J 0002/92 (Prioritätserklärung (Berichtigung)) 01-12-1992
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Berichtigung von Angaben nach der Veröffentlichung
Schreibfehler - Interesse Dritter - offensichtliche Unstimmigkeit
Austausch des Prioritätsbelegs
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - wesentlicher Verfahrensmangel
I. Am Montag, den 24. Juli 1989 reichte der Anmelder/Beschwerdeführer beim Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten als Anmeldeamt die internationale Anmeldung Nr. PCT/US 89/03267 ein. Im hierfür vorgesehenen Feld Nr. VI des Antrags für die internationale Anmeldung (PCT/RO/101) wurden die Prioritäten dreier nationaler (amerikanischer) Anmeldungen beansprucht. Die diesbezüglichen Einträge im Formblatt lauteten wie folgt:
Staat: (1) Vereinigte Staaten von Amerika
Anmeldedatum: 23. Juli 1988, Aktenzeichen: 223 270
Staat: (2) Vereinigte Staaten von Amerika
Anmeldedatum: 13. Dezember 1988, Aktenzeichen: 283 739
Staat: (3) Vereinigte Staaten von Amerika
Anmeldedatum: 27. April 1989, Aktenzeichen: 223 270
Das Anmeldeamt wurde unter nochmaliger Angabe der vorstehenden Aktenzeichen ersucht, beglaubigte Abschriften der angeführten früheren Anmeldungen anzufertigen und dem Internationalen Büro zu übermitteln (letzter Abschnitt im Feld Nr. VI des Antragsformblatts).
II. Beim amerikanischen Anmeldeamt wurde ferner ein vom 24. Juli 1989 datiertes Übermittlungsschreiben zur internationalen PCT- Anmeldung eingereicht, in dem unter anderem die Anfertigung und Übermittlung beglaubigter Abschriften der im Feld Nr. VI des Antragsformblatts bezeichneten Prioritätsbelege und die Ausstellung einer Genehmigung für die Übermittlung ins Ausland beantragt wurden. Für die Zwecke dieser Genehmigung wurden unter anderem folgende Angaben gemacht:
"Es liegen drei frühere Anmeldungen vor:
(a) Anmeldung mit der Nummer 223 270, eingereicht am 23. Juli 1988,
(b) Continuation-in-part-Anmeldung von A mit der Nummer 283 739, eingereicht am 13. Dezember 1988,
und
(c) continuation-in-part-Anmeldung von B mit der Nummer 334 304, eingereicht am 27. April 1989."
Ergänzend wurde folgendes festgestellt: "Der Gegenstand dieser drei früheren Anmeldungen entspricht zusammen genommen im wesentlichen demjenigen der beigefügten internationalen Anmeldung."
Richtig hätten die Prioritätsangaben dagegen wie folgt gelautet:
Anmeldedatum Aktenzeichen
(1) 22. Juli 1988 (ein Freitag) 223 270
(2) ............ .......
(3) 27. April 1989 344 304
Die Nummer 334 304 trägt eine im Namen mehrerer Erfinder eingereichte Anmeldung vom 6. April 1989, die einen völlig anderen Gegenstand betrifft.
III. Das amerikanische Anmeldeamt übermittelte die Anmeldung dem Internationalen Büro, wo sie am 4. September 1989 einging. Mit Schreiben vom 6. September 1989 unterrichtete das Internationale Büro das Europäische Patentamt als Bestimmungsamt vom Eingang des Aktenexemplars und bestätigte dabei die vom Anmelder beanspruchten drei Prioritätsdaten.
IV. Die PCT-Anmeldung und der internationale Recherchenbericht (des amerikanischen Amts als ISA) wurden vom Internationalen Büro am 8. Februar 1990 mit den vom Anmelder (zum Teil falsch) angegebenen beanspruchten Prioritätsdaten veröffentlicht.
