolleinheit 10 verwendet, siehe Spalte 4, Zeilen 16-54 sowie die Figuren 1 und 2 des Dokuments.
4.2.7 Im Hinblick auf das zweite Unterscheidungsmerkmal wird die kabellose Übertragung bereits durch das Kombinationsdokument D1 nahegelegt. In Spalte 5, Zeilen 31-36 erwähnt D1 die alternative kabellose Übermittlung zwischen HMD 17, Fahrzeug 3 und Kontrolleinheit 10 ("a control unit 10 to exchange necessary information with wireless communication means (not shown) provided on the helmet 17 or the moving object 3."). Daher gelangt der Fachmann durch eine Kombination von E4 und D1 auf naheliegende Weise auch zum zweiten Unterscheidungsmerkmal.
4.2.8 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin ist das dritte Unterscheidungsmerkmal, wonach das mobile Endgerät fest in das Head-mounted Display integriert ist, durch die Angabe "fest" derart zu verstehen, dass das mobile Gerät ohne Zerstörung des HMD nicht mehr aus diesem zu entnehmen ist. Dadurch sei das Gerät weiter gegen Erschütterungen geschützt.
Die Kammer sieht das anders. Die Patentschrift, siehe Absatz 0013 und Absätze 0036 bis 0038, erwähnt eine feste Integration des mobilen Endgeräts in den HMD nur lapidar und wohl als weitere Entwicklung der Idee, das mobile Endgerät des Fahrgastes im Gehäuse des HMD aufzunehmen, wo es "als integrierte Darstellungsvorrichtung dienen" kann (Absatz 0013). Durch die Integration kann das Endgerät so Funktionen des HMD übernehmen und im Zuge der allgemeinen Aufgabe nach Absatz 0009 der Patentschrift weiter die Kosten senken. Da es in Zusammenhang gelesen darum geht, das eigene, persönliche Gerät des Fahrgastes aufzunehmen, siehe auch Absatz 0032, deutet nach Ansicht der Kammer die Angabe fest nicht auf einen endgültigen und unlösbaren Einbau des Endgeräts im HMD hin. Vielmehr versteht sie fest im Sinne von "stabil, haltbar, widerstandsfähig, solide", siehe Duden. Auf die Integration im Gehäuse des HMD bezogen, bedeutet das, dass das Endgerät derart im Gehäuse aufgenommen ist, dass ein Herausfallen des mobilen Geräts aus dem HMD verhindert wird.
Nach Ansicht der Kammer besteht daher bei einer festen Integration die objektive technische Aufgabe darin, die Kosten eines Fahrgeschäfts mit HMD unter Verwendung eines eigenes mobilen Endgeräts nach Absatz 0133 der E4 weiter zu senken, wobei das mobile Endgerät zudem stabil untergebracht ist.
Die stabile Integration eines mobilen Endgerätes, insbesondere eines Mobiltelefons, im Gehäuse eines HMD zwecks Kostensenkung ist dem Fachmann aber bereits aus der D3 bekannt. Das im Dokument D3 offenbarte HMD, siehe die Figuren 2 und 3a, besitzt ein Gehäuse 12 mit einem entnehmbaren Rahmen 46 zur Aufnahme eines Mobiltelefons 510, das ähnlich der Patentschrift, siehe deren Absätze 0013 und 0036, als Darstellungs-vorrichtung des HMD dient, siehe D3, Seite 11, 2. Absatz. Die Aufnahme des Mobiltelefons als Darstellungsvorrichtung dient dazu, die hohen Kosten einer dem HMD eigenen Darstellungsvorrichtung zu vermeiden, Seite 2, Zeilen 8 bis 12. Das Mobiltelefon ist dabei stabil im Gehäuse durch verschiebbare Spannbügel 66, 68 innerhalb des Rahmens aufgenommen, der wiederum mittels Rasthaken an seinen seitlichen Enden 54 in Öffnungen des Gehäuses einrastet (rechts vom Bezugszeichen 28 in Figur 2).
Der Fachmann, der als Ingenieur HMD-unterstützte Fahrgeschäfte wie in der E4 weiterentwickelt und daher gute Kenntnisse von HMDs besitzt oder jemanden mit solchen Kenntnissen zu Rate ziehen wird, wird ohne weiteres auf die D3 zurückgreifen. Dabei lässt sich die Lehre der D3 unmittelbar und ohne Aufwand auf das Ausführungsbeispiel nach Absatz 0133 der E4 anwenden. Somit beruht auch das dritte Unterschiedsmerkmal nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4.2.9 Wie bereits oben ausgeführt, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 lediglich eine Aggregation von Maßnahmen, die jede für sich naheliegend sind. Aus diesen Gründen gelangt der Fachmann durch eine Kombination von E4, D1 und D3 zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5, ohne erfinderisch tätig zu werden.
4.3 Der Befund zum Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 betrifft logischerweise auch den Anspruch 1 der übergeordneten Hilfsanträge 2 und 3, der nur das Unterschiedsmerkmal der Positionserfassung (Hilfsantrag 2) oder dessen Kombination mit dem zweiten Unterschiedsmerkmal einer kabellosen Übertragung (Hilfsantrag 3) aufnimmt.
4.4 Folglich beruht der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1-3 und 5 ausgehend von E4 nicht auf erfinderischer Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.
