T 1764/21 10-04-2024
Download und weitere Informationen:
SCHWEFELVERNETZBARE KAUTSCHUKMISCHUNG
Compagnie Générale des Etablissements Michelin
HGF B.V.
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag und Hilfsantrag A (nein)
Spät eingereichter Antrag - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung
Spät eingereichter Antrag - Hilfsantrag (ja)
I. Die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent No. 2 357 211 zu widerrufen.
II. Folgende Dokumente wurden in der streitgegenständlichen Entscheidung unter anderem herangezogen:
D3: WO 2004/022644 A1
D10: JP 2009-263587 A
D11: maschinelle Übersetzung von D10
D26: WO 2009/007167 A1
III. Die angefochtene Entscheidung betraf einen Hauptantrag und sieben Hilfsanträge, wobei der 7. Hilfsantrag während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde. Anspruch 1 des 7. Hilfsantrags, der für die vorliegende Entscheidung relevant ist, lautete wie folgt:
"1. Schwefelvernetzbare Kautschukmischung, enthaltend
- zwei funktionalisierte Dienkautschuke in Form von lösungspolymerisierte Styrol-Butadien-Cpolymeren (S-SBR), die mit zumindest einer Gruppe ausgewählt aus Hydroxyl-, Carboxyl-, Amino-, Phthalocyanin-, Epoxy-, Silyl-, Silanol-, Siloxan- und/oder Aminosiloxangruppen funktionalisiert sind, deren Funktionalisierung entlang der Polymerkette und/oder am Ende vorliegt und eine Anbindung an Füllstoffe ermöglicht, wobei einer der funktionalisierten Dienkautschuke eine Glasumwandlungstemperatur Tg von -50 bis -15°C und der andere funktionalisierte Dienkautschuk eine Glasumwandlungstemperatur Tg von -110 bis -50°C aufweist,
- zumindest ein aliphatisches und/oder aromatisches Kohlenwasserstoffharz mit einem Erweichungspunkt (Ring und Kugel gemäß ASTM E 28) von 50 bis 150°C und einem mittleren Molekulargewicht Mn von 200 bis 2000 g/mol sowie einer Polydispersität D = Mw/Mn von 1 bis 5 und
- zumindest einen polaren Füllstoff".
IV. In der streitgegenständlichen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zum Schluss, dass die erteilten Ansprüche (Hauptantrag) und die Hilfsanträge 1 bis 6 die Erfordernisse des EPÜ nicht erfüllten. Der 7. Hilfsantrag wurde ins Verfahren zugelassen. Anspruch 1 des 7. Hilfsantrags finde eine Stütze in der Anmeldung wie ursprünglich offenbart. Anspruch 1 erfülle die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, dessen Gegenstand sei ausreichend offenbart und sei neu gegenüber D10. Anspruch 1 des 7. Hilfsantrags sei allerdings nicht erfinderisch gegenüber D26.
V. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein und reichte einen Hauptantrag und einen Hilfsantrag mit der Beschwerdebegründung ein.
VI. Mit einem Bescheid vom 22. Februar 2024 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit.
VII. Ein weiterer Hilfsantrag (Hilfsantrag A) wurde von der Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 7. März 2024 eingereicht.
VIII. Eine mündliche Verhandlung fand am 10. April 2024 statt.
IX. Anträge
a) Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder hilfsweise auf der Grundlage des Hilfsantrags, beide mit der Beschwerdebegründung eingereicht, oder auf der Grundlage des Hilfsantrags A, der mit der Eingabe vom 7. März 2024 eingereicht wurde.
b) Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 (Einsprechende 1 und 2) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
X. Der Hauptantrag entsprach dem 7. Hilfsantrag der während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde.
Anspruch 1 des Hilfsantrag entsprach dem Anspruch 1 des Hauptantrags mit der weiteren Eingabe "wobei Öle auf Basis nachwachsender Rohstoffe als Zusatzstoffe der Kautschukmischung ausgeschlossen sind".
Anspruch 1 des Hilfsantrags A entsprach dem Anspruch 1 des Hilfsantrags mit der weiteren Einschränkung der Öle auf Basis nachwachsender Rohstoffe als "Weichmacher-Zusatzstoffe" (anstatt von "als Zusatzstoffe").
XI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin sind den untenstehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin trug im Wesentlichen Folgendes vor:
- Anspruch 1 des Hauptantrags war erfinderisch ausgehend vom Beispiel E der D26 in Kombination mit D10.
- Der Hilfsantrag sei in Reaktion auf das Vorbringen der Einsprechenden in Bezug auf den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D26 unter Berücksichtigung der Lehre der D3 zu sehen sei, das erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sei. Der Hilfsantrag sei ins Verfahren zuzulassen.
- Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheide sich zusätzlich vom Beispiel E der D26 durch den Ausschluss von Ölen auf Basis nachwachsender Rohstoffe, da das Beispiel E der D26 Rapsöl enthalte. Anspruch 1 des Hilfsantrags sei auch erfinderisch ausgehend vom Beispiel E der D26 in Kombination mit D10. Die gleiche Argumentation über die erfinderische Tätigkeit gelte für den Hilfsantrag A, denn die in Anspruch 1 des Hilfsantrags A durchgeführte Änderung sei nur eine Klarstellung des beanspruchten Gegenstands.
XII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 sind den untenstehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen. Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 trugen im Wesentlichen Folgendes vor:
- Anspruch 1 des Hauptantrags mangele es an erfinderischer Tätigkeit ausgehend vom Beispiel E der D26 in Kombination mit D10.
- Der Hilfsantrag sei verspätet ins Verfahren eingereicht worden und sei somit nicht ins Verfahren zuzulassen.
- Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheide sich zusätzlich vom Beispiel E der D26 durch den Ausschluss von Ölen auf Basis nachwachsender Rohstoffe. Anspruch 1 des Hilfsantrags war auch nicht erfinderisch ausgehend vom Beispiel E der D26 in Kombination mit D10. Die gleiche Argumentation galt auch für den Hilfsantrag A.
Hauptantrag (entspricht dem 7. Hilfsantrag der angefochtenen Entscheidung)
1. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D26
1.1 D26 wurde als nächstliegender Stand der Technik im Einspruchsverfahren in Betracht gezogen (Entscheidung, Seite 15, erster Absatz). Die Einspruchsabteilung kam in ihrer Entscheidung zum Schluss, dass der vorliegende Anspruch 1 gegenüber D26 nicht erfinderisch sei.
1.2 Beispiel E in der Tabelle 1 auf Seite 9 von D26 wurde in der angefochtenen Entscheidung als relevanter Ausgangspunkt gewählt. Die Kautschukmischung des Beispiels E enthält zwei mit OH funktionalisierte Dienkautschuke (S-SBR**(c) und S-SBR**(d)), die Glasübergangstemperaturen von -24°C und -65°C haben, und Silika (Fällungskieselsäure, VN3). Es wurde im Beschwerdeverfahren nicht bestritten, dass die Dienkautschuke und der Füllstoff Silika im Beispiel E Komponenten gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 sind (d.h. Dienkautschuke, die eine Funktionalisierung entlang der Polymerkette und/oder am Ende haben, die auch eine Anbindung an Füllstoffe ermöglichen und dass Silika als polarer Füllstoff anzusehen ist). Darüber hinaus enthält die Kautschukmischung des Beispiels E zwei Weichmacherkomponenten, TDAE (treated distillate aromatic extract) und Rapsöl (Pflanzenöl).
1.3 Ausgehend vom Beispiel E der D26 wurde in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass sich die schwefelvernetzbaren Kautschukmischungen des vorliegenden Anspruchs 1 durch die Anwesenheit mindestens eines aliphatischen und/oder aromatischen Kohlenwasserstoffharzes mit einem Erweichungspunkt (Ring und Kugel) von 50 bis 150°C, einem Molekulargewicht Mn von 200 bis 2000 und einer Polydispersität Mw/Mn von 1 bis 5 auszeichnen würden (Entscheidung, Seite 15, dritter Absatz). Diese Feststellung wurde von den Parteien im Beschwerdeverfahren auch nicht bestritten (Beschwerdebegründung, Seite 3, Punkt 3.1; Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden 2, Seite 24, Punkt 3.4.1; Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden 1, Seite 5). Die Kammer sieht keinen Grund von dieser Auffassung abzuweichen.
1.4 Die Beschwerdeführerin sah die Aufgabe in der Bereitstellung einer Kautschukzusammensetzung mit einer in Bezug auf das Eigenschaftstrio "Abriebverhalten, Rollwiderstand und Nasshaftung" verbesserten Performance (Beschwerdebegründung, Seite 4, zweiter Absatz). Diese Aufgabenformulierung sei dem Beispiel 3(E) und dem Beispiel 2(V) sowie dem Absatz 2 und dem Absatz 9 des Streitpatents zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin machte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geltend, dass sich die von Ihr formulierte Aufgabe zusätzlich auf den Vergleich der Beispiele 1(V) und 3(E) des Streitpatents stütze. Die Beschwerdegegnerin 2 sah die Aufgabe als die Bereitstellung einer alternativen Kautschukzusammensetzung (Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin 2, Punkt 3.4.1).
1.5 Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist bei der objektiven Ermittlung der erfindungsgemäß gelösten Aufgabe zunächst von der im Streitpatent formulierten Aufgabe auszugehen. Erst wenn die Prüfung ergibt, dass die dort gestellte Aufgabe nicht gelöst ist, oder wenn ein unzutreffender Stand der Technik zur Definition der Aufgabe herangezogen wurde, muss untersucht werden, welche andere Aufgabe objektiv bestand (Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 10. Auflage 2022, I.D.4.2.2). In diesem Sinne, definiert Absatz 9 des Streitpatents die Aufgabe der Erfindung als die Herstellung von Kautschukmischungen, die bei Verwendung als Reifenlaufstreifen ein verbessertes Abriebverhalten ohne wesentliche Verschlechterung des Rollwiderstandes und der Nasshaftung bewirken würden. Diese Formulierung bezieht sich auf drei Eigenschaften der Kautschukmischungen (Abrieb, Rollwiderstand und Nasshaftung), die gemäß Absatz 2 des Streitpatents in Wechselwirkung stehen sollen.
1.6 Die Beschwerdegegnerinnen führten hingegen aus, dass die Beispiele des Streitpatents keinen Effekt, der aus der Verwendung des aliphatischen und/oder aromatischen Kohlenwasserstoffharzes resultiere, zeigen würden (Beschwerdebegründung der Einsprechenden 2, Punkt 3.4.1 und Beschwerdebegründung der Einsprechenden 1, Seite 5).
1.7 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern können angebliche Vorteile, auf die sich der Patentinhaber/Anmelder gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beruft, die aber nicht hinreichend belegt sind, bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 10. Auflage 2022, I.D.4.3.1).
1.8 Die Beispiele des Streitpatents zeigen Kautschukmischungen, die in der Tabelle 1 zusammengefasst sind. Die Beschwerdeführerin machte im schriftlichen Verfahren geltend, dass die Beispiele 2(V) und 3(E) besonders relevant seien (Beschwerdebegründung, Punkt 3.1).
