4.11.3 Zweiseitiges Beschwerdeverfahren
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In T 229/08 hatte die Einspruchsabteilung das Beweismittel M12 nicht berücksichtigt, weil es verspätet vorgelegt und weil nicht glaubhaft gemacht worden war, dass es der Öffentlichkeit zugänglich war. Die Kammer stellte fest, dass ihre Aufgabe primär darin bestehe, die Ermessensausübung durch die Einspruchsabteilung zu überprüfen. Art. 12 (4) VOBK 2007 beziehe sich auf Beweismittel, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht nur nicht zugelassen worden sind, sondern außerdem auch „hätten vorgebracht werden können“. Die Kammer sei daher offensichtlich in beiden Fällen gleichermaßen berechtigt, verspätete Beweismittel als unzulässig zurückzuweisen. Als zusätzliche Hürde komme bei Einreichung von Beweismitteln im Beschwerdeverfahren hinzu, dass die Kammer davon überzeugt werden müsse, dass die erstmalige Vorlage der Beweise in der Beschwerdebegründung nicht missbräuchlich aus taktischen Gründen erfolgt sei.
In T 305/07 reichte der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerdebegründung als Beweismittel Versuchsergebnisse ein, die die Einspruchsabteilung nicht zugelassen hatte. Die Kammer stellte fest, dass sich die fraglichen Ansprüche von denjenigen unterschieden, mit denen sich die Einspruchsabteilung befasst und für welche sie die Versuchsergebnisse als irrelevant erachtet hatte. Die Kammer gelangte zu dem Schluss, dass keines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Versuchsergebnisse für die ihr vorgelegte Sache relevant sei. Sie lehnte es daher ab, die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Versuchsergebnisse zuzulassen.
In T 795/14 hatte die Einspruchsabteilung die Versuche nicht zugelassen, weil sie sie prima facie für nicht relevant erachtete. Der Beschwerdeführer reichte die Versuche mit der Beschwerdebegründung erneut ein, denn sie betrafen die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, die Hauptgegenstand der Einspruchsentscheidung gewesen war. Außerdem stellte er fünf weitere Hilfsanträge, und es war nicht auszuschließen, dass die Versuche nicht doch noch für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eines dieser Hilfsanträge relevant werden würden. Die Kammer sah daher keinen Grund, die Versuche nicht zum Verfahren zuzulassen.
In T 971/11 wies die Kammer darauf hin, dass ein Dokument, das zum Beschwerdeverfahren zugelassen worden wäre, wenn es zu Beginn dieses Verfahrens erstmals eingereicht worden wäre, nicht allein deshalb als unzulässig betrachtet werden sollte, weil es bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt (und nicht zugelassen) wurde, s. dazu Kapitel V.A.3.5. "Überprüfung erstinstanzlicher Ermessens-entscheidungen".