5. Zulassung der Hilfsanträge 4 und 6-16
5.1 Zur Zulassung des Hilfsantrags 4 hat die Kammer bereits in ihrer Mitteilung, Abschnitt 5.1.2, die Auffassung vertreten, dass sie diesen Antrag nicht zulässt. Sie hat dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"5.1.2 Der Hilfsantrag 4 scheint dem Hilfsantrag 1 zu entsprechen, der mit Schreiben vom 14. August 2019 eingereicht, aber in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zurückgezogen wurde (Punkte 27 und 28 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung). Nach ständiger Rechtsprechung, RdBK V.A.4.11.3.f) zeigt ein solches Vorgehen eindeutig, dass der betreffende Antrag im erstinstanzlichen Verfahren hätte gestellt werden können. Daher ist die Kammer geneigt, diese Anträge gemäß Artikel 12(6) VOBK 2020 nicht zuzulassen."
Die Patentinhaberin hat während der mündlichen Verhandlung dazu nicht weiter Stellung genommen und auf ihre Schriftsätze verwiesen. In ihrem Schriftsatz vom 4. Januar 2021, Seiten 34 und 35, und in ihrem Schriftsatz vom 11. April 2022 in Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer, Seiten 27 und 28, ist die Patentinhaberin nicht auf Erfordernisse von Artikel 12 VOBK 2020 für die Zulassung dieses Hilfsantrags eingegangen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen, wonach dieser Antrag nicht zum Verfahren zugelassen wird, Artikel 12(6) VOBK 2020.
5.2 Die Hilfsanträge 6-15 wurden mit der Erwiderung der Patentinhaberin auf die Beschwerdebegründung der Einsprechenden eingereicht. Die Erwiderung enthält im Zusammenhang mit diesen Hilfsanträgen keine Argumente zur erfinderischen Tätigkeit, sondern geht lediglich auf die Zulässigkeit der Änderungen in diesen Anträgen ein, siehe die Seiten 35 und 36 der Erwiderung vom 4. Januar 2021. Auch das Schreiben der Patentinhaberin vom 11. April 2022 enthält keine Ausführungen dazu, warum die Hilfsanträge 6-15 auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Gemäß Artikel 12(3) VOBK 2020 müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ist in ihrer Gesamtheit zu entnehmen, dass das Beschwerdeverfahren primär ein schriftliches ist, wobei Artikel 12(3) VOBK 2020 festlegt, dass das vollständige Vorbringen der Beteiligten bereits zu Beginn des Verfahrens zu erfolgen hat. Zweck dieser Bestimmung ist es, ein faires Verfahren für alle Beteiligten sicherzustellen und es der Kammer zu ermöglichen, ihre Arbeit auf der Basis eines vollständigen Vorbringens beider Seiten zu beginnen. Wenn Hilfsanträge vorgelegt werden, erfordert dies in der Regel auch eine Begründung, inwiefern die Einwände der Gegenpartei oder ggf. der Kammer hierdurch ausgeräumt werden - zumindest wenn dies anhand der hierin eingefügten Änderungen nicht offensichtlich ist, siehe RdBK, 9. Auflage 2019, V.A.12.5.
Im vorliegenden Fall ist es für die Kammer anhand des schriftlichen Vorbringens der Patentinhaberin nicht direkt ersichtlich, wie die Hilfsanträge 6-15 die Einwände gegen die erfinderische Tätigkeit ausräumen können. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Patentinhaberin auf einen diesbezüglichen Vortrag verzichtet. Daher kann die Kammer nicht erkennen, wie durch die Änderungen in den Hilfsanträgen 6-15 der Einwand gegen die erfinderische Tätigkeit ausgeräumt werden kann. Aus diesen Gründen entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, die Hilfsanträge 6 - 15 nicht zuzulassen, Artikel 12(5) VOBK 2020.
5.3 Der Hilfsantrag 16 wurde mit dem Schreiben der Patentinhaberin vom 11. April 2022, und damit nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung, eingereicht. Die Patentinhaberin rechtfertigt die Vorlage dieses Hilfsantrags mit dem Argument, dass die angeblich nicht wirksame Priorität vom 11. August 2014 erstmals im Beschwerdeverfahren aufgegriffen wurde, so dass sie auf diese bisher nicht behandelten Angriffe reagieren müsse.
Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt. Der Artikel 13(2) VOBK 2020 legt fest, dass Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Die Kammer vermag keine überraschende Wendung des Falles zu erkennen. In ihrer Einschätzung, dass die Priorität vom 11. August 2014 für die Hilfsanträge 5-15 nicht gültig ist, ist die Kammer nämlich einem Argument der Einsprechenden 2 gefolgt, das bereits mit der Beschwerdebegründung, und damit fast zwei Jahre vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen wurde. Was auch immer der Grund für das Ausbleiben einer Reaktion der Patentinhaberin - z.B. durch das rechtzeitige Stellen eines entsprechenden Hilfsantrags mit ihrer Erwiderung vom 4. Januar 2021 oder vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung - auf diesen Einwand der Einsprechenden 2 gewesen sein mag, ausreichend Zeit dafür wäre vorhanden gewesen. Die Tatsache, daß sich die Kammer einem Argument der Einsprechenden 2 anschließt, ist insoweit weder überraschend noch unvorhersehbar, sondern in der Natur der Sache eines einer Entscheidungsinstanz aufgegebenen Rechtsfindungsprozesses.
Darum ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass Umstände vorliegen, mit welchen die verspätete Vorlage des Hilfsantrags 16 zu rechtfertigen wäre. Daher entscheidet die Kammer, diesen Hilfsantrag nicht ins Verfahren zuzulassen, Artikel 13(2) VOBK 2020.
6. Zwar bestätigt die Kammer den Befund in der angefochtenen Entscheidung zum Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3. Den Befund einer erfinderischen Tätigkeit für den Hilfsantrag 5, Patent wie aufrechterhalten, verneint sie jedoch, so dass sie die angefochtene Entscheidung aufheben muss. Da die weiteren Hilfsanträge 4 und 6-16 von der Kammer nicht zugelassen wurden, ist das Patent nach Art 101(3)(b) EPÜ zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.