1.8.1 Die Kautschukmischung gemäß Beispiel 3(E) des Streitpatents enthält zwei mit Hydroxylgruppen lösungspolymerisierte Styrol-Butadien-Copolymere (S-SBR) mit Glasübergangstemperaturen von -25°C, beziehungsweise -65°C. Die Kautschukmischung enthält weiterhin Zeosil® 1165 MP als Kieselsäure. Es wurde nicht bestritten, dass Zeosil® 1165 MP ein polarer Füllstoff ist. Darüber hinaus enthält die Kautschukmischung 20 phr Escorez 1102, ein aliphatisches C5-Harz mit einem Erweichungspunkt von ca. 100°C, Mn=1200 g/mol, D=2,9 (Seite 6, Zeilen 16 und 17). Es war auch zwischen den Parteien unstrittig, dass dieses Produkt dem vorliegenden Anspruch 1 gemäß ist, d.h. ein aliphatisches Kohlenwasserstoffharz mit einem Erweichungspunkt (Ring und Kugel gemäß ASTM E 28) von 50 bis 150°C und einem mittleren Molekulargewicht Mn von 200 bis 2000 g/mol sowie einer Polydispersität D=Mw/Mn von 1 bis 5. Die Kautschukmischung enthält auch 8 phr eines Weichmacheröls. Es war auch unstrittig, dass die Kautschukmischung des Beispiels 3(E) eine Kautschukmischung gemäß vorliegendem Anspruch 1 ist.
1.9 Die Kautschukmischung gemäß Beispiel 2(V) des Streitpatents entspricht der Kautschukmischung des Beispiels 3(E) mit den Unterschieden, dass die Kautschukmischung 28 phr Weichmacheröl und kein C5-Harz (Kohlenwasserstoffharz) enthält. Es ist auch ersichtlich, dass die Gesamtmenge an Weichmacheröl und C5-Harz im Beispiel 3(E) jener des Weichmacheröls im Beispiel 2(V) entspricht.
1.10 Der Vergleich der Beispiele 2(V) und 3(E) des Streitpatents stellt einen gültigen Vergleich dar, um einen Effekt des Unterscheidungsmerkmals, die Verwendung des C5-Harzes, zu zeigen. Die Beschwerdegegnerin 2 machte allerdings in ihrer Beschwerdebegründung geltend, dass die Beispiele des Streitpatents mangelhaft seien, und dass es nicht plausible sei, dass die in der Tabelle 1 des Streitpatents gezeigten Effekten über die gesamte Anspruchsbreite gälten (Beschwerdebegründung der Beschwerdegegnerin 2, Punkt 3.4.1). Darüber hinaus machte die Beschwerdegegnerin 2 geltend, dass das Beispiel 2(V) mehr Weichmacheröl (28 phr) als das Beispiel 3(E) (8 phr) enthalte. Somit sei das Beispiel 2(V) kein echter Vergleich, da eine Änderung der Menge des Weichmacheröls auch spezifische Auswirkungen auf die Eigenschaften haben könnte.
1.11 Nach ständiger Rechtsprechung der Kammern kann ein Patentinhaber seiner Beweispflicht zum Nachweis eines Effekts gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik dadurch nachkommen, dass er freiwillig Vergleichsversuche mit nachgestellten Varianten des nächstliegenden Stands der Technik durchführt, bei denen die mit der Erfindung gemeinsamen Merkmale soweit identisch gemacht sind, dass eine der Erfindung näher kommende Variante vorliegt, sodass die auf das Unterscheidungsmerkmal zurückzuführende vorteilhafte Wirkung deutlicher nachgewiesen werden kann (Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 10. Auflage 2022, I.D.4.3.2). Der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik muss so angelegt sein, dass die angeblichen Vorteile oder günstigen Wirkungen überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückgeführt werden. Hierfür kann es auch erforderlich sein, die Vergleichselemente so abzuwandeln, dass sie nur in diesem Unterscheidungsmerkmal von der Erfindung abweichen.
1.12 Nach Meinung der Kammer sind diese Bedingungen vom Beispiel 2(V) des Streitpatents erfüllt, da in diesem Vergleichsbeispiel die Ausführungsform aus dem nächstliegenden Stand der Technik (Beispiel E der D26) so an die Erfindung angenährt wurde, dass sie sich nur durch das den Gegenstand des Anspruchs abgrenzende Merkmal unterscheidet (die Anwesenheit vom Kohlenwasserstoffharz (C5-Harz). Die Kammer ist somit überzeugt, dass die auf das Unterscheidungsmerkmal zurückzuführende vorteilhafte Wirkung durch den Vergleich der Beispiele 2(V) und 3(E) des Streitpatents nachgewiesen werden kann.
1.13 In Bezug auf die Verwendung von spezifischen Bedingungen und Komponenten in den Beispielen des Streitpatents merkt die Kammer an, dass wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein muss, dass die angeblichen Vorteile oder günstigen Wirkungen überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückgeführt werden. Die Beschwerdegegnerin 2 hat Ihre Argumentation auf die Verwendung von spezifischen Komponenten und Bedingungen in den Beispielen gestützt. Sie hat allerdings nicht gezeigt, inwiefern die in den Beispielen des Streitpatents ausgewählten Parameter der Kautschukmischungen für die gezeigten Effekten relevant sein könnten. Die Kammer sieht somit keinen Grund zu zweifeln, dass die Beispiele 2(V) und 3(E) einen Effekt zeigen, der sich trotzdem auf alle Kautschukmischungen gemäß vorliegendem Anspruch 1 verallgemeinern lassen kann, auch wenn in diesen Beispielen spezifische Komponenten in spezifischen Mengen verwendet wurden.
