T 0199/23 24-04-2024
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VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR FINISH-BEARBEITUNG VON UMFANGSFLÄCHEN ROTATIONSSYMMETRISCHER WERKSTÜCKABSCHNITTE
Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Neuheit und erfinderische Tätigkeit
Neuheit - (ja)
I. Die Patentinhaberin legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 3 157 708 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
Soweit auch die Einsprechende zunächst Beschwerde eingelegt hatte, nahm sie diese im Verlauf des Beschwerdeverfahrens zurück und hatte fortan die Parteistellung als Beschwerdegegnerin zur Beschwerde der Patentinhaberin inne.
II. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 29. Januar 2024 teilte die Beschwerdekammer den Beteiligten ihre vorläufige Beurteilung der Sach -und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde der Einsprechenden voraussichtlich zurückzuweisen und die Beschwerde der Patentinhaberin erfolgreich sein dürfte, d.h. das Patent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten wäre.
III. Die Einsprechende nahm mit Schriftsatz vom 22. Februar 2024 ihre Beschwerde zurück und erklärte mit Schriftsatz vom 14. März 2024, an der für den 15. Mai 2024 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen.
IV. Angesichts dessen, dass die Patentinhaberin nach der Rücknahme der Beschwerde der Patentinhaberin alleinige Beschwerdeführerin war, stellte sich die insofern bereinigte Antragslage der Beteiligten wie folgt dar:
Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung.
Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) beantragte
die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
V. Die vorliegende Entscheidung nimmt auf folgende Dokumente Bezug:
D1: JP 4812489 B2,
D1a: deutschsprachige Übersetzung zu D1,
D5: DE 32 25 977 A1.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung lautet (Merkmalsgliederung entsprechend Punkt II.2.2 der angefochtenen Entscheidung):
1.0) Verfahren zur Finish-Bearbeitung von Umfangsflächen rotationssymmetrischer Werkstückabschnitte an Werkstücken,
1.1) bei dem bei der Bearbeitung einer Umfangsfläche ein Finish-Werkzeug (100, 500) mit einer Andrückkraft in einer Andrückrichtung (AR) an die zu bearbeitende Umfangsfläche angedrückt wird
1.2) und zur Erzeugung von Materialabtrag das Werkstück um eine Werkstückachse (192) gedreht und
1.3) eine oszillierende Relativbewegung zwischen dem Finish-Werkzeug und dem Werkstück erzeugt wird, wobei zur Erzeugung der oszillierenden Relativbewegung das Finish-Werkzeug entlang einer senkrecht zur Andrückrichtung (AR) verlaufenden Oszillationsrichtung (OR) mit einer vorgebbaren Oszillationshublänge und Oszillationsfrequenz hin und her bewegt wird;
1.4) der Oszillationsbewegung eine parallel zur Werkstückachse verlaufende Linearbewegung des Finish-Werkzeugs über eine Linearhublänge überlagert wird, und
1.5) der Linearbewegung und der Oszillationsbewegung eine Schwenkbewegung des Finish-Werkzeugs um eine senkrecht zur Werkstückachse und zur Andrückrichtung verlaufende Schwenkachse (SA) überlagert wird,
1.6) wobei eine Schwenkposition des Finish-Werkzeugs in Abhängigkeit von einer Axialposition der Linearbewegung derart gesteuert wird,
1.7) dass in einer Endphase eines Linearhubes ein in Bewegungsrichtung der Linearbewegung vorauseilender vorderer Endabschnitt des Finish-Werkzeugs näher an der Werkstückachse liegt und/oder mit höherer lokaler Andrückkraft an die Umfangsfläche angedrückt wird als ein nacheilender hinterer Endabschnitt,
1.8) wodurch durch die Finish-Bearbeitung unter Veränderung einer aus einer Vorbearbeitung resultierenden Mantellinienform ein Umfangsabschnitt erzeugt wird, der eine voll-ballige, eine zylindrisch-ballige oder eine zylindrisch-logarithmische axiale Geometrie aufweist.
