4.13.1 Gerechtfertigte Reaktion auf Entscheidung der 1. Instanz
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In T 238/92 betrachtete die Beschwerdekammer eine Druckschrift, die erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebracht worden war, nicht als "verspätet genannt", da sie zum erstmaligen Nachweis eines in der angefochtenen Entscheidung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als wesentlich eingestuften Merkmals diente (s. auch T 117/92). In T 1380/04 war die Einreichung von Dokument D16 mit der Beschwerdebegründung als gerechtfertigte Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung anzusehen. Das Dokument war außerdem prima facie für die erfinderische Tätigkeit relevanter als jedes andere bereits im Verfahren befindliche Dokument (s. auch T 1146/06).
In T 666/09 stimmte die Kammer den Beschwerdeführern zu, dass die Einreichung der Vergleichsstudie mit der Beschwerdebegründung eine direkte Antwort auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung war.
In T 101/87 differenzierte die Kammer danach, ob der Einsprechende weitere Entgegenhaltungen zu finden versucht, nachdem die Einspruchsabteilung die bisherigen nicht für ausreichend erachtet hat, um zu einem Widerruf oder einer Beschränkung des Patents zu kommen, oder ob er als Reaktion auf die substanzielle Änderung eines Patentanspruchs oder um Einwendungen der Einspruchsabteilung betreffend ein fehlendes Glied in einer Argumentationskette zu begegnen weitere Recherchen durchführt. Im letzten Fall kann neues Vorbringen als nicht verspätet bewertet werden.
In T 927/04 stellte die Kammer fest, dass ein Verfahrensbeteiligter, der im Einspruchsverfahren unterlegen war, zu Recht versuchen kann, seine Position im Beschwerdeverfahren zu verbessern, indem er wie in diesem Fall das angeblich fehlende Glied für die Frage der Vorbenutzung ergänzt.
In T 259/94 reichten die Beschwerdeführer zwei Jahre nach Einlegung der Beschwerde neue Beweismittel ein. Der Beschwerdegegner erhob keine Einwände gegen deren Einführung in das Beschwerdeverfahren. Die Kammer hielt sich gemäß dem Grundsatz "volenti non fit iniura" für befugt, verspätet vorgebrachte Beweismittel, gegen die der Beschwerdegegner (Patentinhaber) keine Einwände erhob, zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.
In T 828/14 untersuchte die Kammer, ob die Änderung der Angriffslinie als eine unmittelbare und sachlich adäquate Reaktion auf Entwicklungen im Verfahren vor der ersten Instanz, insbesondere auf Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung, gerechtfertigt war. Das Dokument wurde in das Verfahren zugelassen.
In T 241/10 stellte die Kammer fest, dass eine Kammer nach Art. 12 (4) VOBK 2007 nicht befugt ist, ein mit der Beschwerdebegründung eingereichtes Dokument für unzulässig zu erklären, wenn es sich dabei um eine gerechtfertigte Reaktion auf die Einreichung geänderter Ansprüche durch den Patentinhaber kurz vor der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung handelt und vom Einsprechenden nicht vernünftigerweise erwartet werden konnte, das betreffende Dokument im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorzulegen (ähnlich T 980/09).
In T 1817/15 wertete die Kammer die Einreichung von E6 bis E8 als gerechtfertigte und angemessene Reaktion auf die in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des geänderten Anspruchs 1 im Sinne der Entscheidungen T 238/92, T 1146/06, T 295/08, T 406/09, T 828/14 und insbesondere T 241/10 (wo die Ausgangslage nahezu identisch war); Ziel des Beschwerdeführers sei es gewesen, die laut der angefochtenen Entscheidung fehlenden Beweismittel vorzulegen und so die Lücken in seiner Argumentation zu schließen.
In T 113/12 war das Dokument als Reaktion auf eine Anspruchsänderung angeführt worden, die in der mündlichen Verhandlung während des Einspruchsverfahrens vorgenommen worden war. Die Änderung basierte auf einem Gegenstand aus der Beschreibung. Die Kammer hielt es für unbillig, dem Beschwerdeführer nicht zu gestatten, auf solch eine neue, unvorhersehbare Situation mit einem neuen Dokument zu reagieren. Dies würde letztlich bedeuten, dass ihm im Beschwerdeverfahren die Hände gebunden wären und er sein Vorbringen ausschließlich auf bereits angeführte Dokumente stützen könnte, während der Beschwerdegegner zuvor freie Hand hatte, den Anspruch im letzten Moment des Einspruchsverfahrens auf der Grundlage der Beschreibung zu ändern.