Erfindung: Intelligente Mixed-Reality-Brille HoloLens
Für die Interaktion mit der realen Welt – und für die Interaktion untereinander – können wir schon bald eine neue Generation von Datenbrillen nutzen. Die von dem brasilianischen Softwareingenieur und Hardwareerfinder Alex Kipman entwickelten und von Microsoft vermarkteten HoloLens "mischen" die Realität mit hologrammähnlichen Überlagerungen. Sowohl Geschäftsleute als auch Patienten, die sich einer Operation unterziehen müssen, könnten davon profitieren, denn die Technologie ermöglicht beispielsweise "holografische Telefonkonferenzen", und sie findet Eingang in die computergestützte Chirurgie.
Durch unsere
Tablets und Smartphones haben wir heute Zugriff auf eine riesige Fülle von
Informationen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass wir jeden Tag fast zehn
Stunden damit zubringen, auf Computerbildschirme zu starren. Deshalb möchte
Alex Kipman, Computerspezialist bei Microsoft, den menschlichen Blick wieder zurück
auf die reale Welt richten, jedoch ohne dass wir auf auf die Dienste des Rechners
verzichten müssen.
Die Mixed-Reality-Datenbrille
des Erfinders, die von Microsoft den Namen "HoloLens" erhalten hat, kombiniert
die Ansicht der realen Welt mit digital überlagerten Hologrammen. Die Träger
der Brille können diese realitätsnahen Bilder - beispielsweise die dreidimensionale
Darstellung einer anderen Person - anschauen und manipulieren, während sie
gleichzeitig auch noch die reale Welt um sie herum wahrnehmen.
Mit großer
Rechenleistung ausgestattet, erkennen die HoloLens die Umwelt durch die
patentierten Sensoren des Erfinders. Die Nutzer bedienen das Gerät ganz ohne
Tastatur, Spielkonsolen oder Touchscreens. Anstatt dessen sind die HoloLens
dank integrierter Algorithmen für maschinelles Lernen in der Lage, Gesten zu
interpretieren und Sprachbefehle zu verstehen. Die dadurch entstehende "Mixed
Reality" bindet die Computer nun nahtlos in die alltäglichen Aktivitäten
ein, sei es bei der Arbeit oder in der Freizeit.
Gesellschaftlicher Nutzen
Einige
Branchenkenner glauben, dass Mixed-Reality-Geräte wie die intelligente Brille HoloLens
an die Stelle von Smartphones treten könnten. Experten von Gartner gehen davon
aus, dass schon im Jahr 2020 30 % aller internetzugriffe ohne Bildschirm
erfolgen werden. Angetrieben wird die Technologie beispielsweise durch die Nachfrage
nach assistierter Navigation, nach Spielen und Liveübersetzungen. Tatsächlich
werden wohl bis 2020 bereits 100 Millionen Verbraucher die "Augmented
Reality" - wie die "Mixed Reality" auch manchmal bezeichnet wird
- für "Personal Shopping Assistance"-Anwendungen (comScore) nutzen.
Softwareentwickler
sind gerade dabei, eine Fülle von Anwendungen für Kipmans Datenbrille in in der
Mixed-Reality-Softwareumgebung von Windows 10 zu kreieren. So setzt der Konzern
thyssenkrupp die Brille beispielsweise für die Wartung und in der Qualitätssicherung
ein, und die berühmte amerikanische Cleveland Clinic bietet ein interaktives Lernprogramm
in Anatomie damit an. Spanische Chirurgen setzten die HoloLens 2017 bei einer
Operation zur Entfernung eines malignen Muskeltumors ein. So konnten sie während
des Eingriffs Live-MRTs sehen und auf Radiografiedaten zugreifen.
Wirtschaftlicher Nutzen
Nach siebenjähriger
Entwicklungsphase führte Microsoft die HoloLens 2015 erstmals als Prototyp ein.
