Europäischer Erfinderpreis

Eine bahnbrechende Entdeckung

Martin Schadt

Gewinner des Europäischen Erfinderpreises 2013 in der Kategorie Lebenswerk

Martin Schadt, Erfinder der Flüssigkristallanzeige (LCD)

Hinter den lebendigen Farben und gestochen scharfen Bildern moderner Flachbildfernseher steht ein wissenschaftliches Prinzip, das bei seiner Entdeckung zunächst nur Unglauben hervorrief. Es handelt sich um ein geradezu undenkbares Phänomen, das heute unter der Bezeichnung Pixel weltbekannt ist.

Dies ist das Lebenswerk von Martin Schadt, einem Schweizer Wissenschaftler, der praktisch im Alleingang die Entwicklung von Flüssigkristallen vorantrieb. Diese einzigartige Substanz, die weder fest noch flüssig ist, hatte weitreichende Auswirkungen auf die Elektronikindustrie.

Flache Bildschirme, hoher Umsatz

Martin Schadt

Jahr für Jahr werden Fernsehbildschirme breiter und flacher, ihre Farbqualität immer besser. Flachbildschirme mit Tausenden winziger Pixel haben längst die klobigen Fernsehapparate abgelöst, die einst zum festen Inventar jedes gutbürgerlichen Wohnzimmers gehörten.

Diese Entdeckung, besser bekannt als LCD, hat die Art und Weise, in der wir Filmaufnahmen wahrnehmen, nachhaltig verändert. Die Integration dieser Flüssigkristallanzeigen in Konsumgüter hat der Entwicklung einer Industrie Vorschub geleistet, die allein im Jahr 2012 einen Umsatz von rund 100 Mrd. USD verzeichnen konnte.

Hinter diesen modernen technischen Spielereien steht die Innovation eines einzelnen Schweizer Wissenschaftlers, der bereits als Teenager in seinem Heimatort Liestal bei Basel seine Vorliebe für Experimente entdeckte.

„Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und interessiere mich dafür, wie Dinge funktionieren. Aus diesem Grund habe ich Physik studiert.“

Von Haus aus wissbegierig 

Aus Teilen alter Radios baute der damals 16-jährige Martin Schadt hobbymäßig rudimentäre Kurzwellensender zusammen, mit denen er den örtlichen Funkempfang stören konnte - sehr zum Leidwesen der Nachbarn.

Für die meisten Einwohner der ländlichen Schweiz bestand in den 1950er Jahren keine Aussicht auf den Besuch einer Universität. Der junge Martin Schadt stillte seine wissenschaftliche Neugier daher mit einer vierjährigen Lehre als Elektriker in Basel, bevor er zunächst Abendkurse besuchte und dann einen Hochschulabschluss in Experimentalphysik anstrebte.

„Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und interessiere mich dafür, wie Dinge funktionieren. Aus diesem Grund habe ich Physik studiert", sagt Schadt.

Schließlich weckte das Studium organischer Halbleiter Schadts Interesse - ein äußerst komplexes und von Experimenten geprägtes Gebiet, in dem er seinem Verlangen nach empirischer Forschung, Tests und Untersuchungen nachgeben konnte.

„Ich habe mich immer für die interdisziplinäre Forschung begeistert. Man hat einfach mehr Möglichkeiten, neue Dinge zu erfinden", erzählt Schadt.

Der Weg zur Patentierung der nematischen Drehzelle war mit allerlei Turbulenzen verbunden, und Martin Schadt musste feststellen, wie schwierig es sein kann, für neue Ideen einen angemessenen Schutz der Rechte an geistigem Eigentum zu erlangen.

Fundierte Ergebnisse

Nachdem Schadt im Jahr 1967 seine Doktorarbeit fertiggestellt und im Anschluss ein Postgraduiertenstipendium beim National Research Council im kanadischen Ottawa absolviert hatte, trat er 1970 eine Stelle beim Schweizer Uhrenhersteller Omega an. Dort war er an der Entwicklung von Atomzeitstandards beteiligt.

Zu dieser Zeit wurde er auf ein Forschungsprojekt des Pharmaunternehmens F. Hoffmann-La Roche in Basel aufmerksam, das sich mit der Untersuchung von Flüssigkristallen beschäftigte. Hierbei handelt es sich um Substanzen, deren molekulare Struktur weder einer festen Anordnung wie bei einem Feststoff noch einer freien Anordnung wie bei einer Flüssigkeit entspricht.

Das Projekt deckte die Bereiche Physik, Elektrooptik und organische Stoffe ab - ideal für einen Mann wie Schadt mit interdisziplinärem wissenschaftlichen Interesse. Er avancierte daher auch schnell zu einem versierten Innovator auf dem Gebiet.

Sein großer Durchbruch kündigte sich durch Versuche an, die er ausgehend von der Idee seines Kollegen Wolfgang Helfrich durchführte. Helfrich hatte die Hypothese aufgestellt, dass durch ein „Auseinanderwickeln" der helixförmigen Längsachse von Flüssigkristallmolekülen eine optische Veränderung herbeigeführt werden könne.