V. Das Internationale Büro leitete die Anmeldung dem Europäischen Patentamt als ausgewähltem Amt zu. In der gemäß Regel 61.2 PCT ergangenen Mitteilung vom 9. Februar 1990 war wiederum das falsche Prioritätsdatum (23. Juli 1988) angegeben. Das EPA teilte dem zugelassenen Vertreter des Anmelders mit Schreiben vom 9. März 1990 mit, daß die Anmeldung die europäische Anmeldenummer 89 909 503.8 erhalten habe.
VI. Mit Schreiben vom 2. April 1990 unterrichtete das amerikanische Anmeldeamt den Vertreter des Anmelders davon, daß die Prioritätsbelege, wie in der internationalen Anmeldung und im Übermittlungsschreiben beantragt, dem Internationalen Büro übermittelt worden seien. Das Internationale Büro erhielt also Abschriften der richtigen Prioritätsbelege Nr. 223 270 und 283 739 sowie des vom Anmelder versehentlich angegebenen falschen Prioritätsbelegs Nr. 334 304. Es bestätigte dem Anmelder am 9. bzw. 17. August 1990 mit Kopie an das EPA, daß die Prioritätsbelege Nr. 223 270 und 334 304 am 15. Mai 1990 und der Beleg Nr. 283 739 am 24. Juli 1990 bei ihm eingegangen waren.
VII. Mit zwei Schreiben vom 25. Mai 1990 forderte das Internationale Büro den Vertreter des Anmelders auf, die Berichtigung "einer Unstimmigkeit" zu beantragen: Während im Feld Nr. VI des Antragsformblatts der internationalen Anmeldung als beanspruchtes Prioritätsdatum der 23. Juli 1988 (bzw. der 27. April 1989) angegeben sei, weise die am 15. Mai 1990 beim Internationalen Büro eingegangene beglaubigte Abschrift der entsprechenden prioritätsbegründenden Anmeldung den 22. Juli 1988 (bzw. den 6. April 1989) als Anmeldetag aus.
VIII. Daraufhin stellten die zugelassenen Vertreter des Anmelders mit Schreiben vom 6. Juli 1990 einen Berichtigungsantrag und gaben an, daß
- das richtige Prioritätsdatum der ersten prioritätsbegründenden Anmeldung der 22. Juli 1988 (statt 23. Juli 1988) gewesen wäre und - das beanspruchte dritte Prioritätsdatum (27. April 1989) in 6. April 1989 geändert werden solle.
IX. Das Internationale Büro übermittelte dem EPA Abschriften der Prioritätsbelege Nr. 223 270 und 283 739 sowie des falschen Prioritätsbelegs Nr. 334 304 und teilte dem Vertreter des Anmelders in vier Schreiben vom 9. und 17. August 1990 (mit Kopie an das EPA) mit, daß
- die Abschrift des Prioritätsbelegs Nr. 283 739 nicht innerhalb der Frist gemäß Regel 17.1 a) PCT eingegangen sei, - der Anmelder mit dem Schreiben vom 25. Mai 1990 fälschlich zur Stellung eines Berichtigungsantrags aufgefordert worden sei, da die Frist nach Regel 91.1 g) PCT damals bereits abgelaufen gewesen sei, und - ein Berichtigungsantrag noch direkt bei den einzelnen Bestimmungsämtern gestellt werden könne.
Der Anmelder wurde schließlich auch davon in Kenntnis gesetzt, daß den Bestimmungsämtern zusammen mit den obengenannten Prioritätsbelegen vorsorglich eine Kopie dieser Schreiben zugegangen sei.
X. Als Anlage zu einem Schreiben vom 3. Dezember 1990 übermittelte das Internationale Büro dem EPA eine Kopie des (am 4. September 1990 vom amerikanischen Amt als IPEA erstellten) internationalen vorläufigen Prüfungsberichts. Der vom Anmelder für das Verfahren vor dem EPA bevollmächtigte europäische zugelassene Vertreter leitete mit Übermittlungsschreiben vom 28. Dezember 1990 und dem Formblatt 1200, die beide am folgenden Tag beim EPA eingingen, die regionale (europäische) Phase der Anmeldung ein.
