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Rot, weiß oder grün

Letzte Aktualisierung: 15.11.2022

Sprouts on petri dish, microscope and different coloured test tubes

Die Hauptanwendungsgebiete der Biotechnologie liegen in der Medizin und der Arzneimittelentwicklung. Dieser Bereich wird auch als "rote Biotechnologie" bezeichnet. Aber auch bei industriellen Verfahren und der Fertigungstechnik ("weiße Biotechnologie") kommt sie zum Einsatz, in geringerem, aber zunehmendem Maße auch in Landwirtschaft und Viehzucht ("grüne Biotechnologie"). 

Rote Biotechnologie: Patente fördern den medizinischen Fortschritt

Fortschritte in der Pharmazie sind entscheidend für die Entwicklung medizinischer Behandlungen und Medikamente, die Leben retten oder die Lebensqualität verbessern können. Viele revolutionäre Behandlungen, gängige Arzneimittel und verschreibungspflichtige Medikamente basieren heute auf der Biotechnologie.

Eines der ersten Biomedikamente war das auf Grundlage der DNA-Technologie entwickelte Insulin, das die zuvor eingesetzte konventionelle Behandlung von Diabetespatienten erheblich verbesserte. Im Laufe der Zeit wurden viele verbesserte Formen biotechnologisch hergestellten Insulins entwickelt. Diese kontinuierliche Innovation wurde durch Patente unterstützt.

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Andere patentierte medizinische Erfindungen brachten den Durchbruch für den DNA-Fingerabdruck und Vaterschaftstests. Bei Bluttransfusionen wurde durch patentierte Tests zum Nachweis tödlicher Viren im Spenderblut die Patientensicherheit verbessert.

Viele Krebsmedikamente, die auf patentierten menschlichen Gensequenzen basieren, verlängern heute das Leben von Krebspatienten. Weitere patentierte Medikamente auf der Grundlage menschlicher Gensequenzen werden zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie Arthritis eingesetzt. Die meisten der am häufigsten verkauften Arzneimittel beruhen auf der Biotechnologie und sind durch Patente geschützt.

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Entwicklung und Marktzulassung eines neuen Medikaments sind extrem teuer und zeitaufwendig. Die notwendigen Mittel kommen zum großen Teil aus Risikokapital, das von Investoren zur Verfügung gestellt wird.

 

 

Pharmaunternehmen könnten die kostspielige Forschung und die klinischen Versuche nicht finanzieren, wenn sich diese Investitionen nicht in Form von Ausschlussrechten – sprich: Patenten – für sie auszahlen würden. Zudem schützen Patente wirksam vor illegalen Medikamentenkopien und den gesundheitlichen Risiken, die mit nicht zugelassenen Nachahmerpräparaten verbunden sind.

Der durch ein Patent verliehene Schutz ist auf 20 Jahre begrenzt. Das Patentrecht für Arzneimittel, die behördlich zugelassen werden müssen, kann jedoch um maximal fünf weitere Jahre verlängert werden. So soll ein Ausgleich für die lange Phase der klinischen Studien geschaffen werden, die vor der Marktzulassung erforderlich sind. Sobald das Patent erloschen ist, wird die Erfindung gemeinfrei, d. h. sie kann von jedermann genutzt werden, ohne dass dafür Lizenzgebühren fällig werden. Es ist Aufgabe nationaler Behörden, mit den Pharmaunternehmen niedrigere Preise für pharmazeutische Produkte auszuhandeln, und nach dem Erlöschen eines Arzneimittelpatents steht der Markt auch für kostengünstigere Generika offen. Verfahren zur therapeutischen oder chirurgischen Behandlung oder Diagnostik von Patienten sind nach dem Gesetz nicht patentierbar. Damit soll sichergestellt werden, dass Ärzte nicht durch Patente daran gehindert werden, ihren Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen.

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In den folgenden Abschnitten finden Sie weitere Informationen zu wichtigen Teilbereichen der roten Biotechnologie: Immunologie, Krebsimmuntherapie, Antikörpertherapie und personalisierte Medizin. Viele europäische Patentanmeldungen in diesen Bereichen enthalten Nukleotid- oder Aminosäuresequenzen, die in Form eines standardisierten Sequenzprotokolls in die Anmeldung aufgenommen werden müssen.

Immunologie: Ein schnell wachsender Teilbereich der roten Biotechnologie

Die Immunologie ist ein Teilbereich der Biotechnologie, der sich rasant entwickelt. Dabei geht es um neue Impfstoffe und Antikörper und Verfahren zu deren Herstellung. Zwischen 2015 und 2021 hat die Zahl der Anmeldungen im Bereich der Biotechnologie beim EPA um 30 % zugenommen. Speziell im Bereich der Impfstoffe und Antikörper gab es 2021 mehr als 4 000 Anmeldungen, was einen Anstieg um 60 % bedeutet.