VII. Der unabhängige Anspruch 3 des Patents in der erteilten Fassung lautet (Merkmalsgliederung entsprechend Punkt II.2.2 der angefochtenen Entscheidung):
3.0) Vorrichtung zur Finish-Bearbeitung von Umfangsflächen rotationssymmetrischer Werkstückabschnitte an Werkstücken mit:
3.1) einer Dreheinrichtung zur Erzeugung einer Drehbewegung des Werkstückes (190) um eine Werkstückachse (192);
3.2) einer Andrückeinrichtung zum Andrücken eines Finish-Werkzeugs (100) an eine zu bearbeitende Umfangsfläche (195) derart, dass das Finish-Werkzeug mit einer Andrückkraft in einer Andrückrichtung (AR) an die Umfangsfläche angedrückt wird; und
3.3) einer Oszillationseinrichtung zur Erzeugung einer oszillierenden Bewegung des Finish-Werkzeugs gegenüber dem Werkstück entlang einer senkrecht zur Andrückrichtung (AR) verlaufenden Oszillationsrichtung (OR) mit einer vorgebbaren Oszillationshublänge und Oszillationsfrequenz; gekennzeichnet durch
3.4) eine translatorische Maschinenachse (LA) zur Erzeugung einer der Oszillationsbewegung überlagerten, parallel zur Werkstückachse verlaufende Linearbewegung des Finish-Werkzeugs; und
3.5) eine rotatorische Achse zur Erzeugung einer der Linearbewegung überlagerten Schwenkbewegung des Finish-Werkzeugs um eine senkrecht zur Werkstückachse und zur Andrückrichtung verlaufende Schwenkachse (SA);
3.6) wobei eine Steuerung der Vorrichtung so konfiguriert ist, dass eine Schwenkposition des Finish-Werkzeugs in Abhängigkeit von einer Axialposition der Linearbewegung derart gesteuert ist,
3.7) dass in einer Endphase eines Linearhubes ein in Bewegungsrichtung der Linearbewegung vorauseilender vorderer Endabschnitt des Finish-Werkzeugs näher an der Werkstückachse liegt und/oder mit höherer lokaler Andrückkraft an die Umfangsfläche angedrückt wird als ein nacheilender hinterer Endabschnitt,
3.8) wodurch durch die Finish-Bearbeitung unter Veränderung einer aus einer Vorbearbeitung resultierenden Mantellinienform ein Umfangsabschnitt erzeugt wird, der eine voll-ballige, eine zylindrisch-ballige oder eine zylindrisch-logarithmische axiale Geometrie aufweist.
VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten, dass sich darauf bezog, ob die Einspruchsgründe mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderischer Tätigkeit von Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entgegenstehen, wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren und rechtliches Gehör
Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK unter Wahrung der Verfahrensrechte der Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.
Der Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt gewahrt, da diese Vorschrift nur die Möglichkeit bietet, gehört zu werden. Durch die ausdrückliche Erklärung ihrer Absicht, an der mündlichen Verhandlung, zu der die Beteiligten ordnungsgemäß geladen waren, nicht teilzunehmen, gibt die Beschwerdegegnerin diese Gelegenheit auf (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, III.B.2.7.3 und V.A.5.5.4).
Da die Kammer der Beschwerde der Beschwerdeführerin stattgibt, entfaltet der dazu nachrangige Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).
Nach Erhalt der in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK enthaltenen vorläufigen Meinung der Kammer hat keine der Parteien einen weiteren Schriftsatz eingereicht, der sich inhaltlich mit der vorläufigen Meinung der Kammer auseinandersetzte. Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des wechselseitigen schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif (Artikel 15 (3) VOBK), so dass der ursprünglich anberaumte Termin zur mündlich Verhandlung aufgehoben wird.
2. Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 (Artikel 100 a) EPÜ)
2.1 Die Kammer wies in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK unter Punkt 7 auf die folgende Sach- und Rechtslage zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 gegenüber der Offenbarung von D1/D1a hin, die von den Beteiligten weder in Frage gestellt noch kommentiert wurde. Die Kammer sieht keinen Grund, von ihrer diesbezüglichen vorläufigen Meinung abzurücken und bestätigt diese wie folgt.
2.2 Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt II.2.3 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung von D1/D1a sei, und argumentierte, dass D1/D1a die Merkmale 3.4, 3.7 und 3.8 von Anspruch 3 nicht zeige.
