1.5. Parameterbereiche – Festlegung von Ober- und Untergrenzen
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In T 201/83 (ABl. 1984, 481) gelangte die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Änderung des Konzentrationsbereichs für ein beanspruchtes Gemisch wie z. B. eine Legierung, die auf einem in einem bestimmten Beispiel beschriebenen Wert beruht, zulässig ist, sofern der Fachmann ohne Weiteres erkennen kann, dass dieser Wert mit den übrigen Merkmalen des Beispiels nicht so eng verbunden ist, dass er die Wirkung dieser erfindungsgemäßen Ausführungsform als Ganzes auf außergewöhnliche Weise und in erheblichem Ausmaß bestimmt. In der vorliegenden Sache konnte der neue Grenzwert den ursprünglichen Unterlagen entnommen werden.
In T 876/06 wandte die Kammer den in T 201/83 festgelegten Grundsatz an und gelangte zu dem Schluss, dass der Fachmann anhand der ursprünglich eingereichten Anmeldung hätte erkennen können, dass das Gewichtsverhältnis von flüssigem zu festem Gummi nicht so eng mit den übrigen Merkmalen der Beispiele verbunden war, dass es die Wirkung der Erfindung als Ganzes auf außergewöhnliche Weise und in erheblichem Ausmaß bestimmte. Daher war die Verwendung des in mehreren Beispielen zur Beschränkung des Bereichs für das Gewichtsverhältnis von flüssigem zu festem Gummi verwendeten speziellen Werts zulässig. Die vorgenommene Beschränkung des Anspruchs stelle keine willkürliche Einschränkung dar, die einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leiste, sondern lediglich eine Beschränkung eines Bereiches auf einen bereits in den Unterlagen genannten Wert, also eine quantitative Auswahl. Darüber hinaus verwarf die Kammer auch das Argument des Beschwerdegegners (Einsprechenden) als nicht zutreffend, dass die Änderung in T 201/83 nur deswegen als gewährbar erachtet worden sei, weil es sich um den im Hinblick auf die damals beanspruchte Erfindung niedrigsten Wert handelte. Nach Auffassung der Kammer hatte dies überhaupt keine Rolle gespielt. Die Erfordernisse von Art. 123 (2) EPÜ 1973 seien erfüllt.
In T 612/09 wies die Kammer darauf hin, dass es in der Sache T 201/83 von Bedeutung war, dass der Wert in einem Beispiel offenbart war, weil die damit befasste Kammer zunächst ermitteln musste, ob der im Rahmen eines Beispiels offenbarte Wert separat von den anderen im Beispiel offenbarten Merkmalen betrachtet werden konnte. Die mit T 612/09 befasste Kammer konnte jedoch aus T 201/83 nicht ableiten, dass der Wert, auf dem der Unterbereich beruht, notwendigerweise in einem Beispiel offenbart sein muss. Das Erfordernis scheint vielmehr darin zu bestehen, dass der Wert für den Fachmann als Einzelwert erkennbar sein muss, der wie in T 201/83 innerhalb oder am Ende einer Reihe von Möglichkeiten einen Endpunkt eines bestimmten Unterbereichs bilden kann.
In T 517/07 war die neu eingeführte Obergrenze in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen lediglich als isolierter Messwert in Beispiel 1 offenbart. Die Kammer entschied, dass durch das Herausgreifen eines einzelnen Messwertes aus einem spezifischen Ausführungsbeispiel und die Verwendung dieses Einzelwertes als neue Obergrenze in Anspruch 1 ein neuer, nunmehr nach oben begrenzter Wertebereich kreiert wurde, der in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbart war.
In T 1188/10 reichte der breiteste in der Anmeldung in der eingereichten Fassung offenbarte allgemeine Bereich für die Konzentration von LAE in Lebensmittelprodukten von 0,0001 % bis 1 %. Als Endpunkte des neuen Bereichs 0,006 % bis 0,015 % wurden Einzelwerte aus den Beispielen 2 und 4 zur Verwendung von LAE als Konservierungsmittel in zwei verschiedenen spezifischen Lebensmittelprodukten bei verschiedenen Wachstumstemperaturen verwendet. Bei der Beurteilung, ob dieser neue Bereich mit Art. 123 (2) EPÜ vereinbar ist, musste ermittelt werden, ob der Fachmann diese Werte analog zu T 201/83 so verallgemeinern würde, dass er sie nicht nur mit den spezifischen, in den Beispielen genannten Lebensmittelprodukten und Temperaturen in Verbindung bringt. In dieser Sache war das der Fall, sodass der beanspruchte Bereich nicht gegen Art. 123 (2) EPÜ verstieß.
