T 0269/21 24-08-2021
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GASMESSGERÄT
I. Die Anmelderin hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 12799213.9 Beschwerde eingelegt. Die Prüfungsabteilung war zur Auffassung gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht genüge.
II. Die Anmelderin beantragt, als Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Unterlagen zu erteilen.
III. Es wird auf die folgenden Druckschriften Bezug genommen:
D1: US 5,963,336,
D2: EP 0 068 037 A1,
D6: US2003/0002547 A1.
IV. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Gasmessgerät zur absorptions-spektroskopischen in-situ Bestimmung mindestens eines chemischen und/oder physikalischen Parameters eines gasförmigen Messmediums (432), wobei das Gasmessgerät ein erstes Gehäuse (101, 201, 301, 401, 501); mindestens einen Laser (102, 202, 302, 402) als Strahlungsquelle, welcher im ersten Gehäuse (101, 201, 301, 401, 501) angeordnet ist; mindestens ein erstes Prozessfenster (114, 214, 314, 414, 514), welches zum Einkoppeln der vom Laser (102, 202, 302, 402) ausgesandten Strahlung in ein Messmedium (432) dient; und mindestens einen Detektor (103, 203, 303, 403), mit welchem die Strahlung nach Wechselwirkung mit dem Messmedium (432) detektiert wird, umfasst; dadurch gekennzeichnet dass das erste Prozessfenster (114, 214, 314, 414, 514) als afokale Meniskuslinse ausgestaltet ist, welche eine konvexe Oberfläche und eine konkave Oberfläche aufweist."
1. Erfinderische Tätigkeit
1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist eine erfinderische Tätigkeit gegenüber dem vorliegendem Stand der Technik auf (Artikel 56 EPÜ).
1.1.1 Das aus D1 bekannte Gasmessgerät stellt, im Einklang mit der angefochtenen Entscheidung, den nächstliegenden Stand der Technik dar.
1.1.2 Das Gasmessgerät des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem Gasmessgerät von D1 durch ein als afokale Meniskuslinse ausgestaltetes Prozessfenster.
1.1.3 Gemäß der Beschreibung der Patentanmeldung, [0016], besteht der technische Effekt dieser afokalen Meniskuslinse darin, "eine besondere Ausrichtung oder Justierung der afokalen Meniskuslinse zum Messstrahl unnötig [zu machen], da eine afokale Meniskuslinse keine abbildenden Eigenschaften aufweist". Das Vorhandensein dieses technischen Effekts der afokalen Meniskuslinse überzeugt die Kammer. Die Kammer sieht daher die von dem Unterscheidungsmerkmal zu lösende objektive technische Aufgabe darin, ein Gasmessgerät zur absorptions-spektroskopischen in-situ Bestimmung mit einem Prozessfenster bereitzustellen, welches aufgrund einer hohen Unempfindlichkeit in Bezug auf die Justierung besonders robust ist (siehe ursprüngliche Beschreibung, [0014] und [0019]).
1.1.4 D1, Figur 2B, offenbart ein Gasmessgerät mit einem Prozessfenster, welches zwei plan-parallele Oberflächen aufweist und gegenüber dem eingehenden Lichtstrahl um einen vorbestimmten Winkel gekippt ist. Dadurch wird einerseits die aufgrund der Reflektion an den planparallelen Oberflächen des Fensters störende Rückstrahlung in die Laserdiode verhindert und, andererseits, die Rückstrahlung zu einem Detektor gelenkt, dessen Messsignal als Referenzsignal dient und dazu benutzt wird, die Intensitätsschwankungen der Laserdiode zu kompensieren (siehe D1, Spalte 7, Zeilen 11 bis 67).
1.1.5 Das als planparallele Platte ausgefertigte Prozessfenster von D1 weist keine abbildenden Eigenschaften auf und ist daher hinsichtlich einer axialen Justierung bereits weitgehend unempfindlich und robust und löst die oben gestellte Aufgabe. Die Ausrichtung des Prozessfensters in D1 ist jedoch kritisch. Die Rückstrahlung soll nämlich nicht in die Laserdiode rückgekoppelt werden, sondern mit einem konstanten Winkel den Detektor (19) beaufschlagen (siehe D1, Figur 2B). Um die gestellte Aufgabe einer hohen Unempfindlichkeit in Bezug auf die Justierung und Ausrichtung zu erfüllen, würde der Fachmann insbesondere mechanische Lösungen in Erwägung ziehen, wie beispielsweise den vorbestimmten Nennwert des Kippwinkels vergrößern, damit ungewollte kleine Veränderungen des Winkels keine negativen Effekte bei der Rückstrahlung bewirken. Weiterhin würde der Fachmann die mechanischen Strukturen und Halterungen der optischen Vorrichtung robuster gestalten, so dass Stöße und/oder Temperaturschwankungen keine oder wenigstens geringere Winkelveränderungen der Rückstrahlung bewirken.
