T 1510/20 11-02-2021
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Verfahren zum Ansteuern eines Hybridantriebsstranges
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die streitgegenständliche Patentanmeldung zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 nicht erfinderisch sei (Artikel 56 EPÜ) gegenüber einer Kombination der Dokumente
D1 DE 10 2010 044 618 A1 und
D2 DE 10 2008 027 658 A1,
sowie der Anspruch 1 nicht ausreichend klar formuliert sei (Artikel 84 EPÜ).
III. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des mit Schreiben vom 1. Februar 2021 in Reaktion auf einen verfahrensleitenden Bescheid der Kammer eingereichten einzigen Antrags.
IV. Anspruch 1 des Antrags lautet wie folgt:
"Verfahren zum Ansteuern eines Hybridantriebsstranges (10), der einen Antriebsmotor (12) und ein Doppelkupplungsgetriebe (14) aufweist, das zur Einrichtung von zwei Leistungsübertragungspfaden (26, 36) eine erste und eine zweite Reibkupplung (20, 30) und ein erstes und ein zweites Teilgetriebe (22, 32) aufweist, wobei eine elektrische Maschine (40) in Leistungsflussrichtung hinter der zweiten Reibkupplung (20) an den zweiten Leistungsübertragungspfad (26) angebunden ist, wobei ein rein elektrischer Fahrbetrieb über das der zweiten Reibkupplung (20) zugeordnete zweite Teilgetriebe (22) erfolgen kann, und wobei bei einem Gangwechsel in dem zweiten Teilgetriebe (22) während eines rein elektrischen Fahrbetriebes ein Füllmoment bereitgestellt wird,
wobei das Füllmoment aus der Schwungenergie des zuvor angeschleppten, nicht gezündeten Antriebsmotors (12) bereitgestellt wird, wobei
der Antriebsmotor (12) über den ersten Leistungsübertragungspfad (36) auf eine Zieldrehzahl angeschleppt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Antriebsstrang (10) ferner einen elektrischen Anlassermotor (44) aufweist und wobei der Anlassermotor (44) wenigstens dazu verwendet wird, um ein Losbrechmoment beim Anschleppen des Antriebsmotors (12) zu überwinden und wobei vor dem Anschleppen in dem ersten Teilgetriebe (32) eine hohe Gangstufe eingelegt wird, insbesondere die höchste oder die zweithöchste Gangstufe des ersten Teilgetriebes (32)."
V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Das Dokument D1 zeige nicht, dass der Antriebsstrang einen elektrischen Anlassermotor zum Anschleppen des Antriebsmotors aufweist, um ein Losbrechmoment beim Anschleppen des Antriebsmotors zu überwinden, und dass vor dem Anschleppen im ersten Teilgetriebe eine hohe Gangstufe eingelegt wird.
b) Ausgehend von D1 lege D2 es weder nahe, einen elektrischen Anlassermotor vorzusehen, noch vor dem Anschleppen im ersten Teilgetriebe eine hohe Gangstufe einzulegen.
c) Zudem sei der Wortlaut des Anspruchs 1 aufgrund der vorgenommenen Änderungen ausreichend klar.
1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 3 und erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
Die abhängigen Ansprüche 2 und 3 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 11 und 12.
2. Anspruch 1 ist ausreichend klar und knapp gefasst und die Beschreibung wurde an den geltenden Anspruchssatz angepasst, so dass die Anmeldung den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügt.
2.1 In Anspruch 1 wird nun klargestellt, dass das Anschleppen des nicht gezündeten Antriebsmotors ausschließlich über den ersten Leistungsübertragungspfad erfolgt, so dass der von der Prüfungsabteilung unter Punkt 14.1 der angefochtenen Entscheidung zitierte Widerspruch zwischen den Ausdrücken "Antriebsmotor wird über den ersten oder über den zweiten Leistungsübertragungspfad auf eine Zieldrehzahl angeschleppt" und "wobei das Anschleppen über den ersten Leistungsübertragungspfad erfolgt" behoben ist.
