2.6.5 Einführung von neuem Vorbringen
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach gefestigter Rechtsprechung kann eine Beschwerdebegründung auch dann als ausreichend angesehen werden, wenn ein neuer Tatbestand vorgebracht wird, der der Entscheidung die rechtliche Grundlage entzieht (T 252/95, T 760/08), insbesondere durch die Einreichung neuer Anspruchssätze (T 934/02, T 2226/13). Dem Beschwerdeführer stehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten für eine Beschwerdebegründung offen. Entweder greift er die Entscheidung der Einspruchsabteilung so als fehlerhaft an, dass die Beschwerdekammer, folgte sie dem Sachvortrag des Beschwerdeführers, die Entscheidung in allen Punkten aufheben könnte und müsste. Dies setzt seitens des Beschwerdeführers einen schlüssigen Sachvortrag im Hinblick auf alle die Entscheidung tragenden Gründe voraus. Oder aber der Beschwerdeführer legt geänderte Anspruchssätze vorlegt, die den von der Einspruchsabteilung in der Entscheidung gerügten Mängeln aus seiner Sicht Abhilfe zu schaffen geeignet sind.
Für die Zulässigkeit einer Beschwerde ist es nicht unbedingt erforderlich, dass der Beschwerdeführer die Entscheidung der Einspruchsabteilung als fehlerhaft angreift. Wurden geänderte Ansprüche eingereicht, so kann eine Beschwerde auch zulässig sein, wenn in der Beschwerdebegründung ausreichende Gründe angegeben werden, warum die Änderungen geeignet sind, die von der Einspruchsabteilung gerügten Mängel auszuräumen (T 1668/14).
Eine Beschwerde des Patentinhabers gilt im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 108 Satz 3 EPÜ auch dann als ausreichend begründet, wenn sie die Gründe, aus denen die Entscheidung angefochten wird, nicht eigens angibt, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
- der Gegenstand des Verfahrens hat sich durch die Einreichung von geänderten Ansprüchen mit der Beschwerdebegründung geändert,
- die Gründe für die Entscheidung sind angesichts der geänderten Ansprüche nicht mehr zutreffend (s. z. B. T 105/87, T 563/91, T 717/01, T 934/02, T 655/03 und T 1708/08).
Die Kammer in T 934/02 führte weiter aus, dass es demnach nicht nur unnötig, sondern für die angemessene Begründung einer Beschwerde auch widersinnig wäre, eine Begründung einzureichen, mit der eine Anspruchsfassung gestützt wird, die der Beschwerdeführer (Patentinhaber) im Beschwerdeverfahren nicht mehr verteidigt. S. auch T 1197/03 und T 642/05. Ist die Anmeldung jedoch nicht deswegen zurückgewiesen worden, weil der vorgelegte Anspruchssatz nicht gewährbar war, sprich wegen mangelnder Klarheit, Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit, sondern deswegen, weil es keinen von beiden Seiten gebilligten Anspruchssatz gab, so ist die Einreichung neuer Ansprüche keine adäquate Reaktion (T 573/09); in der Beschwerdebegründung hätte vielmehr dargelegt werden müssen, warum dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Fortsetzung des Verfahrens vor der Kammer hätte eingeräumt werden sollen.
Allerdings genügt die bloße kommentarlose Einreichung eines neuen Anspruchssatzes nicht. Vielmehr hat der Beschwerdeführer zu begründen, warum und in welchem Umfang der geänderte Anspruchssatz den tatsächlichen und rechtlichen Würdigungen, auf die die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung gestützt hat, Rechnung trägt und ihnen soweit abhilft, dass die Entscheidung aufzuheben ist (T 220/83; ABl. 1986, 249 und T 145/88). In T 933/09 befand die Kammer, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausdrücklich anzugeben hat, inwiefern diese Änderungen dazu dienen, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Einwände auszuräumen. Die Beschwerde wurde als unzulässig verworfen (s. dazu auch T 1533/13). Mit den Änderungen sollen den Gründen der angefochtenen Entscheidung Rechnung getragen werden (T 2453/09).
