2. Rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In T 960/94 hatte sich die Zusammensetzung der Einspruchsabteilung im Zeitraum zwischen der mündlichen Verkündung der Entscheidung und deren schriftlicher Abfassung geändert. Die Kammer gelangte zu der Auffassung, dass der Erlass der schriftlichen Entscheidung durch eine Einspruchsabteilung, deren erstes Mitglied am Tag der mündlichen Verhandlung nicht anwesend gewesen sei, sowohl im Hinblick auf Art. 113 (1) EPÜ 1973 als auch Art. 116 EPÜ 1973 einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle, da sie namens eines ersten Mitglieds erlassen worden war, vor welchem den Parteien keinerlei Gelegenheit eingeräumt worden war, sich in der mündlichen Verhandlung zu äußern.
In T 862/98 war die erstinstanzliche Entscheidung von der Einspruchsabteilung in anderer Besetzung als derjenigen unterzeichnet worden, vor der die mündliche Verhandlung stattgefunden hatte. Da die mündliche Verhandlung ein grundlegender Ausdruck des rechtlichen Gehörs ist (s. z. B. T 209/88), sollten in der mündlichen Verhandlung alle Feststellungen, die für die abschließende Entscheidung relevant sind, in Anwesenheit und unter Beteiligung derjenigen Mitglieder getroffen werden, die die abschließende Entscheidung erlassen. Die Kammer entschied, dass Änderungen in der Zusammensetzung einer Einspruchsabteilung nach einer mündlichen Verhandlung generell auch dann vermieden werden sollten, wenn keine endgültige Sachentscheidung verkündet werde. Wenn dies nicht möglich sei, sollte den Beteiligten in der Regel angeboten werden, dass eine erneute mündliche Verhandlung stattfindet (s. analog Art. 7 (1) VOBK 2003 (Art. 8 (1) VOBK 2007)). In Ausnahmefällen könne dies unterbleiben.
In T 837/01 war die abschließende Entscheidung der Einspruchsabteilung nur von drei Mitgliedern der Abteilung unterzeichnet worden, während die den Beteiligten zugestellte Ausfertigung die Namen aller vier Mitglieder einschließlich des rechtskundigen Mitglieds aufwies. Auf Nachfrage der Kammer stellte sich heraus, dass das rechtskundige Mitglied nicht einfach vergessen hatte, die Entscheidung zu unterzeichnen, sondern an der Abfassung der Entscheidung nicht beteiligt war, was einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellte (s. auch T 990/06).
Zu weiteren Fällen, auch bezüglich eines vor der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Wechsels in der Besetzung der Einspruchsabteilung, s. Kapitel III.K.1.3.2 "Änderung der Zusammensetzung der Einspruchsabteilung während des Einspruchsverfahrens".