4.5.1 Stellungnahme G 1/04 der Großen Beschwerdekammer
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach Art. 52 (4) EPÜ 1973 (Art. 53 c) EPÜ) fallen Diagnostizierverfahren nur unter das Patentierungsverbot, wenn sie am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden. Die Große Beschwerdekammer vertrat die Auffassung, dass bei einem Diagnostizierverfahren die technischen Verfahrensschritte, die für das Stellen der Diagnose zu Heilzwecken im strengen Sinne maßgeblich sind und ihr vorausgehen, das Kriterium "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" erfüllen müssen.
Dieses Kriterium ist nur in Bezug auf technische Verfahrensschritte zu berücksichtigen. Es bezieht sich also nicht auf die Diagnose zu Heilzwecken im strengen Sinne, d. h. auf die deduktive Entscheidungsphase, die als rein geistige Tätigkeit nicht am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden kann.
Art. 52 (4) EPÜ 1973 verlangt keine bestimmte Art oder Intensität der Wechselwirkung mit dem menschlichen oder tierischen Körper; ein vorausgehender technischer Verfahrensschritt erfüllt somit das Kriterium "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen", wenn seine Ausführung irgendeine Wechselwirkung mit dem menschlichen oder tierischen Körper einschließt, die zwangsläufig dessen Präsenz voraussetzt.
Die Erteilung eines europäischen Patents für ein Diagnostizierverfahren, das vorausgehende technische Verfahrensschritte umfasst, die von einem Gerät ausgeführt werden, verstößt nicht gegen Art. 52 (4) EPÜ 1973, weil die Ausführung dieser Verfahrensschritte nicht das Kriterium "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" erfüllt. Falls Patentschutz besteht, dürfte es jedoch in der Regel ausreichen, das betreffende Gerät zu kaufen, um zur Durchführung eines solchen Verfahrens berechtigt zu sein. In Fällen, in denen man durch ein Verfahren ohne ein Gerät zu denselben diagnostischen Schlüssen gelangen kann, werden diejenigen, die das Verfahren ausführen, nicht durch das Patent behindert. Daher ist nicht davon auszugehen, dass Human- oder Veterinärmediziner durch ein solches Patent behindert würden.