D 0006/92 (Befugnisse der Prüfungskommission) 13-05-1992
1. Hat ein Bewerber in den Prüfungsarbeiten die Noten 4, 6, 4 und 4 erzielt und folglich die Prüfung mit einer Notensumme von 18 nicht bestanden, so bietet Artikel 12 VEP keine Rechtsgrundlage dafür, diese Prüfung für bestanden zu erklären (Nr. 4 der Entscheidungsgründe).
2. Die Disziplinarkammer ist nur befugt zu untersuchen, ob das Prüfungsverfahren den einschlägigen Vorschriften und Anweisungen entsprochen hat, darf aber nicht das gesamte Prüfungsverfahren sachlich überprüfen. Dementsprechend können nur behauptete schwerwiegende, eindeutige Fehler der Prüfungskommission untersucht werden. Diese Fehler müssen für die angefochtene Entscheidung a) "bedeutsam" sein in dem Sinne, daß sie anders ausgefallen wäre, wenn die Fehler nicht gemacht worden wären, und b) grundlegend in dem Sinne, daß sie durch Anwendung von Rechtsgrundsätzen nachprüfbar sind (Nr. 5 der Entscheidungsgründe).
I. Der Beschwerdeführer hat sich im April 1991 der europäischen Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter unterzogen.
II. Mit Einschreiben vom 11. Oktober 1991 teilte der Vorsitzende der Prüfungskommission für die europäische Eignungsprüfung (nachstehend "die Prüfungskommission" genannt) dem Beschwerdeführer seine in den vier Prüfungsarbeiten erzielten Leistungen gemäß den Ausführungsbestimmungen zu Artikel 12 VEP (veröffentlicht in ABl. EPA 1991, 88 und 226) mit.
Der Beschwerdeführer hat folgende Noten erzielt, die die Summe von 18 ergeben:
Prüfungsarbeit A: 4 (befriedigend)
Prüfungsarbeit B: 6 (sehr mangelhaft)
Prüfungsarbeit C: 4 (befriedigend)
Prüfungsarbeit D: 4 (befriedigend)
Dem Beschwerdeführer wurde daher mitgeteilt, daß er die europäische Eignungsprüfung nicht bestanden habe und daß er sich für eine künftige Eignungsprüfung erneut anmelden könne.
III. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1991 legte der Bewerber gegen diese Entscheidung Beschwerde ein; ohne dabei konkrete Anträge zu stellen, verwies er ganz allgemein auf seine Beschwerdebegründung. Er brachte folgendes vor:
"Diese Beschwerde ist darauf gestützt, daß gemäß den Artikeln 10 (2) a) und b), 12 (2) und den Ausführungsbestimmungen zu Artikel 12 VEP, insbesondere den Nrn. III bis IX,
1. die Prüfungsarbeit A mindestens mit der Note 3 hätte bewertet werden müssen,
2. die Prüfungsarbeit B mit der Note 4 oder zumindest mit der Note 5 hätte bewertet werden müssen und/oder
3. die Prüfungsarbeiten C und D bessere Noten als 4 hätten erhalten müssen."
Die obigen Argumente 1 und 2 wurden in der Beschwerdebegründung vom 11. Januar 1992 erneut vorgebracht.
Die Beschwerdebegründung enthielt ferner einige sachliche Feststellungen zu der bei den Aufgaben A und B erbrachten Leistung; auf das Argument 3 und die Aufgaben C und D wurde dagegen weder eingegangen noch Bezug genommen.
IV. Am 11. Februar 1992 beschloß die Prüfungskommission, der Beschwerde nicht abzuhelfen, und legte sie der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten vor.
V. Der Präsident des Rates des Instituts der beim EPA zugelassenen Vertreter und der Präsident des EPA, die nach Artikel 12 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern in Verbindung mit Artikel 23 (4) VEP Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten, haben sich nicht geäußert.
VI. Der Beschwerdeführer stützte seinen Antrag auf Überprüfung der Notengebung in der Beschwerdebegründung auf seine eigene inhaltliche Auslegung der Prüfungsarbeiten, allerdings ohne dabei auf der Grundlage von rechtlichen Überlegungen eine Verletzung der einschlägigen Vorschriften zu beweisen.
1. Die Beschwerde entspricht Artikel 23 (2) VEP und ist somit zulässig.
2. Die Anträge des Beschwerdeführers laufen alle auf die Frage hinaus, ob die Entscheidung der Prüfungskommission a) gegen die VEP (Art. 10 (2) a)) und b) insbesondere deren Artikel 12 (2) verstößt. Der Disziplinarkammer stellt sich also die Frage, ob eine Entscheidung der Prüfungskommission in einem Fall wie dem vorliegenden (nur eine Arbeit wurde mit 6 (sehr mangelhaft) bewertet, die übrigen mit 4 (befriedigend), wobei die Notensumme höher ist als 17 (nämlich 18)) gegen die obengenannten Artikel der VEP verstößt.
