J 0005/84 (Computerausfall) 29-05-1985
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Computerausfall bei einer Bank, bei der ein Konto der EPO geführt wird
Zahlungstag/massgebender
I. Die Beschwerdeführerin hat am 17. März 1983 die europäische Patentanmeldung 8345007.6 unter Inanspruchnahme einer französischen Priorität vom 17. März 1982 eingereicht. Die Anmeldegebühr, die Recherchengebühr und die Benennungsgebühren wurden am 18. April 1983 fällig, weil der 17. April auf einen Sonntag fiel. Da die Zahlung zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt war, wurde dem Vertreter der Anmelderin mitgeteilt, daß er sie nach Regel 85a noch innerhalb einer Nachfrist von zwei Monaten, gerechnet vom 18. April 1983 an, nachholen könne, sofern er eine Zuschlagsgebühr von 50% entrichte. Diese Frist lief entsprechend der Regel 85 (1) am 20. Juni 1983 ab, weil auch der 19. Juni auf einen Sonntag fiel. Die Gebühren und die Zuschlagsgebühr wurden jedoch erst am 21. Juni 1983 auf einem Bankkonto des Europäischen Patentamts gutgeschrieben.
II. In einer Mitteilung vom 13. Juli 1983 wies die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts die Beschwerdeführerin darauf hin, daß ihre Patentanmeldung gemäß Regel 69 (1) EPÜ als zurückgenommen gelte, weil die Gebühren nicht fristgerecht entrichtet worden seien. Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß sie der Banque Nationale de Paris (BNP) - Agence France Etranger - bereits am 15. Juni 1983 einen Scheck über einen Betrag von 12 340 FF (der den betreffenden Gebühren zuzüglich der Zuschlagsgebühr entspricht) zugesandt habe, den diese am 17. Juni 1983, einem Freitag, auch erhalten, aber erst am folgenden Dienstag, den 21. Juni 1983, dem Amt gutgeschrieben habe. Dies wurde in einem Schreiben der BNP vom 8. August 1983 bestätigt. Die Bank erklärte mit Fernschreiben vom 5. Oktober 1983, daß sie für diese Verzögerung, die auf einen Ausfall ihres Computers zurückzuführen sei, verantwortlich sei. Die Beschwerdeführerin beantragte nach Regel 69 (2) EPÜ eine Entscheidung der Eingangsstelle, die am 22. November 1983 getroffen wurde; darin heißt es, daß die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gelten müsse, da nach Artikel 8 (1) a) der Gebührenordnung als maßgebender Zahlungstag nur der Tag gelten könne, an dem der Betrag der Zahlung einem Bankkonto des Amts gutgeschrieben werde.
III. Gegen diese am 30. November 1983 zugestellte Entscheidung legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein ...
IV. Auf Anfrage des Berichterstatters der Beschwerdekammer führte die BNP mit Schreiben vom 17. April 1985 und einem ergänzenden Fernschreiben vom 6. Mai 1985 aus, daß der Computerausfall am 20. Juni 1983 völlig unvorhersehbar gewesen sei und der Zahlungsbetrag vorübergehend nicht nur für den Zahlungsempfänger, das EPA, dem er nicht habe gutgeschrieben werden können, sondern auch für den Einzahler, also die Beschwerdeführerin, nicht verfügbar gewesen sei; diese habe ihren Scheck auch dann nicht zurückerhalten können, wenn sie dies verlangt hätte.
A. ...
B. Zur Sache
1. Aus den Artikeln 5 (1) a) und 8 (1) a) der Gebührenordnung geht klar hervor, daß bei einer Zahlung durch Überweisung auf ein Bankkonto - wie im vorliegenden Fall - die Zahlung erst zu dem Zeitpunkt als bewirkt gilt, an dem der überwiesene Betrag dem Empfänger "gutgeschrieben wird"; im vorliegenden Fall war dies demnach der 21. Juni 1983; die Frist hingegen war bereits am 20. Juni abgelaufen.
2. Von diesem Grundsatz gibt es zwar nach Artikel 8 (3) der Gebührenordnung eine förmliche Abweichung, auf die hier aber nicht eingegangen werden soll, da es in dem genannten Artikel um Fälle geht, in denen der Zahlungsauftrag "spätestens 10 Tage vor Ablauf" der Frist erteilt worden ist, was im vorliegenden Fall jedoch nicht zutrifft.
