3.2. Zustimmung des Anmelders zum Text
Overview
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
- T 2277/19
- T 1003/19
1. Rule 71(5) EPC only applies where the text intended for grant has been communicated to the applicant according to Rule 71(3) EPC (see Reasons 2.4).
2. The fact that the list of documents intended for grant neither corresponds to any request of the applicant nor to any amendment explicitly suggested by the examining division is sufficient to indicate that the communication under Rule 71(3) EPC does not contain the text intended for grant; the existence of discrepancies between the text of the communication and the "Druckexemplar" may be another indication (see Reasons 2.4.4).
3. Differentiation from G 1/10 (see Reasons 4).
4. Where the applicant could have noticed an apparent discrepancy between the text of the communication under Rule 71(3) EPC and the "Druckexemplar", the reimbursement of the appeal fee is not equitable by reason of a substantial procedural violation (see Reasons 5).
- Rechtsprechung 2020
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In T 2277/19 stellte die Kammer fest, dass die in der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannte Fassung als die für die Erteilung vorgesehene Fassung anzusehen sei. Da diese Fassung, auf deren Grundlage das Patent erteilt wurde, vom Anmelder (Beschwerdeführer) gebilligt worden sei, seien die Erfordernisse des Art. 113 (2) EPÜ erfüllt. Der Anmelder könne somit nicht als im Sinne des Art. 107 Satz 1 EPÜ durch die angefochtene Entscheidung beschwert gelten. Demnach sei die vom Anmelder eingelegte Beschwerde nach R. 101 (1) EPÜ unzulässig. Der Beschwerdeführer hatte (vorbehaltlich der Berichtigung einiger geringfügiger Fehler in der Beschreibung) sein Einverständnis mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung erklärt. Die Kammer vertrat daher die Auffassung, dass die Prüfungsabteilung zu Recht davon ausgegangen sei, dass der Anmelder das Druckexemplar überprüft habe, insbesondere weil er einige Änderungen an der für die Erteilung vorgesehenen Fassung beantragt habe. Die Prüfungsabteilung habe keinen Grund zu der Annahme gehabt, dass das Einverständnis unter dem Vorbehalt gestanden habe, dass tatsächlich nur die Zeichnungsblätter 1 bis 7 zur Veröffentlichung bestimmt seien. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer ausdrücklich auf sein Recht auf eine weitere Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ verzichtet. Obwohl also er nach R. 71 (6) EPÜ weitere Berichtigungen in der ihm mitgeteilten Fassung der Anmeldung hätte beantragen können, habe der Beschwerdeführer offenbar nicht bemerkt, dass die in der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannten Unterlagen nicht den Unterlagen seines früheren Antrags, d. h. den mit seinem Schreiben vom 20. Februar 2018 geänderten Anmeldungsunterlagen, entsprachen. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass der Sachverhalt im vorliegenden Fall dem in der Entscheidung T 1003/19 sehr ähnlich sei, und verwies auch auf T 2081/16. In T 1003/19 habe die Kammer festgestellt, dass das Einverständnis des Anmelders mit der ihm mitgeteilten Fassung nicht maßgeblich sei, da ihm nicht die Fassung mitgeteilt worden sei, in der die Prüfungsabteilung das Patent zu erteilen beabsichtigte, und die Bestimmungen der R. 71 (5) EPÜ nur in diesem Fall gegriffen hätten. Die Kammer ist den Entscheidungen T 1003/19 und T 2081/16 nicht gefolgt. Ihrer Auffassung nach gibt es im EPÜ keine Rechtsgrundlage für eine Unterscheidung zwischen der in einer Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannten Fassung und der Fassung, die der tatsächlichen Absicht der Prüfungsabteilung entspricht. Zudem wird in R. 71 (6) EPÜ die Möglichkeit berücksichtigt, dass die nach R. 71 (3) EPÜ mitgeteilte Fassung nicht den Anträgen des Beschwerdeführers entspricht. Nach Auffassung der Kammer erlegt Art. 71 (3) EPÜ dem Anmelder somit die Pflicht auf, diese Fassung zu überprüfen. Dass ein Anmelder sein Recht nicht ausübt, Änderungen nach R. 71 (6) EPÜ zu beantragen, kann deshalb nur als Einverständnis mit der ihm mitgeteilten, d. h. der für die Erteilung vorgesehenen Fassung ausgelegt werden. Ob der Anmelder einen etwaigen Fehler bemerkt, ändert nichts daran, dass dieses Einverständnis bindend ist.