1.14 Die Kautschukmischungen der Beispiele 2(V) und 3(E) des Streitpatents wurden so angelegt, dass im Beispiel 2(V) 28 phr Weichmacheröl während im Beispiel 3(E) nur 8 phr des Weichmacheröls verwendet wurde. Die Beschwerdegegnerin 2 brachte vor, dass die Reduzierung der Menge an Weichmacheröl von 28 phr im Beispiel 2(V) auf 8 phr im Beispiel 3(E) einen Einfluss auf die Eigenschaften der Kautschukmischungen haben könnte, sodass der auf das Unterscheidungsmerkmal zurückzuführende Effekt durch die Beispiele nicht belegt sei. Die Kautschukmischung des Beispiels 3(E) enthält allerdings noch 20 phr eines C5-Harzes (Escorez 1102), das nicht im Beispiel 2(V) enthalten ist. Das Streitpatent selbst deutet darauf hin, dass solche Harze in diesen Mischungen als Weichmacher verwendet werden (vgl. Absatz 11). Dies wurde auch von den Parteien in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht bestritten. In diesem Zusammenhang ist es ersichtlich, dass die Kautschukmischungen der Beispiele 2(V) und 3(E) des Streitpatents so gewählt wurden, dass die Gesamtmenge an weichmachenden Komponenten (Weichmacheröl und C5-Harz) insgesamt gleich bleibt (28 phr). Der Vergleich der Kautschukmischungen der Beispiele 2(V) und 3(E) ist somit unter diesem Gesichtpunkt nicht zu beanstanden.
1.15 Der Vergleich der Beispiele 2(V) und 3(E) des Streitpatents zeigt, dass, wenn 20 phr des Weichmacheröls durch 20 phr C5-Harz ersetzt werden, die Rückprallelastizität eines Reifens bei Raumtemperatur niedriger wird (von 30,3% auf 22,6%). Dies wird im Streitpatent (Absatz 39) als Zeichen einer verbesserten Nasshaftung angesehen.
1.16 Gleichzeitig ist die Rückprallelastizität bei 70°C im Beispiel 3(E) kleiner als im Beispiel 2(V) (45,5% gegen 47,5%). Es wurde dabei von der Beschwerdeführerin geklärt, dass der Bezug auf die Rückprallelastizität "bei RT" in der Zeile 57 der Seite 5 des Streitpatents eigentlich als Rückprallelastizität bei 70°C zu sehen war (Schriftsatz vom 7. März 2024: Seite 2). Es wurde auch nicht bestritten, dass die Rückprallelastizität eines Reifens bei 70°C den Rollwiderstand des Reifens darstellt. Die Beschwerdeführerin machte in Bezug auf die Werte der Rückprallelastizität bei 70°C der Beispiele 2(V) und 3(E) glaubhaft geltend, dass die in der Tabelle 1 gezeigte Verminderung um 2% eigentlich keine wesentliche Verschlechterung darstelle.
1.17 Die Beschwerdeführerin bezog sich auch auf die Werte des Abriebs, die in der Tabelle 1 gezeigt sind. Der Abrieb des Reifens ist für das Beispiel 2(V) und das Beispiel 3(E) allerdings identisch (70 mm**(3)). Daraus schließt die Kammer, dass die Verwendung eines C5-Harzes in der Kautschukmischung des Beispiels 3(E) keinen Einfluss auf den Abrieb des hergestellten Reifens hat.
1.18 Die Beispiele 2(V) und 3(E) des Streitpatents zeigen somit, dass wenn, bei gleichbleibender Menge der Weichmacherkomponenten in einer Kautschukmischung, Weichmacheröl durch ein Kohlenwasserstoffharz gemäß vorliegendem Anspruch 1 ersetzt wird, die Nasshaftung eines mit der Kautschukmischung hergestellten Reifens verbessert wird, ohne wesentliche Verschlechterung seines Rollwiderstandes und unter Beibehaltung seiner Beständigkeit gegen Abrieb.
1.19 Die Beschwerdeführerin machte in ihrem Schriftsatz vom 7. März 2024 (Seiten 3 und 4) und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zusätzlich geltend, dass der Vergleich der Beispiele 1(V) und 3(E) des Streitpatents auch einen Effekt gegenüber D26 (Beispiel E) zeigen würde. Es wurde in diesem Zusammenhang argumentiert, dass die Kautschukmischung des Beispiels 1(V) eigentlich näher am nächstliegenden Stand der Technik sei, weil die relativen Mengen der verwendeten S-SBR Komponente (65 phr eines S-SBR 1 mit Glasübergangstemperatur von -25°C und 20 phr eines S-SBR 2 mit Glasübergangstemperatur von -65°C) eher den Mengen der vergleichbaren Komponenten im Beispiel E der D26 entsprechen würden (35 phr eines S-SBR mit einer Glasübergangstemperatur von -24°C und 15 phr eines S-SBR mit einer Glasübergangstemperatur von -65°C). Die Kautschukmischungen der Beispiele 1(V) und 3(E) in Tabelle 1 des Streitpatents wurden allerdings so gewählt, dass sie sich nicht nur in der Verwendung des C5-Harzes (Unterscheidungsmerkmal), sondern auch durch die Mengen an S-SBR Komponenten unterscheiden (Beispiel 1(V): 65 phr S-SBR 1 und 20 phr S-SBR 2; Beispiel 3(E): 30 phr S-SBR 1 und 55 phr S-SBR 2). Wie im obigen Punkt 1.11 der vorliegender Entscheidung ausgeführt, muss der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein, dass die angeblichen Vorteile oder günstigen Wirkungen überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückgeführt werden. Aufgrund der Unterschiede in den Kautschukmischungen der Beispiele 1(V) und 3(E) des Streitpatents ist es allerdings nicht möglich zu schließen, dass etwaige in der Tabelle 1 gezeigten Effekte kausal auf die Verwendung des C5-Harzes und nicht auf die relative Menge an S-SBR Harzen zurückzuführen seien. Somit ist der Vergleich der Kautschukmischungen der Beispiele 1(V) und 3(E) des Streitpatents für die Formulierung der Aufgabe unerheblich.
