J 0013/85 (Teilanmeldung/Einreichung sachdienlich) 25-08-1986
1. Es gibt nur eine wirksame Mitteilung nach Regel 51(4) und (5) EPÜ. Eine zweite Mitteilung, kann nur ergehen, wenn die erste nach Regel 51(4) EPÜ als nicht erfolgt gilt.
2. Ob der Gegenstand einer europäischen Teilanmeldung über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht (Artikel 76(1) EPÜ), muss von der Prüfungsabteilung im Prüfungsverfahren entschieden werden. * Diese Entscheidung bezieht sich auf die Rechtslage vor dem 1. September 1987, d. h. vor dem Inkrafttreten der Änderung der Regel 51 EPÜ (vgl. Beschluß des Verwaltungsrats vom 5. Juni 1987, ABl. EPA 7/1987, 276).
Teilanmeldung/Einreichung sachdienlich oder nicht
Verfahrensmangel/wesentlicher
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. ... (im folgenden "Stammanmeldung" genannt) wurde am 20. Februar 1979 unter Inanspruchnahme der Priorität einer am 14. August 1978 in den Vereinigten Staaten von Amerika eingereichten Voranmeldung eingereicht.
II. Am 1. Dezember 1980 forderte die Prüfungsabteilung den Beschwerdeführer in einem Bescheid auf, einige Mängel in der Stammanmeldung zu berichtigen, und räumte ihm hierfür eine Frist von 4 Monaten ein.
III. Mit der Mitteilung nach Regel 51 (4) und (5) EPÜ vom 22. Juli 1982 teilte die Prüfungsabteilung dem Beschwerdeführer die Fassung mit, in der sie das europäische Patent auf die Stammanmeldung zu erteilen beabsichtigte. Wie in solchen Fällen üblich, wurde dem Anmelder eine Frist von 3 Monaten zur Entrichtung der Erteilungs- und der Druckkostengebühr und zur Einreichung einer Übersetzung der Ansprüche gesetzt.
IV. Am 22. Oktober 1982 beantragte der Beschwerdeführer mit einem am 25. Oktober 1982 ordnungsgemäß bestätigten Fernschreiben, in die Stammanmeldung neue Ansprüche (10 bis 16) aufnehmen zu dürfen. Nach telefonischer Rücksprache am 12. Januar 1983 nahm der Beschwerdeführer auf Aufforderung der Prüfungsabteilung die neuen Ansprüche zurück und bestätigte dies mit Schreiben vom 17. Januar 1983. In diesem Schreiben schlug der Beschwerdeführer auch kleinere Änderungen vor, die er in die für die Patenterteilung vorgeschlagene Fassung zur Verdeutlichung aufnehmen wollte.
V. Nach erneuter telefonischer Rücksprache mit der Prüfungsabteilung (am 2. und 4. März 1983) erklärte sich der Beschwerdeführer mit Fernschreiben vom 31. März 1983, das mit Schreiben vom 11. April 1983 bestätigt wurde, bereit, Anspruch 1 zu ändern.
VI. Am 24. Juni 1983 teilte das Europäische Patentamt dem Beschwerdeführer in einer neuen Mitteilung nach Regel 51 (4) und (5) EPÜ die Fassung mit, in der die Prüfungsabteilung das europäische Patent zu erteilen beabsichtigte.
VII. Am 23. November 1983 wurde das europäische Patent erteilt.
VIII. Am 12. Januar 1983 hatte der Beschwerdeführer die Teilanmeldung eingereicht, die Gegenstand dieses Verfahrens ist und die sich auf ein Verfahren zur Herstellung des Erzeugnisses bezieht, das Gegenstand der Stammanmeldung ist. Die Ansprüche der Teilanmeldung entsprechen denjenigen, die zuvor als zusätzliche Ansprüche zur Stammanmeldung eingereicht worden waren.
IX. In einer Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ vom 7. Februar 1984 erklärte die Eingangsstelle, daß die Teilanmeldung nach Ablauf der von der Prüfungsabteilung in der ersten Mitteilung gesetzten Frist eingereicht worden sei und der Beschwerdeführer deshalb nach Regel 25 (1) a) EPÜ dazu die Zustimmung der Prüfungsabteilung hätte einholen müssen. Sie stellte ferner fest, daß der Gegenstand der Ansprüche der Teilanmeldung über den Gegenstand der Stammanmeldung hinausgehe (Art. 76 (1) EPÜ).
X. Am 16. April 1984 beantragte der Beschwerdeführer nach Regel 69 (2) EPÜ eine Entscheidung über die Richtigkeit dieser Feststellung. Am 3. Januar 1985 bestätigte die Eingangsstelle mit der angefochtenen Entscheidung, daß der Teilanmeldung der Prioritätstag der Stammanmeldung nicht zuerkannt werden könne.
