T 1949/20 05-05-2021
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VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUM HERSTELLEN VON GETRÄNKEBEHÄLTNISSEN
Abhilfe durch Prüfungsabteilung
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
I. Mit Entscheidung vom 16. Juni 2020 wurde die europäische Patentanmeldung Nr. 13 789 795.5 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin (Beschwerdeführerin) form- und fristgemäß Beschwerde ein, der die Prüfungsabteilung gemäß Artikel 109 (1) EPÜ in der Sache abhalf, jedoch den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückwies.
II. Im Rahmen des Prüfungsverfahrens hatte die Prüfungsabteilung am 3. Juli 2019 eine erste Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 vom 6. September 2018, jedoch mit redaktionellen Änderungen, erlassen. Die Gründe der Ablehnung des Hauptantrags wurden angegeben.
Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2019 bemängelte die Beschwerdeführerin, dass die von der Abteilung eingeführten Änderungen über den "eigentlichen" Offenbarungsgehalt hinausgingen, und beantragte den Erlass einer weiteren Mitteilung gemäß Regel 71 (3) EPÜ, ohne dabei die damit zu erteilende Fassung zu konkretisieren.
Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2019 erklärte die Beschwerdeführerin, dass die ursprüngliche Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ "angenommen" werde.
Eine zweite Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ wurde am 19. Dezember 2019 erlassen, womit der Anmelderin die Absicht mitgeteilt wurde, ein europäisches Patent in derselben Fassung zu erteilen, die bereits in der ersten Mitteilung für erteilungsreif befunden worden war (Hilfsantrag 1 vom 6. September 2018, mit Änderungen der Prüfungsabteilung).
Im Schriftsatz vom 29. April 2020 zeigte sich die Beschwerdeführerin mit dieser Anspruchsfassung, insbesondere mit Anspruch 9, nicht einverstanden, und beantragte die "Überprüfung" der Anspruchsformulierung, und "damit eine neue Mitteilung gemäß Regel 71 (3) EPÜ".
Daraufhin beschloss die Prüfungsabteilung die Zurückweisung der Anmeldung mit Entscheidung vom 16. Juni 2020.
III. Die angefochtene Entscheidung wurde damit begründet, dass die Beschwerdeführerin der in beiden Mitteilungen nach Regel 71 (3) EPÜ für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung explizit nicht zugestimmt hatte, ohne dabei eine Alternativfassung vorzuschlagen.
Eine von der Beschwerdeführerin beantragte mündliche Verhandlung wurde von der Prüfungsabteilung nicht anberaumt, mit der Begründung, dass der bedingte Antrag der Beschwerdeführerin so formuliert gewesen wäre, dass keine mündliche Verhandlung stattfinden sollte, wenn eine Erteilungsentscheidung in Betracht gezogen werde.
IV. Den nach Abhilfe der gegen die Zurückweisungsentscheidung gerichteten Beschwerde nunmehr zur Entscheidung stehenden Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr begründet die Beschwerdeführerin damit, dass die Nichtanberaumung einer mündlichen Verhandlung einen wesentlichen und das Rückzahlungsbegehren rechtfertigenden Verfahrensmangel im Sinne von Regel 103 (1) a) EPÜ begründe.
1. Wird, wie vorliegend, einer Beschwerde gemäß Artikel 109 (1) EPÜ abgeholfen, so ist das Verwaltungsorgan, dessen Entscheidung mit der Beschwerde angefochten wurde, nicht dafür zuständig, einen Antrag des Beschwerdeführers auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückzuweisen. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen solchen Antrag liegt vielmehr bei der erkennenden Beschwerdekammer, die nach Artikel 21 EPÜ in der Sache für die Beschwerde zuständig gewesen wäre, wenn ihr nicht abgeholfen worden wäre (siehe Leitsätze der Entscheidung G 3/03, ABl. EPA 2005, 344).
2. Nach Regel 103 (1) a) EPÜ wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet, wenn i) der Beschwerde abgeholfen oder ihr durch die Kammer stattgegeben wird und ii) die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
Entscheidungserheblich ist vorliegend die Frage, ob das Vorgehen der Prüfungsabteilung einen wesentlichen Verfahrensmangel begründet, indem diese das in Artikel 113 (1) EPÜ verbriefte Verfahrensgrundrecht der Beschwerdeführerin auf rechtliche Gehör verletzte.
