T 0987/22 11-07-2022
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VERFAHREN ZUR MESSUNG VON HAUTPARAMETERN FÜR DIE ANALYSE VON KOSMETISCHEN HAUTBEDÜRFNISSEN
Änderungen - zulässig (ja)
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Änderung des Beschwerdevorbringens - Eignung der Änderung zur Lösung der aufgeworfenen Fragen (ja)
I. Der Anmelder legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die europäische Patentanmeldung Nr. 15171382 aufgrund des Artikels 97 (2) EPÜ zurückzuweisen.
II. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die im Recherchenbericht zur Anmeldung zitierten Dokumente Bezug genommen.
D1: DE 60 2005 004349 T2
D2: "Prospekt Hydrosensor / Skin Diagnostic SD 202", www.courage-khazaka.de, 10. April 2014 (2014-04-10), Seiten 1-1
D3: US 3 316 993
D4: DE 4032959
III. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass das Verfahren des Anspruchs 1 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten einzigen Antrags nicht neu gegenüber D1 sei. In einem obiter dictum wurde die Neuheit auch gegenüber D2 bezweifelt.
IV. In einen Telefonat mit der Berichterstatterin wurde der Beschwerdeführer (Anmelder) darüber informiert, dass die Kammer beabsichtigt, die erstinstanzliche Entscheidung zu bestätigen. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17. Juni 2022 die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 4 und der Beschreibung, Seiten 1 bis 7, beides eingereicht mit besagtem Schreiben, und den Figuren wie ursprünglich eingereicht.
V. Die Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 des am 17. Juni 2022 eingereichten Hauptantrags lauten (Merkmalsgliederung M1 bis M8 von der Kammer hinzugefügt):
M1: Verfahren zur Messung von Hautparametern für die Analyse von kosmetischen Hautbedürfnissen mittels mindestens eines Messgerätes (15, 18), bei dem der Hauttyp eines Verbrauchers von Kosmetika untersucht wird,
M2: wobei die Untersuchung des Hauttyps an einem von einem Anbieter der Untersuchung und/oder von dem Verbraucher der Kosmetika frei bestimmbaren Standort (11, 12, 13, 14) durchgeführt wird,
M3: wobei das Messgerät (15, 18) zum frei bestimmbaren Standort (11, 12, 13, 14) mittels eines Transportmittels (10) in Gestalt eines Koffers oder einer Transportbox überführt wird und
M4: wobei das Ergebnis der Hautuntersuchung visuell dargestellt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
M5: in das Transportmittel (10) eine Computereinrichtung integriert wird und
M6: die Computereinrichtung mit dem Messgerät (15, 18) verbunden wird,
M7: wobei mittels einer Software die Ergebnisse der Hautuntersuchung auf der Bildfläche eines Monitors dargestellt werden und
M8: mehrere Messparameter während der Untersuchung verwendet werden.
1. Artikel 13(1) VOBK 2020
1.1 Die Kammer übt ihr Ermessen unter Artikel 13(1) VOBK 2020 aus und lässt den mit Schreiben vom 17. Juni 2022 eingereichten Hauptantrag ins Beschwerdeverfahren zu.
1.2 Die vom Beschwerdeführer (Anmelder) eingeführten Änderungen sind geeignet, den von der Prüfungsabteilung erhobenen Einwand bzgl. mangelnder Neuheit auszuräumen, und geben keinen Anlass zu neuen Einwänden. Da die im Beschwerdeverfahren vorgenommenen Änderungen lediglich auf der Kombination bereits ursprünglich formulierter Ansprüche basieren, sind sie auch der Verfahrensökonomie nicht abträglich.
2. Artikel 123(2) EPÜ
2.1 Der Hauptantrag erfüllt die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
2.2 Anspruch 1 basiert auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2, 3 (Merkmale M1 bis M3), 5 (Merkmal M5) und 8 (Merkmal M8) sowie auf Seite 5, Zeilen 5 bis 9, der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Merkmale M6, M7). Das Merkmal M4, wonach das Ergebnis der Hautuntersuchung visuell dargestellt wird, findet keine wortwörtliche Basis in der ursprünglichen Anmeldung, wird jedoch basierend auf dem Merkmal M7, wonach die Ergebnisse der Hautuntersuchung auf der Bildfläche eines Monitors dargestellt werden, als implizit offenbart gesehen.
2.3 Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 7, 9 und 10.