XI. Mit Schreiben vom 2. April 1991 wies die Eingangsstelle des EPA den europäischen zugelassenen Vertreter des Anmelders darauf hin, daß die vom Internationalen Büro veröffentlichten Prioritätsdaten und die in der Abschrift der Prioritätsbelege ausgewiesenen Daten wie folgt voneinander abwichen:
US-Anmeldung Nr. 223 270: 23.7.1988 und 22.7.1988
US-Anmeldung Nr. 334 304: 27.4.1989 und 6.4.1989
Nach Rückfrage beim amerikanischen Vertreter beantragte der europäische zugelassene Vertreter auf dessen Weisung mit Schreiben vom 16. Mai 1991 folgende Berichtigungen:
- Prioritätsdatum der Anmeldung Nr. 223 270: 22.7.1988
- Nummer der prioritätsbegründenden Anmeldung vom 27.4.1989: 344 304
Darüber hinaus wurde beantragt, zusammen mit den bibliographischen Daten der internationalen Anmeldung einen für die Öffentlichkeit bestimmten Hinweis auf den vorliegenden Berichtigungsantrag nach Regel 88 EPÜ zu veröffentlichen sowie eine mündliche Verhandlung nach Artikel 116 EPÜ anzuberaumen.
XII. Die bibliographischen Daten der Euro-PCT-Anmeldung wurden am 29. Mai 1991 in Abschnitt I.1 des Europäischen Patentblatts unter der Nummer 0 428 603 bekanntgemacht, wie es dem Anmelder mit Schreiben vom 17. April 1991 angekündigt worden war.
XIII. Am 9. Juli 1991 erhielt das EPA zusammen mit einem Übermittlungsschreiben vom 4. Juli 1991 eine beglaubigte Abschrift des richtigen Prioritätsbelegs Nr. 344 304.
XIV. Mit Entscheidung vom 19. Juli 1991 wies die Eingangsstelle den Berichtigungsantrag mit folgender Begründung zurück:
Gemäß Artikel 150 (3) EPÜ sei Regel 88 EPÜ, die die Berichtigung von Mängeln vorsehe, grundsätzlich auch auf Euro-PCT-Anmeldungen anwendbar. Der Berichtigungsantrag sei beim EPA aber so spät eingegangen, daß dieses vor der Bekanntmachung der Anmeldung nicht mehr über den Antrag habe entscheiden oder auch nur einen Hinweis darauf in die Veröffentlichung habe aufnehmen können. Ohne einen solchen Hinweis könne im Hinblick auf das vorrangige Interesse der Öffentlichkeit keine Berichtigung mehr vorgenommen werden (s. J 3/81, ABl. EPA 1982, 100). Im Falle einer Berichtigung des falschen Prioritätsdatums nach der Veröffentlichung sähe sich die Öffentlichkeit nämlich irregeführt.
Bezüglich des falschen Aktenzeichens wies die Eingangsstelle darauf hin, daß sich die Öffentlichkeit nicht auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der veröffentlichten Informationen habe verlassen können, weil ein falsches Aktenzeichen veröffentlicht worden und das entsprechende falsche Dokument auch in die Akte gelangt sei.
XV. Am 13. September 1991 legte der Anmelder gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, nachdem er bereits am 12. September 1991 die entsprechende Gebühr entrichtet hatte. Die schriftliche Beschwerdebegründung vom 25. November 1991 ging beim EPA zwei Tage später ein.
Der Beschwerdeführer beantragt
- die Berichtigung des beanspruchten ersten Prioritätsdatums (a),
- die Berichtigung des Aktenzeichens der beanspruchten dritten Priorität (c),
- den Austausch des falschen (amerikanischen) Prioritätsbelegs Nr. 334 304 gegen den richtigen (amerikanischen) Prioritätsbeleg Nr. 344 304 (gemäß Schreiben des Anmelders vom 16. Mai 1991, Seite 3 letzter Absatz)
- und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Der Beschwerdeführer hat im wesentlichen folgende Argumente vorgebracht:
Die Mängel in der Prioritätserklärung seien auf einen Schreibfehler und ein Mißverständnis bei einem Telefongespräch zurückzuführen; es handle sich somit um bloße Versehen einer Bürokraft, die nach Regel 88 EPÜ berichtigt werden könnten. Der Beschwerdeführer ging im einzelnen auf die besonderen Umstände ein, die zu den Fehlern in der Prioritätserklärung geführt hatten, und legte schriftliche Erklärungen des amerikanischen und des europäischen zugelassenen Vertreters vom 14. bzw. 26. November 1991 vor.
