Das EPA ist bestrebt, beim Patenterteilungsprozess die höchstmögliche Qualität zu erreichen. Bei der Recherche im Stand der Technik - einer zentralen Komponente für die Wahrung des Qualitätsniveaus - wird versucht, Dokumente aus sämtlichen relevanten Quellen zu ermitteln, die für die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit sachdienlich sind. Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK), einem der wachstumsstärksten Bereiche bei den Patentanmeldungen im EPA, hat sich die normenbezogene Dokumentation als wesentlich erwiesen. Tatsächlich enthalten rund 70 % der Recherchenberichte in einigen normenintensiven Bereichen eine oder mehrere normenbezogene Anführungen.
Normen - eine Reihe von Anforderungen für bestimmte
Gegenstände, Materialien, Bauteile, Systeme oder Dienste sowie für bestimmte
Verfahren oder Methoden - werden entwickelt, um die Kompatibilität und die
Interoperabilität von Bauteilen, Produkten und Dienstleistungen zu
gewährleisten. Sie sind ein zentraler Bestandteil der modernen
"Wissensgesellschaft" und fördern die Verbreitung neuer Technologien.
Vor allem im Bereich IuK, wo die Entwicklungen rasant
voranschreiten, enthalten Normen häufig neue und patentierte Technologien und
führen zu Wechselwirkungen zwischen den beiden Systemen.
Für die Entwicklung von Normen sind in der Regel die Normungsorganisationen zuständig (SDO = Standards Development Organisations). Eine Gruppe interessierter Stakeholder, die den Bedarf für eine neue Norm identifiziert hat, legt gemeinsam Umfang und Anforderungen fest und schlägt dann technologische Lösungen für die identifizierten Probleme vor. Diese technischen Offenbarungen werden in der Regel vor der Festlegung der endgültigen Norm veröffentlicht und sind somit für den Patenterteilungsprozess äußerst relevant.
Das EPA hat einen einzigartigen Ansatz entwickelt, um die Patentqualität in diesem wachstumsstarken Bereich auf einem hohen Niveau zu halten. Gemäß der Strategie, mit den wichtigsten Normungsorganisationen zusammenzuarbeiten, hat das EPA normenbezogene Dokumentation aus vielen verschiedenen Gremien zusammengestellt, wie z. B.:
Durch die Integration der Normendokumentation in seine internen Datenbanken nutzt das EPA diese als festen Bestandteil des Patenterteilungsprozesses, und die Patentprüfer in diesen Bereichen werden systematisch darin geschult, in der resultierenden Normendokumentation zu recherchieren.
Die EPA-internen Datenbanken enthalten inzwischen rund 4,4 Millionen normenbezogene Dokumente. 2021 enthielten fast 10 000 EPA-Recherchenberichte eine oder mehrere normenbezogene Anführungen, das sind rund 50 % mehr als 2018. Dieser Stand der Technik spielt eine entscheidende Rolle in spezifischen Bereichen wie Telekommunikation, Audio- und Videomedien sowie Computerwesen. Bei der Audio-Video-Codierung, einem Schlüsseltechnologiebereich, enthalten fast 70 % der Recherchenberichte eine oder mehrere normenbezogene Anführungen.
Die bibliografischen Daten dieser Anführungen sind immer über die Dokumentenansicht "Angeführte Dokumente" der Patentinformationsdienste des EPA verfügbar, so etwa in Espacenet oder im Europäischen Patentregister. Das folgende Beispiel zeigt die Anführung eines ETSI-Dokuments:
Wie die meisten Anführungen aus der
Nichtpatentliteratur können ETSI-Anführungen aufgrund von Urheberrechts- und
anderen Beschränkungen von der Öffentlichkeit nicht direkt über die
Patentinformationsdienste des EPA abgerufen werden. Bei einigen
Normungsorganisationen jedoch, wie etwa 3GPP, W3C und IETF, sind sie ohne
Weiteres online abrufbar, z. B. durch Kopieren der angegebenen URL. Wo
dies für Nichtpatentliteratur möglich ist, fügt das EPA einen Digital Object
Identifier (DOI) hinzu, mit dem Patentnutzer auf diese Dokumente zugreifen
können, wie etwa im folgenden Beispiel
dargestellt:
Die Zahl der Normendokumente und der EPA-Anführungen steigt kontinuierlich; Grund sind die zunehmende Digitalisierung und die Vierte Industrielle Revolution, die von Internet, WLAN, mobilen Telekommunikationsnetzen und anderen Netzwerken für Interkonnektivität abhängen. Ähnlich wachsen auch die technischen Bereiche, die sich auf Normen stützen, weil immer mehr technologische Entwicklungen (wie in der Automobilindustrie) auf "computerimplementierten Erfindungen" beruhen.