2.2 Ferner wird in Anspruch 1 die Formulierung "um ein Losbrechmoment beim Anschleppen des Antriebsmotors (12) zu überwinden" verwendet, wie es im ursprünglich eingereichten Anspruch 3 schon definiert wurde, so dass auch der weitere, von der Prüfungsanteilung unter Punkt 14.2 der angefochtenen Entscheidung erwähnte Einwand unter Artikel 84 EPÜ aufgrund der unvollständigen Formulierung "um ein Losbrechen beim des Antriebsmotors (12) zu überwinden" behoben ist.
3. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 erfüllt auch die Erfordernisse des Artikels 52 EPÜ.
3.1 Das Dokument D1 wird übereinstimmend mit der Beschwerdeführerin und der Prüfungsabteilung als nächstkommender Stand der Technik angesehen, wobei D1 unbestritten ein Verfahren nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 offenbart, das jedoch keinen zusätzlichen Anlassermotor im Antriebsstrang aufweist.
3.2 D1 offenbart dabei in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele dieses Verfahrens, bei denen ein Füllmoment zur Zugkraftunterstützung durch Anschleppen des nicht gezündeten Antriebsmotors bereitgestellt wird:
3.2.1 In einer ersten Ausführungsform (Figur 5 und 6, Absätze [0086] - [0096]) wird hierzu der nicht gezündete Antriebsmotor über den ersten Leistungsübertragungspfad (in D1 als "passiver Leistungsübertragungspfad" bezeichnet) angeschleppt. Hierbei wird aber im ersten/passiven Teilgetriebe nach Absatz [0090] eine möglichst niedrige Gangstufe eingelegt. Wie in Absatz [0092] ausgeführt, dient diese niedrige Gangstufe dazu, eine möglichst hohe Drehzahl des Antriebsmotors zu erreichen, bevor diese dann zur Bereitstellung des Füllmoments verwendet werden kann, sodass die im Antriebsmotor gespeicherte Energie maximiert wird.
3.2.2 In einer zweiten Ausführungsform (Figur 7 und 9, Absätze [0097] - [0100]) wird der nicht gezündete Antriebsmotor über den zweiten Leistungsübertragungspfad (in D1 als "aktiver Leistungsübertragungspfad" bezeichnet) angeschleppt. Hier wird über das zweite/aktive Teilgetriebe das Antriebsmoment der elektrischen Maschine direkt auf den nicht gezündeten Antriebsmotor übertragen, bis dieser eine gewünschte Drehzahl erreicht hat. Parallel dazu wird gemäß Absatz [0098] im ausgekuppelten ersten/passiven Leistungsübertragungspfad im ersten/passiven Teilgetriebe eine möglichst hohe Gangstufe eingelegt. Dieser hohe Gang ist erforderlich, um im aktiven und passiven Leistungsübertragungspfad während der Bereitstellung des Füllmoments abtriebsseitig vergleichbare Drehzahlen erzielen zu können.
3.2.3 Die ab Absatz [0101] beschriebene dritte Ausführungsform verwendet zum Anschleppen des Antriebsmotors analog zur ersten Ausführungsform den ersten/passiven Leistungsübertragungspfad, schaltet aber - sobald der Antriebsmotor seine Zieldrehzahl erreicht hat und damit erst nach erfolgtem Anschleppen - im ersten/passiven Teilgetriebe in einen höheren Gang, um die Vorteile der beiden ersten Ausführungsformen zu kombinieren.
3.3 Aus Sicht der Kammer stellt die erste Ausführungsform von D1 den nächstkommenden Stand der Technik dar, da in dieser Ausgestaltung analog zu dem im Streitpatent beanspruchten Verfahren auch der erste/passive Leistungsübertragungspfad zum Anschleppen verwendet wird.