Der Beschwerdeführer vertrat die Ansicht, nach der einschlägigen Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer könnten Versehen einer Bürokraft auch noch nach Veröffentlichung der Anmeldung berichtigt werden, sofern die Interessen Dritter nicht verletzt würden. Bei einer Überprüfung der Prioritäten im Wege der Akteneinsicht würden Dritte sofort erkennen, daß die veröffentlichten Prioritätserklärungen Fehler enthielten, da diese aus der internationalen Anmeldung und dem Schriftverkehr zwischen dem Internationalen Büro und dem amerikanischen Vertreter des Anmelders ohne weiteres ersichtlich seien. Jemand, für den das genaue Prioritätsdatum entscheidend sei, hätte sofort bemerkt, daß das Prioritätsdatum des 23. Juli 1988 nicht stimmen könne, weil dies ein Samstag gewesen sei. Amerikanischen Patentanmeldungen werde als Anmeldetag nie ein auf ein Wochenende fallender Tag zuerkannt.
Überdies werde das Interesse der Öffentlichkeit durch die Vorverlegung des Prioritätsdatums um nur einen Tag nicht wesentlich verletzt.
Der Beschwerdeführer machte des weiteren geltend, daß das falsch angegebene Aktenzeichen der Anmeldung Nr. 344 304 einen Dritten nicht irreführen würde, weil der Fehler bei Akteneinsicht auffiele. Selbst Mitglieder der Öffentlichkeit, die nicht in die amtliche Akte Einsicht nähmen, könnten nicht nachhaltig irregeführt werden, weil in der veröffentlichten internationalen Anmeldung ja Datum und Staat richtig ausgewiesen seien.
Der Mangel, daß die beglaubigte Abschrift der richtigen prioritätsbegründenden Anmeldung Nr. 344 304 nicht innerhalb der Frist von 16 Monaten eingereicht worden sei, sei als durch die Nachreichung des richtigen Dokuments geheilt anzusehen.
XVI. Für den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr brachte der Beschwerdeführer folgende Gründe vor:
Die Eingangsstelle habe den im Rahmen des Berichtigungsgesuchs vom 16. Mai 1991 gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung ignoriert.
Die Entscheidung vom 19. Juli 1991 sei ergangen, ohne daß der Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit erhalten habe, die im Berichtigungsantrag versprochenen Angaben und Beweismittel vorzulegen, die belegen sollten, wie die Fehler im einzelnen zustande gekommen waren.
Die Eingangsstelle habe, obwohl sie im Berichtigungsantrag um Hilfestellung gebeten worden sei, keinerlei Auskunft darüber gegeben, welche Beweismittel sie gegebenenfalls benötige.
XVII. Die Juristische Beschwerdekammer forderte den Präsidenten des EPA auf, sich zu den Fragen von allgemeinem Interesse zu äußern, die sich im vorliegenden Fall sowie in drei weiteren, ganz ähnlich gelagerten Fällen stellten. Der Präsident gelangte in seiner Stellungnahme zu dem Schluß, daß die beantragten Berichtigungen in diesem Fall nicht zugelassen werden sollten, da ein Berichtigungsantrag erst mehr als 4 1/2 Monate nach Eintritt in die regionale Phase gestellt worden sei.
