T 0975/21 (Pigmente mit Abstandslage/Eckart) 16-02-2023
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Goldfarbene Effektpigmente mit hohem Chroma und hoher Brillanz, Verfahren zu ihrer Herstellung und Verwendung derselben
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 034 563 zurückzuweisen.
II. Mit ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, das Streitpatent vollumfänglich zu widerrufen. Sie trug unter anderem vor, der erstinstanzlich eingereichte Hilfsantrag 2 sei wegen mangelnder Konvergenz mit dem erstinstanzlich eingereichten Hilfsantrag 1 sowie unter Regel 80 EPÜ nicht zum Verfahren zuzulassen. Ferner zeigten die Versuchsberichte (Annex II, D6 und D8) sowie
D5 (WO 2015/183674 Al), dass die Erfindung nicht ausführbar sei (Artikel 83 EPÜ). Weiter sei der beanspruchte Gegenstand nicht erfinderisch gegenüber
D2 (WO 2014/094993 Al) (Artikel 56 EPÜ).
III. Mit der Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) und reichte unter anderem die bereits erstinstanzlich eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 erneut ein. Ferner begehrte sie unter anderem die Nichtzulassung von D8.
IV. Nach der Zustellung der Ladung reichte die Beschwerdegegnerin eine Erklärung von Herrn Michael Grüner (D9) ein.
V. Während der mündlichen Verhandlung, die am 16. Februar 2023 stattfand, nahm die Beschwerdegegnerin den Haupt- sowie den ersten Hilfsantrag zurück. Die Beschwerdeführerin ließ ihre Einwände gegen die Zulassung des Dokuments D9 fallen. Zudem nahm sie ihre Angriffe gegen Neuheit und erfinderische Tätigkeit der mit dem zweiten Hilfsantrag beanspruchten Gegenstände mit Ausnahme des auf D2 als nächstliegenden Stand der Technik gestützten Einwands zurück.
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags hat den folgenden Wortlaut:
"l. Goldfarbenes Effektpigment umfassend ein nichtmetallisches plättchenförmiges Substrat und eine auf dem Substrat aufgebrachte Beschichtung, wobei die Beschichtung
a) optional eine Schicht 1, die Zinnoxid, Zinnhydroxid
und/oder Zinnoxidhydrat umfasst oder daraus besteht,
b) eine Schicht 2 umfassend wenigstens ein Metalloxid
Metallhydroxid und/oder Metalloxidhydrat, wobei das
Metallion wenigstens ein Metallion ist ausgewählt
aus der Gruppe der Metalle, bestehend aus Fe, Sn, Ti
und Zr,
c) eine Schicht 3 umfassend wenigstens ein Metalloxid,
Metallhydroxid und/oder Metalloxidhydrat, wobei das
Metallion wenigstens ein Metallion ist ausgewählt
aus der Gruppe der Metalle, bestehend aus Fe, Sn,Ti
und/oder Zr, aufweist,
wenigstens eine der Schichten 2 oder 3 wenigstens zwei unterschiedliche Metallionen enthält und wenigstens eines der zwei unterschiedlichen Metallionen ein Eisenion ist, und die Schichten 2 und 3 durch eine Abstandslage unterbrochen sind, wobei der Anteil an Eisenoxid, Eisenhydroxid und/oder Eisenoxidhydrat in dem goldfarbenen Effektpigment in einem Bereich von 1 Gew.-% bis 45 Gew.-%, bestimmt mittels RFA und bezogen auf das Gesamtgewicht des goldfarbenen Effektpigments liegt und wobei die mittlere Schichtdicken der Schichten 2 und 3 jeweils in einem Bereich von 60 nm bis 170 nm liegen, wobei die Abstandslage Verbindungen und Hohlräume aufweist."
VI. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung, basierend auf dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten zweiten Hilfsantrag.
1. Zweiter Hilfsantrag
Dieser Antrag ist der höchstrangige im Verfahren,
nachdem der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag zurückgezogen wurden.
1.1 Zulassung
Die Kammer hat ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, den Antrag ins Verfahren zuzulassen.