1.20 In Anbetracht der Effekte, die in der Tabelle 1 des Streitpatents für die Beispiele 2(V) und 3(E) gezeigt wurden, besteht die gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik gelöste technische Aufgabe in der Bereitstellung einer schwefelvernetzbaren Kautschukmischung zur Herstellung von Reifen, die eine verbesserte Nasshaftung ohne wesentliche Verschlechterung des Rollwiderstandes und unter Beibehaltung ihrer Beständigkeit gegen Abrieb aufweist.
1.21 Es bleibt dann zu klären, ob die Lösung dieser Aufgabe, die Verwendung eines Kohlenwasserstoffharzes gemäß vorliegendem Anspruch 1, auf einer erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D26 beruht.
1.22 Die Verwendung von Weichmachern in Kautschukmischungen ist auf Seite 6 der D26 selbst beschrieben. D26 offenbart darin, dass Kautschukmischungen 5-60 phr zumindest eines Weichmacheröls (wie z.B. TDAE) und zusätzlich noch 0-20 phr zumindest eines weiteren Weichmachers (wie z.B. Harz oder Pflanzenöl wie Rapsöl), enthalten können. Diese Passage von D26 lehrt somit, dass die Verwendung von Harzen und Pflanzenölen (wie Rapsöl) als Weichmacher bekannt war.
1.23 Die Kautschukmischung gemäß Beispiel E der D26 enthält spezifisch 40 phr TDAE und 5 phr Rapsöl als Weichmacher (Tabelle 1). Die Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von diesem Beispiel war somit, ob eine Fachperson ein Harz gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 als Weichmacher in der Kautschukmischung des Beispiels E der D26 verwendet hätte, um die gestellte Aufgabe zu lösen.
1.24 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass D10 (übersetzt ins Englische in D11, weiterhin als D10 benannt) in diesem Zusammenhang relevant sei (angefochtene Entscheidung, Seite 16).
1.25 D10 betrifft die Herstellung von Kautschukmischungen für Reifen (Seite 1, erster Absatz). Der letzte Absatz der Seite 1 beschreibt eine Kautschukmischung aus einer Kautschukkomponente, einem thermoplastischen Harz und einem Füllstoff. D10 beschreibt auch Kautschukmischungen in Bezug auf deren Eigenschaften wie Abrieb und Nasshaftung (Seite 1, Absatz "Problem to be solved by the invention"). Die Textstelle des letzten Absatzes auf Seite 11 bis zum dritten Absatz der Seite 12 beschreibt die Verwendung eines thermoplastischen Harzes mit einem Erweichungspunkt von 50 bis 150°C als weichmachende Komponente in Kautschukmischungen. Die Verwendung des kommerziellen Produkts Escorez 1102 ist in dieser Textstelle erwähnt. Escorez 1102 wurde auch in den Beispielen des Streitpatents verwendet (Seite 6, Zeile 16) und es wird dort offenbart, dass das Harz einen Erweichungspunkt von ca. 100°C, ein Molekulargewicht von 1200 g/mol und eine Polydispersität von 2,9 hat. Das Produkt Escorez 1102 ist somit ein Kohlenwasserstoffharz gemäß vorliegendem Anspruch 1.
1.26 Im letzten Absatz auf Seite 11 der D10 wird auch gelehrt, dass das thermoplastische Harz zur Verbesserung der Nasshaftung von vulkanisierten Kautschukmischungen führt. Somit findet die Kammer, dass die Verwendung von Escorez 1102 als Weichmacher in der Kautschukmischung des Beispiels E der D26, um die Nasshaftung von Reifen aus diesen Kautschukmischungen zu verbessern, naheliegend ist. Es ist der Fachperson aus der Lehre der D26 auch schon bekannt, dass Harze und Pflanzenöl, wie Rapsöl, alternative zusätzliche Weichmacher für Kautschukmischungen sind(Seite 6, Zeilen 17-22). Es war somit naheliegend, zumindest einen Teil des in der Kautschukmischung des Beispiels E verwendeten Rapsöls durch das Kohlenwasserstoffharz Escorez 1102 zu ersetzen, um einen Teil der gestellten Aufgabe zu lösen, nämlich die Verbesserung der Nasshaftung von Reifen.
1.27 Wenn also ein Kohlenwasserstoffharz (Escorez 1102) in offensichtlicher Weise als Weichmacher in der Kautschukmischung des Beispiels E der D26 verwendet wird, ist der Teil der Aufgabe, der sich auf den Rollwiderstand und den Abrieb bezieht, ebenfalls zwangsläufig mitgelöst. Somit ist die Beibehaltung der Beständigkeit gegen Abrieb ohne wesentliche Verschlechterung des Rollwiderstandes der mit den Kautschukmischungen gemäß vorliegendem Anspruch 1 hergestellten Reifen, lediglich eine unvermeidliche Folge der Verwendung eines Kohlenwasserstoffharzes wie Escorez 1102 und kann daher dem beanspruchten Gegenstand keine erfinderische Tätigkeit verleihen (Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 10. Auflage 2022, I.D.10.8).