Sie arbeitet mit Kipmans patentierten Sensoren, die er für die
Videospielsteuerung Kinect entwickelt hatte. Die HoloLens sind derzeit als "Development
Edition", die für Softwareprogrammierer gedacht ist, für 2 556 EUR
erhältlich. Die Enterprise-Version kostet 4 260 EUR.
Microsoft hat bisher rund 50 000 Stück
seiner HoloLens verkauft. Im Vergleich zu den mehr als eine Million alleine im
dritten Quartal 2017 verkauften "Virtual-Reality-Headsets" ist das
natürlich relativ wenig. Aber das Unternehmen, das im Geschäftsjahr 2017 rund 73 Milliarden
EUR einnahm, schafft sich seinen Markt für Mixed-Reality-Produkte ganz gezielt
durch strategische Entwicklungspartnerschaften mit Unternehmen wie Lowe's,
Boeing, Saab und Volvo.
Die Consulting Digi-Capital
bezifferte den globalen Markt für Augmented-Reality-bzw. Mixed-Reality-Produkte
2016 auf 3,3 Mrd. EUR. Das Unternehmen geht davon aus, dass diese
Zahl bis 2021 auf 92 Mrd. EUR angewachsen sein wird. Als Markttreiber
sieht es die nächste Generation der mobilen Augmented-Reality-Geräte, zu der
auch die HoloLens von Microsoft zählen. Wenn Microsoft erst einmal eine attraktive
Mixed-Reality-Bibliothek aufgebaut hat, könnten Produkte wie die App
Holoportation zur Ausrichtung von Telefonkonferenzen mit 3D-Effekt in die Liga
der Bestseller aufsteigen, zu der beispielsweise die Commercial Suite von Office 365
mit über 100 Millionen Usern gehört.
Funktionsweise
Zur aktuellen
Generation von Mixe-Reality-Brillen gehören beispielsweise "intelligente"
Skibrillen, die Daten wie Höhenangaben, Temperatur oder Puls in das Sichtfeld
des Trägers einblenden. Diese Geräte zeigen jedoch nur zweidimensionale Texte
und Grafiken an und müssen überdies an ein Smartphone angeschlossen werden, das
ihnen die Rechenleistung zur Verfügung stellt.
Bei den HoloLens hingegen
handelt es sich um ein eigenständiges Gerät, das unabhängig von externen PCs, Tablets
oder Smartphones funktioniert. Die gesamte erforderliche Rechenleistung ist in
den eingebauten, an die jeweilige Aufgabe angepassten Prozessoren enthalten. Das
sind die zentrale Recheneinheit (CPU), ein Grafikprozessor (GPU) sowie ein
maßgeschneiderter Holografieprozessor (HPU),wobei letzterer eine absolute
Branchenneuheit ist.
Die HoloLens
"lesen" ihre Umgebung, und dabei erfassen diese Prozessoren in jeder
Sekunde mehrere Terabyte an Daten. Die Daten werden von einer Trägheitsmesseinrichtung
(IMU), einer Tiefenkamera, einer 2,4-Megapixel-Videokamera, vier Mikrofonen und
einem Umgebungslichtsensor geliefert.
Wie der Name
vermuten lässt, verdanken die HoloLens ihren innovativen Vorsprung den
Wellenleiterlinsen, die dem menschlichen Gehirn vorgaukeln, bei den Photonen
handele es sich um feste, dreidimensionale Gegenstände - es sind also
Hologramme. Berechnet werden
diese in der GPU, und für die Anzeige sorgen die "Lichtgeneratoren"
des Geräts, zwei winzige Flüssigkristall-auf-Silizium-Projektoren,
also miniaturisierte LCD-Displays mit aktiver Matrix, die Licht auf die beiden
Linsen werfen.
Das Bild wird
zwischen den beiden Linsen im Hinblick auf Klarheit und Tiefe angepasst und
dann mit der realen Welt "verschmolzen", so dass vor den Augen des Trägers
holografische Bilder entstehen. Diese scheinen wenige Zentimeter oder auch
viele Meter entfernt zu sein, erscheinen also mit realistischer Tiefenschärfe.