1.1.1 Der zweite Hilfsantrag liegt der Entscheidung nicht zugrunde. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin ergibt sich jedoch, dass dieser Antrag bereits im Einspruchsverfahren geltend gemacht wurde. Die Beschwerdegegnerin hat nicht ausdrücklich geltend gemacht, dass sie diesen Hilfsantrag bereits im Einspruchsverfahren in zulässiger Weise eingereicht und aufrechterhalten hat. Selbst wenn in solch einer Konstellation Artikel 12(4) VOBK 2020 Anwendung findet, sieht die Kammer keine Veranlassung, den Antrag nicht zuzulassen. Insoweit ist seitens der Kammer festzustellen, dass der Antrag erstmalig mit der Einspruchserwiderung und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingereicht und später auch nicht zurückgenommen wurde.
1.1.2 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, der Antrag konvergiere nicht mit dem mittlerweile zurückgezogenen Hilfsantrag 1. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht. Zwar ist Konvergenz ein Kriterium, das bei der Zulassung eines Antrags nach Artikel 12(4) VOBK 2020 im Zusammenhang mit dem Gebot der Verfahrensökonomie unter Umständen eine Rolle spielen kann. Vorliegend wurde der Antrag jedoch schon im Einspruchsverfahren eingereicht und zwar obwohl die Einspruchsabteilung sowohl im Ladungszusatz als schließlich auch in der angefochtenen Entscheidung der Ansicht war, dass die geltend gemachten Einspruchsgründe dem Streitpatent nicht entgegenstehen. Dazu kommt, dass der erteilte Anspruch 1 erstmalig in diesem Hilfsantrag eingeschränkt wurde, so dass, zumindest was Anspruch 1 angeht, kein höherrangiger Antrag im Verfahren war, von dem Hilfsantrag 2 divergieren würde.
1.1.3 Der Antrag ist auch unter Regel 80 EPÜ zulässig, denn Anspruch 1 wurde durch die Aufnahme der Merkmale des erteilten Anspruchs 6 eingeschränkt, wodurch der Anspruch nun auf Pigmente gerichtet ist, deren Abstandslagen Hohlräume und Verbindungen aufweisen. In anderen Worten sind Pigmente, deren Abstandslagen keine Hohlräume und Verbindungen aufweisen, vom Anspruch nicht mehr umfasst.
Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, jede Schicht weise auf atomarer Ebene Hohlräume auf, so dass die Änderung den Anspruch de facto nicht einschränke. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, denn ungeachtet der fehlenden sachlichen Überzeugungskraft verlangt Regel 80 EPÜ lediglich, dass eine Änderung durch einen Einspruchsgrund veranlasst ist, aber nicht, dass sie diesen erfolgreich ausräumt (also hier: die Neuheit herstellt). Eine solche Bewertung ist vielmehr Teil der vorzunehmenden Sachprüfung.
1.2 Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
Die Beschwerdeführerin ist es nicht gelungen, entsprechend ihrer Darlegungs- und Beweislast aufzuzeigen, dass die Erfindung nicht ausführbar ist.
1.2.1 Das Streitpatent enthält acht Ausführungsbeispiele, die zeigen, wie anspruchsgemäße Pigmente hergestellt werden können (Beispiel 1-7 und 9; Beispiel 8 betrifft die Nachbehandlung der Pigmente gemäß Beispiel 2).
1.2.2 Demgegenüber hat die Beschwerdeführerin mit Annex II, D6 und D8 Nachstellungen von Beispiel 3 des Streitpatents vorgelegt, die zeigen sollten, dass sich gemäß der Lehre dieses Beispiels keine erfindungsgemäßen Pigmente herstellen ließen. Insbesondere sei als Pigment mit dem höchsten Chromawert ein blaues und nicht etwa ein goldfarbenes Produkt erhalten worden. Ferner weise dieses blaue Pigment keine Abstandslage mit Hohlräumen auf.