2.3 Merkmal 3.4
2.3.1 Laut der Beschwerdeführerin gebe es bei der Vorrichtung gemäß Figur 1 von D1 keine translatorische Maschinenachse zur Erzeugung einer der Oszillationsbewegung überlagerten, parallel zur Werkstückachse verlaufenden Linearbewegung des Finish-Werkzeugs. Vielmehr verlaufe die Linearhubachse X nicht parallel zur Werkstückachse L, sondern in einem Winkel schräg dazu, wobei der Anstellwinkel demjenigen Winkel entspreche, den die geneigte Lauffläche 1a mit der Werkstückachse L einschließe.
Das fehlende Merkmale (Teilmerkmal aus Merkmal 3.4 betreffend eine parallel zur Werkstückachse verlaufenden Linearbewegung des Finish-Werkzeugs) werde durch die Einspruchsabteilung im Wesentlichen aus dem allgemeinen Teil der Beschreibung von D1 hergeleitet, wonach mit der Vorrichtung auch eine Lauffläche eines Zylinderrollenlagers bearbeitet werden könne. Dies sei jedoch in D1 nicht ausführbar offenbart und wäre allenfalls nach Umkonstruktion der Vorrichtung von Figur 1 möglich.
Die Einspruchsabteilung habe nicht begründet, warum die Bedingungen einer impliziten Offenbarung (z.B. die Zwangsläufigkeit) vorlägen. Die Vorrichtung nach Figur 1 von D1 sei unbestritten nicht dafür geeignet, Werkstücke mit zylindrischen Lagerflächen zu finishen. Es sei eine Umkonstruktion nötig. Dies sei ein Indiz dafür, dass keine implizite Offenbarung von Merkmal 3.4 gegeben sei.
2.3.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern nimmt ein Dokument des Stands der Technik einen beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich vorweg, wenn dieser sich unmittelbar und eindeutig aus dem Dokument ableiten lässt einschließlich der Merkmale, die für die Fachperson vom Inhalt implizit miterfasst sind. Eine angebliche Offenbarung kann jedoch nur dann als implizit angesehen werden, wenn für die Fachperson sofort erkennbar ist, dass nichts anderes als das angebliche implizite Merkmal Teil des offenbarten Gegenstands war. Mit anderen Worten ist eine zum Stand der Technik gehörende Offenbarung für den beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich, wenn dieser unmittelbar und eindeutig aus dieser Offenbarung hervorgeht, einschließlich der Merkmale, die darin zwar nicht ausdrücklich genannt sind, aber für die Fachperson vom Inhalt mit erfasst sind.
Das angeblich implizite Merkmal muss aus dem Gesamtzusammenhang einer Entgegenhaltung zweifelsfrei erkennbar sein oder sich aus diesem zwangsläufig ergeben. Dies bedeutet insbesondere, dass die Fachperson sich keine realistische Alternative zu dem angeblich impliziten Merkmal vorstellen kann (siehe RdB, a.a.O., I.C.4.3).
2.3.3 Die Kammer ist von der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugt. Denn die Beschwerdeführerin geht bei ihrer Betrachtung der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 von dem Ausführungsbeispiel nach Figur 1 von D1 aus. Hingegen wird die Offenbarung des Merkmals 3.4 betreffend eine parallel zur Werkstückachse verlaufenden Linearbewegung des Finish-Werkzeugs von der Einspruchsabteilung allein anhand des allgemeinen Teils der Beschreibung, insbesondere in den Absätzen [0003] und [0006], von D1a aufgezeigt (siehe angefochtenen Entscheidung, Seite 8, letzter Absatz; Seite 9, dritter Absatz).
Dabei beschreibt Absatz [0006] von D1a einen "Querbewegungsbestandteil, der parallel zur Lauffläche...beweglich ist". In dem Fall der Ausgestaltung der zu bearbeitenden Lauffläche des Lagerrings als Zylinderfläche (siehe D1a, Absatz [0003]) ergibt sich für die Fachperson zwangsläufig und zweifelsfrei, dass die translatorische Maschinenachse und die Werkstückachse parallel zueinander angeordnet sein müssen. Dass dies nicht ausführbar sei, ist eine reine, unbewiesene Behauptung der Beschwerdeführerin.