XI. Sie war der Auffassung, daß der Beschwerdeführer gemäß Regel 25 (1) a) EPÜ vor oder nach Einreichung der Teilanmeldung die Zustimmung der Prüfungsabteilung hätte einholen müssen. Außerdem hätte diese Zustimmung nicht gegeben werden können, da die Teilanmeldung in einem zu späten Stadium des Erteilungsverfahrens zur Stammanmeldung, d. h. erst nach Absendung der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ, eingereicht worden sei. Nachdem die Eingangsstelle nur mit dem beauftragten Prüfer Rücksprache genommen hatte, erklärte sie, daß die Teilanmeldung ihres Erachtens zu spät eingereicht worden sei und die Ansprüche über den Gegenstand der Stammanmeldung hinausgingen. Außerdem gehe der Beschwerdeführer von der ihrer Ansicht nach falschen Annahme aus, daß die Prüfungsabteilung eine erneute Sachprüfung vornehmen werde.
XII. Der Beschwerdeführer reichte mit Schreiben vom 1. März 1985 gegen die Entscheidung der Eingangsstelle vom 3. Januar 1985 Beschwerde ein und entrichtete die Beschwerdegebühr ordnungsgemäß.
XIII. In der am 7. Mai 1985 nachgereichten Beschwerdebegründung behauptete der Beschwerdeführer unter anderem, daß die erste Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ von der Prüfungsabteilung aufgehoben worden sei, daß eine erneute Prüfung durchgeführt werde, daß die Ansprüche der Stammanmeldung geändert würden und daß die zweite Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ lange nach Einreichung der Teilanmeldung ergangen sei.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 109 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Regel 25 (1) a) EPÜ sieht vor, daß eine europäische Teilanmeldung nach Erhalt des ersten Bescheides der Prüfungsabteilung nur innerhalb der in diesem Bescheid festgesetzten Frist und nach Ablauf dieser Frist nur dann eingereicht werden kann, wenn die Prüfungsabteilung dies für sachdienlich hält.
3. Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, daß die Teilanmeldung vom 12. Januar 1983 lange nach Ablauf der in der Mitteilung nach Artikel 96 (2) EPÜ vom 1. Dezember 1980 gesetzten Frist von 4 Monaten eingereicht worden ist und daß deshalb die Zustimmung der Prüfungsabteilung notwendig gewesen wäre.
4. In den Richtlinien für die Prüfung im EPA (A-IV, 1.3) heißt es, daß die Prüfungsabteilung die Einreichung einer Teilanmeldung in der Regel gestatten sollte, wenn die Mitteilung nach Regel 51 (4) und (5) EPÜ noch nicht abgesandt worden ist; Voraussetzung ist allerdings, daß die Anmeldung sich auf in der Stammanmeldung enthaltene Gegenstände beschränkt, aber dennoch eine andere Erfindung beansprucht.
5. In der Beschwerdebegründung hat der Beschwerdeführer zu Recht behauptet, daß im vorliegenden Fall zwei Mitteilungen nach Regel 51 (4) EPÜ ergangen seien, und dazu bemerkt, daß die Teilanmeldung (12. Januar 1983) zwar nach der ersten Mitteilung (22. Juli 1982), aber vor der zweiten Mitteilung (24. Juni 1983) eingereicht worden sei, die nach Regel 51 (4) Satz 2 EPÜ allein als wirksam gelte.
6. Es gibt nur eine wirksame Mitteilung nach Regel 51 (4) und (5) EPÜ. Ergeht eine zweite Mitteilung, so nur, weil die erste nach Regel 51 (4) EPÜ letzter Satz als nicht erfolgt gilt. Im vorliegenden Fall ist die wirksame Mitteilung nach Regel 51 (4) und (5) EPÜ nach Einreichung der Teilanmeldung erfolgt. Der beauftragte Prüfer und die Eingangsstelle waren deshalb zu Unrecht der Auffassung, daß die Einreichung der Teilanmeldung in einem zu späten Stadium des Verfahrens zur Stammanmeldung erfolgt sei.
7. Die Frage, ob der Gegenstand der europäischen Teilanmeldung über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht (Art. 76 (1) EPÜ), muß im Prüfungsverfahren von der Prüfungsabteilung geklärt und kann keinesfalls von der Eingangsstelle oder einem Mitglied der Prüfungsabteilung im Alleingang entschieden werden. Deshalb heißt es in den Richtlinien (A-IV, 1.3.3), daß die Eingangsstelle den Anmelder einer Teilanmeldung auffordern muß, den Nachweis für die Zustimmung der Prüfungsabteilung nach Regel 25 (1) a) EPÜ zu erbringen. In diesem Fall muß sich der Anmelder selbst an die für die Stammanmeldung zuständige Prüfungsabteilung wenden und deren Zustimmung einholen. Im vorliegenden Fall hat die Prüfungsabteilung noch nicht entschieden, daß sie die Zustimmung zu einer Teilanmeldung verweigert. Tut sie dies, so kann diese Entscheidung mit einer Beschwerde vor einer Technischen Beschwerdekammer (Art. 21 (3) EPÜ) angefochten werden.
8. Da die Zurückweisung der Teilanmeldung ohne vorhergehende Entscheidung der Prüfungsabteilung nach Regel 25 (1) a) EPÜ einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 EPÜ darstellt, hält die Kammer die Rückzahlung der Beschwerdegebühr für angemessen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle vom 3. Januar 1985 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die Eingangsstelle zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.