Der Erfinder
Der in Curitiba
in Brasilien geborene Alex Kipman entdeckte seine Leidenschaft für das
Programmieren bereits im Alter von sechs Jahren beim Spielen von Videospielen.
"In der Software ist man nur an die Grenzen seiner eigenen Fantasie
gebunden", schwärmt Kipman. Mit Microsoft, wo er 2001 nach Erwerb eines
Bachelorabschlusses in Softwareentwicklung am Rochester Institute of Technology
anfing, hatte er ein globales Unternehmen gefunden, das seiner Fantasie ebenbürtig
war und ihr eine Plattform bot.
Mit seinem
Kinect-Bewegungssensor landete er einen ersten Riesenhit - dieser brach 2008 sämtliche
Rekorde als das Gerät in der Unterhaltungselektronik, das sich am schnellsten
verkaufte. Damit wurde Kipman zu einem Star der Tech-Community. Bisher ist er
in mehr als 150 Patenten in den USA und in Asien als Haupterfinder genannt,
ebenso in drei erteilten europäischen Patenten, darunter auch das Patent für
die Technologie, auf der die HoloLens basieren.
Heute ist Kipman
als "Technical Fellow" der Windows and Devices Group bei Microsoft
noch immer stark in die Entwicklung neuer Technologie für die HoloLens und die
damit im Zusammenhang stehende Windows Mixed-Reality-Softwareplattform
eingebunden. Der gerade mal 40-Jährige wurde bereits mit dem "Popular
Mechanics Breakthrough Award" ausgezeichnet (2009), und 2012 wurde er von
der IPO-Education-Stiftung zum "Erfinder des Jahres" gekürt.
In seinem
Privatleben zieht sich der bekennende Futurist Kipman gerne in die Einfachheit
der Farm seiner Familie im brasilianischen Regenwald zurück. Dort, fernab von
der modernen Welt, unternimmt er mit Frau und Tochter Outdoor-Aktivitäten in
der realen Welt - ganz ohne digitale Geräte.
Wussten Sie das?
Die HoloLens übertragen ein schon sehr lange bewährtes technisches
Konzept ins Zeitalter der tragbaren Computer. Bereits im 16. Jahrhundert
wurde in Theatern eine Technik eingesetzt, bei der Bilder auf transparente
Glasscheiben projiziert wurden, um optische Effekte zu erzielen. In den
1940er-Jahren wurde das Prinzip der Projektion von Text auf Glasscheiben für
die sogenannten "Head-up-Displays" in Kampfflugzeugen eingesetzt.
Wichtige Daten wie Höhe oder Geschwindigkeit konnten in das Sichtfeld des
Piloten eingeblendet werden, damit dieser sich voll und ganz auf die
Kampfhandlungen konzentrieren konnte, ohne abgelenkt zu werden. Nach demselben
Prinzip arbeiten auch die seit Jahrzehnten gebräuchlichen Teleprompter, mit deren
Hilfe einem Redner Text angezeigt wird, ohne dass das Publikum dies wahrnimmt.
Kipmans HoloLens katapultieren diese Technik ins 21. Jahrhundert.
Sie lassen die holografischen Abbilder echter Menschen mit nie dagewesener
Raffinesse aus dem Nichts auftauchen, beispielsweise in Telekonferenzen. Da die
Mixed-Reality-Headsets auch keine Computerbildschirme oder Tastaturen mehr
benötigen, könnten sie unser ganzes Leben revolutionär verändern und die
Smartphones als die wichtigsten Kommunikationsmittel ablösen.
Kipman sieht den "Tod" des Smartphones bereits in nicht allzu
ferner Zukunft. Aktuelle Trends scheinen ihm Recht zu geben - man denke nur an
die Spracherkennung durch digitale Helfer wie Cortana von Microsoft, Siri von
Apple oder Alexa von Amazon. Eines Tages werden wir uns vielleicht mit Worten
und Gesten mit holografischen "Geistern" unterhalten, und das
Smartphone wird nur noch ein Gespenst der Vergangenheit sein.