1.2.3 Annex II, D6 und D8 sind jedoch nicht geeignet, die Nichtausführbarkeit der Erfindung nachzuweisen. Die Versuchsberichte enthalten zwar jeweils die gleiche experimentelle Nachstellung von Beispiel 3, bei der ein blaues Pigment mit der Kennung JJ-19-58 erhalten wurde. Weiter wird jedoch angegeben, dass in Beispiel 3 Angaben zur Substratdicke, zur Zugabegeschwindigkeit der Metallsalze und zur pH-Kontrolle fehlten, so dass bei der Nachstellung diesbezüglich verschiedene Annahmen getroffen werden mussten. Ein erster Satz von Versuchsbedingungen führte dabei zum blauen Pigment JJ-19-58. In einer weiteren Nachstellung von Beispiel 3 mit Glassubstraten geringerer Dicke (Tabelle auf Seite 2 von D8) wurde jedoch ein goldfarbenes Pigment erhalten (Bunttonwinkel h* von 97.60, vgl. mit Absatz 0040 des Streitpatents). Deshalb überzeugt das Argument, gemäß Beispiel 3 könnten keine goldfarbenen Pigmente erhalten werden, nicht. Von diesem Pigment wurden zudem auch keine REM-Aufnahmen angefertigt, so dass auch nicht nachgewiesen ist, dass dieses keine Abstandslage aufweist. Das Argument der Beschwerdeführerin, das blaue Pigment sei vermessen worden, weil dieses den höchsten Chromawert aufgewiesen habe, überzeugt nicht, denn der Chromawert ist im Gegensatz zur Pigmentfarbe kein Merkmal der beanspruchten Erfindung.
1.2.4 Es folgt, dass Annex II, D6 und D8 nicht nachweisen, dass gemäß der Lehre von Beispiel 3 keine erfindungsgemäßen Pigmente erhältlich sind. Die Frage, ob der Nachweis der Nichtausführbarkeit eines von acht Ausführungsbeispielen in diesem Fall ausgereicht hätte, um die Nichtausführbarkeit der Erfindung nachzuweisen, kann somit unbeantwortet bleiben.
1.2.5 Ferner musste unter diesen Umständen über die von der Beschwerdegegnerin beantragte Nichtzulassung von D8 nicht entschieden werden.
1.2.6 Die Beschwerdeführerin hat zusätzlich noch auf Beispiel 9 der D5 verwiesen. D5 ist nachveröffentlicht und wird als experimenteller Nachweis dafür zitiert, dass ein Herstellverfahren nach Anspruch 9 des Streitpatents nicht notwendigerweise zu Pigmenten mit einer Abstandslage mit Hohlräumen führe. In dem Beispiel werden Glimmerplättchen sequentiell mit Eisenoxid, Zinnoxid und Eisenoxid beschichtet und das so erhaltene Produkt bei 850°C kalziniert, wodurch ein goldfarbenes Pigment erhalten wird. Da dieses ausweislich der Figuren 3a, 3b und 5A keine erfindungsgemäße Abstandlage aufweise, sei die Erfindung nicht über den ganzen beanspruchten Bereich ausführbar.
Das Verfahren nach Beispiel 9 ist jedoch nicht erfindungsgemäß, weil es nicht mit der Maßgabe durchgeführt wurde, ein Pigment mit einem Eisengehalt im beanspruchten Bereich herzustellen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass in D5 weder die eingesetzte Menge an Eisen angegeben wird, noch die Eisenmenge im Pigment bestimmt wird. Insofern handelt es sich nicht um eine Nachstellung des erfindungsgemäßen Verfahrens und kann schon aus diesen Gründen die Nichtausführbarkeit der Erfindung nicht belegen. Weiter ist festzustellen, dass die Qualität der elektronenmikroskopischen Aufnahmen in D5 deutlich schlechter ist als im Streitpatent, so dass auch nicht eindeutig festzustellen ist, ob wirklich keine erfindungsgemäße Abstandslage vorliegt, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet.
1.3 Erfinderische Tätigkeit
1.3.1 Die Erfindung betrifft goldfarbene Effektpigmente.
1.3.2 D2 betrifft ebenfalls solche Pigmente. Insbesondere wird gemäß Beispiel 3 ein Goldpigment mit intensiver Farbe und starkem Glitzereffekt erhalten. Es ist nicht strittig, dass dieses Pigment einen geeigneten Ausgangspunkt zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
1.3.3 Im Hinblick auf die nachfolgende Würdigung kommt es für den zweiten Hilfsantrag nicht auf den Inhalt des Dokuments D9 an, so dass sich weitere Ausführungen zu dessen Zulassung erübrigen.
