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T 0461/21 05-07-2022
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PIN-RING FÜR EINEN HARMONIC-PIN-RING-ANTRIEB
I. Die Anmelderin legte Beschwerde gegen die am 2. November 2020 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die Patentanmeldung Nr. 16 194 747.8 zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand der damals vorliegenden Ansprüche 1-8 über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht (Artikel 76(1) EPÜ).
III. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) beantragte sie Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Erteilung eines Patents auf Grundlage des Anspruchssatzes, der der Entscheidung zugrunde lag, bzw. auf Grundlage des mit der Beschwerde eingereichten Hilfsantrags.
IV. Folgende Beweismittel wurden im Beschwerdeverfahren berücksichtigt:
B1
Mitteilung nach Regel 71(3) EPÜ der Stammanmeldung
B2
DE 190 4 999 U
B3
"Kugellager und ihre Verwendung im Maschinenbau", Seite 11, Werner Ahrens, 1913;
B4
"Feststoffgeschmierte Wälzlager", Seiten 130-132, Herbert Virkhofer und Timo Kümmerle, 2012
B5
"Die Wälzlager", Seiten 454-456, Wilhelm Jürgensmeyer
B6
EP 2513503 B1
B7
"Wörterbuch der Synomyme", Seite 330, Dudenverlag, 3. Auflage 2016
V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:
(Die Änderungen im Vergleich zu Anspruch 1 der Stammanmeldung sind unterstrichen.)
"Harmonic-Pin-Ring Getriebe (10), das aufweist
- mindestens einen Innenring (7, 7') mit Außenverzahnung und
- mindestens einen Außenring (8, 8') mit Innenverzahnung,
- einen Pin-Ring (1, 3) mit Pins (1), die einen kreisförmigen Querschnitt aufweisen,
- einen Rotor (13) mit einem Transmitter (4, 4') zum Rakeln der Pins (1) des Pin-Rings (1, 3) in die Zähne des Außenrings (8, 8') und in die Zähne des Innenrings (7,7'),
- ein flexibles Wälzlager (2), das in radialer Richtung zwischen dem Transmitter (4, 4') und dem Pinring (1, 3) angeordnet ist,
wobei der Innenring (7, 7'), der Rotor (13) und der Außenring (8, 8') konzentrisch zueinander angeordnet sind,
wobei der Transmitter (4, 4') innerhalb des Pinrings (1, 3) angeordnet ist, und wobei der Transmitter (4, 4') und der Pinring (1, 3) zwischen dem Innenring (7, 7') und dem Außenring (8, 8') angeordnet sind,
wobei der Transmitter (4, 4') den Pinring (1, 3) so verformt, dass sich der Außenring (8, 8') und der Innenring (7, 7') relativ zueinander drehen,
wobei der Pin-Ring (1, 3) einen verformbaren Pin-Haltering (3) aufweist,
wobei der Pin-Haltering (3) rillenförmige Vertiefungen (27) mit je einem Grund (33) aufweist, in den die Pins auf einer Seite lose eingesetzt sind,
und wobei die Pins (1) an der gegenüberliegenden Seite auf einem Außenring (23) des flexiblen Wälzlagers (2) aufliegen."
Im Hilfsantrag wurde der Begriff "Wälzlager" durch "Kugellager" ersetzt.
VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gehe nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und widerspreche nicht Artikel 76(1) EPÜ.
Insbesondere habe die Anmeldung erkennbar nicht auf eine spezielle Bauform des Lagers abgezielt. Eine Einschränkung auf Kugellager sei nicht beabsichtigt gewesen und es seien grundsätzlich alle Wälzlager gemeint gewesen.
1. Hauptantrag - Artikel 76(1) EPÜ
1.1 In dem unabhängigen Anspruch wurden im Vergleich zum ursprünglich eingereichten Anspruch 1 der Stammanmeldung (WO 2014/060975 A1) die nachfolgend unterstrichenen Merkmale eingefügt:
Das Getriebe umfasst
"ein flexibles Wälzlager (2), das in radialer Richtung zwischen dem Transmitter (4, 4') und dem Pinring (1, 3) angeordnet ist,"
wobei
"der Pin-Haltering (3) rillenförmige Vertiefungen (27) mit je einem Grund (33) aufweist, in den die Pins auf einer Seite lose eingesetzt sind, und wobei die Pins (1) an der gegenüberliegenden Seite auf einem Außenring (23) des flexiblen Wälzlagers (2) aufliegen."
1.2 Die Stammanmeldung beschreibt auf Seite 12, dritter vollständiger Absatz, dass der "Pin-Haltering 3 ... konzentrisch außerhalb des flexiblen Kugellagers 2 angeordnet ist. Zwischen dem Pin-Haltering 3 und dem flexiblen Kugellager 2 befinden sich Pins 1, die an einer Seite auf einem Außenring 23 des flexiblen Kugellager[s] aufliegen und auf einer gegenüberliegenden Seite in rillenförmige Vertiefungen des Pin-Halterings 3 eingesetzt sind."
Zusammen mit der Tatsache, dass der Transmitter 4 bzw. 4' innerhalb des Kugellagers angeordnet ist (z.B. Figuren 1 und 14), ergeben sich hieraus die hinzugefügten Merkmale des Anspruchs, mit der Einschränkung, dass das in der Beschreibung genannte Lager ein Kugellager ist.