Außerdem ist die bloße Einreichung geänderter Ansprüche zusammen mit der Beschwerdebegründung nicht ausreichend, wenn die Zurückweisungsgründe im vorliegenden Fall nicht ausgeräumt werden. In T 1707/07 ging der Beschwerdeführer auf die in der angefochtenen Entscheidung angeführten Gründe nicht ein, sodass für die Kammer nicht klar war, warum die angefochtene Entscheidung falsch sein sollte. Die Beschwerde wurde als unzulässig verworfen. S. auch T 502/02 und T 132/03.
In T 23/03 blieb die Tatsachengrundlage der angefochtenen Entscheidung unverändert, und durch die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Änderungen der Ansprüche wurde diesen nichts hinzugefügt, was implizit klargestellt hätte, warum der Beschwerdeführer der Meinung war, dass die angefochtene Entscheidung für die neuen abhängigen Ansprüche nicht mehr gelte. Die Beschwerde war daher unzulässig.
Die Beschwerdebegründung im Falle T 295/04 enthielt nur einen pauschalen Verweis auf einen während des erstinstanzlichen Verfahrens eingereichten Schriftsatz und neue Ansprüche. Ein solcher pauschaler Verweis konnte aber nicht als Ausführung dazu angesehen werden, aus welchen Gründen die Entscheidung der ersten Instanz abgeändert werden soll. Die Beschwerde wurde als unzulässig verworfen.
In T 1276/05 kehrte der Patentinhaber (Beschwerdeführer) zu einer Anspruchsfassung zurück, die er im Einspruchsverfahren zurückgenommen hatte, nämlich zu der Fassung gemäß dem erteilten Patent, ohne sich dazu zu äußern, warum er die angefochtene Entscheidung für falsch hielt. Die Kammer stellte fest, dass auf eine Begründung verzichtet werden konnte, weil eine besondere Situation gegeben war, in der – ausnahmsweise – die vorgeschlagenen Änderungen die Gründe für die Entscheidung hinfällig machten; deshalb war die Beschwerde zulässig.
In T 2532/11 stellte sich zudem die Frage, ob neu eingereichte Anträge als implizite Beschwerdebegründung betrachtet werden können. Eine durch geänderte Ansprüche gestützte Beschwerdebegründung könnte zumindest implizit abstecken, in welchem Umfang der Beschwerdeführer die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wünscht. In vielen ihrer Entscheidungen waren die Kammern nachsichtig und haben Beschwerden für zulässig befunden, wenn sie aus den Besonderheiten des Falls auf die mutmaßliche Absicht des Beschwerdeführers und die wahrscheinlichen Motive für seine Handlungen schließen konnten (T 729/90, T 563/91, T 574/91, T 162/97). Auch wurden Beschwerden für zulässig befunden, wenn sich der Gegenstand des Verfahrens durch neue, mit der Beschwerdebegründung eingereichte Ansprüche geändert hatte und in der Begründung im Einzelnen dargelegt worden war, warum die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in der so geänderten Fassung nicht entgegenstünden (T 717/01, T 934/02 unter Verweis auf J xx/87 (=J 902/87), ABl. 1988, 323 und T 105/87). Die Beschwerdekammer muss prüfen, ob die Beschwerde in dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rahmen begründet ist; dabei kann sie aber nicht über die Gründe mutmaßen, geschweige denn, dem Beschwerdeführer die Begründung abnehmen. Zwischen der angefochtenen Entscheidung und der Beschwerdebegründung muss ein direkter Zusammenhang bestehen.
In T 223/14 wurden die geänderten Ansprüche offensichtlich mit der Absicht eingereicht, durch Präzisierung bereits vorhandener Merkmale den Einwand auszuräumen, mit dem der festgestellte Neuheitsmangel begründet wurde. Es ging demnach in diesem Fall nicht um einen völlig neuen Sachverhalt. Demnach bestand für die Kammer durchaus ein ausreichender direkter Zusammenhang ("direct link", s. T 2532/11) zwischen der angefochtenen Entscheidung und der Beschwerdebegründung.