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Die Einführung von Impfprogrammen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Kindersterblichkeit drastisch gesenkt. Zusammen mit der Verfügbarkeit von Antibiotika und Verbesserungen im Bereich der Hygiene und des Bildungswesens hat dies wesentlich zur Erhöhung der Lebenserwartung beigetragen.

 

Auch heute noch sind Impfungen die Strategie mit der größten Kostenwirksamkeit im öffentlichen Gesundheitswesen, insbesondere wenn es um lebensbedrohliche Infektionskrankheiten geht. Die massiven Anstrengungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie haben zu einer überaus schnellen Entwicklung von Impfstoffen geführt, die weltweit Millionen von Menschenleben gerettet haben. Beispiele für die zahlreichen Patentanmeldungen zur Bekämpfung des Coronavirus finden Sie auf der Seite "Kampf gegen Corona" der EPA-Website. Damit soll die Arbeit von Klinikern, Wissenschaftlern und Ingenieuren unterstützt werden. Die bahnbrechenden Erfolge, die, befeuert durch die COVID-19-Pandemie, in jüngster Zeit erzielt wurden, werden zur Entwicklung dringend benötigter Impfstoffe gegen neu auftretende Infektionskrankheiten beitragen und hoffentlich auch zu wirksameren Impfstoffen gegen Infektionen wie Malaria und Tuberkulose führen, die nach wie vor schwer zu verhindern und zu behandeln sind.

Immuntherapie im Kampf gegen den Krebs: Die rote Biotechnologie schlägt zurück

Ein weiterer dynamischer Bereich der Impfstoffforschung ist die Entwicklung von Impfstoffen gegen Krebs, wovon es bislang nur sehr wenige gibt. Ein Impfstoff, der dazu beiträgt, Gebärmutterhalskrebs zu verhindern, wurde 2006 für den Gebrauch in Europa zugelassen; 2015 gewannen diejenigen, die ihn entwickelt hatten, den Publikumspreis beim Europäischen Erfinderpreis. Ganz neue Impfstoffe werden derzeit auf der Grundlage der Boten-Ribonukleinsäure (mRNA)-Technologie entwickelt, die bei COVID-19-Impfstoffen zum Einsatz kommt. Die Wissenschaftlerin Katalin Karikó, einer der führenden Köpfe bei der Entwicklung dieser Technologie, erhielt beim Europäischen Erfinderpreis 2022 den Preis in der Kategorie Lebenswerk.

Auch für die Behandlung von Krebs ergeben sich ganz neue Möglichkeiten durch Therapien, die auf dem eigenen Immunsystem des Patienten basieren. Bei der CAR-T-Zelltherapie werden die T-Zellen eines Patienten, die den Körper normalerweise vor Infektionen und Krebs schützen, ex vivo gentechnologisch verändert. Die modifizierten Zellen produzieren auf ihrer Oberfläche einen künstlichen Rezeptor – einen chimären Antigen-Rezeptor (CAR) – der gezielt an die Krebszellen andockt und deren Zerstörung in Gang setzt. Als 2011 eine komplette Remission bei Kindern mit Leukämie vermeldet wurde, war dies ein Durchbruch. Nach wiederholten Erfolgen mit der CAR-T-Zell-Therapie flossen Investitionen in diesen Bereich, die rasch zu weiteren Innovationen und Patentierungsaktivitäten führten. Das EPA hat kürzlich einen Patentanalysebericht zu dieser Technologie veröffentlicht. Viele Biotech-Start-up-Unternehmen sind sehr aktiv bei der Entwicklung von Krebstherapien.

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Antikörper: Bessere Diagnose und Behandlung von Krankheiten
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Impfstoffe trainieren das Immunsystem, damit es Krankheiten mithilfe verschiedener Mechanismen bekämpfen kann. Einer dieser Mechanismen ist die Produktion von Antikörpern. Antikörper können aber auch in vitro hergestellt werden, und der Einsatz monoklonaler Antikörper bei der Diagnose und Behandlung verschiedenster Krankheiten ist mittlerweile weit verbreitet, angefangen von entzündlichen und Autoimmunerkrankungen bis hin zu Krebs, der Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit und der Transplantatabstoßung. Von allen biopharmazeutischen Arzneimitteln verzeichnet diese Klasse das schnellste Wachstum. 2021 erreichte der Markt für therapeutische Antikörper einen Wert von mehr als 180,5 Mrd. USD. Auch in der Tiermedizin kommen Antikörpertherapien zum Einsatz.