3. Artikel 54 EPÜ
3.1 Das Verfahren des Anspruchs 1 ist neu gegenüber D1 und D2.
3.2 D1
3.2.1 Das Merkmal M8 wurde dem Anspruch 1 im Beschwerdeverfahren hinzugefügt und räumt den Einwand der Prüfungsabteilung hinsichtlich mangelnder Neuheit gegenüber D1 aus.
3.2.2 D1 offenbart in Figur 1 mit Figur 5 oder 6 und den Absätzen [0031, 0077, 0090, 0094, 0100] ein Verfahren zur Messung von Hautparametern. In einem Koffer sind alle Komponenten untergebracht, die zur Messung und Visualisierung einer Glanzstufe des Gesichts einer Person erforderlich sind.
3.2.3 Das in D1 beschriebene Verfahren verwendet im Gegensatz zu Merkmal M8 nur einen einzigen Messparameter. Das Messgerät der D1 (Absatz [0031]) kann zwar mehrere Komponenten umfassen wie z.B. die Kamera, die Lichtquellen, das erste und zweite Polarisierungssystem, Mittel zum Ändern des Winkelabstands und Mittel zur Bestimmung der Winkelabweichung. Tatsächlich gemessen wird jedoch nur durch die Mittel zur Bestimmung der Winkelabweichung, z.B. den Winkelstellungsfühler (Absatz [0094]).
3.2.4 Die Kamera des Videosystems (Absatz [0090]) stellt entgegen der Ansicht der Prüfungsabteilung kein eigenes Messgerät dar, sondern gibt lediglich ein Bild in Abhängigkeit des Messparameters "Winkelabweichung" wieder (Absatz [0092]). Die Kamera stellt somit keinen zusätzlichen Messparameter zur Verfügung.
3.2.5 Zur Offenbarung der D1 wird weiterhin angemerkt, dass die Ausführung nach Figur 5 oder 6 mit der Lehre des Absatzes [0100] gesehen wird. Demnach stellt der in Figur 1 gezeigte Koffer (Absatz [0056]) eine Einheit dar, in dem eine Kamera mit kombiniertem Polarisierungssystem, ein Stellungsfühler und eine Computereinrichtung zur Darstellung des Ergebnisses integriert sind.
3.2.6 Bzgl. der integrierten Computereinrichtung stimmt die Kammer der Prüfungsabteilung dahingehend zu (angefochtene Entscheidung, Punkt 2.6), dass zur Anzeige des Messparameters in der Zone 44 des Bildschirms 40 zumindest eine minimal ausgestattete Computereinrichtung mit einer Software zur Darstellung der Information des Winkelstellungsfühlers zwingend erforderlich ist.
3.2.7 Ergänzend wird festgestellt, dass der in D1, Absatz [0099] offenbarte Mikrorechner entgegen der Ansicht der Prüfungsabteilung (Entscheidung, Punkt 2.2) nicht als anspruchsgemäße Computereinrichtung angesehen wird. Der Mikrorechner wird lediglich als Bilderfassungssystem offenbart, der mit der Kamera verbunden sein kann. Wie bereits erwähnt, ist die Kamera jedoch kein Messgerät, sondern dient zur Visualisierung des Messparameters, der mit dem Stellungsfühler erfasst wird. Der Messparameter kann gemäß Absatz [0094] auch ohne den erst in Absatz [0099] genannten Mikroprozessor dargestellt werden. Den Mikrorechner auch zur Signalverarbeitung und Darstellung des Messwertes des Stellungsfühlers einzusetzen, ist weder implizit noch explizit offenbart.
3.2.8 Da D1 Merkmal M8 nicht offenbart, ist das beanspruchte Verfahren neu gegenüber D1.
3.3 D2
3.3.1 Das Verfahren des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der D2 zumindest durch das Merkmal M5.
3.3.2 D2 offenbart einen Koffer mit einem Gerät, in dem eine Computereinrichtung und ein Display enthalten sind. Das Messgerät ist die Sonde, die per Kabel mit dem Gerät und somit der Computereinrichtung verbunden ist. Das Ergebnis der Hautuntersuchung in Form eines einzigen Messparameters wird durch die im Gerät implizit enthaltene Computereinrichtung auf dem Display dargestellt.
Wie in D1 ist bei dieser Betrachtung bereits Merkmal M8 nicht offenbart. Zusätzlich betrachtet die Kammer die in dem Gerät befindliche Computereinrichtung nicht als "in dem Transportmittel integriert". Das Gerät kann zwar in den Koffer gepackt werden, der Begriff "integriert" impliziert jedoch eine Verbindung oder Einheit mit dem Transportmittel, die über ein reines Hineinlegen hinausgeht.
