D 0006/24 20-12-2024
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I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Bewertung der Prüfungsaufgabe B im Rahmen der Hauptprüfung der Europäischen Eignungsprüfung ("EEP") 2024.
II. Mit Schreiben des Prüfungssekretariats vom 1. Juli 2024 teilte der Vorsitzende der Prüfungskommission der Beschwerdeführerin mit, dass diese unter anderem für die Prüfungsarbeit B die Punktzahl 42 erreicht habe. Auf dieser Grundlage habe die Prüfungskommission entschieden, dass die Bedingungen des Artikels 14 (1) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter ("VEP") nicht erfüllt seien und die Beschwerdeführerin daher die EEP nicht bestanden habe. Aus den auf der Rückseite des Schreibens enthaltenen Einzelheiten zur Notenvergabe geht unter anderem hervor, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen der Prüfungsarbeit B für die Begründung der erfinderischen Tätigkeit 16 von insgesamt 36 erreichbaren Punkten erzielt habe.
III. Mit Schreiben vom 29. Juli 2024, eingegangen beim Prüfungssekretariat am 31. Juli 2024, legte die Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung der Prüfungskommission Beschwerde ein. Sie entrichtete zudem am 31. Juli 2024 die Beschwerdegebühr.
IV. Mit Schreiben vom 5. September 2024 teilte das Prüfungssekretariat der Beschwerdeführerin mit, dass die Prüfungskommission "nach eingehender Beurteilung der in [der] Beschwerde [...] vorgebrachten Argumente" ihr nicht abgeholfen habe. Die Benotung sei korrekt, es hätten keine weiteren Punkte vergeben werden können.
V. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2024 wurde der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 14 der Ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten die vorläufige Meinung der Kammer mitgeteilt.
VI. In ihrer Antwort vom 10. Dezember 2024 beschränkte die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde auf die in der vorliegenden Entscheidung behandelte Rüge und zog ihren zunächst hilfsweise gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt, dass
- die angefochtene Entscheidung der Prüfungskommission aufgehoben und die Angelegenheit hinsichtlich der Prüfungsaufgabe B an die Prüfungskommission zurückverwiesen wird, damit diese der Prüfungsaufgabe B mindestens die Note "Nicht bestanden mit Ausgleichsmöglichkeit" zuspricht;
- die Beschwerdegebühr zurückgezahlt wird;
- die bereits gezahlte Anmelde- und Prüfungsgebühr für die Aufgabe B der EEP 2025 zurückgezahlt wird, falls der Prüfungsaufgabe B mindestens die Note "Nicht bestanden mit Ausgleichsmöglichkeit" zugesprochen wird.
VIII. Die Beschwerdeführerin stützte ihre Beschwerde auf den Umstand, dass dem Prüferbericht nicht zu entnehmen sei, wie die laut Prüferbericht zur Verfügung stehenden 30 Punkte für die Begründung der erfinderischen Tätigkeit für Anspruch 1 überhaupt zu erzielen waren, da man bei Summierung der einzeln zu vergebenden Punkte zu einer maximalen Punktzahl von 27 Punkten gelange.
IX. Weder der Präsident des Europäischen Patentamts noch der Präsident des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter, denen nach Artikel 24 (4) Satz 1 VEP in Verbindung mit Artikel 12 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, äußerten sich schriftlich zur Beschwerde.
1. Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet und die Beschwerdegebühr rechtzeitig eingezahlt. Sie entspricht daher den in Artikel 24 (2) VEP niedergelegten Voraussetzungen und ist zulässig.
2. Der für die Kammer geltende Prüfungsmaßstab
Gemäß Artikel 24 (1) VEP und nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Anschluss an D 1/92, ABl. EPA 1993, 357) sind Entscheidungen der Prüfungskommission grundsätzlich nur dahingehend zu überprüfen, ob nicht die Vorschriften der VEP oder der bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen (also insbesondere die Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung, "ABVEP") oder höherrangiges Recht verletzt wurden. Es ist nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen. Den Prüfungsausschüssen und der Prüfungskommission steht nämlich im Grundsatz ein Beurteilungsspielraum zu, der nur sehr begrenzt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.
3. Vergabe einer konkreten Punktzahl und in der Konsequenz einer konkreten Note
Hält die Kammer eine Beschwerde aufgrund eines gegebenen schweren und eindeutigen Fehlers, der eine Verletzung der Vorschriften der VEP oder der bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangigen Rechts darstellt, für zulässig und begründet, so ist sie gemäß Artikel 24 (4) Satz 2 VEP grundsätzlich nur befugt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückzuverweisen. In Ermessensfragen kann sie die angefochtene Entscheidung nicht durch ihre eigene Entscheidung ersetzen. Daher können Anträge auf Vergabe zusätzlicher Punkte oder einer bestimmten Note grundsätzlich nicht im Beschwerdeverfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten behandelt werden.
4. Verletzung von Regel 6 (1) ABVEP
4.1 Gemäß Regel 6 (1) ABVEP ist jede Arbeit vom betreffenden Prüfungsausschuss unter Zugrundelegung einer Punkteskala von null bis 100 zu bewerten.