Die Kammer entschied in der Sache T 184/05, dass der Konzentrationswert von Verunreinigungen in einem Erzeugnis, der unter spezifischen Verfahrensbedingungen erhalten wurde, nicht streng isoliert von den Beispielen betrachtet werden kann, sofern nicht nachgewiesen wurde, dass dieser Wert nicht über das verwendete Verfahren eng mit spezifischen (nicht offenbarten) Höchstwerten aller anderen Verunreinigungen in dem Erzeugnis verbunden ist.
In T 570/05 lautete die vorgeschlagene Änderung "... die Beschichtung hat eine Dicke von 220 bis 500 nm", wobei die einzige Grundlage im Wortlaut der ursprünglich eingereichten Anmeldung für den niedrigeren Wert von 220 nm des beanspruchten Bereichs in drei Beispielen zu finden war: dieser Wert stellte nirgendwo in den ursprünglich eingereichten Unterlagen den niedrigeren (oder überhaupt irgendeinen) Endpunkt eines Dickebereichs dar. Unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung, insbesondere auf T 201/83, T 1067/97 und T 714/00 (s. auch Kapitel II.E.1.9. "Zwischenverallgemeinerung") betreffend das Herausgreifen eines isolierten Merkmals, prüfte die Kammer, ob ein funktioneller oder struktureller Zusammenhang bestand zwischen der Dicke der Beschichtung, insbesondere ihrer Untergrenze, und den übrigen Merkmalen des Anspruchs. Die Kammer schloss, dass das Fehlen eines deutlich erkennbaren funktionellen oder strukturellen Zusammenhangs im vorliegenden Fall nicht erfüllt und die Änderung daher unzulässig war.
In T 931/00 stellte die Kammer fest, dass Zahlen in Beispielen zwar unter bestimmten Bedingungen zur Einschränkung eines Bereichs verwendet werden können, der bereits in der ursprünglich eingereichten Anmeldung vorgelegen hatte, nicht jedoch zur Herstellung einer völlig neuen Beziehung zwischen Parametern, die zuvor nie miteinander verbunden gewesen waren. Mit solchen willkürlichen neuen Verbindungen zwischen bestehenden Parametern wird entgegen den Erfordernissen der Art. 123 (2) und Art. 100 c) EPÜ 1973 ein neuer Gegenstand eingeführt.
In T 1146/01 hatte die Kammer zu klären, ob ein einzelner Messwert eines ausgewählten Merkmals bzw. einer ausgewählten Eigenschaft einer Probe, der nur in einem einzigen Beispiel offenbart wurde, für den beanspruchten Gegenstand allgemein ungeachtet der übrigen Parameter derselben Probe und von diesen unabhängig relevant sein kann. Der Sachverhalt in diesem Fall unterschied sich von demjenigen in der Sache T 201/83, in der festgestellt wurde, dass eine Änderung, die auf einem bestimmten, in einem spezifischen Beispiel beschriebenen Wert beruht, zulässig ist, sofern der Fachmann ohne Weiteres erkennen kann, dass dieser Wert mit den übrigen Merkmalen des Beispiels nicht so eng verbunden ist, dass er die Wirkung dieser erfindungsgemäßen Ausführungsform als Ganzes auf außergewöhnliche Weise und in erheblichem Ausmaße bestimmt. In T 1146/01 urteilte die Kammer, dass der Leser durch die Festlegung eines neuen Bereichs anhand von Einzelwerten, die ausgewählten Beispielen entnommen waren und keine unmittelbare Verbindung zueinander aufwiesen, hingegen mit neuen Informationen konfrontiert wurde, die sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableiten ließen.