3.4 Hiervon unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dahingehend, dass
a) der Antriebsstrang einen elektrischen Anlassermotor aufweist, der wenigstens dazu verwendet wird, ein Losbrechmoment beim Anschleppen des Antriebsmotors zu überwinden; und
b) vor dem Anschleppen in dem ersten Teilgetriebe eine hohe Gangstufe eingelegt wird, insbesondere die höchste oder die zweithöchste Gangstufe des ersten Teilgetriebes.
3.5 Die Prüfungsabteilung hat hierzu in ihrer Entscheidung zwar argumentiert, dass aus Absatz [0098] bekannt sei, eine möglichst hohe Gangstufe im ersten/passiven Teilgetriebe zu verwenden.
Diese Passage betrifft jedoch die zweite Ausführungsform des Verfahrens, bei dem das Anschleppen über den zweiten/aktiven Leistungsübertragungspfad erfolgt. Diese zweite Ausführungsform stellt dabei eine eigenständige Offenbarung dar, die nicht mit der ersten Ausführungsform vermengt werden darf.
Zudem wird bei dem aus D1 bekannten Verfahren nach der zweiten Ausführungsform der hohe Gang auch nicht vor dem Anschleppen eingelegt, sondern parallel zum Anschleppen (und damit zeitgleich zum Anschleppen).
3.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu (Artikel 54 EPÜ).
3.7 Ausgehend von D1 stellt sich dem Fachmann die Aufgabe, das aus D1 bekannte Verfahren zu optimieren und dabei zu verhindern, dass die elektrische Maschine durch den bei Beginn des Anschleppens des Antriebsmotors erhöhten Drehmomentbedarf zur Überwindung des Losbrechmoments überlastet wird.
3.8 Diese Aufgabe wird dadurch gelöst, dass zur Überwindung des Losbrechmoments beim Anschleppen ein Anlassermotor im Antriebsstrang verwendet wird und zudem noch vor dem Anschleppen im ersten Teilgetriebe eine hohe Gangstufe eingelegt wird. So kann einerseits über die hohe Gangstufe nur ein vergleichsweise geringer Teil des von der elektrischen Maschine bereitgestellten Drehmoments zum Anschleppen auf den Antriebsmotor umgeleitet werden, während der Großteil des zum Anschleppen benötigten Drehmoments vom Anlassermotor bereitgestellt wird. So kann die elektrische Maschine wirkungsvoll vor einer Überlastung geschützt werden.
Entsprechend können aber die unterscheidenden Merkmale a) und b) nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, da sie beide zum Schutz der elektrischen Maschine beitragen und somit einen kombinatorischen Effekt haben.
3.9 Die Prüfungsabteilung sah es als durch D2 nahegelegt an, dass der Fachmann auch bei D1 zum Überwinden des Losbrechmoments einen Anlassermotor im Antriebsstrang vorsehen würde.
Nachdem aber D2 weder zwei redundante Leistungsübertragungspfade zeigt, noch eine Aussage enthält, welcher Gang in welcher Situation beim Anschleppen in das Getriebe eingelegt werden soll, kann D2 zumindest das Merkmal b) nicht nahelegen, geschweige denn die Kombination aus Merkmal a) und b).
3.10 Daher wird der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch eine Kombination von D1 mit D2 nahegelegt. Die Kammer kann auch keine andere Argumentationslinie erkennen, die ausgehend vom im Verfahren zitierten Stand der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen könnte, so dass Anspruch 1 auch erfinderisch ist (Artikel 56 EPÜ).
4. Daher ist die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Unterlagen gemäß dem einzigen Antrag der Beschwerdeführerin zu erteilen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Ansprüche: Nr. 1 - 3, eingereicht am 1. Februar 2021 mit Schreiben datiert 28. Januar 2021;
Beschreibung: Seiten 1 - 15, eingereicht am 1. Februar 2021 mit Schreiben datiert 28. Januar 2021".
Zeichnungen: Blatt 1/9 - 9/9 wie ursprünglich eingereicht.