In T 265/20 stellte die Kammer fest, dass der Anmelder (Beschwerdeführer) nach Erhalt der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung, in der die Zeichnungsblätter 1/4 bis 4/4 in der Liste der Dokumente fehlten, keine Stellungnahme abgegeben hat. Stattdessen entrichtete er die Erteilungs- und Veröffentlichungsgebühr und reichte innerhalb der Frist von 4 Monaten die Übersetzungen der Ansprüche in den anderen Amtssprachen ein. Die Kammer befand, dass damit die in R. 71 (5) EPÜ genannten Voraussetzungen für das Eintreten der Rechtsfolge erfüllt waren, nämlich dass dies als Einverständnis des Anmelders mit der ihm nach R. 71 (3) EPÜ mitgeteilten Fassung galt. Der eindeutige Wortlaut der R. 71 (5) EPÜ lässt keine andere Auslegung als die vorgesehene Rechtsfolge zu. Erstens gibt es im EPÜ keine Rechtsgrundlage für eine Unterscheidung zwischen der in einer Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ genannten Fassung und der Fassung, die der tatsächlichen Absicht der Prüfungsabteilung entspricht (s. auch T 2277/19, Nr. 1.3 der Gründe). Zweitens führte nicht der Inhalt des Textes dazu, dass das Einverständnis nach R. 71 (5) EPÜ als erteilt galt, sondern die Entrichtung der Gebühr und Einreichung der Übersetzungen nach R. 71 (5) EPÜ durch den Anmelder. Daraus folgt, dass es sinnlos wäre, nach dem "wahren Willen" der Mitglieder der Prüfungsabteilung bei der Abfassung der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ zu forschen. Die endgültige Verantwortung für den Text lag beim Anmelder selbst, nicht bei der Prüfungsabteilung. Die Kammer befand, dass es in der Verantwortung des Anmelders liege zu prüfen, ob die ihm mitgeteilte Fassung dem entspricht, was er beantragt hat. Dass ein Anmelder sein Recht nicht ausübt, Änderungen nach R. 71 (6) EPÜ zu beantragen, kann deshalb nur als Einverständnis mit der ihm mitgeteilten Fassung, d. h. der für die Erteilung vorgesehenen Fassung ausgelegt werden. Ob der Anmelder einen möglichen Fehler im Text bemerkt hat oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, dass sein Einverständnis bindend ist, unabhängig davon, ob dieses ausdrücklich erteilt wurde oder nach R. 71 (5) EPÜ als erteilt gilt. Weiter sah die Kammer in den Entscheidungen T 1003/19 und T 2081/16 keine divergierende Rechtsprechung, die eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer nach Art. 112 (1) EPÜ zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung erforderlich machen würde. Für sie ließ der Wortlaut der R. 71 EPÜ zweifelsfrei nicht die Schlussfolgerung zu, dass der "wahre Wille" der Prüfungsabteilung berücksichtigt werden müsse, wenn beurteilt wird, ob das Einverständnis als erteilt gilt und bindend ist. Darüber hinaus konnte sie in den genannten Entscheidungen keine überzeugenden Gründe dafür ausmachen. Siehe auch Kapitel V.A.2. "Materielle Beschwerdeberechtigung (Artikel 107 EPÜ)".
