T 1375/20 05-07-2022
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Vorrichtung und Verfahren zum Herstellen von Kunststoffflaschen
Entscheidung im schriftlichen Verfahren - (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, mit welcher die europäische Patentanmeldung Nr. 10 171 692.6 zurückgewiesen wurde.
II. Soweit für das vorliegende Verfahren relevant, stützt sich die Prüfungsabteilung auf die folgenden Dokumente:
D1: DE 198 19 731 A1;
D3: US 2006/ 086 410 A1;
D7: US 6 298 638 B1;
D10: DE 25 49 144 A1;
D12: DE 20 2005 002 470 U1.
III. Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand von Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügt und ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 in Kombination mit der Lehre des Dokuments D10 und dem allgemeinen Fachwissen, weiter unterstützt von Dokumenten D3, D7 und/oder D12, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Die von der Beschwerdeführerin im Prüfungsverfahren zur Entscheidung gestellten Hilfsanträge wurden ebenfalls für nicht gewährbar erachtet, und zwar wegen unzulässiger Erweiterung, mangelnder erfinderischer Tätigkeit der Anspruchsgegenstände und/oder mangelnder Klarheit.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und
die Erteilung des Patents
auf Basis der Anspruchssätze, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren und mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2019 als Hauptantrag und als Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht wurden,
wobei letztere im Beschwerdeverfahren als
Hilfsanträge 1D, 2A, 3A und 4A weiterverfolgt wurden,
oder auf Basis eines der erstmals im Beschwerdeverfahren mit der Beschwerdebegründung vom 15. April 2020 vorgelegten Hilfsanträge 1A bis 1C, 1E bis 1G, 2B bis 2D, 3B bis 3D oder 4B bis 4D.
V. Der unabhängigen Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Vorrichtung zum Herstellen von Kunststoffflaschen mit einer Blasmaschine (10),
einer Etikettiermaschine (20) und
einer Füllmaschine (30),
dadurch gekennzeichnet, dass
zum Transport der Flaschen die einzelnen Maschinen über Transfersterne (21, 22; 31, 32) verblockt sind, sodass die Flaschen ohne Puffer zwischen den Maschinen über die Transfersterne (21, 22; 31, 32) transportiert werden,
wobei zwischen Blasmaschine und Etikettiermaschine wenigstens zwei Transfersterne (21,22) angeordnet sind, von denen wenigstens einer zum Teilungsverzug dient; und
wobei die Transfersterne als einzelne Module mit eigenem Servomotor und Standardschnittstelle ausgebildet sind, sodass die Transfersterne Trennstellen zwischen den Maschinen zum Abkoppeln der Maschinen voneinander bilden."
VI. Angesichts des Entscheidungsausspruchs der Kammer ist eine Wiedergabe des Wortlauts der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge nicht erforderlich.
1. Verfahrensaspekte
1.1 Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020.
1.2 Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des umfänglichen schriftsätzlichen Vorbringens der Beschwerdeführerin unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif. Der von der Beschwerdeführerin hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung kommt angesichts des Ausspruches dieser Entscheidung in Form der Stattgabe der Beschwerde auf der Basis des mit der Beschwerdeerhebung eingereichten Hauptantrags nicht zum Tragen.
2. Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
2.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die Feststellung der Prüfungsabteilung in Punkt 1. der Entscheidungsgründe, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ verstoße.
2.2 Die Prüfungsabteilung begründete ihre Feststellung in Punkt 1.2 der Entscheidungsgründe erstens damit, dass der Begriff "verblockt" im vorliegenden technischen Gebiet breit verwendet werde und seine Bedeutung nicht unbedingt so eng wie die des Ausdrucks "direkt miteinander verbunden" sein müsse. Dadurch sei beispielsweise auch eine Anlage vom Umfang des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag umfasst, in der die einzelnen Maschinen, d.h. Blasmaschine, Etikettiermaschine und Füllmaschine, an anderen Vorrichtungen bzw. Maschinen verblockt, nicht aber direkt miteinander verbunden seien. Ein solche Anlage sei aber nicht aus der Textpassage der Seite 2, Absatz 1, der ursprünglichen Anmeldeunterlagen eindeutig und unmittelbar herzuleiten.
Die Beschwerdeführerin verwies dementgegen in zutreffender Weise darauf, dass gemäß Anspruchswortlaut "die einzelnen Maschinen [zum Transport der Flaschen] über Transfersterne verblockt sind, so dass die Flaschen ohne Puffer zwischen den Maschinen über die Transportsterne transportiert werden" und bemängelte zurecht, dass sich aus dem Anspruchswortlaut unmittelbar und eindeutig ergibt, dass die Maschinen, d.h. Blasmaschine, Etikettiermaschine und Füllmaschine über Transfersterne direkt miteinander verbunden sind (vgl. Beschwerdebegründung, Seiten 4 und 5, übergreifender Absatz). Der Begriff "verblocken" in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag kann, so wie auch auf der angeführten Passage auf Seite 2, Absatz 1, der ursprünglichen Unterlagen, im Kontext des übrigen Anspruchswortlauts nur als ein "direktes Verbinden der Maschinen miteinander" verstanden werden, so dass die von der Prüfungsabteilung insoweit angegebenen Begründung ihrer Feststellung zu Artikel 123 (2) EPÜ insoweit bereits deshalb fehlerhaft ist, weil sie auf einer unzutreffenden Vorraussetzung beruht.
2.3 Zweitens begründete die Prüfungsabteilung in Punkt 1.3 der Entscheidungsgründe ihre Feststellung zu Artikel 123 (2) EPÜ damit, dass das Merkmal "was eine flexible Anpassung an unterschiedliche Aufgaben ermöglicht" verknüpft und untrennbar von den anderen der Offenbarung auf Seite 2, Absatz 1, der ursprünglichen Beschreibung entnommenen, geänderten Merkmalen in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag sei.
Die geänderten Merkmale in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag betreffen die Verblockung der Maschinen über Transfersterne, die Trennstellen zwischen den Maschinen bilden. Die Beschwerdeführerin wies richtigerweise darauf hin, dass mit diesen Merkmalen im Besonderen der Vorteil einer flexiblen Anpassung der erfindungsgemäßen Vorrichtung an unterschiedliche Aufgaben verbunden ist.
Das angeblich weiter aufzunehmende Merkmal "was eine flexible Anpassung an unterschiedliche Aufgaben ermöglicht" liegt jedoch vollständig im Bereich der erfindungsgemäßen Aufgabenstellung, die "Vorrichtung so weiterzubilden, dass sie bei räumlich kompakter und platzsparender Anordnung dennoch flexibel und an verschiedene Aufgaben einfach anpassbare ist sowie ein entsprechendes Verfahren dafür anzugeben". (vgl. ursprüngliche Beschreibung, Seite 1, Absatz 5). Bei diesem Merkmal handelt es sich daher um ein unwesentliches Merkmal, dessen Aufnahme in den Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht erforderlich ist, was als solches vom Fachmann aus der Offenbarung der Seite 2, Absatz 1 der ursprünglichen Beschreibung auch erkannt wird.
Daher ist auch diese zweite von der Prüfungsabteilung angegebene Begründung ihrer Feststellung zu Artikel 123 (2) EPÜ fehlerhaft.
2.4 Drittens begründete die Prüfungsabteilung in Punkt 1.4 der Entscheidungsgründe ihre Feststellung zu Artikel 123 (2) EPÜ damit, dass die Merkmale "die Transfersterne bilden damit Schnittstellen zu den vor- und nach geschalteten Maschinen" und "aufgrund ihrer Einzelantriebe" auch verknüpft und untrennbar vom Merkmal "zum Abkoppeln der Maschinen" seien.
Die Beschwerdeführerin bemängelte diese Begründung in zutreffender Weise auf Seite 6, Absatz 4, ihrer Beschwerdebegründung, weil die vermeintlich fehlenden Merkmale bereits in Merkmal C) des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, das im wesentlichen auf den ursprünglichen Anspruch 7 zurückgeht, berücksichtigt sind, nämlich dass "die Transfersterne als einzelne Module mit eigenem Servomotor und Standardschnittstelle ausgebildet sind".
Die von der Prüfungsabteilung insoweit angegebenen Begründung ihrer Feststellungen zu Artikel 123 (2) EPÜ geht daher von einer unzutreffenden Vorraussetzung aus und ist deshalb fehlerhaft ist.
2.5 Im Ergebnis ist die Kammer daher von den Ausführungen der Beschwerdeführerin zu der Unrichtigkeit der Gründe der angefochtenen Entscheidung in Hinblick auf die Zulässigkeit der Änderungen nach Artikel 123 (2) EPÜ überzeugt.
3. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
3.1 Die Prüfungsabteilung stellte in den Punkten 2.4. bis 2.20 fest, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag angesichts der technische Lehre des Dokuments D1 in Kombination mit der technischen Lehre des Dokuments D10 und dem allgemeinen Fachwissen, unterstützt von den Dokumenten D3, D7 und D12, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3.2 Die Prüfungsabteilung stellte dazu fest, dass die Unterschiede zwischen Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und der technischen Lehre des Dokuments D1 die folgenden seien (vgl. Punkt 2.6. der Entscheidungsgründe):
"(i) die einzelnen Maschinen sind über Transfersterne verblockt;
(ii-a) wobei zwischen Blassmaschine und Etikettiermaschine sind wenigstens zwei Transfersterne angeordnet, wovon wenigstens einer zum Teilungsverzug dient,
(ii-b) sodass die Transfersterne Trennstellen zwischen den Maschinen zum Abkoppeln der Maschinen voneinander bilden;
(iii) die Transfersterne sind als einzelne Module mit eigenem Servomotor und Standardschnittstelle ausgebildet."