1. Die Beschwerde entspricht Artikel 106 sowie den Regeln 64 und 78 (3) EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Der Beschwerdeführer hat eine internationale Anmeldung eingereicht, für die er nach Artikel 8 PCT und Artikel 4 der Stockholmer Fassung der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums die Priorität dreier früherer, beim Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten eingereichter Patentanmeldungen in Anspruch genommen hat. Er beantragt die Berichtigung des Prioritätsdatums der ersten sowie des Aktenzeichens der dritten prioritätsbegründenden Anmeldung, die beide im Antragsformblatt für die Anmeldung und später in der veröffentlichten internationalen Anmeldung falsch angegeben waren.
3. Nach Artikel 150 (3) und Regel 88 Satz 1 EPÜ, die gemäß Artikel 26 PCT Anwendung finden, können bestimmte Mängel, insbesondere "Schreibfehler und Unrichtigkeiten in den ... Unterlagen", auch bei internationalen Anmeldungen auf Antrag berichtigt werden.
Die Eingangsstelle des EPA hat Regel 88 EPÜ im vorliegenden Fall richtig angewandt, auch wenn die Frist für eine Berichtigung nach dem PCT gemäß Regel 91.1 g) PCT bereits abgelaufen war (s. J 3/81, ABl. EPA 1982, 100). Nach den grundlegenden Bestimmungen der Artikel 150 (3) und 158 (1) EPÜ und des Artikels 11 (4) PCT hat der Anmelder einer internationalen Anmeldung bei der Berichtigung von Unrichtigkeiten in der Prioritätserklärung dieselben rechtlichen Möglichkeiten wie der Anmelder einer europäischen Patentanmeldung. Selbst wenn das Internationale Büro den Berichtigungsantrag nicht, wie in Regel 91.1 f) PCT vorgesehen, zusammen mit der internationalen Anmeldung veröffentlicht hat, ist eine Berichtigung der Prioritätserklärung nach Regel 88 EPÜ entsprechend der in der einschlägigen Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer vertretenen Auslegung grundsätzlich auch noch in der regionalen Phase möglich.
4. Die einschlägige Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer zur Frage, welchen Bedingungen die Berichtigung einer Prioritätserklärung nach Regel 88 EPÜ unterliegt, ist in den Entscheidungsgründen der Sache J 6/91 vom 1. Dezember 1992 zusammengefaßt. Der Tenor dieser Rechtsprechung muß auch im vorliegenden Fall angewandt werden. Im vorliegenden Fall und in der (am selben Tag entschiedenen) Sache J 3/91 geht es allerdings erstmals nicht um die Berichtigung einer weggelassenen Prioritätserklärung, sondern um die Berichtigung von zu einer Prioritätserklärung gehörenden Angaben, nämlich des nach Artikel 8 und Regel 4.10 a) PCT bzw. Artikel 88 (1) und Regel 38 (1) EPÜ anzugebenden Datums und Aktenzeichens. Die folgenden Besonderheiten des vorliegenden Falls veranlassen die Juristische Beschwerdekammer, ihre bisherige Rechtsprechung weiterzuentwickeln:
- Bei dem Mangel, dessen Berichtigung beantragt wird, handelt es sich nicht um fehlende, sondern um fehlerhafte und unrichtige Angaben der Prioritätserklärung (Datum und Aktenzeichen).
- Der Berichtigungsantrag wurde nach Veröffentlichung der internationalen Anmeldung und der bibliographischen Daten der Anmeldung gemäß Artikel 158 (1) EPÜ gestellt.
- Die Prioritätsbelege gingen beim Internationalen Büro nicht innerhalb der in Regel 17.1 a) PCT festgelegten Fristen ein.
- Eine Berichtigung nach Ablauf der in Regel 91.1 g) PCT vorgesehenen Frist wurde vom Internationalen Büro abgelehnt.
5. Die beantragte Berichtigung des Anmeldedatums der ersten prioritätsbegründenden Anmeldung (a) und des Aktenzeichens der dritten prioritätsbegründenden Anmeldung (c) muß aus folgenden Gründen zugelassen werden:
5.1 Um einem Mißbrauch der Regel 88 EPÜ vorzubeugen, hat die Juristische Beschwerdekammer festgestellt, daß für das Europäische Patentamt, "bevor es einen Antrag auf Berichtigung einer Unrichtigkeit zuläßt, feststehen muß, daß eine Unrichtigkeit vorliegt, worin die Unrichtigkeit besteht und in welcher Weise sie berichtigt werden soll" (J 8/80, ABl. EPA 1980, 293, Nr. 5; J 4/80, ABl. EPA 1980, 351, Nr. 3; J 4/82, ABl. EPA 1982, 385, Nr. 6).
