5.5.1 Sorgfaltspflicht des Anmelders
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In J 3/93 stellte sich die Juristische Kammer auf den Standpunkt, dass die in Art. 122 EPÜ 1973 verankerte Sorgfaltspflicht in erster Linie dem Anmelder auferlegt sei und erst durch die mit der Vertretungsvollmacht vorgenommene Übertragung der Zuständigkeit auf den zugelassenen Vertreter des Anmelders beim EPA übergehe, wobei die fehlerfreie Arbeit des Vertreters den Mandaten nicht vor den Folgen eigenen Fehlverhaltens oder einfach nur eigener Nachlässigkeit schütze (s. auch J 16/93, J 17/03, J 1/07, J 1/13).
In J 7/16 entschied die Juristische Kammer, dass ein fahrlässiges Verschulden seitens eines zugelassenen Vertreters der Feststellung entgegenstehe, dass die gebotene Sorgfalt beachtet wurde. Im vorliegenden Fall war das Verhalten des früheren Vertreters im Verfahren jedoch nicht auf Fahrlässigkeit, sondern auf seinen Gesundheitszustand zurückzuführen. Der frühere Vertreter war aus Gründen, die er nicht zu vertreten hatte, trotz seiner Bemühungen um Pflichterfüllung nicht in der Lage, die Sache ordnungsgemäß abzuwickeln. Diese Feststellung schützte den Anmelder vor den Folgen des unangemessenen Verhaltens seines früheren Vertreters, da der Anmelder keinen Grund hatte anzunehmen, dass er sich auf seinen Vertreter nicht verlassen konnte.
In T 381/93 vom 12. August 1994 date: 1994-08-12 war die Kammer der Auffassung, dass sich zwar ein Anmelder im Verkehr mit dem EPA auf seinen ordnungsgemäß bevollmächtigten zugelassenen Vertreter verlassen darf. Soweit aber klar sei, dass eine Frist versäumt worden sei und/oder es entsprechender Anweisungen bedürfe, um diese Frist einzuhalten, sei der Anmelder verpflichtet, sich mit aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt um die Einhaltung der Frist zu bemühen.
In J 22/92 befand die Juristische Kammer, der Anmelder, der für die PCT-Anmeldung amerikanische Patentvertreter bestellt hatte, habe glauben dürfen, dass diese Mitteilung in Kopie auch an seine amerikanischen Vertreter gegangen sei. Die Kammer verwies auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und stellte fest, dass der Verlust der Patentanmeldung eine äußerst schwerwiegende Rechtsfolge für ein Verhalten wäre, das man schlimmstenfalls als kleineren Verfahrensfehler werten könne. In der betreffenden Sache gehe es nicht um die Sorgfalt, die bei einem zugelassenen Vertreter vorauszusetzen sei, sondern um die Sorgfalt, die man von einem mit dem Verfahren nicht vertrauten Anmelder erwarten dürfe.
In T 2120/14 bestätigte die Kammer, dass die Feststellung der Prüfungsabteilung bezüglich der mangelnden Sorgfalt des Anmelders unter den Umständen gerechtfertigt war, unter denen die Wahrung einer Frist von einer einzigen Person abhängig war, die angesichts ihrer hohen Arbeitsbelastung und häufigen Reisen nicht die notwendigen Vorkehrungen getroffen hatte, um im Falle ihrer Verhinderung durch rechtzeitige Anweisungen die Wahrung der Frist sicherzustellen. Nach Auffassung der Kammer ergab sich aus den Vorarbeiten zu Art. 122 EPÜ, dass die Möglichkeit, ein fahrlässiges Verschulden eines Angestellten zu entschuldigen, der seine Arbeit gewöhnlich zufriedenstellend erledigt, nicht auf den Anmelder oder seinen zugelassenen Vertreter übertragen werden kann (s. R 18/13). Im vorliegenden Fall hatte es die Führungskraft der Gesellschaft, die für den Beschwerdeführer tätig war, an der gebotenen Sorgfalt fehlen lassen.
In T 1954/13 erteilte der Beschwerdeführer (Anmelder) seinem amerikanischen Vertreter die Anordnung zur "Einstellung der Arbeit". Nach Ansicht der Kammer konnte der Beschwerdeführer nicht erwarten, dass die Anordnung zur "Einstellung der Arbeit" ohne Folgen bleiben und die Arbeit fortgesetzt würde. Aus der Akte ging jedoch nicht hervor, dass der Beschwerdeführer jemals Maßnahmen ergriffen hatte, um die Anordnung zur "Einstellung der Arbeit" zu kompensieren. Wenn der Beschwerdeführer Anweisungen gegeben hätte, dass ihm keine Informationen übermittelt werden sollen, so würde dies nach Auffassung der Kammer die Feststellung weiter untermauern, dass der Beschwerdeführer selbst nicht mit der unter den Umständen gebotenen Sorgfalt gehandelt hatte.