3. Hingegen hat die Juristische Beschwerdekammer in einer früheren Entscheidung bei der Auslegung des Artikels 8 (1) a) eingeräumt, daß "als maßgebender Zahlungstag ... bereits der Tag gelten [kann], an dem die erfolgte Zahlung dem EPA durch die kontoführende Bank mitgeteilt worden ist, auch wenn diese Zahlung auf dem Konto der Europäischen Patentorganisation erst nach diesem Tag gutgeschrieben wurde. Voraussetzung hierfür ist, daß von der Mitteilung an ein Rückruf der Zahlung durch den Zahlenden nicht mehr und eine Verfügung des EPA über den gezahlten Betrag bereits möglich ist" (J 26/80 vom 13. November 1981, ABl. EPA 1982, 7).
4. In einer späteren Entscheidung hat eine Technische Beschwerdekammer entschieden, daß eine rechtliche Situation, die der Gutschrift einer Zahlung auf einem Postscheckkonto des Amts gleichkommt, auch dann vorliegt, wenn - wie im damaligen Fall - die Zahlung der Einspruchsgebühr unter Bedingungen erfolgt, die ihren Rückruf durch den Einzahlenden oder eine Vordatierung ausschließen (T 214/83 vom 3. September 1984, ABl. EPA 1985, 10).
5. Die beiden genannten Entscheidungen haben ihre Berechtigung, wenn man den Artikel 8 (1) a) der Gebührenordnung nicht dem Buchstaben, sondern dem Sinne nach auslegt; der dem Buchstaben a zugrunde liegende Gedanke findet sich übrigens auch in anderen Bestimmungen desselben Artikels, insbesondere in Buchstabe c, wieder, wo als Zahlungstag der Tag der Übergabe eines Schecks und nicht dessen "Einlösung" genannt ist. Die Urheber des Übereinkommens wollten zum Ausdruck bringen, daß eine Zahlung grundsätzlich erst dann als bewirkt gilt, wenn sich der Zahlungsbetrag tatsächlich im Besitz des EPA befindet und der Einzahlende über die eingezahlte Summe nicht mehr verfügen kann. Die Vorschrift, daß als Zahlungstag der Tag der Gutschrift auf einem Konto gilt, ist im wesentlichen als Verwaltungsvorschrift zu sehen, die die Buchführung des EPA erleichtern soll. Diese Überlegungen zeigen, daß der Ausdruck "der Tag, an dem die Zahlung ... gutgeschrieben wird" nicht zu eng ausgelegt werden darf. Außerdem muß nach Ansicht der Kammer der Tatsache Rechnung getragen werden, daß es zum Zeitpunkt der Ausarbeitung der Gebührenordnung noch nicht möglich war, die von den Bankinstituten heutzutage durchweg benutzten modernen elektronischen Datenverarbeitungsverfahren mit allen ihren Konsequenzen zu berücksichtigen.
6. Man kann diese Vorschrift der Gebührenordnung natürlich nur dann in dieser Weise auslegen, wenn der Anmelder alles in seinen Kräften Stehende getan hat, damit die Zahlung rechtzeitig erfolgt; wird die Zahlung bei einer Bank vorgenommen, die ein Konto der EPO führt, so wäre es übertrieben, Artikel 8 (3) anzuwenden, der offensichtlich nicht auf diesen Sachverhalt zugeschnitten ist.
7. Ein Scheck, der - wie im vorliegenden Fall - einer kontoführenden Bank am Mittwoch zugeschickt wird und am Freitag derselben Woche bei ihr eingeht, hätte normalerweise spätestens am folgenden Montag auf dem Konto des Empfängers gutgeschrieben werden müssen. Die bei der Gutschrift aufgetretene Verzögerung ist zweifellos auf einen völlig unvorhersehbaren Computerausfall zurückzuführen. Außerdem hat die Bank ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß der Anmelder während der Dauer des Computerausfalls seinen Zahlungsauftrag nicht hätte zurücknehmen können und über den Überweisungsbetrag nicht mehr verfügen konnte. Mithin ist davon auszugehen, daß die Zahlung rechtzeitig erfolgt ist.
8. Somit ist der Beschwerde stattzugeben und die Entscheidung der Eingangsstelle vom 22. November 1983 aufzuheben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. ...
2. Die Entscheidung der Eingangsstelle vom 22. November 1983 wird aufgehoben.