1.1.6 Die Kammer sieht keinen naheliegenden Grund für den Fachmann, nach rein optischen Lösungen zu suchen, insbesondere nicht nach einem Austausch des Prozessfensters. Afokale Meniskuslinsen an sich sind zwar allgemein bekannt, jedoch nicht als Alternativen zu planparallelen Prozessfenstern und auch nicht im Zusammenhang mit der Eigenschaft, besonders robust zu sein, im Sinne einer hohen Unempfindlichkeit in Bezug auf die Justierung und Ausrichtung gegenüber einem einfallenden Lichtstrahl. Daher würde der Fachmann, ausgehend von D1, nicht auf naheliegende Weise eine afokale Meniskuslinse in Betracht ziehen, um die gestellte Aufgabe zu lösen.
1.1.7 Obwohl D2 eine afokale Meniskuslinse offenbart, ist eine Kombination von D1 mit D2 aus den folgenden Gründen nicht naheliegend.
- Wie von der Anmelderin vorgetragen, "betrifft das Dokument D2 (...) eine andere Kategorie von optischen Geräten" (Beschwerdebegründung, Seite 3, Punkt 3; Hervorhebung im Original). D2 betrifft nämlich Strahlteiler auf dem Gebiet der Bildaufzeichnung anstatt Prozessfenster in einem absorptions-spektroskopischen Gasmessgerät. "[D]ieser Kategorieunterschied verbietet die Annahme der Prüfungsabteilung, die in dem Regelkreis von D2 als Strahlteiler dienende Meniskuslinse auf naheliegende Weise als Prozessfenster in D1 zu verwenden".
- In dem Gasmessgerät von D1 wird die Polarisation des Lichtstrahls nicht erwähnt. Polarisationsabhängige Aspekte spielen daher keine Rolle in D1. In D2 hingegen handelt es sich hauptsächlich darum, das Problem polarisationsbedingter Intensitätsschwankungen im reflektierten Teilstrahl bei herkömmlichen (d.h. planparallelen, gekippten) Strahlteilern zu lösen. Dieses Problem wird in D2 durch den Einsatz einer afokalen Meniskuslinse, welche eine nahezu konstante Intensität des reflektierten Teilstrahls bewirkt, gelöst. Der Fachmann würde, ausgehend von D1, nicht auf naheliegende Weise die Lehre von D2 in Betracht ziehen, da D2 ein technisches Problem betrifft, welches sich in D1 nicht stellt.
1.1.8 In dem europäischen Recherchenbericht und während des Prüfungsverfahrens wurden weitere Dokumente zitiert, die jedoch nicht relevanter sind als die Druckschriften D1 und D2 und die auch in der angefochtenen Entscheidung nicht erwähnt wurden.
Insbesondere offenbart D6, Figur 6, Absätze [0023] bis [0025], eine Lichtquelle (27), in dessen Gehäuse sich eine Laserdiode (39) und ein Detektor (40) befinden. Die Oberseite des Gehäuses (28) der Lichtquelle (27) weist eine schräge Ebene auf, in der sich ein Fenster (35) befindet. In dem Fenster (35) ist eine "konvexe Linse" (36), welche eine konvexe (36) und eine konkave (37) Oberfläche aufweist, eingebaut. Aufgrund der konkaven Form der "konvexen Linse" konvergiert die reflektierte Rückstrahlung auf den Detektor und verhindert somit nachteilige Auswirkungen auf die Stabilität der Laserdiode. Die "konvexe Linse" (36) in Figur 6 ist als Meniskuslinse dargestellt, welche die ausgestrahlten Strahlen der Laserdiode (39) ungebrochen durchlässt, d.h. keine abbildenden Eigenschaften aufweist. Ohne eine diesbezüglich eindeutige Offenbarung in der Beschreibung von D6 bezweifelt die Kammer, dass der Fachmann die "konvexe Linse" in D6 als afokale Linse wahrnehmen würde.