1.3 Der Anspruch bezieht sich jedoch auf Wälzlager im Allgemeinen.
Wälzlager existieren in verschiedenen Bauformen, die nach der Art des Wälzkörpers unterschieden werden. Es gibt beispielsweise folgende Grundformen von Wälzlagern:
- Kugellager
- Zylinderrollenlager
- Nadellager
- Kegelrollenlager
- Tonnenlager
Daher umfasst der Anspruchsgegenstand durch die Verwendung des Begriffs Wälzlager außer Kugellagern auch alle übrigen Bauformen von Wälzlagern.
Die Stammanmeldung erwähnt jedoch den Begriff Wälzlager an keiner Stelle, sondern bezieht sich ausschließlich und speziell auf Kugellager.
Damit geht der Gegenstand des Anspruchs 1 über die ursprüngliche Offenbarung der Stammanmeldung hinaus (Artikel 76(1) EPÜ).
1.4 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass von "Praktikern" Wälzlager und Kugellager als Synonyme gebraucht würden, und dass im Normalfall nur der Begriff Kugellager für alle möglichen Wälzlager verwendet werde.
Selbst wenn dies in der Praxis zutreffen sollte, kann ein ungenauer Sprachgebrauch in der Werkstatt jedoch nicht begründen, dass auch in der vorliegenden Patentanmeldung die Begriffe beliebig unscharf bzw. inkorrekt verwendet werden könnten. Im Normalfall sind Fachausdrücke fachlich korrekt auszulegen.
1.5 Gemäß der Beschwerdeführerin habe die Prüfungsabteilung selbst zur Erteilung des Patents zur Stammanmeldung den Begriff Wälzlager vorgeschlagen.
Die Kammer kann dem als Nachweis eingereichten Bescheid nach Regel 71(3) EPÜ (B1) jedoch den Begriff Wälzlager nicht entnehmen.
1.6 Die Beschwerdeführerin merkte an, in B2 würden die Begriffe Kugellager und Wälzlager in einem Atemzug verwendet.
B2 nennt auf Seite 1, 1. Absatz "Kugellager, Wälzlager o. dgl.". Dies ist jedoch kein Hinweis darauf, dass diese Begriffe Synonyme wären, sondern stellt eine Auflistung unterschiedlicher Gegenstände/Lagerarten dar.
1.7 Weiter argumentierte die Beschwerdeführerin, die B6 verwende Kugellager und Wälzlager als Synonyme.
Die von der Beschwerdeführerin zitierte Textstelle (Spalte 2, Zeilen 23 bis 34) nennt "Wälzlager bzw. Kugellager". Das Wort "beziehungsweise" weist darauf hin, dass in unterschiedlichen Situationen die unterschiedlichen Lager vorhanden sein können. Es ist kein Hinweis auf Synonyme. Auch die zitierte Passage, wonach "ein erstes Wälzlager (Kugellager) vorgesehen ist" (Spalte 2, Zeile 21), weist nicht auf Synonyme hin, sondern darauf, dass ein Kugellager ein Beispiel für ein Wälzlager ist.
1.8 Die des Weiteren vorgebrachte Tatsache, dass Kugellagerabzieher auch zum Abziehen von Wälzlagern verwendet werden könnten, beweist ebenfalls nicht, dass Kugellager und Wälzlager das Gleiche wären. Vielmehr ist die Funktion des Abziehers unabhängig davon, ob ein Kugellager oder ein anderes Wälzlager vorliegt.
1.9 Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner, dass sich gemäß B3 die Kugeln in einem Kugellager abwälzen, also die Funktionen eines Wälzlagers erfüllen. Dies bleibt unbestritten, da ein Kugellager ja ein spezielles Wälzlager ist.
Es beweist jedoch nicht, dass Wälzlager und Kugellager das Gleiche wären.
1.10 Die Beschwerdeführerin trug vor, gemäß B4 (unter 5.1.3.2) sei Kugellager ein Gattungsbegriff, also mit Wälzlager gleichzusetzen.
Es mag zutreffen, dass es verschiedene Bauformen von Kugellagern gibt, für die wiederum Kugellager der Oberbegriff ist. Es gibt jedoch weiterhin verschiedene Wälzlager, die keine Kugellager sind. Das Buch "Die Wälzlager" (B5) versucht eine Systematik in die verschiedenen Lagertypen zu bringen. Auf Seite 455 wird ein "Vorschlag für die Benennung der Wälzlagerarten" gemacht. Dort sind die "Rollager" (anscheinend sind Wälzlager gemeint) in Kugellager und Walzenlager unterteilt. Auch hier stellt Wälzlager den Oberbegriff dar, wovon das Kugellager eine spezielle Bauform ist.
1.11 Das Wörterbuch der Synonyme des Dudenverlags nennt die Verben "rollen" und "wälzen" als Synonyme.
Es ist nicht ersichtlich, wie daraus eine Gleichbedeutung von Kugellager und Wälzlager abgeleitet werden könnte.
1.12 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist der Stammanmeldung gerade nicht zu entnehmen, dass mit Kugellager grundsätzlich sämtliche Wälzlager gemeint sein könnten. Über die (mögliche) Bauform des Lagers schweigt die Stammanmeldung, mit Ausnahme der Tatsache, dass es als Kugellager bezeichnet wird.
2. Hilfsantrag - Artikel 76(1) EPÜ
In Anspruch 1 des Hilfsantrags wurde der Begriff Wälzlager durch Kugellager ersetzt. Der oben erhobene Einwand wurde damit ausgeräumt, so dass Anspruch 1 des Hilfsantrags die Anforderungen von Artikel 76 (1) EPÜ erfüllt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.