1.28 Die Beschwerdeführerin führte zusätzlich aus, dass in Bezug auf das Abriebverhalten, den Rollwiderstand und die Nasshaftung bekannt sei, dass die Verbesserung einer der Eigenschaften mit einer Verschlechterung mindestens einer anderen der Eigenschaften einher gehe (Beschwerdebegründung, Seite 5, dritter Absatz). Als Nachweis dafür bezog sich die Beschwerdeführerin auf das Streitpatent (Absatz 2), D26 (Seite 1), D3 (Seite 1), D4 (Seite 2), D32 (Absatz 2) und D39 (Spalte 1). Aus diesem Grund sei die Verwendung eines Kohlenwasserstoffharzes in der Kautschukmischung der D26, um die Aufgabe zu lösen, nicht naheliegend.
1.29 Die Argumentation der Beschwerdeführerin beruht auf einem angeblichen Vorurteil der Fachwelt gegen die Verwendung eines Kohlenwasserstoffharzes in Kautschukmischungen. Die Kammer findet allerdings in der Argumentation der Beschwerdeführerin keinen Beleg für dieses Vorurteil. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit manchmal durch den Nachweis erreicht werden, dass ein bekanntes Vorurteil, d. h. eine weit verbreitete, aber falsche Vorstellung von einem technischen Sachverhalt, überwunden werden musste. In solchen Fällen liegt die Beweislast beim Patentinhaber, der, beispielsweise durch geeignete Fachliteratur, belegen muss, dass das geltend gemachte Vorurteil tatsächlich bestand. Für den Beleg eines Vorurteils wird ein hoher Maßstab an die Beweisführung angelegt (Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 10. Auflage 2022, I.D.10.2).
1.30 Das Vorliegen eines Vorurteils wird in der Regel durch Bezugnahme auf Literatur oder Nachschlagewerke glaubhaft gemacht, die vor dem Prioritätstag veröffentlicht worden sind. Eine Aussage in einer einzelnen Patentschrift belegt grundsätzlich nicht das Vorliegen eines Vorurteils, da den technischen Informationen in einer Patentschrift oder einem wissenschaftlichen Artikel möglicherweise besondere Voraussetzungen oder die persönliche Ansicht des Verfassers zugrunde liegen. Dieses gilt jedoch nicht für Ausführungen in einem Standardwerk oder Lehrbuch, in dem das allgemeine Fachwissen auf dem fraglichen Gebiet zusammengefasst wird. Einen Nachweis, dass die Verbesserung der Nasshaftung zur Verschlechterung des Abriebs in Kautschukmischungen führen würde, findet die Kammer im vorliegenden Fall jedoch nicht.
1.31 Die von der Beschwerdeführerin genannten Verweise in D26, D3, D4, D32 oder D39 (Eingabe vom 7. März 2024, Seiten 4 und 5) beziehen sich allerdings nur auf Patentschriften und nicht auf Literatur oder Nachschlagewerke. Darüber hinaus sind die Verweise unspezifisch und erwähnen lediglich, dass die Verbesserung in der einen Reifeneigenschaft oft eine Verschlechterung einer anderen Eigenschaft mit sich bringt. Die zitierten Verweise betreffen nicht die Verwendung von Kohlenwasserstoffharzen und stellen keinen Bezug zur Nasshaftung, Rollwiderstand oder Abrieb her. Somit können die von der Beschwerdeführerin genannten Verweise das Bestehen eines Vorurteils in der Fachwelt nicht belegen.
1.32 Die Beschwerdeführerin bezog sich zusätzlich auf die Beispiele der D10, insbesondere auf das Beispiel 1 und das Vergleichsbeispiel 3 sowie auf das Beispiel 2 und das Vergleichsbeispiel 6 (Beschwerdebegründung: Seiten 5 und 6; Schriftsatz vom 7. März 2024, Seiten 5 bis 7, sowie während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer). Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass sich, obwohl die Nasshaftung bei der Escorez 1102 enthaltenden Kautschukmischungen verbessert ist (106 (Beispiel 1) gegenüber 96 (Vergleichsbeispiel 3)), die Anwesenheit von Escorez 1102 aber ungünstig auf den Abrieb der Kautschukmischung auswirke (letzter Eintrag in Tabelle 1 von D10, "105" im Beispiel 1 gegenüber "109" im Vergleichsbeispiel 3; "100" im Beispiel 2 gegenüber "103" im Vergleichsbeispiel 6). Zudem zeige der Vergleich auch einen merklich ungünstigeren "Verbrauch" für die das Harz enthaltende Kautschukmischung (vorletzter Eintrag in der Tabelle, "100" im Beispiel 1 gegenüber "105" im Vergleichsbeispiel 3; "97" im Beispiel 2 gegenüber "105" im Vergleichsbeispiel 6), der auf einen ungünstigeren Rollwiderstand schließen lasse.
1.33 Die Kammer findet allerdings, dass die Beispiele der D10 (Beispiele 1 und Vergleichsbeispiel 3 sowie Beispiel 2 und Vergleichsbeispiel 6) nicht so angelegt sind, dass die angeblichen Vorteile bzw. Nachteile überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal zurückgeführt werden können. Im vorliegenden Fall ist aus der Tabelle auf Seite 31 der D10 ersichtlich, dass die Kautschukmischungen gemäß Beispiele 1 und 2 zusätzlich zu den Komponenten der Vergleichsbeispiele 3 und 6 10 phr an Harz A (Escorez 1102) enthält. Somit ist die Gesamtmenge an Weichmachern in den Kautschukmischungen der Beispiele 1 und 2 höher als in den Kautschukmischungen der Vergleichsbeispiele 2 und 6. Die Effekte, die von der Beschwerdeführerin geltend gemacht werden, sind somit nicht zwangsläufig auf die Verwendung von Escorez 1102 zurückzuführen sondern könnten auch auf der Verwendung einer höheren Menge an Weichmachern in der Kautschukmischung beruhen. In diesem Zusammenhang findet die Kammer, dass die Beispiele der D10 ein Vorurteil gegen die Verwendung des Kohlenwasserstoffharzes Escorez 1102 nicht belegen können.
