T 1668/21 (Einteiliger Kolben/FISCHER) 20-12-2022
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Druckreduzierventil
Neuheit - Hauptantrag und Hilfsantrag 2 (nein): "einteilig" und "integral" breit auszulegen
Zulassung von nach der Ladung eingereichten Anspruchsänderungen - Hilfsantrag 1 (nein): zumindest keine eindeutige Gewährbarkeit
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der vorliegenden europäischen Patentanmeldung aufgrund mangelnder Neuheit von Anspruch 1 eines einzigen Anspruchssatzes (Artikel 54 EPÜ) im Hinblick auf Dokument
D1: JP 2002 157021 A bzw.
D1T: maschinelle Übersetzung von D1 ins Englische.
II. Am 20. Dezember 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents gemäß der Ansprüche eines Hauptantrages, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, hilfsweise auf der Grundlage von Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schreiben vom 7. Dezember 2022, oder Hilfsantrag 2, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
III. Anspruch 1 des Hauptantrags enthält die folgenden Merkmale (mit einer Merkmalsnummerierung von der Kammer):
a) "Druckreduzierventil (1) für flüssige und gasförmige Medien insbesondere zur Regelung des Drucks in Rohrleitungssystemen vorzugsweise in Gebäuden,
b) enthaltend ein Gehäuse (2) vorzugsweise aus mindestens einem Ober (3)- und Unterteil (4),
c) ein Innengehäuse (5) wobei das Innengehäuse (5) eine Kolbenbohrung (6) aufweist,
d) eine Membrane (7) zur Unterteilung des Gehäuses (2) in einen fluidfreien und fluiddurchströmten Bereich,
e) eine Druckeinstelleinheit (8), wobei die Druckeinstelleinheit (8) eine Spindel (9), einen Federteller (10), einen Federhalter (22) und mindestens eine Feder (11) aufweist,
f) ein Befestigungsmittel (12) und einen Kolben (13), wobei der Kolben (13) und die Membrane (7) mittels Befestigungsmittel (12) miteinander verbunden sind,
g) wobei der Kolben (13) in der Kolbenbohrung (6) angeordnet ist
h) und mindestens ein Dichtelement (14) zwischen Kolben (13) und Kolbenbohrung (6) zur Abdichtung angeordnet ist,
i) dadurch gekennzeichnet, dass der Kolben (13) einteilig ausgebildet ist
j) und das Dichtelement (14) integral am Kolben (13) oder integral am Innengehäuse (5) angeordnet ist,
k) wobei das Dichtelement (14) und der Kolben (13) oder das Dichtelement (14) und das Innengehäuse (5) einteilig ausgebildet sind."
IV. Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 enthält die folgenden, durch Unterstreichung gekennzeichneten Hinzufügungen in Merkmal k:
"k') wobei das Dichtelement (14) und der Kolben (13)
zusammen oder das Dichtelement (14) und das
Innengehäuse zusammen (5) einteilig ausgebildet
sind."
V. Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 beruht auf Anspruch 1 des Hauptantrags mit dem folgenden zusätzlichen Merkmal:
"l) ..., wobei das Dichtelement (14) an der
Mantelfläche der Kolbenbohrung (6) oder das
Dichtelement (14) an der Aussenfläche des
Kolbens (13) dichtet."
1. Die Anmeldung
Die Anmeldung betrifft ein Druckreduzierventil für flüssige und gasförmige Medien zur Regelung des Drucks in Rohrleitungssystemen. Druckreduzierventile dienen dazu, den höheren Druck im primärseitigen Verteilnetz auf einen optimalen Druck für den sekundärseitigen Abnahmestrang zu reduzieren, wodurch Armaturen und Verbraucher im Abnahmestrang vor zu hohen Drücken geschützt und dadurch die Lebenszeit der Armatur erhöht werden kann. Druckreduzierventile werden in der häuslichen und industriellen Wasserversorgung eingesetzt, aber auch für hochreine Medien, z. B. in der Mikroelektronik, Life-Science-lndustrie, Spitälern und Forschung. Insbesondere beim Einsatz für hochreine Medien besteht die Gefahr von Verunreinigungen der Medien durch eine Vielzahl an Einzelteilen von Druckreduzierventilen. Zudem sind Dichtelemente aus Elastomeren, wie sie üblicherweise in Druckreduzierventilen eingesetzt werden, unzulässig, da sie einen unerwünschten Abrieb verursachen, der das Reinstmedium verunreinigen würde (siehe Seite 1, Zeile 5 bis Seite 2, Zeile 18 der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht).