Im vorliegenden Fall sind diese Bedingungen erfüllt. Der Anmelder hat im Antragsformblatt versehentlich zur ersten prioritätsbegründenden Anmeldung (a) das falsche Prioritätsdatum und zur dritten prioritätsbegründenden Anmeldung (c) das falsche Aktenzeichen angegeben.
Die zugelassenen Vertreter des Anmelders werteten die Unrichtigkeiten als "bloße Versehen einer Bürokraft", da die unrichtige Prioritätserklärung auf irreführende Informationen in einem Bescheid an den Anmelder (US/NIH) und das unrichtige Aktenzeichen auf ein Mißverständnis bei einem Telefongespräch (US/NTIS) zurückzuführen sei.
Nach Überzeugung der Kammer sind diese Versehen einer Bürokraft, die beim Ausfüllen des Formblatts für die internationale Anmeldung 23. Juli statt 22. Juli getippt und als Aktenzeichen statt 344 304 die falsche Nummer 334 304 angegeben hat, typische Schreibfehler im Sinne der Regel 88 Satz 1 EPÜ. Es wurde klar dargelegt, wie sich durch Verschreiben bzw. ein Mißverständnis die Fehler eingeschlichen haben. Weder das Prioritätsdatum noch das Aktenzeichen des Prioritätsbelegs geben in der eingereichten und veröffentlichten Form das wieder, was offensichtlich beabsichtigt war.
5.2 Grundsätzlich läßt Regel 88 Satz 1 EPÜ bei einer unrichtigen Prioritätserklärung dieser Art eine Berichtigung ohne jegliche zeitliche Beschränkung auch noch nach Veröffentlichung der Patentanmeldung zu. Die Berichtigung liegt jedoch im Ermessen der zuständigen Stellen (J 7/90, ABl. EPA 1993, 133, Nr. 2.2; G. Paterson, The European Patent System, London 1992, Nrn. 5-52, 6-05, 6-08). In der Sache J 7/90 hat die Kammer festgestellt, das EPÜ zwinge "das EPA keineswegs dazu, Berichtigungen von Fehlern jedweder Art zu jeder Zeit zuzulassen." Nach der rechtsverbindlichen Fassung der einschlägigen Bestimmung in den drei Amtssprachen ("können" - "may" - "peuvent") ist die Zulassung bestimmter Arten von Berichtigungen in das Ermessen des Europäischen Patentamts gestellt. Oberstes Prinzip bei der Ausübung des Ermessens ist eine gerechte Abgrenzung zwischen den Interessen der auf optimalen Schutz bedachten Anmelder und dem Rechtssicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit (vgl. R. Singer, Europäisches Patentübereinkommen, 1989, Artikel 123, Nr. 21).
5.2.1 Bei der Abwägung der Interessen Dritter gegen die des Anmelders ist die Kammer unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls, in dem es um bloße Versehen einer Bürokraft geht, zu der Überzeugung gelangt, daß die Interessen Dritter durch eine antragsgemäße Berichtigung der Prioritätserklärung nicht verletzt werden.
5.2.2 Die Kammer ist der Meinung, daß eine Berichtigung der zu einer Prioritätserklärung gehörenden Angaben zumindest dann zulässig ist, wenn die Unstimmigkeit - wie im vorliegenden Fall - aus der veröffentlichten Patentanmeldung selbst ohne weiteres ersichtlich ist; dies gilt auch dann, wenn sich dadurch eine frühere Priorität ergibt.