„Helfrich hatte die Idee, und ich entwickelte die Versuche und führte diese durch", erläutert Schadt. „Innerhalb kürzester Zeit hatten wir neue Flüssigkristalle entwickelt, die für diesen Polarisationseffekt geeignet waren."

Eine „elektrisierende“ Feststellung

Schadt und sein Team entdeckten, dass sich die Spiralstruktur des Moleküls unter Einwirkung von elektrischer Ladung teilweise auseinanderwickelte. Auf diese Weise wurde der Lichteinfall blockiert, und der Kristall erschien lichtundurchlässig.

Daraufhin platzierte Schadt eine Flüssigkristallschicht zwischen zwei Kunststoffplatten und fand heraus, dass er die lichtundurchlässigen Flüssigkristalle dazu nutzen konnte, sichtbare Formen abzubilden, z. B. die dunklen Ziffern, die moderne Taschenrechner anzeigen.

„Am Ende meiner Promotion war ich ein wenig frustriert", sagt Schadt. „Meiner Meinung nach war es nicht möglich, die Technologie zur Herstellung von Anzeigen einzusetzen, die mit niedrigen Spannungswerten auskommen."

Doch letztlich entdeckte Schadt, dass es gar nicht nötig war, die Flüssigkristallhelix mit dem elektrischen Feld ganz auseinanderzuwickeln, sondern dass bereits wenige Volt ausreichen, um die Lichtübertragung zu unterbrechen. Das bedeutete, dass man LCDs auch mit herkömmlichen Batterien betreiben konnte. Dies steigerte sowohl ihren Nutzen als auch die Anzahl der Einsatzbereiche.

„Helfrich hatte die Idee, und ich entwickelte die Versuche und führte diese durch. (...) Innerhalb kürzester Zeit hatten wir neue Flüssigkristalle entwickelt, die für diesen Polarisationseffekt geeignet waren.“

Der richtige Dreh

Seine Erfindung wurde unter dem Namen nematische Drehzelle (engl. „twisted nematic", TN-Zelle) bekannt und führte zu bahnbrechenden Veränderungen in der Elektronikindustrie. Insbesondere ermöglichte sie die Entwicklung der deutlich verbesserten Fernsehbildschirme, die wir heute kennen.

Dank Schadts Innovation konnte sich das Unternehmen Roche als Hauptlieferant von Flüssigkristallen für die LCD-Industrie etablieren, die heute einen Jahresumsatz von rund 100 Mrd. USD erwirtschaftet. Bis 1994 war Roche der weltweit führende Technologieanbieter für LCD-Hersteller.

Im Mittelpunkt des Geschäftsmodells von Roche stand die Herstellung von Materialien für Prototypen und die anschließende Lizenzierung der Patente an Kunden, darunter große Hersteller von LCDs und optischen Folien.

Wettlauf mit der Zeit

Der Weg zur Patentierung der nematischen Drehzelle war mit allerlei Turbulenzen verbunden, und Schadt musste feststellen, wie schwierig es sein kann, ohne nennenswerte Ressourcen angemessenen Schutz der Rechte an geistigem Eigentum für neue Ideen zu erlangen.

Während Schadt im Labor von Roche an seinen Flüssigkristallen arbeitete, erhielt er Besuch von einem Forscher der Kent State University in Ohio. Dieser war selbst Fachmann auf dem Gebiet und erkannte schnell das wirtschaftliche Potenzial von Schadts Entdeckung. Seine Erkenntnisse über die Arbeit des Schweizers stellte er einem ähnlichen Unternehmen in den USA zur Verfügung.

Nur zwei Wochen, nachdem Schadt und sein Unternehmen von der unbefugten Weitergabe der Informationen erfahren hatten, meldeten sie die Erfindung am 4. Dezember 1970 zum Patent an. Der Forscher des amerikanischen Unternehmens reichte in den USA nur wenige Monate nach dem Besuch ebenfalls eine Patentanmeldung für dieselbe Erfindung ein.

Glücklicherweise befand sich das amerikanische Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten und war schließlich gezwungen, sein US-Patent an Roche verkaufen. Das Schweizer Unternehmen hatte in der Zwischenzeit eine Reihe von Rechts-, Patent- und Wissenschaftsexperten aus Basel zum US-Patentamt in Washington, D.C. entsandt.

Im Laufe seines glanzvollen Werdegangs hat Schadt zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Heute ist er Inhaber von mehr als 110 Patenten.

Die Macht der Pixel

Im Jahr 2012 fertigten Elektronikriesen wie Sharp, Sony, Panasonic und Philips mit der Schadt-Technologie mehr als 40 Mio. LCD-Fernseher. Diese Produkte fanden ihren Weg in die Haushalte der Verbraucher und veränderten dort nachhaltig das Unterhaltungserlebnis in unzähligen Wohnzimmern.