3. Die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten muß sich bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung an den allgemein anerkannten Grundsatz halten, daß sie in Prüfungsangelegenheiten lediglich zur Untersuchung der Frage befugt ist, ob die angefochtene Entscheidung gegen die VEP verstößt oder auf einem solchen Verstoß beruht, denn für die Durchführung der Prüfung ist einzig und allein die Prüfungskommission, nicht aber die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten zuständig.
4. Bei der Beurteilung der vorliegenden Sache ist zu beachten, daß es in den Ausführungsbestimmungen zu Artikel 12 VEP und in den entsprechenden Vorschriften unmißverständlich heißt: "VII. ... Ein Bewerber hat die Prüfung bestanden, wenn er ...
b) nur eine Prüfungsaufgabe nicht bestanden hat, die mit der Note 6 bewertet wurde, und
i) diese Note, falls sie für die Arbeit A oder B vergeben wurde, durch eine 3 oder eine bessere Note für die Arbeit B bzw. A und für mindestens eine weitere Arbeit ausgeglichen wird ...
VIII. Ein Bewerber hat die Prüfung nicht bestanden, wenn er eine oder zwei Prüfungsaufgaben nicht bestanden hat und die Voraussetzungen nach VII nicht erfüllt.
IX. Ein Bewerber, der die Prüfung nicht bestanden hat, ist nach Artikel 12 (3) VEP berechtigt, an einer der beiden nächsten Prüfungen teilzunehmen, wenn er
a) nur eine Prüfungsaufgabe nicht bestanden hat, die mit der Note 5 oder 6 bewertet wurde, und die Summe seiner Noten nicht höher als 17 ist ..."
Angesichts der klaren Erfordernisse dieser Ausführungsvorschriften, die zum Zeitpunkt der europäischen Eignungsprüfung öffentlich zugänglich, bekannt und wirksam waren, sowie der Art der von der Prüfungskommission getroffenen Entscheidung kann ein Bewerber, der einmal die Note 6 und dreimal die Note 4, also eine Notensumme von mehr als 17 (nämlich 18), erzielt hat, weder die gesamte Prüfung noch Teile derselben bestehen, was ihm gestatten würde, nur bestimmte Arbeiten zu wiederholen.
5. Wie in mehreren Entscheidungen der Disziplinarkammer festgestellt wurde, beschränkt sich deren Befugnis in Fällen, die die europäische Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter betreffen, darauf, Entscheidungen der Prüfungskommission dahingehend zu überprüfen, ob die VEP, die bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangiges Recht richtig angewandt worden ist.
Die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten ist daher lediglich befugt zu untersuchen, ob das Prüfungsverfahren den einschlägigen Vorschriften und Anweisungen entspricht. Da es nicht Aufgabe der Kammer ist, das gesamte Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen, können nur behauptete schwerwiegende, eindeutige Fehler der Prüfungskommission untersucht werden. Diese Fehler müssen für die angefochtene Entscheidung "bedeutsam" in dem Sinne sein, daß sie anders ausgefallen wäre, wenn die Fehler nicht gemacht worden wären, und grundlegend in dem Sinne, daß sie durch Anwendung von Rechtsgrundsätzen, die auf den diesbezüglichen Vorschriften und Bestimmungen beruhen, nachprüfbar sind. Behauptungen, wonach die Arbeiten eines Bewerbers von den Prüfern besser hätten bewertet werden müssen, fallen nicht in die Zuständigkeit der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten, denn Werturteile sind grundsätzlich gerichtlicher Kontrolle entzogen.
6. In Anbetracht des obengenannten Grundsatzes, daß sich in Prüfungsangelegenheiten die Befugnisse der Disziplinarkammer darauf beschränken, Entscheidungen der Prüfungsausschüsse und der Prüfungskommission dahingehend zu überprüfen, ob die VEP oder eine bei ihrer Durchführung anzuwendende Bestimmung (Art. 23 (1)) verletzt wurde, ist die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten in der vorliegenden Sache zu der Auffassung gelangt, daß die Rechtsgültigkeit der angefochtenen Entscheidung insofern nicht in Frage gestellt werden kann, als die VEP nicht verletzt, sondern mitsamt ihren Ausführungsbestimmungen korrekt angewandt wurden; das Vorbringen des Bewerbers ist daher insofern rechtlich unhaltbar, als sich der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten bei besagtem Sachverhalt keine rechtliche Handhabe bietet, für Prüfungsarbeiten andere (bessere oder schlechtere) Noten zu vergeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde vom 11. Oktober 1991 gegen die Entscheidung der Prüfungskommission für die europäische Eignungsprüfung des EPA wird zurückgewiesen.