1.34 D3, insbesondere dessen Beispiele I2 und I3, wurde in der angefochtenen Entscheidung für relevant gehalten, weil diese Beispiele ein Harz als Weichmacher in Kautschukmischungen verwenden (Entscheidung, Seite 16, sechster Absatz). In den Beispielen der D3 wird insbesondere eine Kombination eines Naturkautschuks (NR) mit einer Glasübergangstemperatur von -65°C und eines Polybutadiens (BR) mit einer Glasübergangstemperatur von -103°C genannt. Die Beschwerdeführerin machte allerdings geltend, dass die Kautschukmischungen der Beispiele I2 und I3 der D3 mit der Kautschukmischung des Beispiels E der D26 nicht kompatibel seien, aufgrund der unterschiedlichen Dienkautschuke, die verwendet wurden, und deren unterschiedlichen Glasübergangstemperaturen (Beschwerdebegründung, Seite 6, vierter Absatz; Eingabe vom 13 Februar 2023, Seite 8, erster Absatz; Eingabe vom 7. März 2024, Seite 9). Die Kautschukmischung des Beispiels E von D26 unterscheidet sich tatsächlich von den Kautschukmischungen der D3, da im Beispiel E von D26 zusätzlich zu der Kombination von Naturkautschuk (NR) und Polybutadien (BR), zwei lösungspolymerisierte SBR Komponenten (S-SBR 1 und S-SBR 2) verwendet wurden. Darüber hinaus ist die Kombination von Naturkauchuk (NR) und Polybutadien (BR) in D3 außerhalb der Lehre der D26 (Anspruch 1 der D3 betrifft die Verwendung von zwei Dienkautschuken mit Glasübergangstemperaturen von -75°C bis -40°C und -110°C bis -75°C). Somit findet die Kammer, dass eine Fachperson die Lehre der D3 nicht auf die D26 angewendet hätte. Folglich ist die Lehre der D3 für die Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Beispiel E der D26 nicht relevant.
1.35 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdegegnerin 2, das im Schreiben der Patentinhaberin vom 7. März 2024 enthaltene Vorbringen zur Frage der erfinderischen Tätigkeit basierend auf dem Vergleich des Beispiels 3(E) mit dem Vergleichsbeispiel 1(V) des Patents und auf dem Vergleich des Beispiels 2 und des Vergleichsbeispiels 6 der D10 nicht in das Verfahren zuzulassen (siehe Punkte 1.19 und 1.32 oben). Im Hinblick auf die obigen Ausführungen (Punkte 1.4 bis 1.34), ist jedoch zu bemerken , dass die Kammer zu der Schlussfolgerung gelangte, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von D26 nicht erfinderisch ist, obgleich sie das vorgenannte Vorbringen der Beschwerdeführerin berücksichtigt hat. Somit war es im vorliegenden Fall nicht erforderlich, über den vorgenannten Antrag auf Nichtzulassung dieses Vorbringens zu entscheiden.
1.36 Zusammenfassen ist daher festzustellen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von D26 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Hilfsantrag
2. Zulassung
2.1 Mit ihrer Beschwerdebegründung führte die Beschwerdeführerin einen neuen Hilfsantrag ein. Anspruch 1 dieses Hilfsantrags unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass Öle auf Basis nachwachsender Rohstoffe als Zusatzstoffe der Kautschukmischung ausgeschlossen sind. Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Nichtzulassung dieses Hilfsantrags ins Beschwerdeverfahren (Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin 2, Punkt 4.2; Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin 1, Seite 2).
2.2 Es ist unbestritten, dass der Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK nicht erfüllt. Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Beschwerdebegründung geltend, dass der Hilfsantrag als Reaktion auf das Vorbringen der Einsprechenden in Bezug auf den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D26 unter Berücksichtigung der Lehre der D3 anzusehen sei, das erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sei.
2.3 Die Begründung der Einspruchsabteilung in Bezug auf die Kombination von D26 mit D3, die auf Seite 16, siebter Absatz der Entscheidung dargelegt ist, betrifft die Beispiele I2 und I3 der D3, die eine Verbesserung der Nasshaftung und des Abriebs in Folge der Verwendung einer Kombination eines erfindungsgemäßen Harzes mit Pflanzenöl zeigen sollen. Diese Argumentation auf Basis der Beispiele der D3 wurde von der Einsprechenden 2 zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgetragen. Auch wenn der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D26 mit D10 im schriftlichen Einspruchsverfahren zwischen den Parteien diskutiert wurde und D3 scheinbar auch in Bezug auf Einwände mangelnder Neuheit erwähnt wurde, findet die Kammer, dass die Lehre der D3 für die Diskussion der erfinderische Tätigkeit ausgehend von D26 in Kombination mit D10 vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung in dieser Form nie herangezogen wurde. Dieser Punkt wurde im Bescheid der Beschwerdekammer vom 22. Februar 2024 behandelt (Punkt 8.9) und wurde von den Beschwerdegegnerinnen in der mündlichen Verhandlung nicht entkräftet.