3.3.3 Weiterhin offenbart D2 eine externe Computereinrichtung zur Darstellung des Ergebnisses der Hautuntersuchung, in dem mehrere Messparameter von mehreren Messgeräten berücksichtigt werden können. Auch bei dieser Betrachtung der D2 fehlt es an Merkmal M5.
3.3.4 Folglich ist D2 nicht neuheitsschädlich für das beanspruchte Verfahren.
4. Artikel 56 EPÜ
4.1 Das Verfahren des Anspruchs 1 ist erfinderisch gegenüber dem im Recherchenbericht zitierten Stand der Technik.
4.2 D1 oder D2 können als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden, da sich beide Dokumente mit einem Verfahren zur Messung von Hautparametern befassen.
Ausgehend von D1 hat das Unterscheidungsmerkmal M8 den Effekt, dass das "Ergebnis der Hautuntersuchung" weitere Messwerte berücksichtigt und daraus evtl. Produktempfehlungen entwickelt werden können.
Ausgehend von D2 hat das Unterscheidungsmerkmal M5 den Effekt, dass das "Ergebnis der Hautuntersuchung" basierend auf mehreren Parametern an flexiblen Orten leicht dargestellt werden kann.
4.3 In beiden Fällen kann die Aufgabe, wie vom Beschwerdeführer (Anmelder) vorgetragen, darin gesehen werden, eine umfangreichere Analyse von kosmetischen Hautbedürfnissen an flexiblen Orten zu ermöglichen.
4.4 Die im beanspruchten Verfahren relevante Merkmalskombination ist die im Transportmittel integrierte Computereinrichtung, wobei die mehrere Messparameter umfassenden Ergebnisse der Hautuntersuchung mittels einer Software auf der Bildfläche eines Monitors dargestellt werden.
4.4.1 Das in D1 offenbarte Transportmittel (Koffer) weist zwar eine integrierte Computereinrichtung auf, diese umfasst jedoch nur eine Software zur Darstellung eines einzelnen Messparameters (siehe Punkte 3.2.5 bis 3.2.7 dieser Entscheidung).
D1 legt die Verwendung mehrerer Messparameter nicht nahe, da aufgrund der Art des Messgeräts per se nur ein einziger Messparameter gemessen werden kann.
4.4.2 Auch in D2 kann nur ein einziger Messparameter auf dem Display des Geräts dargestellt werden. Das Gerät selbst lässt wie bei der D1 keine Messung weiterer Messparameter zu. Keine der Computereinrichtungen hat eine Software, die dazu geeignet ist, mehrere Parameter darzustellen. Stattdessen wird immer ein einzelner Messwertes auf dem Display angezeigt.
Soll das Ergebnis der Hautuntersuchung in D2 mehrere Parameter umfassen, kann dieses Ergebnis nur über eine Software einer externe Computereinrichtung dargestellt werden.
4.4.3 Somit führt die Kombination von D1 mit D2 zwar dazu, mehrere Messparameter mithilfe mehrerer Messgeräte für die Untersuchung zu verwenden, jedoch nicht zu einer integrierten Computereinrichtung und einer Software, mittels der das mehrere Parameter umfassende Ergebnis der Hautuntersuchung auf einem Monitor an einem beliebigen Ort dargestellt werden kann.
4.4.4 Auch die Kombination von D2 mit D1 führt nicht zum beanspruchten Gegenstand. Ausgehend von der D2 kann der Fachmann der D1 lediglich die Integration eines einzigen Gerätes, inklusive der entsprechenden Computereinrichtung, in einem Koffer entnehmen. Einen Hinweis, die in D1 offenbarte integrierte Computereinrichtung und Software derart zu modifizieren, dass sie ein mehrere Messparameter umfassendes Hautuntersuchungsergebnis darstellt, enthält die D1 nicht.
4.5 Die Dokumente D3 und D4 sind nicht auf ein Verfahren zur Messung von Hautparametern gerichtet und können somit Merkmal M8 in Kombination mit D1 nicht nahelegen. D3 bezieht sich auf einen Koffer mit integriertem Scooter. D4 bezieht sich auf eine Koffer mit integriertem Computer.
4.6 Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ sind somit erfüllt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein europäisches Patent auf der Grundlage des Hauptantrags zu erteilen:
- Ansprüche 1 bis 4, eingereicht mit Schreiben vom 17. Juni 2022,
- Beschreibungsseiten 1 bis 7 eingereicht mit Schreiben vom 17. Juni 2022
- Figuren 1 bis 3 wie ursprünglich eingereicht.