In T 646/20 fand die Kammer keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Prüfungsabteilung verpflichtet wäre, einen Erteilungsbeschluss bis zum Ablauf der viermonatigen Frist aufzuschieben, wenn der Anmelder innerhalb dieser Frist der Erteilung zugestimmt und damit der Prüfungsabteilung erlaubt hat, einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Es wäre ziemlich merkwürdig, wenn die Prüfungsabteilung einen Beschluss für den Fall aufschieben müsste, dass der Anmelder es sich anders überlegt hat. Im vorliegenden Fall erteilte der Anmelder nach Erhalt der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ seine ausdrückliche Zustimmung, den Erteilungsbeschluss zu erlassen; nach dem Erteilungsbeschluss erklärte der Beschwerdeführer dann jedoch sein Nichteinverständnis und reichte am Tag der geplanten Veröffentlichung des Erteilungsbeschlusses im Europäischen Patentblatt einen Antrag auf Weiterbehandlung ein. Die Kammer unterschied den vorliegenden Fall von T 1/92 (ABl. 1993, 685), in dem es um widersprüchliche Aussagen des Anmelders ging, die dem Erteilungsbeschluss der Prüfungsabteilung vorangingen. Die Kammer im vorliegenden Fall war auch nicht von dem Argument des Beschwerdeführers überzeugt, eine in Reaktion auf eine Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ verschickte Zustimmung könne nicht als Verzicht auf weitere Optionen oder Rechtsbehelfe ausgelegt werden. Jedes Einverständnis mit der Fassung eines Patents bedeutet einen Verzicht auf die verbleibende unendliche Zahl von Fassungen, in denen ein Patent erteilt werden könnte. Die Kammer stellte in ihrem Orientierungssatz fest, dass nach der Erteilung keine weiteren Mitgliedstaaten benannt werden können. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung G 1/10 (ABl. 2013, 194) kam die Kammer zu dem Schluss, dass das Patent in der erteilten Fassung im Interesse der Rechtssicherheit nicht mehr geändert werden darf und dass dem Anmelder "angemessene Mittel zur Verfügung standen", um im Vorfeld Abhilfe zu schaffen. Nach Auffassung der Kammer oblag es dem Anmelder, die vollständige Akte zu überprüfen, um alle Unstimmigkeiten zu erkennen, auf die er gegebenenfalls aufmerksam machen wollte. Unstimmigkeiten, die die Fassung und die benannten Mitgliedstaaten in der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ betreffen und nicht in Erwiderung darauf beanstandet wurden, sind als vom Anmelder gebilligt zu betrachten.
- Rechtsprechung 2019
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In T 2081/16 machte die Kammer einen Unterschied zwischen dem vorliegenden Fall, in dem das Patent nicht auf der Grundlage von Unterlagen erteilt wurde, die der Anmelder gebilligt hatte, und G 1/10 (ABl. EPA 2013, 194). Ein Erteilungsbeschluss gemäß Art. 97 (1) EPÜ auf der Grundlage einer Anmeldung in einer Fassung, die dem Anmelder weder vorgelegt noch von ihm gebilligt wurde, wie hier der Fall, verstößt gegen Art. 113 (2) EPÜ. Wenn die zur Erteilung vorgesehene Fassung dem Anmelder nicht nach R. 71 (3) EPÜ mitgeteilt wird, ist die Tatsache, dass der Anmelder anschließend eine Übersetzung einreicht und die Erteilungs- und Veröffentlichungsgebühr entrichtet, nicht entscheidend. R. 71 (5) EPÜ verweist diesbezüglich auf R. 71 (3) EPÜ und setzt somit voraus, dass dem Anmelder nicht irgendeine Fassung mitgeteilt wurde, sondern die zur Erteilung vorgesehene (Hervorhebung durch die Kammer). Nur in diesem Fall greift R. 71 (5) EPÜ, und nur dann implizieren die Einreichung einer Übersetzung und die Zahlung der erforderlichen Gebühren das Einverständnis mit der mitgeteilten Fassung. Im Zuge ihrer Entscheidung stellte die Kammer fest, dass sie nicht von G 1/10 abgewichen sei und somit Art. 21 VOBK 2007 nicht zur Anwendung komme. In G 1/10 befand die Große Beschwerdekammer, dass R. 140 EPÜ nicht zur Verfügung steht, um die Fassung eines Patents zu berichtigen. Um diese Frage ging es in der vorliegenden Sache nicht. Hier gab es keine vom Anmelder gebilligte Fassung. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich grundlegend von dem Versuch, Fehler in geänderten Ansprüchen, die von einem Anmelder eingeführt wurden, der Prüfungsabteilung anzulasten, "indem man unterstellt, sie habe einen Beschluss, der exakt den vom Anmelder genehmigten Wortlaut beinhaltet, gar nicht fassen wollen –, damit der von niemand anderem als dem Anmelder selbst zu verantwortende Fehler in den Geltungsbereich der Regel 140 EPÜ fällt", wie die Große Beschwerdekammer in G 1/10 feststellte (s. Nr. 11 der Gründe).