Betrachtet man die Angaben in der internationalen Veröffentlichung der Patentanmeldung Nr. PCT/US 89/03267, so ist die unrichtige Angabe des ersten Prioritätsdatums für Patentvertreter, die regelmäßig mit Patentanmeldungen dieser Art zu tun haben, schon auf dem Deckblatt dieser Veröffentlichung ohne weiteres erkennbar. Der 23. Juli 1988 kann offensichtlich nicht das richtige Prioritätsdatum sein, weil dieser Tag ein Samstag war und amerikanischen Anmeldungen nie ein auf ein Wochenende fallender Anmeldetag zuerkannt wird.
In Anbetracht der offensichtlichen Unstimmigkeit beim Prioritätsdatum der früheren Anmeldung durfte sich die Öffentlichkeit im vorliegenden Fall nicht auf die Richtigkeit der veröffentlichten internationalen Patentanmeldung verlassen. Es kann erwartet werden, daß Dritte, für die das genaue Prioritätsdatum von Interesse ist, der Unstimmigkeit nachgehen und sich durch Akteneinsicht Gewißheit über das richtige Prioritätsdatum verschaffen. Deshalb kann eine rückwirkende Berichtigung des Prioritätsdatums zugelassen werden, obwohl die internationale Patentanmeldung ohne einen entsprechenden Hinweis veröffentlicht wurde und durch die Berichtigung der in den Artikeln 93 (1) und 158 (1) sowie in Regel 104b (1) EPÜ vorgeschriebene Zeitpunkt für die Veröffentlichung der Anmeldung um einen Tag vorverlegt wird.
5.2.3 Bezüglich des Antrags auf Berichtigung des Aktenzeichens des dritten Prioritätsbelegs (c) führen die vorstehenden Überlegungen zur Interessenabwägung zum selben Ergebnis. Ganz offensichtlich besteht kein begründetes Interesse daran, in der veröffentlichten Anmeldung ein falsches Aktenzeichen stehenzulassen. Dritte müßten in die Akte Einsicht nehmen, wenn sie aus dem Prioritätsbeleg sachliche Rückschlüsse ziehen wollen. Dabei ist das Aktenzeichen als solches für einen Wettbewerber, der entscheiden muß, ob er die Erfindung benutzen kann, ohne Belang. Seine Interessen werden durch eine Berichtigung nicht verletzt.
Eine Berichtigung des Aktenzeichens hat aber nur dann einen Sinn, wenn der Austausch des falschen Dokuments mehr als drei Monate nach Bekanntmachung der internationalen Anmeldung im Europäischen Patentblatt noch zulässig war. Es stellt sich also die Frage, ob ein falscher Prioritätsbeleg nach Ablauf der in Regel 17.1 a) PCT bzw. der in den Regeln 38 (3) und 104b (3) EPÜ festgelegten Fristen noch durch den richtigen ersetzt werden kann.
6. Nach Ansicht der Kammer kann in Fällen, in denen der Anmelder die Übermittlung der Prioritätsbelege nach Regel 17.1 b) PCT fristgerecht beantragt hat, ein falscher Prioritätsbeleg auch noch nach Veröffentlichung der internationalen Anmeldung ausgetauscht werden, wenn vom Anmelder versehentlich ein falsches Aktenzeichen angegeben wurde.
6.1 Der Beschwerdeführer hat die Übermittlung der Prioritätsbelege gemäß Regel 17.1 b) PCT innerhalb der in Satz 2 dieser Bestimmung vorgesehenen Frist beantragt. Die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 48 (2) a) PCT bzw. Art. 122 EPÜ) stellt sich nicht, wenn die Übermittlung rechtzeitig beantragt, aber verspätet ausgeführt wird.
Die Rolle, die dem Anmeldeamt nach Eingang des Antrags auf Übermittlung der maßgeblichen Prioritätsbelege zukommt, stellt sich nach Regel 17.1 b) PCT ähnlich dar wie nach Regel 38 (3) Satz 3 EPÜ. Das Anmeldeamt hat dafür zu sorgen, daß eine Abschrift der angegebenen früheren Anmeldungen fristgerecht in die Akte gelangt. Daher erlischt der Prioritätsanspruch auch nicht, wie in Artikel 91 (3) EPÜ und Regel 17.1 c) PCT vorgesehen, wenn die Prioritätsbelege vom Anmeldeamt verspätet übermittelt werden.