Zu dieser Ausgestaltung im allgemeinen Teil der Beschreibung von D1 ist aus Sicht der Kammer für die Fachperson auch keine realistische Alternative zu dem impliziten Merkmal denkbar. Jedenfalls hat die Beschwerdeführerin nur eine Alternative zum Ausführungsbeispiel nach Figur 1 von D1 argumentiert (siehe Beschwerdebegründung, Seite 13 unten), in dem unstreitig nicht die Bearbeitung einer Zylinderfläche gezeigt ist, und das von der Einspruchsabteilung auch nicht als insgesamt neuheitsschädlich Offenbarung betrachtet wurde.
2.3.4 Somit ist den Absätzen [0003] und [0006] von D1a das Merkmal 3.4 einer parallel zur Werkstückachse verlaufenden Linearbewegung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.
2.4 Merkmale 3.7 und 3.8
2.4.1 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die in Anspruch 1 definierte Konfiguration nach den Merkmalen 3.7 und 3.8 in D1 zur Bearbeitung der in der Figur 5(A) bzw. 5(B) gezeigten Krümmungsflächen vorhanden sei. Werde diese Konfiguration auf ein zylindrisches Werkstück angewendet, so ergäben sich auch die funktionellen Merkmale 3.7 und 3.8 von Anspruch 3. Die beanspruchte Konfiguration der Steuerung sei in D1 gezeigt. Die nach den Merkmalen 3.7 und 3.8 zu erzielenden Wirkungen hingen ausschließlich von der Wahl der Vorform des Werkstücks ab, hätten daher keine einschränkende Wirkung für die Vorrichtung und ergäben sich auch in D1 bei der Wahl eines zylindrischen Werkstücks.
2.4.2 Die Kammer folgt jedoch der Ansicht der Beschwerdeführerin. Die Merkmale 3.6, 3.7 und 3.8 definieren im Zusammenhang stehende technische Merkmale, die in ihrer Gesamtheit eine besondere Konfiguration der Steuerung der Vorrichtung und damit der Funktion der Vorrichtung charakterisieren.
Die Merkmale 3.7 und 3.8 sind an sich funktionelle Merkmale und erfordern als solche, dass die Steuerung der Vorrichtung dazu ausgebildet und nicht nur geeignet ist, dass sich durch die Finish-Bearbeitung eine Veränderung der aus einer Vorbereitung resultierenden Mantellinienform ergibt.
Die Steuerung der Vorrichtung von D1 ist offensichtlich nicht dazu ausgebildet, die aus einer Vorbearbeitung resultierende Mantellinienform zu verändern, und weist daher diese Merkmale nicht auf. Im Gegenteil ist die Steuerung in D1 so konfiguriert, dass eine Veränderung der Mantellinienform nicht vorkommt. Denn es ist unstreitig das erklärte Ziel von D1 eine Finish-Bearbeitung ohne axiale Formzerstörung vorzunehmen (siehe Absatz [0005]). An jeder Stelle der Umfangsfläche des Werkstücks wirkt das Finish-Werkzeug mit konstanter Kraft ein (siehe D1, letzter Absatz von Anspruch 1).
Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass die Vorrichtung nach D1 in der Konfiguration des Ausführungsbeispiels und Bearbeitung eines zylindrisch vorbearbeiteten Werkstücks eine voll-ballige (Figur 5A) oder zylindrisch-ballige (Figur 5B) Umfangsfläche erzeuge, ist nicht überzeugend. Denn sowohl Absatz [0003] als auch dem Ausführungsbeispiel von D1 ist nicht unmittelbar und eindeutig die Ausbildung der Steuerung gemäß den Merkmalen 3.7 und 3.8 zu entnehmen, dass sich durch die Finish-Bearbeitung eine Veränderung der Mantellinienform ergibt.
Im Übrigen ist entgegen der angefochtenen Entscheidung nicht ersichtlich, inwiefern die Fachperson bei der Betrachtung der Neuheit die Konfiguration nach dem Ausführungsbeispiel bei einem zylindrischen Werkstück anwendete, so dass sich die funktionellen Merkmale 3.7 und 3.8 von Anspruch 3 ergäben.
Daher zeigt D1/D1a die Merkmale 3.7 und 3.8 von Anspruch 3 nicht, so dass der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung von D1/D1a ist.
2.4.3 Somit steht der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patent in erteilter Fassung nicht entgegen.
3. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 (Artikel 100 a) EPÜ)
3.1 Die Kammer wies in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK unter Punkt 8 auf die folgende Sach- und Rechtslage zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 hin, die von den Beteiligten weder in Frage gestellt noch kommentiert wurde. Die Kammer sieht keinen Grund, von ihrer diesbezüglichen vorläufigen Meinung abzurücken und bestätigt diese wie folgt.