 

Personalisierte Medizin: Maßgeschneiderte Behandlung für jeden einzelnen Patienten

Neben den therapeutischen Anwendungen ist auch die Identifizierung neuer genetischer Marker für Krankheiten ein Bereich der roten Biotechnologie. Mithilfe der stetig wachsenden Zahl genetischer Marker kann nicht nur die Anfälligkeit für Krankheiten bestimmt werden, sondern es lassen sich auch neue Untergruppen von Krankheiten mit charakteristischen Merkmalen hinsichtlich der Prognose und des Ansprechens auf eine Behandlung definieren. Anhand dieser Informationen können Behandlungen optimal auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten zugeschnitten werden. Dank einer solchen personalisierten Medizin werden dem Patienten die Nebenwirkungen erspart, die auch unwirksame Behandlungen mit sich bringen, und für die Gesellschaft entstehen keine Kosten durch unnötige Therapien.

Das EPA hat auf seiner Website eine eigene Seite eingerichtet, die sich mit verschiedenen Technologien und Erfindungen im Bereich der personalisierten Medizin befasst.

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Weiße Biotechnologie: Effizientere industrielle Verfahren durch Innovation

Unter weißer Biotechnologie versteht man die Verwendung von Mikroorganismen wie Bakterien, Hefen und Pilzen in chemischen Produktionssystemen. Dabei werden lebende Zellen zur Produktion von Enzymen verwendet, die wiederum in zahlreichen industriellen Prozessen eingesetzt werden können, beispielsweise für die Herstellung von Waschmitteln, Zellstoff und Papier, Textilien oder Biomasse.

Biotechnologische Fortschritte treiben auch die Entwicklung von Technologien zur Gewinnung von Biokraftstoffen wie Methan, Ethanol und Butanol sowie zur Erzeugung von elektrischer Energie aus erneuerbaren Quellen voran. Mikroorganismen werden mittels biotechnologischer Verfahren so verändert, dass sie Kraftstoffe produzieren. Außerdem wurden bereits große Fortschritte dabei erzielt, aus billigen und weithin verfügbaren Quellen wie Abfallströmen aus Industrie, Land- und Forstwirtschaft, festen Siedlungsabfällen, Abwässern, Algen und Abgasen so viel Kraftstoff wie möglich zu gewinnen.

Die weiße Biotechnologie trägt aber auch zur Abfallvermeidung bei, denn mit ihrer Hilfe werden auch neue biologisch abbaubare Kunststoffe entwickelt, beispielsweise aus Pflanzen und Pilzen. Eine Studie des EPA aus dem Jahr 2021 veranschaulicht die Schlüsselrolle, die Patente für die Innovation in diesem Bereich spielen.

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Die Hochleistungsfasern, die aus der von Thomas Scheibel, Finalist für den Europäischen Erfinderpreis 2018, entwickelten Spinnenseide hergestellt werden, sind eine von zahlreichen wegweisenden Erfindungen im Bereich der weißen Biotechnologie.

 

Grüne Biotechnologie: Nachhaltigere Landwirtschaft und Ernährungssicherheit

Auch in der Landwirtschaft gibt es zahlreiche nützliche Anwendungen für die Biotechnologie. Dazu gehören gentechnisch veränderte Pflanzen und modifizierte Mikroorganismen, die zur Erzielung vorteilhafter Pflanzeneigenschaften eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind Pflanzen, die widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder Umweltfaktoren wie Hitze, Salz und Trockenheit sind, mehr Ertrag bringen oder einen höheren Nährstoffgehalt haben, oder deren Anbau weniger Ressourcen wie Wasser, Dünger oder Pestizide erfordert.

In einer Studie aus dem Jahr 2021 kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass Pflanzen und pflanzliche Erzeugnisse mit genetisch verändertem Material einen wichtigen Beitrag zu den Zielen des Green Deals der EU leisten, insbesondere zur Strategie "Vom Erzeuger zum Verbraucher" und zur Biodiversitätsstrategie der EU, sowie für eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Agrar- und Ernährungswirtschaft im Rahmen der Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung

Die Biotechnologie stellt uns auch ganz neue Technologien zum Erhalt der biologischen Vielfalt und bedrohter Tier- und Pflanzenarten zur Verfügung, wie z. B. die Konservierung von Embryonen. Durch Erhalt der Artenvielfalt an Land und im Meer trägt die Biotechnologie dazu bei, die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern.

Darüber hinaus unterstützt die grüne Biotechnologie die Entwicklung neuer Lebensmittel mit höherem Nährwert. Sie ermöglicht die Verwendung von Proteinen, die nicht von Tieren oder nicht von Säugetieren stammen (sondern beispielsweise von Insekten) und nutzt Probiotika zur Förderung der Gesundheit.

Lesen Sie weitere Informationen zur Patentierbarkeit von Pflanzen

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