3. Die Kammer erkennt in dem unter Punkt II dargestellten Sachverhalt einen wesentlichen Verfahrensmangel, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen rechtfertigt, weil die angefochtene Entscheidung ohne Anberaumung der beantragten mündlichen Verhandlung und ohne Diskussion des Hilfsantrags 2 getroffen wurde.
3.1 Der Antrag auf mündliche Verhandlung wurde erstmals mit Schriftsatz vom 15. März 2018 unter der Bedingung gestellt, dass die Kammer die mit diesem Schriftsatz vorgelegte Anspruchsfassung nicht gewähren wolle.
Mit Schriftsatz vom 6. September 2018 wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung für den Fall beantragt, dass die Prüfungsabteilung einen der mit jenem Schriftsatz gestellten Anträgen (Hauptantrag, Hilfsanträge 1 und 2) nicht gewähren wollte.
3.2 Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2019 zwar bestätigt, dass die "ursprüngliche Mitteilung gemäß Regel 71(3)" angenommen wurde, d.h. dass die Erteilung auf der Basis der durch die Prüfungsabteilung modifizierten Hilfsantrag 1 begehrt wird, dabei aber den Hilfsantrag 2 vom 6. September 2018 nicht zurückgenommen.
Wenn, mit Schriftsatz vom 29. April 2020, die Beschwerdeführerin eine "Überprüfung" dieser Anspruchsfassung, und "eine neue Mitteilung gemäß Regel 71 (3) EPÜ" beantragt hat, hat die Prüfungsabteilung diese Erklärungen korrekterweise als den Entzug des Einverständnis mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung interpretiert.
3.3 Nicht nachvollziehbar ist aber die Feststellung der Prüfungsabteilung, dass, weil die Anmelderin der für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung am 6. Dezember 2019 zugestimmt hat, ihr nachträgliches Nichteinverständnis mit dieser Fassung als eine implizite Rücknahme des Hilfsantrags 2 auszulegen war, so dass der auch im Verhältnis zu diesem Hilfsantrag 2 bedingte Antrag auf mündliche Verhandlung (6. September 2018) gegenstandlos geworden wäre.
Die Beurteilung der Prüfungsabteilung ist in prozessualer Hinsicht rechtsfehlerhaft, weil es ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist, dass ein Rechtsverzicht nicht ohne Weiteres vermutet werden kann ("a jure nemo recedere praesumitur", siehe auch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.I.5).
Eine von der Prüfungsabteilung unterstellte Rücknahme des Hilfsantrags 2 kann sich weder aus dem Einverständnis noch aus dem Nichteinverständnis mit dem modifizierten Hilfsantrag 1 ergeben, weil solche Erklärungen den Hilfsantrag 2 nicht betreffen und somit keine derartige Absicht eindeutig offenbaren können.
3.4 Weil der Hilfsantrag 2 nicht zurückgenommen und die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung auch für den Fall beantragt worden war, dass die Prüfungsabteilung diesen nicht gewähren wollte, basiert die ohne mündlichen Verhandlung getroffene angefochtene Zurückweisung der Anmeldung auf einem wesentlichen Verfahrensmangel.
Die Nichtgewährung des Antrags auf mündliche Verhandlung stellt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs im Sinne von Artikel 113 (1) EPÜ dar, denn es wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit genommen, sich zum Hilfsantrag 2 zu äußern.
Bereits aus dem Wortlaut des Artikels 116 (1) EPÜ ergibt sich, dass das jeweilige Organ des EPA keinen Ermessensspielraum hat, wenn ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde. Liegt ein Antrag auf mündliche Verhandlung vor, so muss diese stattfinden, auch nach einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ.
Dies ist auch durch die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern bestätigt worden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, III.C.2.1.1).
4. Soweit die Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung unter einem wesentlichen Verfahrensfehler litt, begründet die Missachtung des Antrages auf mündlichen Verhandlung zugleich das Vorliegen von Billigkeitsgründen im Sinne von Regel 103 (1) a) EPÜ.
Damit sind die Erfordernisse der Regel 103 (1) a) EPÜ insgesamt erfüllt, so dass die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerdegebühr ist zurückzuerstatten.