2.4 Auch wenn die Patentinhaberin u.a. in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung mehrere Male Gelegenheit gehabt hatte, Hilfsanträge einzureichen, ist auch zu berücksichtigen, dass die Patentinhaberin nicht vorhersehen konnte, dass die Argumentation auf Basis von D3 für die Einspruchsabteilung entscheidungserheblich sein würde. Die Kammer folgt somit dem Argument der Patentinhaberin, dass sich dies für die Patentinhaberin erst aus der schriftlichen Entscheidung ergeben habe. Diese Umstände rechtfertigen somit die Zulassung des Hilfsantrags in das Beschwerdeverfahren (Artikel 12 (6) VOBK).
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags betrifft schwefelvernetzbare Kautschukmischungen, wie sie im Anspruch 1 des Hauptantrags definiert sind, mit der Einschränkung, dass die Kautschukmischungen Öle auf Basis nachwachsender Rohstoffe als Zusatzstoffe der Kautschukmischung nicht enthalten. Der Ausschluss von Ölen auf Basis nachwachsender Rohstoffe als Zusatzstoffe stellt einen weiteren Unterschied zum nächstliegenden Stand der Technik dar, da das Beispiel E von D26 Rapsöl enthält. Dies wurde von den Parteien nicht bestritten.
3.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich somit von der Kautschukmischung gemäß Beispiel E der D26 darin, dass die Kautschukmischung
i) mindestens ein aliphatisches und/oder aromatisches Kohlenwasserstoffharz mit einem Erweichungspunkt (Ring und Kugel) von 50 bis 150°C, einem Molekulargewicht Mn von 200 bis 2000 und einer Polydispersität Mw/Mn von 1 bis 5 enthält und
ii) Öle auf Basis nachwachsender Rohstoffe als Zusatzstoffe der Kautschukmischung nicht enthält.
3.3 Die Frage der erfinderischen Tätigkeit vom Anspruch 1 des Hilfsantrags in Bezug auf D26 ist somit davon abhängig, ob der zusätzliche Unterschied ii), allein oder in Kombination mit dem Unterschied i) zur erfinderischen Tätigkeit beiträgt.
3.4 Die Beschwerdegegnerin 2 machte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geltend, dass die Änderung im Anspruch 1 des Hilfsantrags keinen weiteren Effekt habe, als diejenigen, die für den Hauptantrag festgestellt wurden. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Die Aufgabe für Anspruch 1 des Hilfsantrags bleibt somit, wie für den Hauptantrag, die Verbesserung der Nasshaftung von Reifen ohne wesentliche Verschlechterung des Rollwiderstandes und unter Beibehaltung ihrer Beständigkeit gegen Abrieb.
3.5 Die Kautschukmischung gemäß Beispiel E der D26 enthält zwei Weichmacher, 40 phr des Mineralöls TDAE und 5 phr Rapsöl. D26 lehrt in Bezug auf die Verwendung von Weichmachern, dass die Kautschukmischungen 5-60 phr eines Weichmacheröls wie TDAE enthalten kann (Seite 6, Zeilen 17-22) sowie 0-20 phr eines weiteren zusätzlichen Weichmachers sowie ein Harz und/oder Pflanzenöl, wie z.B. Rapsöl (Seite 6, Zeilen 24-28). Aus dieser Lehre entnimmt eine Fachperson, dass Harze und Pflanzenöle (wie Rapsöl) zwei alternative Weichmacher sind, die als zusätzliche Weichmacher in den Kautschukmischungen von D26 verwendet werden können.
3.6 Die Kammer kam in Bezug auf die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags zur Schlussfolgerung, dass im Hinblick auf D10 die Verwendung eines Kohlenwasserstoffharzes gemäß Anspruch 1 nahelag, um die objektive Aufgabe zu lösen. Die Vermeidung von Ölen auf Basis nachwachsender Rohstoffe in den Kautschukmischungen des Streitpatents ist mit keinem weiteren Effekt verbunden und die Verwendung von einem Harz als Weichmacher mit oder anstelle von Rapsöl wird in D26 bereits gelehrt. D10 enthält auch keine Lehre in Bezug auf die Verwendung von Ölen auf Basis nachwachsender Rohstoffe oder deren Kombinationen mit Kohlenwasserstoffharzen wie Escorez 1102, die eine Fachperson abgehalten hätte, Rapsöl durch Escorez 1102 in der Kautschukmischung des Beispiels E der D26 zu ersetzen. Aus diesem Grund kommt die Kammer zur Schlussfolgerung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags ausgehend vom Beispiel E von D26 nicht erfinderisch ist.
Hilfsantrag A
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Der Hilfsantrag A wurde von der Beschwerdeführerin mit der Eingabe vom 7. März 2024 eingereicht. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags A entspricht dem Anspruch 1 des Hauptantrags mit einer Umformulierung der im Anspruch 1 des Hilfsantrags enthaltenen Änderung "wobei Öle auf Basis nachwachsender Rohstoffe als Weichmacher-Zusatzstoffe in der Kautschukmischung ausgeschlossen sind". Die Beschwerdeführerin sah die Umformulierung der Änderung in Anspruch 1 des Hilfsantrags A als eine reine Klarstellung des beanspruchten Gegenstandes an.
4.2 Befragt vom Vorsitzenden erklärten die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass ihre Argumente für den Hilfsantrag in gleicher Weise auch für den Hilfsantrag A gälten und keine weiteren Argumente bestünden. Somit ist die Kammer der Auffassung, dass die Begründung und die Schlussfolgerung in Bezug auf die mangelnde erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags, wie in den Punkten 3.1 bis 3.6 oben ausgeführt, unmittelbar auch für den Hilfsantrag A gelten. Dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags A mangelt es somit an erfinderischer Tätigkeit gegenüber D26 in Kombination mit D10.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.