Aufgabe der Erfindung ist es daher, ein Druckreduzierventil vorzuschlagen, welches sich für die Anwendung für hochreine Medien eignet. Die Lösung besteht nun darin, Stellen zu vermeiden, an denen leicht Verunreinigungen entstehen können bzw. unnötige Kanten und Verbindungsstellen von Einzelteilen im mediumdurchströmten Bereich auf ein Minimum zu reduzieren. Es muss eine komplette Entleerung gewährleistet sein, wobei kein Restmedium bei einer vollständigen Entleerung an unzugänglichen Stellen verbleiben darf. Die Anmeldung löst dieses Problem indem das Dichtelement und der Kolben "einteilig" ausgeführt sind oder das Dichtelement "integral" am Innengehäuse angeordnet ist. Hierdurch würden unnötige Übergänge von Einzelteilen vermieden werden (siehe Seite 2, Zeilen 20 bis 34 der ursprünglichen Anmeldung).
2. Hauptantrag, Neuheit, Artikel 54 EPÜ
2.1 Es besteht Einigkeit darüber, dass das Dokument D1 ein Druckreduzierventil für flüssige und gasförmige Medien mit den Merkmalen a) bis i) offenbart.
2.2 Die Beschwerdeführerin bestritt jedoch, dass die Merkmale j) und k) in D1 offenbart werden. Dokument D1 zeige einen O-Ring 26 als Dichtelement, der getrennt von dem Kolben 25 und dem Innengehäuse 22 ausgeführt sei. Damit sei das Dichtelement 26 weder "integral" am Kolben noch "integral" am Innengehäuse angeordnet. Der Begriff "integral" sei nach dem Duden als "zu einem Ganzen dazugehörend und es erst zu dem machend, was es ist" zu verstehen. Zudem seien weder das Dichtelement und der Kolben noch das Dichtelement und das Innengehäuse "einteilig" ausgebildet. Anspruch 1 sei nämlich so zu verstehen, dass nicht der Kolben und das Dichtelement jeweils "einteilig", sondern dass sie zusammen "einteilig" ausgebildet seien. Ansprüche, insbesondere erläuterungsbedürftige Ansprüche, seien im Lichte der Beschreibung auszulegen. Dabei sei der gesamte Inhalt der Anmeldung heranzuziehen. Aus den Passagen auf Seite 2, Zeilen 30 bis 39; Seite 3, Zeilen 10 bis 13 und aus den Figuren 1 und 2 ergäbe sich eindeutig, dass der Kolben und das Dichtelement oder das Dichtelement und das Innengehäuse zusammen "einteilig" ausgeführt seien.
2.3 In Bezug auf das Merkmal j) stimmt die Kammer mit der angefochtenen Entscheidung überein, dass der Begriff "integral angeordnet" keine genau festgelegte technische Bedeutung hat. Im Zusammenhang mit dem Dokument D1 kann daher in der Tat die Verbindung des
O-Rings mit dem Kolben durch die Spannkraft des O-Rings im weitesten Sinne als eine "integrale Anordnung" angesehen werden (vgl. Entscheidungsgründe 9.3.1). Mit anderen Worten, das Dichtelement 26 von D1 gehört zu einem Ganzen, nämlich dem Kolben 27 (siehe z. B. Fig. 1), und ist daher auch mit dem Kolben "integral angeordnet".
Hinsichtlich Merkmal k) ist Anspruch 1 auch keine Beschränkung auf eine "einteilige" Ausführung des Kolbens zusammen mit dem Dichtelement oder des Dichtelements zusammen mit dem Innengehäuse zu entnehmen. Die Kammer stimmt mithin mit der angefochtenen Entscheidung überein, dass Anspruch 1 die Ausführungsform umfasst, wonach sowohl das Dichtelement als auch der Kolben bzw. das Innengehäuse jeder für sich "einteilig" ausgebildet sind. Eine "einteilige" Ausführung des Kolbens 27 und der Dichtung 26 wird jedoch auch in D1 offenbart.