3.3 Die Prüfungsabteilung stellte dazu weiter fest, dass die Beiträge dieser Unterscheidungsmerkmale zu der erfindungsgemäßen Lösung nicht als synergetisch angesehen werden können, sondern es eher scheine, dass jeder Unterschied eine Teilaufgabe löst, um den kompakteren Aufbau zu schaffen.
3.4 Diese Feststellungen können jedoch keinen Bestand haben, denn die von der Prüfungsabteilung erfolgte Formulierung der Unterscheidungsmerkmale entspricht nicht dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrags.
3.5 Während die Prüfungsabteilung in Punkt 2.6. eine kausale und funktionale Verknüpfung der Teilmerkmale (ii-a) und (ii-b) unterstellte, zeigt der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag diese Verknüpfung tatsächlich zwischen den Teilmerkmalen (iii) und (ii-b), denn aus dem Anspruchswortlaut geht eindeutig hervor, dass die Ausbildung der Transfersterne als einzelne Module mit eigenem Servomotor und Standardschnittstelle und die Funktion der Transfersterne als Trennstellen zwischen den Maschinen zum Abkoppeln der Maschinen zusammenhängen. Die Ausbildung der Transfersterne wirkt überdies mit der Anordnung der Transfersterne und der Verblockung der Maschinen durch die Transfersterne zusammen, um die erfindungsgemäße Aufgabe zu lösen, dass die Vorrichtung bei räumlich kompakter und platzsparender Anordnung dennoch flexibel und an verschiedene Aufgaben einfach anpassbar ist.
3.6 Die Kammer stimmt deshalb mit der Beschwerdeführerin überein, dass die Unterscheidungsmerkmale, die richtigerweise wie folgt anzugeben sind:
i) "die einzelnen Maschinen sind über Transfersterne verblockt",
ii) "wobei zwischen Blasmaschine und Etikettiermaschine wenigstens zwei Transfersterne angeordnet sind, wovon wenigstens einer zum Teilungsverzug dient", und
iii) "die Transfersterne sind als einzelne Module mit eigenem Servomotor und Standardschnittstelle ausgebildet, sodass die Transfersterne Trennstellen zwischen den Maschinen zum Abkoppeln der Maschinen voneinander bilden",
synergetisch zusammenwirken (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 8, Absatz 2).
3.7 Diese Unterscheidungsmerkmale sind mit der objektiven Aufgabe verknüpft, eine gattungsgemäße Vorrichtung zum Herstellen von Kunststoffflaschen mit einer Blasmaschine, einer Etikettiermaschine und einer Füllmaschine bereitzustellen, die bei räumlich kompakter und platzsparender Anordnung dennoch flexibel und an verschiedene Aufgaben einfach anpassbar ist.
3.8 Die angefochtene Entscheidung enthält keine Feststellungen dazu, dass der Fachmann ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 oder aus dem weiteren Stand der Technik, dargelegt durch die Dokumente D10, D3, D7 und D12, einen Hinweis auf diese objektive Aufgabe erhalten habe könnte, noch dazu, dass aus dem Stand der Technik das Unterscheidungsmerkmal iii), so wie es nun richtigerweise formuliert ist, zu entnehmen wäre. Die Kammer vermag der Lehre des Dokuments D1 sowie dem weiteren Stand der Technik keinen solchen Hinweis noch eine Offenbarung des Unterscheidungsmerkmals iii) zu entnehmen, so dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag angesichts der Lehre des Dokuments D1 in Kombination mit dem Dokument D10 und dem allgemeinen Fachwissen, weiter unterstützt von Dokument D3, D7 und/oder D12 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3.9 Die Feststellungen der Prüfungsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit sind daher aufzuheben.
3.10 Die angefochtene Entscheidung enthält weiter keine Feststellungen zu Hindernissen, die der Patentfähigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag entgegenstehen könnten. Die Kammer vermag solche Hindernisse nicht zu erkennen.
3.11 Dem Antrag der Beschwerdeführerin, ein europäisches Patent basierend auf dem der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrag zu erteilen, ist daher stattzugeben
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Beschreibung, Seiten:
2 bis 9, wie ursprünglich eingereicht,
1, 1a, 1b, eingereicht mit Schriftsatz vom
23. Juli 2012,
Ansprüche, Nrn:
1 bis 9, eingereicht als Hauptantrag
mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2019,
Zeichnungen, Figuren:
1/3 bis 3/3, wie ursprünglich eingereicht.