Schadt selbst blieb bis 1994 Leiter der Forschungsabteilung für Flüssigkristalle bei Roche, bis diese als eigenständiges Unternehmen unter dem Namen Rolic Ltd. ausgegliedert wurde. Im Jahr 2010 lieferte Rolic knapp 15 Mio. LCDs weltweit aus. Bis zu seiner Pensionierung im Oktober 2002 war Martin Schadt als CEO und Vorstandsmitglied bei Rolic tätig.

Im Laufe seines glanzvollen Werdegangs hat Schadt zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Heute ist er Inhaber von mehr als 110 Patenten, die jeweils in mindestens 10 Ländern gelten. Er hat 174 wissenschaftliche Abhandlungen sowie vier Kapitel in Sachbüchern veröffentlicht.

Mit seinen mittlerweile 74 Jahren ist Schadt immer noch als Berater für Forschungsorganisationen und Regierungsbehörden aktiv. Sein Vermächtnis wird jedoch für immer in den winzigen Pixeln von Flachbildfernsehern, Computerbildschirmen und Digitalkameradisplays erhalten bleiben - ein ziemlich großer Sprung von den Amateurfunkexperimenten seiner Jugend.


Funktionsweise

Flüssigkristalle weisen einen Aggregatzustand auf, der weder einer Flüssigkeit noch einem Feststoff entspricht. Ihre Moleküle lassen sich mit Elektrizität so beeinflussen, dass sie polarisiertes Licht übertragen und so entweder lichtdurchlässig oder lichtundurchlässig erscheinen.

Alle Geräte mit Flüssigkristallanzeigen sind ähnlich aufgebaut. Eine dünne Polymerschicht aus Flüssigkristallen wird zwischen zwei flache Glasplatten gebracht, die mit einem Raster aus rechtwinklig angeordneten Elektrodenreihen beschichtet sind. Die einzelnen Bereiche des Rasters werden als Pixel bezeichnet.

Die Elektroden selbst sind mit Ausrichtungsschichten versehen, die passierende Lichtstrahlen polarisieren (d. h. dessen flächenbezogene Ausrichtung ändern). Diese Schichten fungieren als Filter, die alle Lichtstrahlen blockieren, die nicht eine bestimmte Ausrichtung aufweisen.

Licht, das den ersten Filter passiert, trifft auf die Flüssigkristalle, deren helixförmige Struktur der Form eines Schraubenziehers ähnelt, der auf der Spitze steht. Ohne Einfluss von außen fällt das Licht spiralförmig an der korkenzieherähnlichen Form hinab und wird erneut polarisiert, indem es seine Ausrichtung um 90 Grad ändert. Die Lichtstrahlen passieren dann ungehindert den zweiten (horizontalen) Filter, sodass der Kristall lichtdurchlässig erscheint.

Werden die Kristalle einer elektrischen Ladung ausgesetzt, wickeln sie sich auseinander. In diesem Zustand beeinflusst die Molekularstruktur die Lichtstrahlen nicht, und diese werden vom zweiten Ausrichtungsfilter blockiert. Auf diese Weise erscheint der Kristall lichtundurchlässig.

Durch Anlegen einer Spannung an verschiedene Pixel im elektrischen Raster werden nur einige der Kristalle aktiviert, und es werden Formen sichtbar, wie die Ziffern auf der Anzeige eines Taschenrechners.

Die Entdeckung der Flüssigkristalle

Alles begann im Jahr 1888, als ein östereichischer Botaniker namens Friedrich Reinitzer eine cholesterinähnliche Substanz zum Schmelzen brachte und eine überraschende Entdeckung machte: Der Stoff wies zwei Siedepunkte auf. Bei 145,5 °C schmolz der feste Kristall zu einer trüben Flüssigkeit und hielt diesen Zustand bis zu einer Temperatur von 178,5 °C, dann wurde die Flüssigkeit vollständig transparent.

Verblüfft über seine Entdeckung konsultierte Reinitzer den deutschen Physiker Otto Lehmann, einen Experten auf dem Gebiet der Kristalloptik. Lehmann bestätigte, dass es sich bei der transparenten Substanz tatsächlich um eine Flüssigkeit handelte, und war überzeugt, dass die trübe Masse bislang unbekannte Eigenschaften aufwies. Aufgrund ihres einzigartigen Aggregatzustands, der zwischen Flüssigkeit und Feststoff lag, nannte er sie „Flüssigkristall".

Die Erkenntnisse der beiden Wissenschaftler hielten der kritischen Prüfung ihrer Fachkollegen stand und führten bis zu den 1930er Jahren in Wissenschaftskreisen zu einem neuen Verständnis der Materialphysik. Es gab nun nicht mehr nur drei Aggregatzustände, sondern nachweislich Tausende von Substanzen, die in einer Reihe von Zwischenstadien oder anderen individuellen Zuständen existieren.

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