Selbst wenn die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung von Anspruch 1 herangezogen würden, ergäbe sich nicht notwendigerweise eine andere Interpretation der Anspruchsmerkmale als aus dem Anspruchswortlaut selbst. Die von der Beschwerdeführerin genannten Passagen wiederholen nämlich im Wesentlichen den Anspruchswortlaut. Eine detaillierte Beschreibung darüber, wie die "einteilige" Ausführung von Dichtelement und Kolben bzw. von Dichtelement und Innengehäuse tatsächlich ausgeführt wird, ist diesen Passagen indes nicht zu entnehmen. Figur 1 der Anmeldung zeigt ein Dichtelement 14, welches an einem Kolben 13 angeordnet und durchgehend mit diesem Kolben schraffiert ist. Diese Figur bezieht sich jedoch nur auf eine von mehreren möglichen Ausführungsformen der Erfindung.
2.4 Zusammenfassend werden alle Merkmale a) bis k) von Anspruch 1 in D1 offenbart. Damit ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu im Hinblick auf D1 (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).
3. Hilfsantrag 1, Zulassung, Artikel 13 (2) VOBK 2020
3.1 Die Ansprüche von Hilfsantrag 1 wurden zwei Wochen vor dem Tag der mündlichen Verhandlung und damit nach Zustellung der Ladung eingereicht. Ihre Zulassung unterliegt damit den Vorschriften des Artikels 13 (2) VOBK 2020.
3.2 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Zudem können die in Artikel 13 (1) VOBK 2020 genannten Kriterien bei der Anwendung von Artikel 13 (2) VOBK berücksichtigt werden. Gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 bedürfen wiederum Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten und ihre Zulassung steht im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer insbesondere den Stand des Verfahrens, die Eignung der Änderung zur Lösung der aufgeworfenen Fragen und ob die Änderung prima facie die aufgeworfenen Fragen ausräumt und keinen Anlass zu neuen Einwänden gibt.
3.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die Änderung in Merkmal k') die Bedeutung des mehrfach verwendeten Begriffs "integral" untermauere und dazu diene, eine mögliche Zweideutigkeit zu vermeiden. Die Problematik der Auslegung der Merkmale j) und k) sei erst mit der Ladungsmitteilung deutlich geworden. Daher konnte die Änderung erst nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgenommen werden. Die Änderung trage den Einwänden der Kammer zur Anspruchsauslegung und zur Neuheit Rechnung und sei im Übrigen auch durch die ursprünglich eingereichte Anmeldung gestützt (mit Verweis auf Figuren 1 und 2 sowie Seite 2, Zeile 30 bis Seite 3, Zeile 15).
3.4 Es ist unbestritten, dass eine explizite Offenbarung des Merkmals k') der Anmeldung nicht zu entnehmen ist. Die Kammer ist darüber hinaus nicht überzeugt, dass das Merkmal k'), demzufolge das Dichtelement und der Kolben zusammen oder das Dichtelement und das Innengehäuse zusammen "einteilig" ausgebildet sein sollen, in der ursprünglich eingereichten Anmeldung implizit unmittelbar und eindeutig offenbart wird. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Passagen wiederholen im Wesentlichen den Wortlaut der Merkmale j) und k). Zwar zeigen die Figuren 1 und 2 eine durchgehende Schraffierung des Dichtelements 14 und des Kolbens 13, jedoch fehlt zumindest für die alternative Ausführungsform mit Dichtelement und Innengehäuse eine entsprechende Offenbarung.
3.5 Damit gibt die Änderung von Anspruch 1 prima facie Anlass zu neuen Einwänden nach Artikel 123 (2) EPÜ.
3.6 Aus diesem Grund hat die Kammer entschieden, Hilfsantrag 1 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen (Artikel 13 (2) VOBK 2020).
4. Hilfsantrag 2, Neuheit, Artikel 54 EPÜ
4.1 Es ist unbestritten und wurde in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin auch eingeräumt, dass Merkmal l), wonach das Dichtelement entweder an der Mantelfläche der Kolbenbohrung oder an der Außenfläche des Kolbens dichtet, in D1 offenbart wird (siehe D1, Figur 1 und D1T, Anspruch 1 und Absatz [0009]).
4.2 Damit ist auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 nicht neu im Hinblick auf D1 (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).
5. Da somit keiner der vorliegenden Anspruchssätze gewährbar ist, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.