Erfindungen: Krebsmedikamente der nächsten Generation und Meilensteine in der Laborgenetik
Die Arbeit des deutschen Molekularbiologen Axel Ullrich sorgte für einen Quantensprung im wissenschaftlichen Verständnis der genetischen und zellulären Ursachen von Krebs und anderen Erkrankungen. In seiner vier Jahrzehnte umspannenden Forschungslauf-bahn hat Ullrich Pionierarbeit bei der Entwicklung neuer Klassen von Medikamenten geleistet, darunter zellwachstumshemmende Arzneimittel gegen Brust-, Darm- und Nierenkrebs.
Vor der
Entwicklung von Ullrichs neuen Methoden hatten Mediziner nach Möglichkeiten
gesucht, mit denen sie den Krebs bekämpfen konnten, ohne gesundes Gewebe zu
schädigen, wie dies bei der Chemotherapie oder der Strahlentherapie der Fall
ist. Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse zur Signaltransduktion - der Vorgänge
mittels derer Zellen im menschlichen Körper kommunizieren - entwickelte Ullrich
Medikamente der nächsten Generation, die den Krebs an seinen Wurzeln bekämpfen,
indem sie die zellulären Kommunikationsprozesse unterbrechen. Unter den
Medikamenten, die Ullrich im Laufe der letzten 20 Jahre auf den Markt gebracht
hat, sind zum Beispiel Herceptin, das gegen Brustkrebserkrankungen wirksam ist,
die von dem Onkogen HER2, einem von Ullrich entdeckten genetischen Auslöser,
verursacht werden, oder das Medikament Sunitinib, das Tumoren
"aushungert".
Ullrich ist eine international anerkannte Kapazität auf seinem Gebiet. Er war in Schlüsselfunktionen in pharmazeutischen Unternehmen wie Genentech tätig. Als Leiter der Abteilung für Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München hat er auch einen neuen Zweig der genetischen Forschung maßgeblich mitgeprägt, der sich mit der Signaltransduktion (Signalübertragung) der Zellen beschäftigt. Ullrichs erster bahnbrechender Erfolg kam bereits 1977, als es ihm erstmals gelang, eine Kopie des menschlichen Insulin-Gens in Bakterien zu übertragen, was dann 1982 zur Entwicklung des weltweit ersten Medikaments führte, dessen Herstellung auf Gentechnologie basierte: das rekombinante menschliche Insulin.
Gesellschaftlicher Nutzen
Brustkrebs ist immer noch die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erlagen diesem Leiden 2011 weltweit mehr als 508 000 Frauen. Die Überlebensrate hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm erhöht - aktuell liegt sie in Nordamerika, Schweden und Japan bei 80 Prozent und höher. Aber die Behandlung der Krankheit zieht die Patientinnen häufig sehr stark in Mitleidenschaft, insbesondere aufgrund der Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Patientinnen, die positiv auf bestimmte genetische Marker getestet werden, können mittlerweile von gezielten Therapien mit bislang unerreichter Wirksamkeit profitieren. Ullrichs Schlüsselerkenntnisse zu den genetischen Ursachen der Krankheitsentstehung haben dafür den Grundstein gelegt.
Ullrichs Brustkrebsmedikament, das 1998 auf den Markt kam, hat die Tumorredizivrate bei Frauen, deren Tumoren das HER2-Onkogen exprimieren, um 50 Prozent gesenkt. Wenngleich Ullrichs Forschungsergebnisse bereits die Grundlage für zielgerichtete Therapien gelegt haben, so steht die Wissenschaft beim Verständnis der menschlichen DNA in ihrer ganzen Dimension doch noch am Anfang. Bislang wurden mehr als 1 800 Krankheitsgene identifiziert und es stehen schon mehr als 2 000 genetische Tests zur Verfügung, aber das menschliche Genom besteht aus insgesamt 20 000 Genen. Mit globalen Forschungsinitiativen wie dem "Singapore Oncogenome Project" setzt sich Ullrich mit großem Engagement dafür ein, das Verständnis krankheitsverursachender Gene voranzutreiben und weitere genetische Marker für Krebserkrankungen zu finden.
Wirtschaftlicher Nutzen
Ullrich hat nicht nur wichtige Positionen in der kommerziellen Arzneimittelentwicklung bei internationalen Pharmaunternehmen wie Genentech inne, sondern hat auch diverse erfolgreiche Start-ups gegründet, beispielsweise Sugen (1991, wurde von Pfizer aufgekauft), Axxima Pharmaceuticals (1998, heute GPC Biotech AG), U3 Pharma (2001, heute Daiichi Sankyo Company Ltd.), Kinaxo Biotechnologies GmbH (2005, gehört heute zur Evotec AG) und Blackfield AG (2012).
Ullrichs Medikamente der nächsten Generation wurden zu Blockbustern. Herceptin zählt zu den 50 meistverkauften Medikamenten. Bis im Jahr 2014 das Patent ablief, war der Jahresumsatz auf 6,3 Mrd. EUR geklettert. Sunitinib, das von Pfizer vermarktet wird, wird wohl bis 2018 einen Jahresumsatz von rund 1,5 Mrd. EUR erreicht haben.
Es wird erwartet, das der Weltmarkt für Krebsmedikamente in den nächsten Jahren noch erheblich wachsen wird: Wurde der Gesamtumsatz 2015 noch mit 72 Mrd. EUR angegeben, so soll er bis 2020 bei 103 Mrd. EUR liegen. Bei den Kinase-Inhibitoren zur Krebsbehandlung - ein Gebiet, auf dem Ullrich ebenfalls Pionierarbeit geleistet hat - geht man bis 2019 von einem Jahresnettoumsatz von rund 29 Mrd. EUR aus.