6.2 Unter den Umständen des vorliegenden Falls wäre ein Verlust des Prioritätsanspruchs gleichermaßen unbillig. Der Anmelder hat versehentlich das falsche Aktenzeichen angegeben. Die Fehler im Übermittlungsantrag sind auf das Versehen einer Bürokraft zurückzuführen (s. Nr. 5.1). Von Anfang an bestand kein Zweifel daran, welchen Prioritätsbeleg der Anmelder einreichen wollte.
Dritte würden durch den Austausch des falschen Dokuments nach der Veröffentlichung der internationalen Anmeldung nicht irregeführt. Sie konnten nämlich bei Akteneinsicht ohne weiteres erkennen, daß das Dokument Nr. 334 304 gänzlich irrelevant war und bei den Prioritätsdaten eine Unstimmigkeit bestand. Aus der Akte war also ersichtlich, daß sich der Beleg für die beanspruchte Priorität vom 27. April 1989 noch nicht darin befand.
6.3 Die Kammer läßt allerdings die Frage offen, ob immer dann, wenn eine Berichtigung des Aktenzeichens nach Regel 88 EPÜ zugelassen wird, auch ein Austausch des falschen Prioritätsdokuments selbst möglich ist. Dies kann problematisch werden, wenn die in Regel 17.1 a) PCT und den Regeln 38 (3) und 104b (3) EPÜ vorgesehenen Fristen abgelaufen und die Bedingungen für eine Wiedereinsetzung nach Artikel 48 (2) a) PCT und Artikel 122 EPÜ nicht erfüllt sind.
7. Die Kammer ordnet ferner die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ an. Daß die Eingangsstelle eine Entscheidung erlassen hat, ohne sich vom Beschwerdeführer die in seinem Berichtigungsantrag vom 16. Mai 1991 angebotenen näheren Angaben und Beweismittel vorlegen zu lassen, mit denen er belegen wollte, wie die Fehler im einzelnen zustande gekommen waren, stellt nach Auffassung der Kammer einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Die Eingangsstelle hat weder eine Frist für die Vorlage der entsprechenden Beweismittel gesetzt noch hinreichend lange auf diese gewartet, bevor sie am 19. Juli 1991 ihre Entscheidung traf. Der Beschwerdeführer konnte mit Fug und Recht erwarten, daß die Eingangsstelle die weiteren Beweismittel abwarten würde, da er ihr mit Schreiben vom 4. Juli 1991 die baldige Übermittlung näherer Angaben angekündigt hatte. Wie die Kammer bereits in der Sache J 4/82 (ABl. EPA 1982, 385, Nr. 11) ausgeführt hat, stellt eine solche verfrühte Entscheidung einen wesentlichen Verfahrensmangel im Hinblick auf Artikel 114 (2) EPÜ dar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle vom 19. Juli 1991 wird aufgehoben.
2. Es wird angeordnet, den nach Artikel 4 PCT eingereichten Antrag zu der internationalen Anmeldung Nr. PCT/US 89/03267 (der späteren europäischen Patentanmeldung Nr. 89 909 503.8) für das Europäische Patentamt als Bestimmungsamt wie folgt zu berichtigen:
- Das Anmeldedatum der prioritätsbegründenden Anmeldung Nr. 223 270 wird in "22. Juli 1988" geändert.
- Das Aktenzeichen der am 27. April 1989 eingereichten prioritätsbegründenden nationalen (amerikanischen) Anmeldung wird in "344 304" geändert.
3. Der Austausch des falschen (amerikanischen) Prioritätsbelegs Nr. 334 304 gegen den richtigen (amerikanischen) Prioritätsbeleg Nr. 344 304 wird zugelassen.
4. Es wird angeordnet, dem Beschwerdeführer die Beschwerdegebühr zu erstatten.