Erfindung: Verbesserte Antibiotika mittels ätherischer Öle
Der Vormarsch multiresistenter Bakterien ist eine wachsende globale Herausforderung. Der marokkanische Biologieprofessor Adnane Remmal hat einen Weg gefunden, um die Wirksamkeit von Antibiotika zur Behandlung bakterieller Infektionen zu verbessern, indem er sich die medizinischen Eigenschaften heimischer Pflanzen zunutze macht. Seine Erfindung könnte dazu beitragen, den übermäßigen Einsatz von Antibiotika, der zur Entstehung von Resistenz gegen antimikrobielle Wirkstoffe führt, einzudämmen und der Verbreitung von multiresistenten "Superkeimen" Einhalt zu gebieten.
Im Rahmen seiner Arbeit an der Universität Sidi
Mohamed Ben Abdellah in Fez in Marokko richtete Remmal sein Augenmerk auf eine
der größten Bedrohungen der modernen Medizin: die immer weiter steigende Zahl
von Bakterien, die gegen Antibiotika resistent geworden sind. Dabei kam ihm der
Gedanke, dass die Antwort auf dieses Problem in der unverwechselbaren Flora
seiner Heimat liegen könnte. Traditionell waren dort aus Blumen und anderen
Pflanzen Destillate gewonnen worden, um Geschmacksstoffe oder Tees zu erhalten.
Remmal war sich der antimikrobiellen, antiparasitären und fungiziden Eigenschaften vieler Pflanzen durchaus bewusst, aber er wusste auch, dass sie in den Dosen, in denen sie diese beabsichtigen Wirkungen entfalten können, häufig Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Übelkeit mit sich bringen. Dadurch kamen sie für den medizinischen Gebrauch oft nicht in Frage. Seine Lösung bestand darin, die Stärken von Antibiotika mit denen natürlicher ätherischer Öle zu kombinieren und damit eine Wirksamkeit zu erzielen, die über das, was die beiden unabhängig voneinander zu bieten hatten, hinausging. Gleichzeitig wurden unerwünschte Nebenwirkungen verhindert.
Die von Remmal entwickelte Zusammensetzung, die er ab Mitte der 1990er-Jahre immer weiter verbesserte, wurde 2014 vom EPA patentiert und führte zu einem neuen Medikament, das sich derzeit in den letzten Phasen der klinischen Prüfungen befindet. Das Medikament, dessen Markteinführung für Ende 2017 erwartet wird, ist Teil eines zweigleisigen Konzepts, bei dem ätherische Öle einen Beitrag zur Lösung des Problems der Resistenz gegen Mikroben leisten. Neben diesem natürlichen Antibiotika-"Booster" hat Remmal außerdem ein aus natürlichen ätherischen Ölen hergestelltes Ergänzungsmittel entwickelt, das Antibiotika und andere Chemikalien in Tierfutter ersetzen soll. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft und der Intensivtierhaltung gilt als eine der Hauptursachen für die Zunahme resistenter Bakterien.
Gesellschaftlicher Nutzen
Für die Weltgesundheitsorganisation und eine Reihe von Regierungen und weiteren Akteuren steht der Kampf gegen die Resistenz von Bakterien ganz oben auf der Prioritätenliste. Gerade das globale Ausmaß macht es so schwer, diesem Problem beizukommen. Infektionen durch arzneimittelresistente Erreger sind weltweit für ca. 700 000 Todesfälle im Jahr verantwortlich. Wenn es nicht gelingt, eine neue Generation von Antibiotika zu entwickeln, könnte diese Zahl noch in die Höhe schießen und bis 2050 auf 10 Millionen ansteigen. Vor diesem Hintergrund ist Remmals Erfindung so bedeutsam. Das von Remmal entwickelte neue Medikament hat gezeigt, dass es mäßig und hochgradig resistente Bakterien wirksamer bekämpft als herkömmliche Antibiotika - und das ohne Nebenwirkungen und ohne dass Resistenzen entstehen. Es könnte nicht nur dazu beitragen, die krankmachenden Mikroben einzudämmen, sondern auch der Notwendigkeit entgegenwirken, immer schneller neue Antibiotika entwickeln zu müssen.
Mit Remmals natürlichem Ergänzungsmittel für Viehfutter rückt er darüber hinaus einem weiteren Faktor zu Leibe, der ganz wesentlich zu dem Problem beiträgt. Etwa die Hälfte der gesamten Weltproduktion an Antibiotika (einschließlich der für die menschliche Gesundheit besonders wichtigen Antibiotika) werden als Futterergänzungsmittel in der Massentierhaltung eingesetzt. In subtherapeutischen Dosen wirken diese Antibiotika hier wachstumsfördernd. Aber dabei wird es den Bakterien auch ermöglicht, zu überleben und Resistenzen zu entwickeln. Die so "abgehärteten" Mikroben können direkt durch die Nahrungskette übertragen werden. Dies ist beispielsweise bei antibiotikaresistenten Salmonellenstämmen und Escherichia coli-Stämmen (E. coli) der Fall. Auch in Abflüssen von Abwasserbehältern und Tränken können sie sich vermehren.
Remmals Rezeptur für Tierfutter kann in den bei der Futterherstellung üblichen Verfahren zugesetzt werden und hat sich als ebenso wirksam wie die üblichen Antibiotika erwiesen, ohne Nebenwirkungen hervorzurufen oder zur Resistenzentwicklung beizutragen.
Wirtschaftlicher Nutzen
Nach Schätzungen der Europäischen Kommission belaufen sich die durch resistente Bakterien verursachten Produktivitätseinbußen sowie die damit zusammenhängenden zusätzlichen Kosten im Gesundheitswesen jährlich auf mindestens 1,5 Mrd. EUR. Die Weltbank hat 2016 einen Bericht veröffentlicht, demzufolge die durch arzneimittelresistente Bakterien verursachten globalen Kosten im Gesundheitswesen bis zum Jahr 2050 einen Wert erreicht haben könnten, der irgendwo zwischen 283 Mrd. und über 984 Mrd. EUR liegt. Die Tatsache, dass die Entwicklung eines jeden neuen synthetisch hergestellten Antibiotikums zwischen 500 Mio. und 1 Mrd. EUR kosten könnte, ist Teil des Problems. Und diese neuen Medikamente können natürlich auch wieder zu neuen Resistenzen führen, und sie bergen das Risiko unbekannter Nebenwirkungen und Toxizität. Dabei ist es nicht auszuschließen, dass die hohen Investitionen in Zeit und sonstige Ressourcen keine nennenswerten Erträge bringen.
Für Remmals "Turbo-Antibiotika" laufen aktuell die letzten Phasen der klinischen Studien. Die Marktzulassung wird für Ende 2017 erwartet. Da die neuen Medikamente unter Verwendung natürlicher Moleküle hergestellt werden, die sich in der Pharmabranche bereits bewährt haben, kann es kostengünstig produziert und zu einem erschwinglichen Preis verkauft werden.
2004 gründete Remmal ein Unternehmen, um seine pharmazeutischen und tiermedizinischen Anwendungen auf den Markt zu bringen. Das Start-up-Unternehmen hat bislang vier Patente zum Schutz des Verfahrens zur Verbesserung der Wirkung ("Boosting") infektionsbekämpfender Mittel angemeldet. Das führende pharmazeutische Labor in Marokko und Westafrika wurde auf das junge Unternehmen aufmerksam und steuerte technische und finanzielle Ressourcen bei, um die "Turbo-Antibiotika" auf den Markt zu bringen.