Erfindung: Impfstoffe der nächsten Generation gegen Hirnhautentzündung (Meningitis), Keuchhusten und andere Infektionen
Dank Rino Rappuoli konnten Infektionskrankheiten wie Diphterie, bakterielle Hirnhautentzündung und Keuchhusten in den Industrieländern praktisch ausgerottet werden. Im Laufe seiner mehr als vier Jahrzehnte umspannenden Forschungstätigkeit hat der italienische Mikrobiologe Pionierarbeit auf dem Gebiet der "Konjugatimpfstoffe" geleistet. Diese haben eine ganz neue Generation von Schutzimpfungen hervorgebracht, die heute Millionen von Menschen auf der ganzen Welt verabreicht werden.
Bevor die bahnbrechenden
Erfindungen Rappuolis zum Einsatz kamen, enthielten Impfstoffe
"abgeschwächte" Versionen echter Krankheitserreger, die den Körper
zur Bildung von Antikörpern anregten. Diese Methode, die bereits seit Ende des
19. Jahrhunderts gebräuchlich ist, bietet allerdings keinen Schutz vor
aggressiven Infektionen, wie sie zum Beispiel durch Meningokokken ausgelöst
werden - das Bakterium, das für die infektiöse Hirnhautentzündung
verantwortlich ist. Rappuolis "Konjugatimpfstoffe" basieren auf einem
ganz anderen Ansatz. Sie werden mithilfe von biotechnologischen Verfahren im
Labor designt, indem bakterielle Fragmente an Trägerproteine gekoppelt werden.
Dadurch wird eine starke Immunantwort hervorgerufen.
Die Impfstoffe, die Rappuoli in seiner Zeit am Sclavo-Forschungszentrum in Italien entwickelte, bieten ein bis dato unerreichtes Schutzniveau. Sie werden mittlerweile zur Standardimmunisierung gegen eine Vielzahl von Infektionskrankheiten wie Hirnhautentzündung, Diphterie und Keuchhusten, oder gegen Bakterien wie Haemophilus influenzae und Helicobacter eingesetzt. Mit diesen Vakzinen werden heute Jahr für Jahr Millionen von Menschen geimpft.
Rappuoli gilt als einer der Väter der zellulären Mikrobiologie. Diese Gebiet verbindet die Zellbiologie mit der Mikrobiologie. Mithilfe seiner Verfahren - darunter auch eine Methode, die als "umgekehrte Impfstoffentwicklung" bezeichnet wird - wurden 1999 die weltweit ersten Impfstoffe entwickelt, die auf Genomforschung beruhten - eine Revolution in der Impfstoffentwicklung.
Gesellschaftlicher Nutzen
Die Bedeutung von Rappuolis Erfindung kann gar nicht genug betont werden: Millionen von Menschen wurden mittlerweile im Rahmen von Routineimpfprogrammen mit seinen Vakzinen geimpft. Nachdem sein Impfstoff gegen Pertussis (Keuchhusten) 1993 von dem in Kalifornien ansässigen Biotechnologieunternehmen Chiron erstmals auf den Markt gebracht worden war, konnte die Krankheit innerhalb von nur 24 Monaten in Italien ausgerottet werden.
Rappuoli schrieb weiterhin Geschichte, als er Ende der 1990er-Jahre erstmals Impfstoffe für sämtliche Serogruppen der Meningokokken-Meningitis (A, B, C, Y und W-135) entwickelte und patentieren ließ. Die Impfung gegen Meningitis C wurde daraufhin in England ins nationale Impfprogramm aufgenommen. Nach zwei Jahren war die Krankheit praktisch verschwunden. 2015 wurde auch Meningitis B ins Impfprogramm aufgenommen. Gesundheitsexperten kamen kürzlich zu der Einschätzung, dass die Impfung in 95 Prozent aller Fälle erfolgreich ist. Die Meningitis grassiert weiterhin in unterentwickelten Regionen. Dort sind jedes Jahr immer noch schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen von invasiven Meningokokken-Erkrankungen (IMD) betroffen.
Wirtschaftlicher Nutzen
Bexsero, Rappuolis Impfstoff gegen Meningitis, wurde für das Unternehmen GlaxoSmithKline, das die Lizenz dafür hat, zum Blockbuster. 2016 stieg der Umsatz mit Bexsero auf 465 Mio. EUR - fast dreieinhalb mal soviel wie im Jahr 2015 (136 Mio. EUR). In England und anderen europäischen Ländern gehört die Impfung mit dem Konjugatimpfstoff gegen Pneumokokken (PVC) zum Standardimpfprogramm für Säuglinge und Kleinkinder, und in den USA wurden im Jahr 2014 82,9 Prozent aller Kinder im Alter von 19 bis 35 Monaten damit geimpft.
Experten des Markforschungsunternehmens Transparency Market Research bezifferten den globalen Umsatz mit Meningokokken-Impfstoffen 2013 auf 1,36 Mrd. EUR und prognostizierten bis 2022 einen Anstieg auf 4 Mrd. EUR. Dabei sind Konjugatimpfstoffe und durch umgekehrte Impfstoffentwicklung hergestellte Vakzine die großen Wachstumstreiber auf diesem Markt. Man geht davon aus, dass bis 2022 etwa 71 Prozent (2,8 Mrd. EUR) des Gesamtvolumens auf diese Stoffe entfallen.