4.2 Für die Prüfungsaufgabe B der EEP 2024 ist dem entsprechenden Prüferbericht zu entnehmen, inwiefern sich die insgesamt 100 zu erreichenden Punkte auf insgesamt 6 Prüfungsteilbereiche verteilten (Formulierung der unabhängigen Ansprüche: 26 Punkte; Formulierung der abhängigen Ansprüche: 4 Punkte; Begründung für die Änderungen: 14 Punkte; Begründung für Klarheit: 4 Punkte; Begründung für Neuheit: 16 Punkte; Begründung für erfinderische Tätigkeit: 36 Punkte). Hinsichtlich der 36 erreichbaren Punkte für die Begründung der erfinderischen Tätigkeit ist im Prüferbericht ferner ausgeführt, dass für Anspruch 1 (also den unabhängigen Vorrichtungsanspruch) 30 Punkte und für Anspruch 10 gemäß Prüferbericht (also den unabhängigen Verfahrensanspruch) 6 Punkte vergeben wurden.
4.3 Wie sich die 30 maximal erreichbaren Punkte für die Begründung der erfinderischen Tätigkeit für den unabhängigen Vorrichtungsanspruch auf die einzelnen Teilschritte verteilten, ist Abschnitt [060] des Prüferberichts zu entnehmen. Demnach wurden bis zu
- 6 Punkte für die Auswahl des nächstliegenden Stands der Technik,
- 2 Punkte für die Begründung, weshalb das andere Dokument als Ausgangspunkt weniger geeignet ist,
- 2 Punkte für die Bezeichnung der Unterschiede,
- 9 Punkte für die Begründungen der technischen Wirkung,
- 3 Punkte für die Formulierung der Aufgabe und
- 5 Punkte für die Begründung, weshalb die Lösung nicht offensichtlich ist,
vergeben. Die Beschwerdeführerin hat hier zu Recht gerügt, dass die Addition der zu vergebenden Punkte lediglich 27 und nicht 30 Punkte ergibt. Hieraus folgt, dass für die Bewertung der Prüfungsaufgabe B entgegen Regel 6 (1) ABVEP eine Punkteskala von 0 bis lediglich 97 zugrunde gelegt wurde und 3 Punkte fehlerhaft nicht vergeben wurden.
4.4 Die Kammer merkt in diesem Zusammenhang an, dass im letzten Absatz, Sätze 2 bis 4, des Abschnitts [060] des Prüferberichts noch ausgeführt wird, dass je nach konkreter Formulierung der Aufgabe hierfür 3 Punkte oder 1 Punkt vergeben wurden, wenn von D1 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen wurde. Hiermit sind offensichtlich dieselben (bis zu) 3 Punkte gemeint, die in Satz 1 des Absatzes für die Formulierung der Aufgabe angeführt sind und die sich offensichtlich auf die Aufgabe ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik beziehen. Mit anderen Worten waren insgesamt für die Formulierung der Aufgabe bis zu 3 Punkte zu erreichen, unabhängig davon, ob man von D2 oder von D1 als nächstliegendem Stand der Technik ausging.
4.5 Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass der Prüfungsausschuss bei der Bewertung der Prüfungsarbeit der Beschwerdeführerin die fehlerhaft nicht vergebenen 3 Punkte (siehe oben Ziffer 4.3) gleichwohl berücksichtigt hat. Mit anderen Worten kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei korrekter Verteilung der insgesamt zu erreichenden 30 Punkte auf die einzelnen Teilschritte bei der Bewertung der Begründung der erfinderischen Tätigkeit für den unabhängigen Vorrichtungsanspruch die Beschwerdeführerin bis zu 3 Punkte mehr für ihre Lösung erzielt hätte. Hätte sie tatsächlich alle 3 Punkte mehr erzielt, wäre ihre Bearbeitung der Prüfungsaufgabe B mit insgesamt 45 Punkten und damit mit der von ihr mit der Beschwerde begehrten Note "Nicht bestanden mit Ausgleichsmöglichkeit" bewertet worden.
4.6 Die Bewertung der Prüfungsarbeit der Beschwerdeführerin verstieß daher gegen Regel 6 (1) ABVEP, so dass die Entscheidung der Prüfungskommission vom 1. Juli 2024 aufzuheben ist.
5. Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungskommission
5.1 Auf welche Teilschritte der Begründung der erfinderischen Tätigkeit für den unabhängigen Vorrichtungsanspruch aber die fehlenden 3 Punkte zu verteilen sind, und ob dann tatsächlich alle 3 Punkte mehr zugunsten der Beschwerdeführerin zu vergeben sind, ist durch Korrektur des Bewertungsbogens und anschließende Nachkorrektur der Arbeit der Beschwerdeführerin festzustellen. Diese Aufgaben obliegen der Prüfungskommission und gegebenenfalls dem Prüfungsausschuss (vgl. Artikel 6 (3) b) und (5) Satz 2 VEP), denen hierfür ein Beurteilungsspielraum offen steht; in diesen kann die Kammer nicht eingreifen (siehe oben Ziffer 3.).
5.2 Aus diesem Grund kommt vorliegend lediglich, wie von der Beschwerdeführerin zuletzt beantragt, die Zurückverweisung der Angelegenheit hinsichtlich der Prüfungsaufgabe B an die Prüfungskommission zur erneuten Entscheidung in Betracht.
6. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Da die Beschwerde im Ergebnis vollumfänglich begründet ist, entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit, Artikel 24 (4) Satz 3 VEP.
7. Rückzahlung der Anmelde- und Prüfungsgebühr EEP 2025
Über den weiteren Antrag der Beschwerdeführerin, die Anmelde- und Prüfungsgebühr für die Aufgabe B der EEP 2025 zurückzuzahlen, wird das Prüfungssekretariat (siehe Artikel 9 (2) c) VEP) nach Durchführung der Nachkorrektur (siehe oben Ziffer 5.1) zu entscheiden haben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird hinsichtlich der Prüfungsaufgabe B zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.