22. November 2021
Lösung zur vorigen Aufgabe
US1042940
Moustache guard, J.H. McConnell,
patentiert am 29. Oktober 1912 (gefunden mit Espacenet)
Abb. 1: EP0734967
Zum Weltphilosophietag am 18. November möchten wir Sie einladen, sich einmal nachdenklich über den - vorhandenen oder imaginären - Bart zu streichen und tiefgründige Überlegungen zur Beziehung zwischen Philosophie und Patenten anzustellen.
"Das Schiff, mit dem Theseus und die Jugend Athens von Kreta zurückkehrten, hatte dreißig Ruder und wurde von den Athenern bis zur Zeit des Demetrius Phalereus aufbewahrt. Von Zeit zu Zeit entfernten sie alte, verrottende Planken und tauschten sie gegen neue, intakte aus. So wurde das Schiff für Philosophen zu einer laufenden Veranschaulichung der Streitfrage der Weiterentwicklung: Eine Seite behauptete, das Schiff sei nach wie vor dasselbe geblieben, die andere hingegen, es sei nicht mehr dasselbe."
Wenn Sie als Philosoph im späten ersten Jahrhundert gelebt hätten, hätten Sie vielleicht zu den Glücklichen gehört, die über dieses Paradox nachdenken konnten. Das Gedankenexperiment beruht angeblich auf der Geschichte des griechischen Helden Theseus, dessen Schiff nach der Schlacht in einem Museum aufbewahrt wurde. Natürlich hinterließ die Zeit ihre Spuren: Nach und nach verrotteten die hölzernen Schiffsplanken und mussten letztendlich alle ausgetauscht werden. Und damit schlug die Stunde der Philosophen. War das Schiff nach dem Austausch der Planken nach wie vor dasselbe oder war es ein anderes geworden?
An dieser Stelle denken Sie jetzt vielleicht: "Nette Geschichte, aber was hat das mit Patentwissen zu tun?"
Nun ja ... Im Jahr 2008 verklagte Schütz, ein deutscher Hersteller von Gittertanks (IBCs) (siehe oben) und Lizenznehmer des Patents Nummer EP0734967, den britischen Hersteller Werit wegen Patentverletzungen. Weil die Plastikbehälter in IBCs eine kürzere Lebensdauer als die Metallgitter haben, hatte Delta, ein drittes Unternehmen, die von Schütz hergestellten IBCs genommen, die originalen Plastikbehälter durch Behälter von Werit ersetzt und diese hybriden IBCs am Markt verkauft.
Werit verteidigte sich mit dem Argument, dass ein Austausch der Plastikbehälter nicht einer "Herstellung" der patentierten IBCs gleichkomme - genau wie manche Philosophen vor Jahrhunderten argumentierten, dass Theseus‘ Schiff nach dem Austausch der Holzplanken nicht mehr dasselbe sei. Wenn ein Austausch der Behälter nicht als "Herstellung" des patentierten Gegenstands anzusehen ist, ist es natürlich unmöglich, Schadensersatz von Werit zu verlangen.
Ganz wie weiland die Philosophen nahmen auch die Gerichte in diesem Fall unterschiedliche Positionen ein. Der britische High Court stellte keine Patentverletzung fest, da die erfinderische Tätigkeit seiner Auffassung nach im Metallgestell und nicht im Plastikbehälter zu sehen sei. Der britische Court of Appeal argumentierte dagegen, ein Austausch eines Bestandteils eines patentierten Gegenstandes impliziere eine "Herstellung", und der deutsche Bundesgerichtshof entschied, es komme vor allem darauf an, ob ein Austausch der Plastikbehälter am Markt als "Herstellung" des IBC angesehen werde. Letztendlich entschied der britische Supreme Court, dass ein Austausch der Behälter nicht der "Herstellung" des patentierten Gegenstands gleichkomme.
So sieht es also aus, wenn ein antikes Paradox auf einen modernen Patentstreit angewendet wird. Ist das nicht ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Patentwissen durchaus auch eine philosophische Seite hat?
Mehr erfahren: