5.4. Nachreichen von fehlenden Teilen der Beschreibung oder fehlenden Zeichnungen (Regel 56 EPÜ)
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Ergibt die Prüfung nach Art. 90 EPÜ, ob die Anmeldung den Erfordernissen für die Zuerkennung eines Anmeldetags genügt, dass Teile der Beschreibung oder Zeichnungen offensichtlich fehlen, so fordert das EPA den Anmelder auf, die fehlenden Teile innerhalb von zwei Monaten nachzureichen (R. 56 (1) EPÜ). In R. 43 EPÜ 1973, der entsprechenden Vorschrift aus dem EPÜ 1973, wurde nur auf fehlende Zeichnungen abgehoben. Der Passus zu fehlenden Teilen der Beschreibung ist im EPÜ 2000 hinzugekommen. In J 7/97 wurde in dem Fall, in dem eine europäische Patentanmeldung beim EPA per Fax eingereicht wurde, aber eine Seite der Beschreibung fehlte, dies nach dem EPÜ 1973 nicht als offensichtlicher Fehler angesehen, und der Anmeldung wurde ein Anmeldetag zuerkannt, allerdings nicht für die nicht gefaxte Seite.
Reicht der Anmelder fehlende Teile der Beschreibung oder fehlende Zeichnungen innerhalb von zwei Monaten nach dem Anmeldetag oder nach einer Aufforderung des EPA, die fehlenden Teile einzureichen, ein, so wird der Anmeldetag auf den Tag der Einreichung der fehlenden Teile neu festgesetzt. Wird in der Anmeldung jedoch die Priorität einer früheren Anmeldung in Anspruch genommen und sind die fehlenden Teile der Beschreibung oder die fehlenden Zeichnungen vollständig in der früheren Anmeldung enthalten und sind ferner alle Erfordernisse der R. 56 (3) EPÜ erfüllt, so wird der Anmeldetag nicht neu festgesetzt und bleibt der Tag, an dem die Erfordernisse der R. 40 (1) EPÜ erfüllt waren (R. 56 (3) EPÜ).
R. 56 EPÜ ist nur auf Anmeldungen anwendbar, die nach dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 eingereicht wurden (J 3/06, ABl. 2009, 170). Nach Auffassung der Juristischen Beschwerdekammer kann eine vor dem 13. Dezember 2007 eingegangene Anmeldung dann im Hinblick auf die Anwendbarkeit von Regeln der Ausführungsordnung als dem EPÜ 2000 unterliegend angesehen werden, wenn der der Regel, um deren Anwendung es geht, zuzuordnende Artikel nach Artikel 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 auch auf vor dem 13. Dezember 2007 eingereichte Patentanmeldungen anwendbar ist. Von einem Unterliegen ist dann auszugehen, wenn eine Regel der Ausführungsordnung entsprechend ihrer allgemeinen Funktion, das EPÜ "auszuführen", einen Artikel des EPÜ 2000 näher bestimmt. Dies ist im Verhältnis von Art. 90 zu R. 56 EPÜ nicht der Fall, da R. 56 EPÜ nichts zur näheren Bestimmung des Art. 90 EPÜ beiträgt. Die R. 56 EPÜ nach ihrem systematischen Zusammenhang zugrunde liegende Vorschrift ist Art. 80 EPÜ (Anmeldetag), der nicht im Katalog der für sofort ab Inkrafttreten des EPÜ 2000 auch auf anhängige Verfahren anwendbar erklärten Vorschriften enthalten ist. Folglich sind auch die dazugehörigen Regeln nicht anwendbar.
In T 2166/10 legte der Patentinhaber Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, sein auf der Grundlage einer Euro-PCT-Anmeldung erteiltes Patent zu widerrufen. Einige Seiten der Beschreibung hatten in der ursprünglich eingereichten Anmeldung gefehlt, und nach Meinung der Einspruchsabteilung konnte das internationale Anmeldedatum nur für die ursprünglich eingereichten Seiten beansprucht werden. Der Gegenstand in der erteilten Fassung ging folglich über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Nach Auffassung der Kammer stand außer Zweifel, dass der vorläufigen Prüfung und dem Streitpatent teilweise die neuen Seiten der Beschreibung zugrunde lagen, die während des Verfahrens für die internationale vorläufige Prüfung im Wege einer Änderung eingereicht worden waren und in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gefehlt hatten. Der Anmelder hatte die fehlenden Seiten nie angesprochen und nie eine Berichtigung des Anmeldedatums beantragt (vgl. J 3/00). Ebenso wenig hatte der Anmelder später einen Antrag auf Berichtigung eines Fehlers im Erteilungsbeschluss eingereicht. Daher kam die Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung zu Recht entschieden hat, dass die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung die fehlenden Seiten der Beschreibung nicht enthalten hatte.