1.3.4 Beispiel 3 selbst offenbart keine Schichtdicken. Zwar werden im allgemeinen Teil von D2 Schichtdicken für die Schichten (A) und (C) (entspricht Schicht 2 und 3 gemäß Anspruch 1) von 20-150 nm offenbart (Seite 6, letzte Zeile und Seite 7, Zeile 25-27), aber es muss dennoch eine doppelte Auswahl getroffen werden, um zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen, denn gemäß der Lehre von D2 kann die Dicke der Schichten A und C unabhängig voneinander gewählt werden. Eine Ausführungsform, bei der beide Schichten eine Dicke im beanspruchten Bereich aufweisen, ist in D2 somit nicht offenbart.
1.3.5 Ferner offenbart D2 nicht, dass die aus SnO2 gebildete Schicht B aus Beispiel 3, d.h. die Schicht, die der Abstandslage aus Anspruch 1 entspricht, Hohlräume und Verbindungen aufweist.
Die Beschwerdeführerin hat in allgemeiner Form vorgebracht, eine Metalloxidschicht weise generell Hohlräume und Verbindungen auf. Insbesondere wisse der Fachmann, dass Metallionen beim Kalzinieren beweglich seien, so dass sich in den Schichten Hohlräume und Verbindungen ausbilden würden.
Dies sind jedoch lediglich unbewiesene Behauptungen. Ein Nachweis für das behauptete Fachwissen wurde nicht erbracht. Insbesondere wurde kein Nachweis erbracht, dass die Abstandsschicht des nächstliegenden Standes der Technik, d.h. die o.g. SnO2-Schicht, Hohlräume und Verbindungen aufweisen würde.
In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin im Kontext des erteilten Anspruchs 6, mit dem ein dem Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags entsprechender Gegenstand beansprucht wurde, darauf hingewiesen, dass D4 (EP 1422268) darauf abziele, die Porosität von Beschichtungen zu reduzieren. Aus dieser Tatsache allein kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die o.g. Schicht aus D2 ebenfalls solche Poren aufweist.
Im Zusammenhang mit dem Einwand unter Regel 80 EPÜ hat die Beschwerdeführerin noch vorgebracht, auf atomarer Ebene lägen in jeder Beschichtung Hohlräume vor. Dieses Argument beruht jedoch auf einer abseitigen Interpretation der Merkmale des nunmehr beanspruchten Gegenstands. Der fachkundige Leser versteht unter einem Hohlraum in einer Beschichtung keinen Hohlraum in atomaren Dimensionen, und selbst wenn das Merkmal unklar sein sollte, würde die Fachperson die Beschreibung und die Abbildungen heranziehen, wodurch eine solche Interpretation ausgeschlossen wäre.
1.3.6 Das Streitpatent stellt sich die Aufgaben, hochchromatische Pigmente mit hohem Glanz und hoher Deckkraft zur Verfügung zu stellen, welche optisch nicht von echtem Gold unterscheidbar sind, eine hohe mechanische Stabilität und Chemikalienstabilität aufweisen und mit geringem Materialeinsatz auf einfache Art und Weise herstellbar sind (Absatz 0012). D2 stellt sich im Wesentlichen die gleichen Aufgaben (Seite 2, Zeile 35 - Seite 3, Zeile 1-5). Die Kammer geht zugunsten der Beschwerdeführerin davon aus, dass keine Verbesserung vorliegt und die Aufgabe somit lediglich als die Bereitstellung weiterer Goldpigmente formuliert werden kann.
1.3.7 Die in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags definierte Lösung für diese Aufgabe ist nicht naheliegend, denn weder D2 noch der sonstige entgegengehaltene Stand der Technik schlägt vor, die o.g. SnO2-Schicht so auszubilden, dass sie Hohlräume und Verbindungen aufweist. Wie oben ausgeführt, hat die Beschwerdeführerin lediglich in allgemeiner Form behauptet, der Fachperson seien derartige Schichten bekannt, aber entsprechende Beweise wurden nicht vorgelegt. Somit hat die Beschwerdeführerin nicht zeigen können, dass der Gegenstand von Anspruch 1 naheliegend ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in
geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche des
Hilfsantrags 2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung
vom 19. Januar 2022 und einer noch anzupassenden
Beschreibung aufrechtzuerhalten.