4.11.4 Einseitiges Beschwerdeverfahren
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach Art. 123 (1) EPÜ ist dem Anmelder in jedem Fall zumindest einmal Gelegenheit zu geben, von sich aus die Anmeldung zu ändern. Weitere Änderungen sind abhängig von der Zustimmung der Prüfungsabteilung, R. 137 (3) EPÜ. Laut R. 100 (1) EPÜ ist diese Vorschrift im Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen der Prüfungsabteilungen entsprechend anzuwenden (T 1969/08). Gemäß Art. 12 (4) VOBK 2007 ist die Kammer befugt, Anträge nicht zuzulassen, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern liegt die Zulassung von Änderungen nach R. 137 (3) EPÜ im Ermessen der Prüfungsabteilung. Wie die Prüfungsabteilung ihr Ermessen bei der Zulassung von Änderungen ausübt, muss sich gemäß G 7/93 (ABl. 1994, 775) nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls und danach richten, in welchem Stadium des Erteilungsverfahrens sich die Anmeldung befindet. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder aber in willkürlicher Weise ausgeübt hat. Bei der Ausübung dieses Ermessens muss sie insbesondere zwischen dem Interesse des Anmelders an der Erlangung eines angemessenen Schutzes für seine Erfindung und dem Interesse des EPA, die Prüfung effizient und zügig zum Abschluss zu bringen, abwägen. Außerdem ist die Ausübung des Ermessens zu begründen, da sie sonst willkürlich wäre (T 246/08). In T 1929/13 wurde auf weitere Kriterien verwiesen (s. dazu auch Richtlinien H‑II, 2.3 – Stand November 2018).
In T 820/14 wies die Kammer darauf hin, dass sie über ein eigenes Ermessen verfügt, einen im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassenen Antrag im Beschwerdeverfahren zuzulassen, das im Grundsatz unabhängig davon ist, wie die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, s. dazu auch T 971/11.