In T 1004/01 hatte die Beschwerdekammer die Frage zu beantworten, ob es in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür gebe, das beanspruchte Laminat durch eine Schälfestigkeit von mindestens 24 Gramm zu definieren. Die Schälfestigkeit des Laminats war in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung durch einen offenen Bereich als wesentliches Merkmal der Erfindung definiert. Weder in der allgemeinen Beschreibung noch in den Ansprüchen fand sich ein weiterer Hinweis auf eine bevorzugte Schälfestigkeit. Nach Auffassung der Kammer seien die als Beispiele herausgegriffenen Laminate und deren Schälstärken nur in einem konkreten technischen Kontext offenbart worden, ohne dass eine Präferenz für eine Schälstärke von mindestens 24 Gramm ausgedrückt worden wäre. Ebenso wenig sei in der Beschreibung eine solche Präferenz genannt worden, die diese Untergrenze rechtfertigen könnte. Da jedoch eine Schälstärke von 24 Gramm offenbart gewesen sei, stelle sich die Frage, unter welchen Bedingungen ein solches beispielhaft genanntes Merkmal die Grundlage eines neuen Bereichs bilden könne, wie er nun beansprucht werde. Die Schälstärke von 24 Gramm könne nicht losgelöst von den als Beispiel angeführten Laminaten als Grundlage für eine generelle Untergrenze der beanspruchten Schälstärke herangezogen werden, ohne die anderen eng damit zusammenhängenden Besonderheiten zu berücksichtigen.
In T 526/92 ging es um ein Patent für ein additives Konzentrat mit einer hohen Gesamtbasenzahl (TBN) von mindestens 235 zur Beimischung in einer Schmierölzusammensetzung. Die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung enthielt abgesehen von den Beispielen, in denen 235 der niedrigste erwähnte Wert war, keinen ausdrücklichen Hinweis auf die TBN. Das Merkmal "mit einer hohen TBN von mindestens 235" wurde im Prüfungsverfahren hinzugefügt, um den beanspruchten Gegenstand von den in einer Entgegenhaltung offenbarten Zusammensetzungen mit niedrigen TBN-Werten bis 100 zu unterscheiden. Die TBN-Werte seien ursprünglich nicht als "breiter" Bereich offenbart worden, sondern nur als punktuelle Einzelwerte; somit sei eher ein ursprünglich nicht offenbarter, neuer Bereich definiert worden. Im Übrigen enthalte der allgemeine Teil der ursprünglichen Beschreibung keinen Hinweis darauf, dass die TBN im Rahmen der strittigen Anmeldung überhaupt eine Rolle spiele. Das heißt, es gab auch keinerlei Hinweis auf einen – offenen oder abgeschlossenen – TBN-Bereich. Ebenso wenig enthielt die Beschreibung Informationen darüber, wie die TBN zur Lösung der gestellten technischen Aufgabe beiträgt. Im Übrigen konnte aus den in den Beispielen offenbarten einzelnen TBN-Werten nicht darauf geschlossen werden, dass sie für einen bei 235 beginnenden und nach oben offenen TBN-Bereich repräsentativ waren. Nach Ansicht der Kammer darf in einem Fall, in dem Parameterwerte nur in Beispielen angegeben sind und sich die Bedeutung des Parameters aus der ursprünglichen Beschreibung nicht erschließt, nicht willkürlich ein Bereich gebildet werden, der auf der einen Seite offen ist und auf der anderen von einem den Beispielen entstammenden Wert begrenzt wird. Diese Entscheidung wurde angeführt und in T 931/00 bestätigt, in der durch Auswahl eines einzelnen Werts aus einem Beispiel als Obergrenze ein neuer Parameterbereich gebildet wurde – unter Verweis auf T 201/83 (ABl. 1984, 481).
In T 343/90 wurde das zusätzliche Merkmal "Viskosität von 430 bis 1300 dPa.s bei 165 °C" zum Anspruch hinzugefügt. Die Kammer stellte fest, dass dieser spezifische Viskositätsbereich weder in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung noch im angefochtenen Patent in der erteilten Fassung ausdrücklich genannt war. Allerdings waren die Ober- und die Untergrenze des Viskositätsbereichs in den Beispielen der ursprünglich eingereichten Anmeldung eigens erwähnt. Die Verwendung der Viskositätswerte aus den Beispielen als Endpunkte des Viskositätsbereichs konnte nicht nur im Kontext aller anderen dort genannten Parameter gesehen werden. Die Änderung verstieß somit nicht gegen Art. 123 (2) EPÜ.