3.2 Die Beschwerdegegnerin bemängelte die Feststellung unter Punkt II.2.4.1 der Entscheidungsgründe, dass der Gegenstand von Anspruch 1 durch eine Kombination von D1 und D5 nicht nahegelegt sei, und argumentierte, dass das Merkmal 1.8 von Anspruch 1 nahegelegt sei.
Laut der Beschwerdegegnerin sei die Fachperson in der Lage, die prinzipielle Eignung der Vorrichtung von D1 zur Änderung einer Mantelflächengeometrie zu erkennen. Die Fachperson nehme auch zur Kenntnis, dass die D1 das Ziel verfolge, eine aus einer Vorbearbeitung resultierende Mantellinienform nicht zu verändern. Die Fachperson habe aber gleichzeitig auch Kenntnis von Dokument D5, das die Lehre vermittele, dass es ausgehend von einer vornehmlich zylindrischen Form für bspw. Wälzlagerrollen angestrebt sei, eine stärker verrundete Form herzustellen (siehe D5, Kurzbeschreibung der Figuren 1 und 2 auf Seite 12; Figuren 1 und 2; Seite 7: "die ideale Form des Werkstücks 3 nach Figur 2").
Die Fachperson erkenne, dass D5 zwar einen Weg beschreibe, wie eine Formänderung von einem Vorbearbeitungszustand zu einem Zustand gemäß Figur 2 erzeugt werden könne, dass dieser Weg aber mit einem hochkomplexen Aufbau der Vorrichtung gemäß Figur 5 von D5 verbunden sein solle. Dieser hochkomplexe Aufbau in Verbindung mit der prinzipiellen Eignung der Vorrichtung von D1, Mantellinienformen zu verändern, veranlassten die Fachperson, die Vorrichtung von D1 für ein Verfahren nach Anspruch 1 zu nutzen, wohlwissend, dass D1 für sich genommen ein anderes Ziel verfolge.
Es sei nicht so, dass D1 ein in sich abgeschlossenes Reservoir an technischen Informationen darstelle und eine Fachperson sich aufgrund der Zielsetzung von D1 vollständig davon abhalten ließe, auch Informationen aus anderer Quelle, beispielsweise D5, in naheliegender Weise zu verwerten.
3.3 Die Kammer ist von der Argumentation der Beschwerdegegnerin nicht überzeugt, die auf reinen Behauptungen beruht, und folgt der angefochtenen Entscheidung.
D1 ist kein geeigneter Ausgangspunkt für die in Anspruch 1 definierte Erfindung, da das Ziel von D1 das Vermeiden einer Formveränderung ist. Hingegen soll gemäß Merkmal 1.8 die aus einer Vorbearbeitung resultierende Mantellinienform verändert werden.
Nach dem in D5 offenbarten Verfahren ist es hingegen ebenfalls das Ziel, die aus einer Vorbearbeitung resultierende Mantellinienform zu verändern. Daher bildet D5 eindeutig den nächstliegenden Stand der Technik.
Die Fachperson hat keinen Anlass, die Lehre von D1 überhaupt zu berücksichtigen, da nach D1 eine Formveränderung explizit vermieden werden soll. Aber selbst wenn sie die Lehre von D1 berücksichtigte, ist nicht ersichtlich, warum sie das funktionierende Verfahren nach D5 vollständig aufgeben und das zu einem anderen Zweck offenbarte Verfahren von D1 implementierte. Hierzu gibt D1 keinerlei Anregung.
Die Konstruktionen und Verfahren nach D5 und D1 basieren auf unterschiedlichen Prinzipien und kinematischen Zusammenhängen, so dass ihre Lehren grundsätzlich nicht kombinierbar sind.
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.3.1 Somit steht der Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patent in erteilter Fassung nicht entgegen.
4. Schlussfolgerung
Die Beschwerdeführerin hat die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 des Patents in der erteilten Fassung in überzeugender Weise dargelegt.
Die Beschwerdegegnerin hat keinen weiteren Einwand als den oben unter Punkt 3 ausgeführten, aber letztlich nicht durchgreifenden Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents vorgebracht.
Somit steht kein durchgreifender Einwand der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.