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Die additive Fertigung (AM)

Letzte Aktualisierung: 30.1.2020

decorative image

Viele Gegenstände, von Haushaltsartikeln bis hin zu Motorteilen, werden auf eine von zwei Arten hergestellt: entweder aus einer einzigen Werkstoffmasse geformt, wie Ton zu einem Teller, oder aus einem größeren Block geschnitten, wie eine Schraube, bei der ein Gewinde in einen Stahlstab gefräst wird.

Ein alternativer Fertigungsansatz besteht darin, Material Schicht für Schicht aufzutragen, beispielsweise in Form eines Pulvers oder Gels. Das schichtweise Hinzufügen oder Addieren gab dieser Technik ihren fachsprachlichen Namen "additive Fertigung" (engl. additive manufacturing, AM). Weit besser ist sie jedoch unter der Bezeichnung 3D-Druck bekannt. Die einzelnen Schichten müssen jeweils nach dem Auftragen aushärten. Weil jede Schicht individuell gestaltet werden kann, lassen sich auf diese Weise extrem komplexe Formen erzeugen, die bisher mit keinem anderen Fertigungsprozess geschaffen werden konnten.

3D-Drucker könnten unsere Lebensweise revolutionieren, weil wir Alltagsgegenstände wie Haarkämme und Küchenutensilien einfach zu Hause drucken und sogar reparieren können.


Charles W. Hull

Chuck Hull

Charles "Chuck" Hull wollte ursprünglich mit UV-Licht Oberflächenbeschichtungen verfestigen. 1983 kam er auf die Idee, das bereits für Beschichtungen verwendete Epoxidharz in dünnen laminierten Schichten übereinander zu legen und die Konturen mit UV-Licht herauszuarbeiten: der elektrolytische 3D-Drucker war geboren. Alle heutigen 3D-Drucker beruhen auf dieser Erfindung. 2014 gewann Charles Hull für seine Arbeit den Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie "Außereuropäische Staaten".

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    Nachhaltigkeit

    Die additive Fertigung wird sich disruptiv auf etablierte Arbeitsweisen auswirken und die herkömmliche Vorstellung von Massenproduktion in entlegenen Fabriken umstoßen. Durch die neue Technik wird die lokale Fertigung in kleinen Mengen oder sogar von Einzelstücken in Endverbrauchernähe rentabel.

    Die Vorteile für die Umwelt liegen auf der Hand: es müssen weniger Fertigartikel transportiert und verpackt oder auf Vorrat gelagert werden. Vor allem aber ermöglicht der 3D-Druck die bedarfsgerechte Produktion am gewünschten Ort und zur gewünschten Zeit, was weniger Abfälle verursacht und die Umwelt schont. Der 3D-Druck kann ferner dazu beitragen, dass kaputte Gegenstände eher repariert als einfach weggeworfen werden, weil Ersatzteile für Haushaltsartikel und -geräte problemlos zu Hause nachgedruckt werden können.

    A 3D printer at work

     

    IP und AM

    Die additive Fertigung ist ein faszinierendes Beispiel für die Überschneidung geistiger Eigentumsrechte. Ein 3D-gedrucktes Objekt wie eine Statue oder Vase dient hauptsächlich ästhetischen Zwecken und ist daher urheberrechtlich geschützt; dasselbe Objekt oder seine Oberflächendekoration könnte aber auch als Design eingetragen werden. Andere Gegenstände wie Werkzeuge oder funktionale Komponenten können patentiert werden, weil sie neue und erfinderische technische Merkmale aufweisen. Patente können aber auch für die Drucker selbst erteilt werden sowie für die Prozesse, die damit ausgeführt werden. Die Druckvorlagen wiederum sind in digitalen Dateien hinterlegt, die ebenfalls urheberrechtlich geschützt sind.

    3D printing materials

    Jeder von uns wird in Zukunft zahlreiche dekorative und funktionale Artikel selbst herstellen können. Diese Demokratisierung der Produktion wird nicht nur etablierte Versorgungs- und Vertriebsmuster nachhaltig verändern, sondern auch viele geistige Eigentumsrechte. So könnte eine Produktentwicklerin ein Design direkt an einen Endkunden lizenzieren, der den Gegenstand dann lokal druckt. Ähnlich wie neue digitale Streaming-Plattformen für Musik und Videos zu einem Kreativitätsschub und neuen kommerziellen Möglichkeiten geführt haben, werden durch die gemeinsame Nutzung weltweit druckbarer 3D-Designs neue Geschäftsmodelle entstehen. Gleichzeitig müssen die Gesetzgeber sicherstellen, dass die Schutzrechtssysteme angepasst werden, um einen fairen Schutz und eine angemessene Vergütung in der Designerbranche zu gewährleisten.

    Herausforderungen für das EPA

    Das EPA erlebt eine Flutwelle an Patentanmeldungen für innovative Geräte, Materialien und Verfahren, bei denen additive Technologien zum Einsatz kommen: in den vergangenen 20 Jahren ist das Anmeldeaufkommen in diesem Bereich stetig und seit 2013 sogar dramatisch gestiegen.

    AM-Technologien haben sich aufgrund der besonderen Flexibilität und der wettbewerbsfähigen Kosten sowie weiterer Vorteile in vielen Wirtschaftszweigen etabliert und dadurch zahlreiche technische Bereiche wie Gesundheitswesen, Kraftfahrzeugtechnik, Luft- und Raumfahrt, Wohnungsbau, Maschinenbau, Schuhindustrie und Lebensmittelverarbeitung nachhaltig geprägt. Das EPA hat die damit verbundenen Herausforderungen erkannt und so reagiert, dass sowohl Fachleute in der Forschung als auch Erfinder und Erfinderinnen die Fortschritte stets im Auge behalten können.