In T 1003/19 hatte der Beschwerdeführer nicht beantragt, ein Patent mit anderen als den sieben ursprünglich eingereichten und veröffentlichten Zeichnungsblättern zu erteilen. In der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ wurde allerdings nur auf "Zeichnungen, Blätter 1/1 in der veröffentlichten Fassung" Bezug genommen. Die Kammer befand, dass die angefochtene Entscheidung nicht Art. 113 (2) EPÜ entsprach und der Prüfungsabteilung ein wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen war. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde allerdings zurückgewiesen; der Fehler war zwar der Prüfungsabteilung unterlaufen, der Beschwerdeführer hatte aber mehrmals die Möglichkeit, den Fehler zu bemerken, und hätte ihn spätestens beim Vergleich des Textes der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ mit dem Druckexemplar bemerken können und müssen. Im Rahmen ihrer Entscheidung stellte die Kammer fest, dass die in R. 71 (5) EPÜ vorgesehene Folge – "Wenn der Anmelder …, gilt dies als Einverständnis mit der ihm nach Absatz 3 mitgeteilten Fassung" – nur dann Anwendung findet, wenn dem Anmelder gemäß R. 71 (3) EPÜ "die Fassung, in der sie [d. h. die Prüfungsabteilung] das europäische Patent zu erteilen beabsichtigt" mitgeteilt worden sei. Die Bedeutung des Wortes "Fassung" ist nicht auf schriftliche Informationen beschränkt, sondern kann auch visuelle Informationen umfassen, wie R. 73 (1) EPÜ zu entnehmen ist: "Die europäische Patentschrift enthält die Beschreibung, die Patentansprüche und gegebenenfalls die Zeichnungen." Mit Verweis auf die vorliegende Sache erklärte die Kammer weiter, dass das EPA von sich aus kleinere Änderungen vorschlagen könne, von einem Anmelder aber nicht zu erwarten sei, dass dieser die Entfernung aller Zeichnungsblätter mit den Ausführungsarten der Erfindung akzeptiert. Die Kammer erklärte, dass sie nicht von der Entscheidung G 1/10 abgewichen sei, die sich auf das Erfordernis der R. 71 (3) EPÜ gestützt hatte, wonach dem Anmelder die Fassung mitgeteilt werden muss, in der die Prüfungsabteilung das Patent zu erteilen beabsichtigt (s. Nr. 10 der Entscheidungsgründe), und in der es um die möglichen Reaktionen des Anmelders ging, wie etwa das implizite Einverständnis mit dieser Fassung. Die Entscheidung der mit der vorliegenden Sache befassten Kammer stützte sich dagegen auf die Tatsache, dass die von der Prüfungsabteilung für die Erteilung beabsichtigte Fassung dem Anmelder – nachweislich – nicht mitgeteilt worden war und R. 71 (5) EPÜ daher (zu jenem Zeitpunkt) nicht anwendbar war. Somit gab es keine Fassung, mit der der Anmelder sein Einverständnis erklärt hatte.