Darüber hinaus ist es für den Fachmann nicht naheliegend, D1 mit D6 zu kombinieren, weil, ähnlich wie im Fall von D2 (siehe oben Punkt 1.1.7), D6 sich auf einen anderen technischen Bereich und ein anderes technisches Problem als D1 bezieht. D6 betrifft nämlich eine Lichtquelle als solche und deren Gehäuse und löst das Problem der Intensitätsschwankungen der Lichtquelle, indem die von der "konvexen Linse" reflektierte Rückstrahlung anhand der Krümmung der konkaven Oberfläche der "konvexen Linse" komplett auf den Detektor fokussiert wird und dadurch die Regulierung der ausgestrahlten Intensität der Laserdiode ermöglicht. Die Eigenschaft der Robustheit einer afokalen Meniskuslinse hinsichtlich Justierung und Ausrichtung wird in D6 weder erwähnt noch spielt sie eine Rolle. Die Verwendung des Gehäusefensters der Laserdiode von D6 als Prozessfenster des absorptions-spektroskopischen Gasmessgeräts von D1 ist wegen der großen Unterschiedlichkeit der Verwendung ebenfalls nicht naheliegend für den Fachmann.
1.2 Die Begründung fehlender erfinderischer Tätigkeit des Gasmessgeräts des Anspruchs 1 in der angefochtenen Entscheidung ist nicht überzeugend.
1.2.1 Die Kammer kann die Auffassung der Prüfungsabteilung, wonach "[s]olche afokale Meniskuslinsen (...) als polarisationsunabhängige Strahlteiler [dienen] (siehe unten die Offenbarungen der D2)" nicht nachvollziehen (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt II.1.2). Grundsätzlich dienen Linsen zur Transmission von Lichtstrahlen und nicht zur Strahlteilung. Inwiefern afokale Meniskuslinsen tatsächlich polarisationsunabhängig sind, gehört nicht zum Fachwissen, sondern müsste vom Fachmann überprüft werden. Der Verweis der Prüfungsabteilung auf die diesbezügliche Offenbarung in D2 kann nicht als Beleg für das Fachwissen gelten, wonach afokale Meniskuslinsen grundsätzlich die Eigenschaft polarisationsunabhängiger Strahlteiler besitzen.
1.2.2 Gemäß der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.1.2, "ist die objektive technische Aufgabe, die die Erfindung gegenüber D1 löst, das polarisationsbedingte Rauschen in den Messungen bzw. in den Referenzmessungen von D1 zu vermindern". Die Kammer ist von dieser Formulierung der objektiven technischen Aufgabe in der angefochtenen Entscheidung nicht überzeugt. Denn da in D1 kein polarisierter Lichtstrahl offenbart ist, stellt sich dieses Problem dem Fachmann nicht auf naheliegende Weise.
1.2.3 Die Kammer kann die Meinung der Prüfungsabteilung, wonach der Fachmann in der Kategorie optischer Anordnungen, die wie D1 einen Laser, einen Strahlteiler und einen zugeordneten Referenzdetektor aufweisen, die Anordnung von D2 auswählen würde, nicht nachvollziehen (angefochtene Entscheidung, Punkt II.1.3). D2 offenbart kein absorptions-spektroskopisches Gasmessgerät, sondern einen Strahlteiler in einem Bildaufzeichnungsgerät. Der in D2 beschriebene Vorteil einer afokalen Meniskuslinse, nämlich eine "nahezu konstante Intensität des ausgeblendeten Teilstrahls" (D2, Seite 6, erster Absatz), hat keinen Bezug zu dem in D1 beschriebenen Gasmessgerät, in welchem polarisiertes Licht gar nicht erwähnt wird. Daher ist die Auswahl der optischen Anordnung von D2 unwahrscheinlich und nicht naheliegend.
2. In der angefochtenen Entscheidung wurden keine weiteren Einwände gegen die Ansprüche erhoben. Auch die Kammer sieht keinen Grund dazu.
Die Kammer ist somit der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von der Anmelderin vorgenommenen Änderungen gemäß Hauptantrag die Patentanmeldung und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in folgender Fassung zu erteilen:
- Ansprüche: 1 bis 12 gemäß dem mit der Beschwerdebegründung vom 26. Februar 2021 eingereichten Hauptantrag,
- Beschreibung: Seiten 1, 2 und 4 bis 19 wie ursprünglich eingereicht und Seite 3, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 26. Februar 2021,
- Zeichnungen: Fig. 1-5 wie ursprünglich eingereicht.