    Das EPA und das Patent- und Markenamt der USA haben ihr umfassendes Patentklassifizierungssystem aktualisiert und neue Klassifikationssymbole für innovative AM-Technologien eingeführt. Die Klassifikation - im Bereich der additiven Fertigung beispielsweise Symbole wie B22F3, B29C64 und/oder B33Y - hilft bei der Beurteilung, was wirklich neu ist und daher ein Patent verdient. Die Bediensteten des EPA befolgen dabei umfassende Richtlinien, die die jüngste Rechtsprechung widerspiegeln und sicherstellen, dass bei der Erteilung von Patenten und bei Einspruchsverfahren zu AM-Technologien einheitliche Ansätze angewendet werden.

    Der interdisziplinäre Charakter dieser Technologie erfordert auch eine stärkere Zusammenarbeit der Prüferinnen und Prüfer. Die Prüfungs- und Einspruchsabteilungen bestehen immer aus drei qualifizierten Mitgliedern, was eine ganzheitliche Betrachtung jeder einzelnen Anmeldung ermöglicht.

    AM und Product-by-Process-Ansprüche

    Ein wiederkehrendes Thema bei AM-Patentanmeldungen ist die Patentierbarkeit von Product-by-Process-Ansprüchen. Die Prüfungspraxis ist in den EPÜ-Richtlinien F‑IV, 4.12 eingehend beschrieben. Ein durch ein additives Verfahren gewonnenes Erzeugnis kann nur patentiert werden, wenn

    • das Erzeugnis als solches neu und erfinderisch ist und
    • es unmöglich ist, das beanspruchte Erzeugnis anders als anhand seines Herstellungsverfahrens zu definieren.

    Ein Erzeugnis ist nicht allein deshalb neu und erfinderisch, weil es durch ein neues Verfahren hergestellt ist. Daher muss unbedingt geprüft werden, ob sich dieses Erzeugnis von bekannten, durch andere Technologien gewonnenen Erzeugnissen unterscheidet. Ist dies der Fall, muss noch festgestellt werden, ob das neue Produkt auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

    Auf computerimplementierte Erfindungen (CII) gerichtete Ansprüche

    Da die Grundlage additiver Fertigungsverfahren immer eine digitale Datei ist, geht es bei Innovationen in diesem Bereich oft um computerimplementierte Erfindungen. Wie das EPA hier konkret vorgeht, ist in entsprechenden Abschnitten der EPÜ-Richtlinien beschrieben (siehe z. B. F-IV, 3.9 zur Formulierung von Ansprüchen, die auf Computerprogramme gerichtet sind; allgemeinere Informationen hierzu enthält der Index für computerimplementierte Erfindungen). Betreffen die Ansprüche die Umsetzung bestimmter additiver Herstellungsverfahren, so müssen in der Regel bestimmte technische Vorrichtungen als wesentliche Merkmale in der Definition der Erfindung enthalten sein (siehe insbesondere F-IV, 3.9.2). So sind auch die in Artikel 84 EPÜ verankerten Anforderungen an die Klarheit erfüllt.

    AM und Normen

    Additive Verfahren sorgen für einen Paradigmenwechsel in der Fertigung und verändern die Grenzen zwischen Herstellern und Endverbrauchern. Ein Produkt kann nun jederzeit überall hergestellt werden. So könnte ein Knochenimplantat, das ursprünglich von einem US-Unternehmen entwickelt wurde, Jahre später während eines medizinischen Eingriffs in Deutschland, Taiwan oder Südafrika von einem Operationsteam mit AM-Geräten und anderen als den ursprünglich vorgesehenen Materialien produziert werden.

    Verlässliche internationale Industrienormen sind erforderlich, um die nahtlose plattformübergreifende Kommunikation von Datenformaten, Designprogrammen und Geräten sowie die Qualitätssicherung von Werkstoffen und Endprodukten zu gewährleisten.

    Stand 2020 wurden acht (aktive oder in Entwicklung befindliche) ISO/ASTM-Normen als Europäische Normen (EN) übernommen:

    • ISO/ASTM 52900:2015 Additive Fertigung - Grundlagen - Terminologie
    • ISO/ASTM 52901:2017 Additive Fertigung - Grundlagen - Anforderungen an erworbene additiv gefertigte Bauteile
    • ISO/ASTM 52902:2019 Additive Fertigung - Testkörper - Allgemeine Leitlinie für die Bewertung der geometrischen Leistung additiver Fertigungssysteme
    • ISO/ASTM 52910:2018 Additive Fertigung - Konstruktion - Anforderungen, Richtlinien und Empfehlungen
    • ISO/ASTM 52915:2016 Spezifikation für ein Dateiformat für Additive Fertigung (AMF) Version 1.2
    • ISO/ASTM 52921:2013 Normbegrifflichkeiten für die Additive Fertigung - Koordinatensysteme und Prüfmethodologien
    • ISO/ASTM 52904:2019 Additive Fertigung - Prozessanforderungen und Qualifizierung - Verwendung des pulverbettbasierten Schmelzens von Metallen bei kritischen Anwendungen
    • ISO/ASTM 52911-1:2019 Additive Fertigung - Konstruktion - Teil1: Laserbasierte Pulverbettfusion von Metallen